Entscheidungsdatum
14.12.2021Norm
KoPl-G §1Spruch
W195 2241960-1/11E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS sowie die Richter Dr. Werner DAJANI, LL.M. und Dr. Thomas HORVATH als Beisitzer über den Antrag von XXXX , der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.09.2021, XXXX , erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, beschlossen:
Der Revision wird gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Mit Schriftsatz vom 10.11.2021 brachte die revisionswerbende Partei eine Revision gegen das im Spruch angeführte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes ein.
Mit Schriftsatz vom 13.12.2021 brachte die revisionswerbende Partei nachträglich einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ein und führte u.a. Folgendes an:
„Das mit der eingebrachten Revision angefochtene Erkenntnis des BVwG basiert auf der Grundannahme, dass das KoPl-G ein bloßes (nach Art 18 Abs 1 B-VG verfassungsrechtlich gebotenes) Ermächtigungsgesetz sei. Daher könnten unmittelbar aufgrund des KoPl-G und der Feststellung nach dessen § 1 Abs 5, dass die Revisionswerberin dessen Anwendungsbereich unterliege, keine der darin angeordneten Verpflichtungen gegenüber der Revisionswerberin (jedenfalls ohne Beachtung des Aufforderungs- und Unterrichtungsverfahrens des Art 3 Abs 4 lit b der Richtlinie 2001/31/EG über den elektronischen Rechtsverkehr (E-Commerce-Rl) bzw. § 23 ECG) durchgesetzt werden. Daher ging das BVwG in der Begründung zu Spruchpunkt A) II. des angefochtenen Erkenntnisses zum Entscheidungszeitpunkt am 28. September 2021 u.a. auch vom Fehlen von „Maßnahmen“ aus, die geeignet wären, zu einer unionsrechtswidrigen Belastung der Revisionswerberin zu führen. Es bestand daher – so das BVwG – auch keine Notwendigkeit, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts durch Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes während des Beschwerdeverfahrens sicherzustellen.
- Unabhängig davon, dass die Revisionswerberin diese Rechtsansicht auch weiterhin nicht teilt (siehe dazu bereits ausdrücklich Punkt I.5.D. der am 10. November 2021 eingebrachten Revision), weist sie darauf hin, dass sich der maßgebliche Sachverhalt nach der Erlassung des Erkenntnisses grundlegend geändert hat. Denn die belangte Behörde hat mittlerweile – und das sogar mehrfach – genau solche konkreten Vollzugsmaßnahmen unmittelbar auf Basis des KoPl-G eingeleitet, ohne dass zuvor das Aufforderungs- und Unterrichtungsverfahren des Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl durchgeführt wurde. Daher sieht sich die Revisionswerberin veranlasst zu beantragen, dass der Revision aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, um die sich aus den – offensichtlich auf Basis des angefochtenen Erkenntnisses – eingeleiteten Vollzugsmaßnahmen der belangten Behörde ergebenden, massiv nachteiligen Auswirkungen bis zur Entscheidung des VwGH im Revisionsverfahren wirksam hintanzuhalten. - Konkret hat die belangte Behörde mit Schreiben vom 11. November 2021, zugestellt am 15. November 2021, GZ: 14.600/21-15, gegen die Revisionswerberin ein Verwaltungsstrafverfahren nach § 10 Abs 2 KoPl-G wegen Nichtbestellung eines verantwortlichen Beauftragten eingeleitet und die Revisionswerberin aufgefordert, sich bis zum 17. Dezember 2021 zu rechtfertigen (siehe Beilage).
- Ebenso wurde der Revisionswerberin mit Schreiben der belangten Behörde vom 11. November 2021 die Einleitung von weiteren Verwaltungsstrafverfahren nach § 10 Abs 1 KoPl-G gegen außenvertretungsbefugte Organe der Revisionswerberin, ebenso wegen Nichtbestellung eines verantwortlichen Beauftragten, zur Kenntnis gebracht (GZ: KOA 14.600/21-020; KOA 14.600/21-021; KOA 14.600/21-022; KOA 14.600/21-023); auch darin wurde eine Rechtfertigung bis zum 17. Dezember 2021 aufgetragen (siehe Beilage). - Schließlich wurden der Revisionswerberin auch seitens des administrativen Geschäftsapparats der belangten Behörde (§§ 16 Abs 1, 17 Abs 1 KommAustria-Gesetz; KOG), der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR), mit Vorschreibung vom 15. September 2021 (Rechnungs-Nr. KO210001, KO210009 und KO210015), Finanzierungsbeiträge iHv EUR 84.053,24 in Rechnung gestellt und deren Bezahlung mit Schreiben vom 23. November 2021 eingemahnt. Eine bescheidmäßige Vorschreibung durch die belangte Behörde (§ 8 Abs 4 KoPl-G iVm § 35 Abs 12 KOG) dürfte sohin offenbar unmittelbar bevorstehen (siehe Beilage).
