Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASchG 1972 §27 Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der X-AG in N, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 31. Jänner 1996, Zl. Ge-441058/5-1996/Bi/G, betreffend Verfahren gemäß § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.160,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 31. Jänner 1996 schrieb der Landeshauptmann von Oberösterreich der Beschwerdeführerin "als Konsensinhaberin der Betriebsanlage in L, M-Straße 28", hinsichtlich der darin in Verwendung stehenden Kassen, gestützt auf § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972, eine Reihe die Gestaltung dieser Kassenarbeitsplätze betreffender Auflagen vor. Nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtslage führte der Landeshauptmann zur Begründung aus, bei der ursprünglichen Genehmigung der gegenständlichen Betriebsanlage seien auch Auflagen für die Kassenarbeitsplätze vorgeschrieben worden. Die Betriebsbeschreibung des dieser Genehmigung zugrundeliegenden Einreichprojektes enthalte keine Ausführungen zur Gestaltung der Kassenarbeitsplätze. Kassenarbeitsplätze in Lebensmittelmärkten, bei denen die Waren auf einem Rollband abgestellt würden, seien bisher durchwegs als Sitzarbeitsplätze gestaltet gewesen. Diese Beobachtung könne als allgemeine Lebenserfahrung angesehen werden, ohne daß hierüber weitergehende Ermittlungen anzustellen gewesen seien. Anders gestaltete Arbeitsplätze hätten bisher nicht beobachtet werden können. In diesem Sinne seien auch die Ö-Normen A 5910 und A 1675 zu verstehen, die auschließlich auf Sitzarbeitsplätze abstellten. Diese Normen seien Richtlinien, die eine allgemein akzeptierte Zusammenfassung der diesbezüglichen neueren ergonomischen Erkenntnisse darstellten und als solche Grundlage von Bescheidvorschreibungen sein könnten. Bei einer Überprüfung des Arbeitsinspektorates sei bei der gegenständlichen Betriebsanlage festgestellt worden, daß die damalig vorgeschriebenen Auflagen nicht ausreichten, um den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Der Beschwerdeführerin sei einzuräumen, daß die in Rede stehenden, für Sitzarbeitsplätze konzipierten Auflagen für Steh-/Sitzarbeitsplätze nicht geeignet seien. Im vorliegenden Fall sei jedoch die nachträgliche Vorschreibung der Auflagen im Zusammenhang mit der ursprünglichen Genehmigung zu sehen. Die Behörde erster Instanz habe daher zutreffend von der Annahme ausgehen können, daß - so wie bisher ausnahmslos bei zahlreichen Supermärkten (Lebensmittelmärkten) - Sitzarbeitsplätze beantragt worden seien und dementsprechend die Genehmigung in dieser Richtung zu sehen sei. Die in der rechtskräftigen Genehmigung der Betriebsanlage vorgeschriebenen Auflagen für die Kassenarbeitsplätze hätten sich jedoch für den Arbeitnehmerschutz als nicht ausreichend herausgestellt. Es seien somit die bekämpften Auflagen zusätzlich vorzuschreiben gewesen. Die aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin erkennbare Absicht, die genehmigten Sitzarbeitsplätze in Sitz-/Steharbeitsplätze abzuändern, sei als eine Änderung des Einreichprojektes anzusehen, wofür um gewerbebehördliche Genehmigung nach § 81 GewO 1994 anzusuchen wäre. Wenn die Beschwerdeführerin vorbringe, die herangezogenen Ö-Normen seien in wesentlichen Punkten für Steh-/Sitzarbeitsplätze nicht geeignet und entsprächen nicht dem Stand der Ergonomie und Medizin, so werde dem nicht entgegengetreten. Diese Ö-Normen seien aber sehr wohl auf Sitzarbeitsplätze ausgerichtet und entsprächen damit dem Stand der Ergonomie und Medizin.