Entscheidungsdatum
22.11.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W171 2231836-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid vom 12.03.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.04.2021, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I. bis V. und VII. des Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 09.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 12.05.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde (Spruchpunkt I.). Dem BF wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 12.05.2016 erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde zu Spruchpunkt II. ausgeführt, der BF, der keine Angehörigen in Afghanistan habe und als (unbegleiteter) minderjähriger Flüchtling einer besonderen Schutzwürdigkeit unterliege, wäre im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsland einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK oder der ZPEMRK Nr. 6 und 13 ausgesetzt, insbesondere zumal in Afghanistan keine adäquaten Schutz- und Betreuungseinrichtungen für Kinder und Minderjährige vorhanden seien.
1.3. Die Aufenthaltsberechtigung wurde zwei Mal, zuletzt bis zum 18.06.2020, verlängert.
1.4. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 18.08.2016 wurde der BF als Jugendlicher wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, Abs. 2a und Abs. 3 SMG zu einer unter einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt.
1.5. Nachdem über den BF am 17.08.2019 die Untersuchungshaft verhängt wurde, wurde er mit Urteil eines Landesgerichts vom 03.09.2019 als junger Erwachsener wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG sowie nach §§ 15 StGB, 27 Abs. 2a 2. Fall SMG zu einer unter einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt. Weiters wurde die Probezeit der mit Urteil vom 18.08.2016 über den BF verhängten, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe auf fünf Jahre verlängert und für den BF Bewährungshilfe angeordnet.
1.6. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 02.09.2019 teilte das BFA dem BF die beabsichtigte Einleitung eines Aberkennungsverfahrens gem. § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG und die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan mit und ermöglichte ihm, binnen 14 Tagen ab Zustellung eine Stellungnahme abzugeben.
1.7. In einer Einvernahme vor dem BFA am 05.02.2020 gab der BF zusammengefasst an, dass er mit seinen Eltern im Iran in Kontakt stehe und er Großeltern in Afghanistan in Ghazni habe, die er nicht kenne. In Österreich habe er eine Freundin, mit der er nicht zusammenlebe. Außerdem habe er Deutschkurse besucht sowie den Pflichtschulabschluss gemacht und sei derzeit in einer Lehre als Koch. Zu seinen Verurteilungen gab er an, dass er damals Probleme gehabt und Geld gebraucht habe. Er sei hier aufgewachsen, habe sich verändert und könne nicht nach Afghanistan, wo er noch nie gewesen sei und niemanden kenne.
1.8. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12.03.2020 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die mit Bescheid vom 02.08.2019 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 9 Abs. 2 AsylG iVm § 52 Abs. 9 FPG unzulässig sei (Spruchpunkt V.), die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.) sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein dreijähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Begründend wurde ausgeführt, dass der BF aufgrund der Verurteilungen nach dem SMG, die Volksgesundheit sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde und keine positive Zukunftsprognose abgegeben werden könne, weshalb der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen sei. Da er weder über ein Privat-, noch ein Familienleben in Österreich verfüge, welches seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertigen würde, sei eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet sei geduldet. Die Erlassung eines Einreiseverbots sei dringend erforderlich, weil gerade Suchtgiftdelikte „enorm schwer“ zu gewichten seien und im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität, insbesondere des Suchtgifthandels, die Erlassung eines Einreiseverbots auch bei ansonsten völliger sozialer Integration dringend geboten sei.
1.9. Mit Schreiben vom 29.05.2020 erhob der BF Beschwerde gegen die „Spruchpunkte I.-V. und VII.“ des angefochtenen Bescheides und brachte darin im Wesentlichen vor, er bereue seine Taten und verfüge über keine privaten Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Außerdem habe sich die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage seit 2016 nicht wesentlich verbessert. Die Gründe, die zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung geführt hätten, hätten sich somit im Wesentlichen nicht geändert. Daher lägen die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht vor. Der Status des Asylberechtigten sei abzuerkennen, wenn dieser wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei und eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeute. Der BF sei aber nur wegen Vergehen verurteilt worden und das BFA habe nicht ausreichend begründet, warum von ihm eine Gefahr ausgehe. Er sei „auf die schiefe Bahn geraten“ und habe die Drogen selbst konsumieren, aber nicht weiterveräußern wollen. Die Dauer des Einreiseverbots sei nicht ausreichend begründet und überzogen. Der BF halte sich seit fast fünf Jahren rechtmäßig in Österreich auf und habe eine österreichische Freundin. Die Änderung der Rechtsprechung reiche nicht aus, die Rechtskraft zu durchbrechen und neu zu entscheiden.