- In all diesen Verfahren wurde im Übrigen nicht auf das (auch vom BVwG in der Begründung seines Erkenntnisses als obligatorisch eingemahnte) Unterrichtungs- und Aufforderungsverfahren nach Art 3 Abs 4 lit b der E-Commerce-Rl bzw. § 23 ECG Rücksicht genommen; dieses wurde vielmehr von der belangten Behörde schlicht ignoriert.
- Die Einleitung dieser Vollzugsmaßnahmen durch die belangte Behörde verdeutlicht jedenfalls eine wesentliche Änderung der maßgeblichen faktischen Umstände seit Erlassung des angefochtenen BVwG-Erkenntnisses. Der Revisionswerberin ist daher – durch Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung – die unionsrechtlich gebotene, vorläufige Rechtsposition dahingehend einzuräumen, einstweilen und solange vom Anwendungsbereich des KoPl-G (samt seinen Verpflichtungen) ausgenommen zu werden, bis der VwGH im Revisionsverfahren über die Hauptsache (die Anwendbarkeit des KoPl-G auf die Revisionswerberin schlechthin) entschieden hat. Diese vorläufige Rechtsposition dient der Sicherung des – aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht abgeleiteten – subjektiven Rechts, keinen einschränkenden „Maßnahmen“ eines Mitgliedstaates (hier: Österreich) unterworfen zu werden, wenn die Voraussetzungen für ein Abweichen vom Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Rl nach dessen Art 3 Abs 4 nicht gegeben sind. Gerade diese Voraussetzungen liegen aber hier nicht vor, was in der Revision ausführlich dargelegt wird. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache darf die Revisionswerberin somit auch nicht einseitig mit den negativen Folgen der bereits initiierten Vollzugsmaßnahmen belastet werden, weil ansonsten die volle Wirksamkeit des Unionsrechts unterlaufen werden würde. Dies muss aus verfassungsrechtlichen Gründen im vorliegenden Fall umso mehr gelten, weil die aufschiebende Wirkung von allfälligen späteren Beschwerden gegen Verwaltungsstrafen nach § 10 KoPl-G von Gesetzes wegen ausdrücklich ausgeschlossen ist (§ 11 KoPl-G).
- Dem Vernehmen nach hat das BVwG auch in einem parallel bei einem anderen Senat ( XXXX ) des BVwG anhängigen (rechtlich identen) Verfahren (Geschäftszahl: XXXX ) dem ganz offensichtlich Rechnung getragen und der dort erhobenen Revision kürzlich die aufschiebende Wirkung zuerkannt und damit vorläufigen Rechtsschutz gewährt. Diesbezüglich ist auch aus gleichheitsrechtlicher Sicht (Art 7 Abs 1 B-VG) anzumerken, dass die Revisionswerberin sich rechtlich (aber auch faktisch und wirtschaftlich) in einer identen Ausgangssituation befindet wie die Revisionswerberin in jenem Verfahren und diese daher auch rechtlich gleichbehandelt werden müssen: Als (da wie dort) international tätige und EU-ausländische (da jeweils in Irland niedergelassene) Anbieter von Kommunikationsplattformen trifft beide Revisionswerber letztlich derselbe (frustrierte) wirtschaftliche Aufwand/Nachteil zur Umsetzung des KoPl-G. Beide haben folglich auch dasselbe Interesse, zum einen nicht durch das KoPl-G unionsrechtswidrigen Einschränkungen unterworfen zu werden und zum anderen nicht – diese Einschränkungen durchsetzenden – Vollzugsmaßnahmen der belangten Behörde ausgesetzt zu sein. Es besteht daher kein Unterschied im Rechtlichen und Tatsächlichen und somit auch keine sachliche Rechtfertigung, dass die beiden Revisionswerber durch das gleiche Gericht bei der vorläufigen Aussetzung der Anwendbarkeit und der Verpflichtungen des KoPl-G unterschiedlich behandelt werden.
Aus diesen Gründen stellt die Revisionswerberin den nachstehenden Antrag und begründet diesen wie folgt:
Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 30 Abs 2 VwGG Es ist angesichts der oben angeführten Vollzugsmaßnahmen (siehe oben S 2ff) evident, dass die KommAustria als zur Vollziehung des KoPl-G zuständige Behörde dem vorliegenden Erkenntnis jedenfalls mittelbar einem Vollzug zugängliche Wirkungen zuschreibt. Denn auf Basis der gerichtlichen Feststellung der Anwendbarkeit des KoPl-G hat die belangte Behörde gegenüber der Revisionswerberin eben bereits die genannten, konkreten Vollzugsmaßnahmen eingeleitet. Das Setzen weiterer, nach unserer Auffassung unionsrechtswidriger Schritte gegenüber der Revisionswerberin kann wirksam nur dadurch hintangehalten werden, dass die Feststellung des Unterfallens der Revisionswerberin unter den Anwendungsbereich des KoPl-G vorläufig für die Dauer des Revisionsverfahrens ausgesetzt wird. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sind jedenfalls erfüllt: Zum einen ist ein Antrag auf aufschiebende Wirkung jedenfalls auch nach Einbringung der Revision zulässig (Punkt 1.). Zum anderen ist ein solcher Antrag im vorliegenden Fall auch begründet, weil alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind (Punkt 2.), weshalb auch ein Rechtsanspruch auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung besteht.
Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung kann jedenfalls auch nach der Erhebung der (ordentlichen) Revision vom 10. November 2021 gesondert eingebracht werden.
Denn die Antragstellung ist nicht fristgebunden und daher auch erst im Laufe des Revisionsverfahrens möglich.
Dies muss umso mehr vor dem Hintergrund gelten, dass bei Eintritt wesentlicher Änderungen der maßgeblichen Verhältnisse sogar nach einem bereits entschiedenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erneut über einen entsprechenden Antrag entschieden werden könnte (§ 30 Abs 2 letzter Satz VwGG). Im Zeitpunkt der Revisionserhebung hatte die belangte Behörde noch keine konkreten (unionsrechtswidrigen) Vollzugsmaßnahmen, wie etwa Verwaltungsstrafverfahren nach § 10 KoPl-G, eingeleitet. Mittlerweile hat sie dies jedoch getan. Aufgrund der eng gesetzten Fristen muss zudem mit dem baldigen Erlass von Strafbescheiden gerechnet werden. Damit haben sich die maßgeblichen Verhältnisse wesentlich geändert und bedingen nun die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
Da die Vorlage der Revision an den VwGH (nach Kenntnis der Revisionswerberin) bis dato noch nicht erfolgt ist, wird der Antrag auch zu Recht an das BVwG gestellt (§ 24 Abs 1 Z 1 VwGG). 2. Begründetheit des Antrags Der Antrag ist auch begründet, weil alle Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vorliegen: Erstens belegen die oben beschriebenen, jüngsten Vollzugsmaßnahmen der belangten Behörde nun, dass dem Erkenntnis (und dem darin im Spruch bestätigten Feststellungsbescheid) jedenfalls mittelbar einem Vollzug zugängliche Wirkungen zugerechnet werden. Auch die belangte Behörde geht, wie daraus ersichtlich ist, offensichtlich von einer solchen Vollzugsfähigkeit aus: Denn allein aufgrund der Feststellung, die Revisionswerberin unterliege dem Anwendungsbereich des KoPl-G, vollzieht die belangte Behörde das KoPl-G nun offensichtlich gegenüber der Revisionswerberin und deren nach außen vertretungsbefugten Organen (Directors der irischen Ltd.), dazu noch ohne dafür die – auch nach Ansicht des BVwG einzuhaltenden – zwingenden unionsrechtlichen Vorgaben (Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-R bzw. § 23 ECG) zu beachten. Nur durch vorläufige Suspendierung der Wirkungen des BVwG-Erkenntnisses bzw. des diesem zugrundeliegenden Feststellungsbescheides nach § 1 Abs 5 KoPl-G kann dieser Vollzug und der Eintritt des damit einhergehenden, unwiederbringlichen Schadens gegenüber der Revisionswerberin aufgehalten werden. Der Revisionswerberin kann es auch nicht zugemutet werden, den Erlass von Strafbescheiden abzuwarten und gegen diese vorzugehen, denn das KoPl-G schließt – in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise – die aufschiebende Wirkung von Beschwerden gegen Geldstrafen aus (§ 11 Satz 1 KoPl-G); und dass, ob-
wohl der Gesetzgeber in § 1 Abs 5 KoPl-G ausdrücklich eine Möglichkeit vorgesehen hat, die Anwendbarkeit des Gesetzes im Einzelfall feststellen zu lassen. Dieses Recht würde vollkommen ausgehöhlt werden, wenn Strafen verhängt und auch vollzogen werden könnten, bevor überhaupt rechtskräftig über die Frage der Anwendbarkeit der zugrunde liegenden Regelungen entschieden wurde (Punkt A).
Zweitens stehen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung auch keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegen, zumal ein Vollzug des KoPl-G vor Einhaltung des Aufforderungs- und Unterrichtungsverfahrens des Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl bzw. des (laut BVwG heranzuziehenden) § 23 ECG ohnehin nicht rechtskonform möglich wäre. Zudem können zwingende öffentliche Interessen keinesfalls daran festgemacht werden, dass gesetzliche Vorschriften vorweg unter offensichtlichem Bruch unionsrechtlicher Vorgaben (wie sie auch das BVwG in seinem Erkenntnis explizit für verbindlich erklärt hat) vollzogen werden (Punkt B). Drittens würde durch einen vorzeitigen Vollzug der angefochtenen Entscheidung (und damit mittelbar des KoPl-G) der Revisionswerberin ein unverhältnismäßiger Nachteil iSd § 30 Abs 2 VwGG entstehen; dies insbesondere (i) durch das damit einhergehende Unterlaufen des EU-Binnenmarktes, (ii) durch die fortgesetzte Umsetzung aller gesetzlichen Vorgaben des KoPl-G, wie sie der KommAustria trotz fehlender vorhergehender unionsrechtskonformer Etablie-rung eben jener Verpflichtungen offensichtlich vorschwebt, (iii) durch den hohen Rechtfertigungsaufwand (samt anwaltlichen Kosten) und (iv) letztlich durch die drohenden, signifikant hohen Verwaltungsstrafen (auch für die außenvertretungsbefugten Organe der Revisionswerberin), für die die aufschiebende Wirkung noch dazu (in rechtsstaatlich höchst bedenklicher Weise) gesetzlich ausgeschlossen ist (Punkt C).