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in den Rechten, daß ihr ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nachträgliche Auflagen nicht vorgeschrieben werden und daß ihr nicht in gesetzwidriger Weise eine bestimmte Gestaltung der Kassenarbeitsplätze vorgeschrieben werde, verletzt. In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes macht sie im wesentlichen geltend, die in Rede stehenden Auflagen stünden mit den neuesten Erkenntnissen über die Gestaltung von Kassenarbeitsplätzen im Widerspruch. Gerade die Gestaltung solcher Arbeitsplätze als Steh-/Sitz-Arbeitsplätze sei ergonomisch wünschenswert. Die Annahme der belangten Behörde, in der gegenständlichen Betriebsanlage seien Sitzarbeitsplätze genehmigt und die Errichtung von Sitz-/Steharbeitsplätzen stelle daher eine Änderung der Betriebsanlage dar, sei verfehlt. Für eine solche Annahme fänden sich im zugrundeliegenden Einreichprojekt keinerlei Anhaltspunkte. Die Unzweckmäßigkeit der vorgeschriebenen Auflagen ergebe sich aus von der Beschwerdeführerin eingeholten Privatgutachten (deren Inhalt näher dargestellt wird). Durch die derzeitige Gestaltung der Kassenarbeitsplätze werde dem Arbeitnehmerschutz in ausreichendem Maß entsprochen. Die mit dem angefochtenen Bescheid vorgeschriebenen Maßnahmen könnten auch keinesfalls als "unbedingt notwendige Maßnahmen" im Sinne des § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972 qualifiziert werden. Mit dieser Frage habe sich die belangte Behörde in keiner Weise auseinandergesetzt. Schließlich seien die vorgeschriebenen Auflagen in mehreren (näher dargestellten) Punkten nicht ausreichend konkretisiert.
Gemäß § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972, das im Hinblick auf den Zeitpunkt der Einleitung des gegenständlichen Verwaltungsverfahrens am 24. Juni 1993 nach der Übergangsvorschrift des § 127 Abs. 1 Arbeitnehmerinnenschutzgesetz 1994 hier anzuwenden ist, sind, wenn sich in einem Betrieb nach rechtskräftig erteilter Betriebsbewilligung zeigt, daß den Erfordernissen des Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer unter den vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen nicht in ausreichendem Maß entsprochen wird, die hiezu unbedingt notwendigen Maßnahmen von der Behörde aufzutragen. Dies gilt sinngemäß auch für Betriebe, für die eine Bewilligung nach einer anderen bundesgesetzlichen Vorschrift vorliegt, soweit diese Rechtsvorschrift eine entsprechende Regelung nicht enthält.
Nach dem diesbezüglich zweifelsfreien Wortlaut des § 27 Abs. 5 leg. lit. setzt die Vorschreibung von nachträglichen Maßnahmen einerseits voraus, daß auch bei Einhaltung der bereits vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen der Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer nicht in ausreichendem Maß gesichert ist. Andererseits rechtfertigt diese Bestimmung bei Zutreffen dieser Voraussetzung lediglich die Vorschreibung jener Maßnahmen, die unbedingt notwendig sind, um das Ziel des Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu erreichen. Hingegen bietet diese Bestimmung keine Rechtsgrundlage dafür, dem Arbeitgeber eine Gestaltung der Arbeitsplätze - ohne Rücksicht auf das für den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer unbedingt notwendige Maß - nach den neuesten Erkenntnissen der Ergonomie vorzuschreiben.
Um daher in einem Fall wie dem vorliegenden beurteilen zu können, ob die so zu verstehenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972 gegeben sind, bedarf es daher konkreter, in der Regel durch Beiziehung entsprechender Sachverständiger zu gewinnender Feststellungen darüber, einerseits ob und bejahendenfalls aus welchen Ursachen trotz Einhaltung der bereits vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen das Leben oder die Gesundheit der Arbeitnehmer des Betriebes gefährdet ist und andererseits welche Maßnahmen unbedingt erforderlich sind, um das Ziel des Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu erreichen.
Da die belangte Behörde in Verkennung dieser Rechtslage über entsprechenden Antrag des zuständigen Arbeitsinspektorates ohne derartige Feststellungen zu treffen, jene Auflagen vorschrieb, die nach Ansicht des Arbeitsinspektorates zur Gestaltung der in Rede stehenden Arbeitsplätze nach der "allgemein akzeptierten Zusammenfassung der diesbezüglichen neueren ergonomischen Erkenntnisse" erforderlich waren, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker GewerbetechnikerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996040092.X00Im RIS seit
01.06.2001