1.10. Am 22.04.2021 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.
1.11. Am 30.09.2021 erwuchs die Verurteilung des BF vom 11.02.2021 wegen sexueller Belästigung nach § 218 Abs. 1a StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen (320,- €) in Rechtskraft.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Verfahrensgang:
1.1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 09.12.2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 12.05.2015 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 12.05.2016.
1.1.2. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF wurde mehrmals verlängert, zuletzt bis zum 18.06.2020.
1.2. Zum Beschwerdeführer:
1.2.1. Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX geboren.
1.2.2. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich mehrfach straffällig und ist wie folgt gerichtlich (rechtskräftig) verurteilt worden:
Der BF wurde am 18.08.2016 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, Abs. 2a und Abs. 3 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.
Der BF wurde am 03.09.2019 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG sowie nach §§ 15 StGB, 27 Abs. 2a 2. Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.
Am 11.02.2021 wurde der BF wegen sexueller Belästigung nach § 218 Abs. 1a StGB vom 11.02.2021 zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen (320,- €) verurteilt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
2.2. Die Feststellungen hinsichtlich der Person des BF beruhen auf dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.
Die Verurteilungen des BF ergeben sich aus einem Strafregisterauszug, die Strafurteile vom 18.08.2016 und vom 03.09.2019 liegen darüber hinaus im Akt auf.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu Spruchpunkt A):
Rechtsgrundlagen:
§ 9 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) lautet wie folgt:
„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
(1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.
(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“
§ 17 Strafgesetzbuch (StGB) lautet:
Einteilung der strafbaren Handlungen
(1) Verbrechen sind vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind.
(2) Alle anderen strafbaren Handlungen sind Vergehen.
§ 27 Suchtmittelgesetz (SMG) lautet:
Unerlaubter Umgang mit Suchtgiften
(1) Wer vorschriftswidrig
1. Suchtgift erwirbt, besitzt, erzeugt, befördert, einführt, ausführt oder einem anderen anbietet, überlässt oder verschafft,
2. Opiummohn, den Kokastrauch oder die Cannabispflanze zum Zweck der Suchtgiftgewinnung anbaut oder
3. psilocin-, psilotin- oder psilocybinhältige Pilze einem anderen anbietet, überlässt, verschafft oder zum Zweck des Suchtgiftmissbrauchs anbaut,
ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Wer jedoch die Straftat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begeht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2a) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren ist zu bestrafen, wer vorschriftswidrig in einem öffentlichen Verkehrsmittel, in einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anlage, auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, in einem öffentlichen Gebäude oder sonst an einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich oder unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet ist, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, Suchtgift einem anderen gegen Entgelt anbietet, überlässt oder verschafft.
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ist zu bestrafen, wer eine Straftat nach Abs. 1 Z 1, Z 2 oder Abs. 2a gewerbsmäßig begeht.
(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ist zu bestrafen, wer
1. durch eine Straftat nach Abs. 1 Z 1 oder 2 einem Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglicht und selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als der Minderjährige ist oder
2. eine solche Straftat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begeht.
(5) Wer jedoch an Suchtmittel gewöhnt ist und eine Straftat nach Abs. 3 oder Abs. 4 Z 2 vorwiegend deshalb begeht, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, ist nur mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.