Auch wenn das BVwG im Erkenntnis vom 28. September 2021 davon ausgeht, dass dem angefochtenen Bescheid aufgrund seines Feststellungs-Charakters keine Vollzugstauglichkeit zukommen würde, beurteilt die belangte Behörde die Wirkung des den Bescheid bestätigenden Erkenntnisses offenbar gänzlich anders. Daher muss die Revisionswerberin aufgrund der geänderten Umstände nicht zuletzt schon aus Vorsichtsgründen jedenfalls von einer mittelbaren Vollzugstauglichkeit ausgehen. Dieses Verständnis legt auch der Gesetzgeber durch die Vorsehung des Feststellungsverfahrens nach § 1 Abs 5 KoPl-G nahe: Denn der Zweck dieses Verfahrens liegt nach den Materialien zum KoPl-G in der Erwirkung eines individuellen Feststellungsbescheides bei der Aufsichtsbehörde, gerade „[…] um […] Rechtssicherheit zu erlangen, ob der Diensteanbieter den in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Verpflichtungen unterliegt (oder nicht).“
Der Gesetzgeber hat durch Einführung dieses spezifischen Feststellungsverfahrens rechtlich anerkannt, dass Diensteanbieter ein spezielles rechtliches Interesse an verbindlicher Klärung zukommen muss, ob sie dem KoPl-G tatsächlich unterliegen. Der Feststellungsbescheid klärt daher die Anwendung des KoPl-G auf diese individuellen Diensteanbieter in rechtsgestaltender Weise und entfaltet sohin gleichsam konstitutive Wirkung für die Anwendung des KoPl-G. Im Übrigen kann nach der Rechtsprechung des VwGH auch einem verwaltungsgerichtlichen Erkenntnis Vollzugstauglichkeit zukommen, das selbst zwar keiner unmittelbaren Zwangsvollstreckung, aber – wie hier – jedenfalls einer „Umsetzung in die Wirklichkeit“ zugänglich ist; das gilt insbesondere auch für Feststellungserkenntnisse bzw. Erkenntnisse, die sich auf Feststellungbescheide beziehen.
Es ist offenkundig, dass die Behörde mit der Einleitung der genannten Vollzugsmaßnahmen (einschließlich der Vorschreibung von Finanzierungsbeiträgen) beginnt, die vom BVwG in seinem Erkenntnis bestätigte Anwendbarkeit des KoPl-G samt den sich daraus ergebenden Verpflichtungen auf die Revisionswerberin „in die Wirklichkeit“ umzusetzen: Obwohl das BVwG in seiner Begründung darauf hingewiesen hat, dass ein unmittelbarer Vollzug des KoPl-G selbst ohne individuelle Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben (Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl bzw. § 23 ECG) nicht erfolgen darf, leitete die belangte Behörde, wie gezeigt, Verwaltungsstrafverfahren u.a. zur Sanktionierung der Nichtbestellung eines verantwortlichen Beauftragten nach § 10 Abs 2 KoPl-G ein. Das ist im Übrigen auch insofern problematisch, als die belangte Behörde diese Pflicht für die Revisionswerberin vorab nicht in einem Aufsichtsverfahren nach § 9 Abs 2 KoPl-G und entsprechend Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl unionsrechtskonform begründet hat. Auf die gleiche (unionsrechtswidrige) Weise wurden gegen außenvertretungsbefugte Organe der Revisionswerberin wegen desselben Vorwurfs (mit einer Strafe bis zu jeweils 1 Mio. EUR bedrohte) Verwaltungsstrafverfahren nach § 10 Abs 1 KoPl-G eingeleitet. Zudem wurden seitens der RTR erhebliche Finanzierungsbeiträge zur Zahlung vorgeschrieben; dies auch ohne Beachtung der Vorgaben des BVwG hinsichtlich Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl bzw. § 23 ECG. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch auf den Umstand hinzuweisen, dass die Revisionswerberin von der RTR auch gerade zur Abgabe der Umsatzschätzung für das Jahr 2022 aufgefordert wurde. Dies bestätigt auch das weitere unbeirrte Festhalten an der unionsrechtswidrigen Vorschreibung von Finanzierungsbeiträgen. Aufgrund der Offenkundigkeit des (unionsrechtswidrigen) Vollzugs des Erkenntnisses durch Anwendung des KoPl-G auf die Revisionswerberin ist es daher (auch aus rechtsstaatlichen Gründen) geboten, die Vollzugsfähigkeit des angefochtenen Erkenntnisses anzuerkennen und der Revision, die sich genau mit der Frage der Unionsrechtskonformität beschäftigt, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Schließlich hat nach bisherigem Kenntnisstand der Antragstellerin auch der in einem parallellaufenden Revisionsverfahren zuständige Senat des BVwG ( XXXX ) einem Antrag der dortigen Revisionswerberin auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in identer rechtlicher (und angesichts der Art des Unternehmens zweifellos auch wirtschaftlich identer) Konstellation kürzlich stattgegeben. (B) Keine zwingenden öffentlichen Interessen am vorzeitigen Vollzug Zwingende öffentliche Interessen stehen einer Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen: Unter zwingenden öffentlichen Interessen iSd § 30 Abs 2 VwGG sind nach der Rsp des VwGH nur besonders qualifizierte öffentliche Interessen zu verstehen, die eine sofortige Umsetzung des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses in die Wirklichkeit zwingend gebieten.
Dabei berechtigt der Umstand, dass ganz allgemein öffentliche Interessen am Vollzug einer behördlichen Maßnahme bestehen, nicht schon ohne Weiteres zur Annahme, dass eben diese Interessen auch eine sofortige Verwirklichung der getroffenen Maßnahmen im genannten Sinn zwingend erfordern. Es bedarf vielmehr noch des Hinzutretens weiterer Umstände, um die öffentlichen Interessen als „zwingend“ im Sinn der genannten Gesetzesstelle ansehen zu können.
Die Notwendigkeit einer zwingenden (sofortigen) Umsetzung muss auch von vornherein so klar sein, dass die sonst erforderliche Interessenabwägung mit den anderen berührten Interessen nicht erforderlich ist und das Gebot eines effektiven Rechtsschutzes zurückstehen muss.
Beispielhaft nennt die Rsp des VwGH etwa die Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen, oder die Versorgungssicherheit mit Elektrizität.
Unter Berücksichtigung der vom VwGH etablierten Beispiele und Leitlinien sind im vorliegenden Fall keine solchen zwingenden öffentlichen Interessen ersichtlich. Dass keine zwingenden öffentlichen Interessen einen sofortigen Vollzug erfordern, ergibt sich im Übrigen auch direkt aus dem angefochtenen Erkenntnis des BVwG: Denn das BVwG hat ausgeführt, dass die Verpflichtungen des KoPl-G aus unionsrechtlichen Gründen gegenüber der Revisionswerberin gar nicht unmittelbar vollzogen werden dürfen. Denn bei bestehender Absicht zur Erlassung von Vollzugsmaßnahmen nach dem KoPl-G müsste für jede einzelne darin vorgesehene „Maßnahme“ zwingend vorab das Aufforderungs- und Unterrichtungsverfahren des Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl bzw. § 23 ECG durchgeführt werden: Es müsste zunächst der Sitzstaat (Irland) aufgefordert werden, tätig zu werden, und bei Nicht- oder nicht ausreichendem Tätigwerden desselben müssen der Sitzstaat und die Kommission über das beabsichtigte Tätigwerden der belangten Behörde unterrichtet werden. Schon allein durch dieses obligatorische Zwischenschalten der genannten verfahrensrechtlichen Anforderungen scheidet ein sofortiger Vollzug gegenüber der Revisionswerberin denklogisch aus. Denn es kann unter den vorliegenden Umständen nicht zwingend geboten sein, das KoPl-G gegenüber der Revisionswerberin sofort zu vollziehen, wenn diese sofortige Vollziehung offenkundig unionsrechtswidrig wäre und auch der Begründung des bekämpften BVwG-Erkenntnisses widersprechen würde. Da ein sofortiger Vollzug von KoPl-G-Verpflichtungen, wie er von der KommAustria derzeit betrieben wird, daher schon ex ante rechtlich ausscheidet, kann an ihm auch kein zwingendes oder (auch) sonstiges öffentliches Interesse bestehen. Umso deutlicher wird dies an den eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren: Wie kann ein öffentliches Interesse an der Bestrafung für eine vermeintliche Verletzung einer Pflicht bestehen, wenn nicht einmal vorweg gesichert ist, dass diese Pflicht überhaupt besteht? Dies würde den „nulla poena sine lege“-Grundsatz komplett aushöhlen. Auch ein Verweis auf die mit dem KoPl-G generell verfolgten (nicht zwingenden) öffentlichen Interessen kann im vorliegenden Fall nicht ausschlaggebend sein: In diesem Zusammenhang ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Revisionswerberin dem wesentlichen Anliegen des KoPl-G, nämlich der Entfernung von Hass und Gewalt auf den angebotenen Kommunikationsplattformen nach entsprechender Meldung von Nutzern, vorerst und ab Geltungsbeginn des KoPl-G freiwillig (wenngleich unpräjudiziell des eigenen Rechtsstandpunktes) Rechnung trägt. Diesen Umstand wird auch die belangte Behörde, vor allem unter Bedachtnahme auf den fristgerecht übermittelten und veröffentlichten
Transparenzbericht (§ 4 Abs 1 KoPl-G), nicht bestreiten können. Somit könnte im vorliegenden Fall auch nicht mit der Wichtigkeit der mit dem KoPl-G verfolgten öffentlichen Interessen argumentiert werden, wenn der eigentlichen Zielsetzung des KoPl-G (vgl. dessen § 1 Abs 1) bereits derzeit schon tatsächlich Rechnung getragen wird.