3.2. Zu Spruchpunkt I. des Bescheides vom 10.10.2018, Aberkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005:
Gegenständlich liegen keine Hinweise vor, dass der BF einen der Aberkennungstatbestände gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 verwirklicht hätte, welche jenen des Abs. 2 leg.cit. vorgehen. Es ist im Folgenden daher näher zu prüfen, ob bzw. welcher Teil von Abs. 2 im konkreten Fall anzuwenden ist:
Hinweise, dass beim BF einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegen könnte (Kriegsverbrechen, schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes) liegen nicht vor. § 9 Abs. 2 Z 1 AsylG ist daher nicht erfüllt.
Bei den Verurteilungen des BF handelt es sich um Vergehen. Da die Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 jedoch eine Verurteilung wegen eines Verbrechens iSd § 17 StGB erfordert, ist die genannte Bestimmung gegenständlich nicht anzuwenden.
Nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 hat eine Aberkennung des subsidiären Schutzes bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 leg.cit. zu erfolgen, wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Entsprechende Vorschriften sehen auch Art. 19 Abs. 3 lit. a iVm Art. 17 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie vor, die mit der zitierten nationalen Regelung umgesetzt worden sind.
Abweichend von der in § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 geforderten formalen Grenze des „Verbrechens (§ 17 StGB)“, kann der Aberkennungstatbestand der Z 2 leg.cit. auch dann erfüllt sein, wenn mehrere minderschwere Straftaten vorliegen, welche für sich das Kriterium der Ziffer 3 nicht erfüllen (vgl. ErläutRV 330 BlgNR 24. GP 9).
Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, erfordert eine Gefährdungsprognose. Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und in Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (vgl. VwGH 14.03.2019, Ra 2018/20/0387, Rz 13, mwN).
Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 13.12.2011, U 1907/19 (VfSlg. 19591), aus, dass eine Gefahr für die Sicherheit und Allgemeinheit eines Landes nur dann gegeben sei, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet sei oder wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen. Zur Begründung verwies er darauf, dass § 9 Abs. 2 (Z 2) AsylG 2005 in Umsetzung der Statusrichtlinie ergangen sei und daher richtlinienkonform interpretiert werden müsse. Gemäß Art. 17 Abs. 1 der Statusrichtlinie seien Personen vom Genuss des subsidiären Schutzes auszuschließen, die Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit (lit. a) bzw. schwere Straftaten (lit. b) begangen hätten oder sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen (lit. c). Angesichts der schweren Natur dieser Ausschluss- bzw. Aberkennungstatbestände könne nach dem Grundsatz der richtlinienkonformen Interpretation Art. 17 Abs. 1 lit. d leg. cit. (Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit eines Landes) nur dahingehend verstanden werden, dass zur Verwirklichung dieser Bestimmung zumindest die Begehung einer Straftat von vergleichbarer Schwere wie die in lit. a bis c der Statusrichtlinie genannten Handlungen vorliegen müsse. Diese Sicht werde auch dadurch bestätigt, dass die Statusrichtlinie selbst bzw. die Materialien zur Statusrichtlinie auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) Bezug nehmen würden und sich aus der zu den einschlägigen Bestimmungen der GFK ergangenen Judikatur bzw. Literatur ergebe, dass eine „Gefahr für die Sicherheit oder für die Allgemeinheit eines Landes“ nur dann gegeben sei, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet sei oder wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen (vgl. auch VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155, Rz 19).
Auch der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seiner Rechtsprechung erkannt, dass nur ein Flüchtling, der wegen einer „besonders schweren Straftat“ rechtskräftig verurteilt wurde, als eine „Gefahr für die Allgemeinheit eines Mitgliedstaats“ angesehen werden könne (EuGH vom 24.06.2015, C-373/13, H.T. gegen Land Baden-Württemberg, ECLI:EU:C:2015:413).
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich diesen zitierten rechtlichen Erwägungen angeschlossen, wonach ein Fremder jedenfalls dann eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 darstellt, wenn sich diese aufgrund besonders qualifizierter strafrechtlicher Verstöße prognostizieren lässt. Als derartige Verstöße kommen insbesondere qualifizierte Formen der Suchtgiftdelinquenz (wie sie beispielsweise in § 28a SMG unter Strafe gestellt werden) in Betracht, zumal an der Verhinderung des Suchtgifthandels ein besonderes öffentliches Interesse besteht (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155 mit Verweis auf VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556).
Unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen der Zuerkennungsentscheidung wäre es zwar nicht zulässig, die Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat. Soweit aber neue Sachverhaltselemente hinzutreten, die für die Gefährdungsprognose nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 von Bedeutung sein können, hat die Behörde eine neue Beurteilung des Gesamtverhaltens des Fremden vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen, warum sie davon ausgeht, dass der subsidiär Schutzberechtigte nun eine Gefahr für die Allgemeinheit (oder für die Sicherheit des Staates) darstellt. Dabei ist es ihr nicht verwehrt, auch vor der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. vor Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung begangene Straftaten in ihre Gesamtbeurteilung einfließen zu lassen (siehe VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155, Rz 25).
Im vorliegenden Fall weist der BF drei rechtskräftige Verurteilungen auf, wovon zwei wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln erfolgt sind.
Der ersten Verurteilung am 18.08.2016 lag zugrunde, dass der BF gemeinsam mit zwei Mittätern Marihuana zum Kauf angeboten hatte. Er wurde deshalb wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 2a und Abs. 3 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.
Im August 2019 hatte der BF gemeinsam mit einem Mittäter einem verdeckten Ermittler Marihuana überlassen und mehreren weiteren Personen zu überlassen versucht, weshalb er am 03.09.2019 wegen (teilweise versuchten) unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt wurde.
Im vorliegenden Fall wurde der BF also nicht wegen Suchtgifthandel nach § 28 a SMG, sondern wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2a SMG verurteilt. Eine qualifizierte Suchtgiftdelinquenz iSd oben zitierten Judikatur des VwGH liegt daher nicht vor. Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass die gegen den BF verhängten Haftstrafen zur Gänze bedingt nachgesehen wurden.
Es ist daher nicht ersichtlich, dass der BF durch seine Straftaten besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße verwirklicht hätte, die eine Gefahr für die Allgemeinheit iSd Art. 17 Abs. 1 der Statusrichtlinie darstellen würden.
Dies gilt ebenso für die letzte Verurteilung des BF vom 11.02.2021, die nach Erlassung des angefochtenen Bescheids erfolgte. Der BF wurde wegen § 218 Abs. 1a StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt.
§ 218 abs. 1 und 1a StGB lautet:
„(1) Wer eine Person durch eine geschlechtliche Handlung
1. an ihr oder
2. vor ihr unter Umständen, unter denen dies geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen,
belästigt, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(1a) Nach Abs. 1 ist auch zu bestrafen, wer eine andere Person durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt.“
Auch wenn das Gericht keinesfalls die Straftat des BF verharmlosen will, erfüllt das Vergehen der sexuellen Belästigung die hohe Schwelle des qualifizierten strafrechtlichen Verstoßes im Sinne der oben zitierten Judikatur nicht. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der BF trotz zweier Vorstrafen lediglich zu einer Geldstrafe in der geringen Höhe von 80 Tagessätzen (320,- €) verurteilt wurde.
Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 liegen sohin gegenständlich nicht vor. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides über die amtswegige Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten war daher ersatzlos zu beheben.
3.3. Zu den Spruchpunkten II. bis V. und VII. des Bescheides:
Nachdem mit gegenständlichem Erkenntnis Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde – ersatzlos behoben wurde, waren auch die weiteren, damit verbundenen Aussprüche (Spruchpunkte II. bis V. und VII.) ersatzlos zu beheben, zumal sie schon infolge der Behebung der amtswegigen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ihre rechtliche Grundlage verlieren.
3.3. Zu Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 2 Behebung der Entscheidung Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Rückkehrentscheidung behoben sexuelle Belästigung strafrechtliche Verurteilung Suchtmitteldelikt Vergehen VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W171.2231836.1.00Im RIS seit
14.01.2022Zuletzt aktualisiert am
14.01.2022