Letztlich darf auch nicht übersehen werden, dass die Revisionswerberin einen rechtstaatlich schützenswerten Anspruch darauf hat, dass die Durchsetzung von Verpflichtungen, die mit Verwaltungsstrafen in Millionenhöhe bewehrt sind (vgl. §§ 10 Abs 1 und Abs 2 KoPl-G), nur dann erfolgen kann und darf, wenn dabei zwingend zu berücksichtigende Vorgaben des Unionsrechts zweifelsfrei beachtet werden.
Mit dem (weiteren) Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses durch die belangte Behörde entstehen der Revisionswerberin unverhältnismäßige Nachteile iSd § 30 Abs 2 VwGG, die bei Obsiegen im Revisionsverfahren dennoch endgültig frustriert wären:
- Zunächst ist nach der Rsp des VwGH ein „schwerwiegender Schaden“ iSd EuGH-Rsp zum einstweiligen Rechtsschutz nach Unionsrecht (Art 279 AEUV) einem „unverhältnismäßigen Nachteil“ iSd § 30 Abs 2 VwGG gleichzuhalten.
Der Begriff des „Schadens“ ist unionsrechtlich autonom und in einem umfassenden materiellen und immateriellen Sinn zu verstehen und erfasst demnach alle Nachteile, die die Antragstellerin an ihren rechtlich geschützten Positionen erleidet.
Ein solcher Nachteil wird vom EuGH ua dann als schwerwiegender Schaden gewertet, wenn dieser die Antragstellerin in ihrer rechtlichen und/oder wirtschaftlichen Stellung wesentlich beeinträchtigt.
Eine solche wesentliche Beeinträchtigung liegt nach der Rsp des EuGH bereits jedenfalls dann vor, wenn sich die Unionsrechtswidrigkeit offenkundig aus der groben Missachtung grundlegender Prinzipien des Unionsrechts ergibt oder die Unionsrechtswidrigkeit sich negativ auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirkt.
- Diese Kriterien eines „schwerwiegenden Schadens“ sind hier aufgrund einer derartigen wesentlichen Beeinträchtigung erfüllt: Denn das Herkunftslandprinzip des Art 3 Abs 1 und 2 E-Commerce-Rl ist von zentraler Bedeutung für die Verwirklichung des Binnenmarktes hinsichtlich des freien Verkehrs von Dienstleistungen. Es ist ein grundlegendes Prinzip des Unionsrechts, dessen Missachtung sich negativ auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirkt. Österreich hat bei Erlassung des KoPl-G das vom EuGH als wesentlichen Kontrollmechanismus eingestufte Aufforderungs- und Unterrichtungsverfahren des Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl missachtet und damit der Republik Irland als Sitzstaat der Revisionswerberin ebenso wie der Kommission als Hüterin der Verträge effektiv die Möglichkeit genommen, in mit dem Binnenmarkt vereinbarer Weise Maßnahmen zu ergreifen bzw. die seitens Österreichs beabsichtigte Gesetzgebung zu prüfen. Dasselbe gilt auch für die Vollzugsmaßnahmen der belangten Behörde, die ebenso ohne Beachtung des Aufforderungs- und Unterrichtungsverfahrens des Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl bzw. des § 23 ECG eingeleitet wurden. Dieses einseitige Vorgehen Österreichs bzw. der belangten Behörde ist damit ein wesentlicher Schritt zur Fragmentierung des Binnenmarktes. Die Einheitlichkeit des Binnenmarktes würde vollends unterlaufen, wenn auch alle anderen Mitgliedstaaten nach dem Vorbild Österreichs individuelle Regelungen für Diensteanbieter erlassen würden, ohne das unionsrechtlich zwingend erforderliche Aufforderungs- und Unterrichtungsverfahren zu beachten. Eine solche nationale Herangehensweise der unionsrechtswidrigen Regulierung von Diensten der Informationsgesellschaft würde deren freien Verkehr im Ergebnis faktisch verhindern. Die bloße Möglichkeit der Verwirklichung dieses enormen Risikos muss – zumindest vorläufig – wirksam durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bis zur Entscheidung in der Hauptsache aufgeschoben werden.
- Schon allein die Missachtung dieser grundlegenden Prinzipien des Unionsrechts und die dadurch bewirkten negativen Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes sind besonders schwerwiegend. Erschwerend kommt aber noch hinzu, dass dabei zugleich das subjektive Recht eines Diensteanbieters verletzt wird, wonach der jeweilige Sitzstaat vor dem Ergreifen von „Maßnahmen“ nach Art 3 Abs 4 E-Commerce-Rl zwingend – unter anderem eben zur Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit von Maßnahmen – eingebunden werden muss. Somit entsteht im Ergebnis ein – qualitativ besonders gravierender und gar nicht zu quantifizierender – schwerwiegen-der Schaden für die Revisionswerberin.
- Dieser schwerwiegende Schaden ist auch nicht wiedergutzumachen: Denn nach der Rsp des EuGH kommt es dabei darauf an, ob ein drohender Schaden durch Naturalrestitution oder die Gewährung von Schadenersatz wieder ausgeglichen werden kann.
Ferner nimmt der EuGH an, dass ein Schaden dann irreversibel ist, wenn die Schadensersatzleistung im konkreten Fall ungeeignet ist, den drohenden oder bereits eingetretenen Schaden auszugleichen. Dies kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn der Schaden nicht durch Geld beseitigt werden kann.
Das (i) insgesamt drohende Leerlaufen des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft, (ii) das Aushebeln der Regelungshoheit eines Mitgliedstaats und (iii) die laufenden Implementierungskosten können weder durch Naturalrestitution noch durch Schadenersatz kompensiert werden. Denn sofern sich das Risiko einer individuellen Regulierung derartiger Dienste durch die einzelnen Mitgliedstaaten manifestiert und der Binnenmarkt damit faktisch unterlaufen wird, vermag der dadurch für die Revisionswerberin entstehende Schaden, nämlich die angebotenen Dienste nicht mehr frei und ohne Hindernisse in der Union erbringen zu können, nicht ersetzt werden.
- Zusätzlich zum per se schwerwiegenden Schaden durch eine Beeinträchtigung des Binnenmarktes und die Verkürzung der Verfahrensrechte des Sitzstaates Irland und der Kommission führen auch die Verpflichtungen des KoPl-G für die Revisionswerberin zu schwerwiegenden wirtschaftlichen und rechtlichen Nachteilen. Diese verstärken die vorliegende Dringlichkeit und damit die Notwendigkeit zur Erlassung der beantragten einstweiligen Anordnung.
- Das KoPl-G unterwirft die Revisionswerberin einem komplexen und spezifisch-österreichischen regulatorischen Regime, welche für die Erbringung ihrer Dienste in Österreich langfristig wirkende Maßnahmen zu ergreifen hat, obwohl die dargelegten, erheblichen Zweifel an der Unionsrechtskonformität und damit an der Rechtmäßigkeit des KoPl-G bestehen. In Anbetracht der bestehenden Unsicherheit, ob die Revisionswerberin überhaupt dem KoPl-G unterliegt, wirken die daraus entstehenden Schäden umso schwerwiegender. - Dabei kommen zu einem erheblichen initialen Implementierungsaufwand mit dem Erfordernis, nach engen Vorgaben konkrete Software-Lösungen zu entwickeln (die dann natürlich auch umfassend getestet werden müssen), noch signifikante weitere Aufwendungen des laufenden Betriebs hinzu, die aufgrund der langfristigen Ausrichtung des KoPl-G kontinuierlich und dauerhaft anfallen. Exemplarisch sei noch darauf verwiesen, dass – wie im Transparenzbericht ersichtlich – zahlreiche Inhalteprüfer erforderlich sind, für die natürlich kontinuierlich Lohnkosten anfallen.
- Ein unverhältnismäßiger Nachteil ergibt sich für die Revisionswerberin auch durch die bei Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses unmittelbar drohenden Konsequenzen: Die bereits stattgefundene Einleitung der genannten Verwaltungsstrafverfahren nach § 10 Abs 1 und Abs 2 KoPl-G wegen Nichtbestellung eines verantwortlichen Beauftragten gegen die Revisionswerberin und gegen vier nach außen vertretungsbefugte Organe bringt den klaren Willen und die Zielsetzung der belangten Behörde zum Ausdruck, unmittelbar und unabhängig vom und vor Abschluss des noch laufenden Revisionsverfahrens entsprechende Straferkenntnisse zu erlassen und damit voraussichtlich signifikante Geldstrafen zu verhängen. Dies im Übrigen auch jedenfalls ohne das (auch nach Ansicht des BVwG) erforderliche Verfahren nach Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl bzw. nach § 23 ECG vorab durchzuführen. Dies ergibt sich insbesondere auch aus der bis zum 17. Dezember 2021 eingeräumten Frist, sich bis dahin zu den erhobenen Vorwürfen zu rechtfertigen. Unbeachtet bleibt dabei, dass die damit offenbar zu sanktionierende Pflichtverletzung (Nicht-Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten) wegen Missachtung des Verfahrens nach Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl bzw. § 23 ECG unstrittig vorweg gar nicht als positive Pflicht unionsrechtskonform etabliert worden ist. Da mit einer Erlassung der Straferkenntnisse zeitnah nach Ablauf dieser Frist zu rechnen ist, ist der Eintritt des Nachteils auch schon während des verwaltungsgerichtlichen Revisionsverfahrens zu erwarten, ohne dass die Revisionswerberin dies effektiv abwenden kann.
- Abgesehen vom hohen Rechtfertigungsaufwand in diesen Verfahren sind die unmittelbar drohenden Verwaltungsstrafen besonders hoch: Nach § 10 Abs 1 KoPl-G drohen den außenvertretungsbefugten Organen (also natürlichen Personen) Geldstrafen jeweils bis zu EUR 1 Mio. und der Revisionswerberin nach § 10 Abs 2 KoPl-G selbst sogar Geldstrafen bis zu EUR 10 Mio. Auch eine mehrfache und parallele Verhängung erscheint nicht ausgeschlossen. Nach der Rsp des VwGH wird aber gerade ein unmittelbarer Vollzug von solch besonders hohen Geldstrafen als unverhältnismäßiger Nachteil iSd § 30 Abs 2 VwGG gewertet.
Im vorliegenden Fall sind die drohenden Geldstrafen zudem nicht nur besonders hoch, sondern es ist auch von deren unmittelbarem Vollzug (ohne eine Möglichkeit des Aufschubs) auszugehen: Denn aufgrund des in § 11 KoPl-G gesetzlich angeordneten Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen Verwaltungsstrafen nach § 10 KoPl-G ist davon auszugehen, dass verhängte Geldstrafen von der belangten Behörde auch tatsächlich sofort vollzogen und allenfalls zwangsweise durchgesetzt werden. Erschwerend kommen hier auch noch die außergewöhnlichen Vollstreckungsmöglichkeiten wie etwa die Pfändung von Forderungen hinzu; siehe dazu nur § 6 Abs 4 KoPl-G. Insgesamt ist dieses Durchsetzungs-Szenario sowohl für die Revisionswerberin und die betroffenen natürlichen Personen im derzeitigen Stadium der Revision nicht nur rechtsstaatlich bedenklich, sondern auch gänzlich unzumutbar. Nichts spricht dagegen, dass die zentrale Frage der Unionsrechtskonformität zunächst vor weiteren Vollzugsmaßnahmen verbindlich durch den VwGH bzw. den EuGH geklärt wird.
- Schließlich dürften der Revisionswerberin unmittelbar auch weitere Vollzugsmaßnahmen der belangten Behörde bevorstehen: So wurde der Revisionswerberin mit Schreiben vom 15. September 2021 die Zahlung eines Finanzierungsbeitrages in Höhe von mehr als EUR 84.000 vorgeschrieben und dessen Begleichung mit Schreiben vom 23. November 2021 bereits eingemahnt. Eine bescheidmäßige Vorschreibung durch die belangte Behörde ist also demnächst zu erwarten. (D) Interessensabwägung zugunsten der Revisionswerberin Unter Berücksichtigung des Fehlens zwingender öffentlicher Interessen und den der Revisionswerberin drohenden, unverhältnismäßigen Nachteilen hat eine Interessensabwägung jedenfalls zugunsten der Revisionswerberin und damit zugunsten der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung auszufallen; dies umso mehr, als der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts dies gleichsam gebietet: Denn die Revisionswerberin ist – wie gezeigt – Adressatin eines Vollzugs von gesetzlichen Verpflichtungen durch die Behörde, ohne dass diese Verpflichtungen gegenüber der Revisionswerberin unionsrechtskonform, nämlich nach Durchführung des Aufforderungs- und Unterrichtungsverfahren des Art 3 Abs 4 lit b E-Commerce-Rl bzw. § 23 ECG, etabliert wurden. Sie waren damit auch nicht Gegenstand jenes Verfahrens, das die E-Commerce-Rl explizit verlangt, und auf das auch das BVwG in seinem Erkenntnis abstellt, um eine Angemessenheit, Erforderlichkeit bzw. Verhältnismäßigkeit von „Maßnahmen“ sicherzustellen. Dies gilt umso mehr, als bei deren Beurteilung der Sitzstaat eines Diensteanbieters und die Kommission vorab – und zwar bei ihrer Begründung gegenüber einem individuellen Diensteanbieter wie der Revisionswerberin – entscheidend involviert werden müssten. Stellt man einer solchen Vollzugspraxis die im vorliegenden Antrag aufgezeigten Nachteile der Revisionswerberin (grundlegende Beeinträchtigung des EU-Binnenmarktes; hoher Umsetzungs- und Implementierungsaufwand; Rechtfertigungsaufwand; potenzielle Verwaltungsstrafen in Millionenhöhe unter Ausschluss aufschiebender Wirkung) gegenüber, kann eine Interessensabwägung für die Zwecke der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 VwGG nur zugunsten der Revisionswerberin ausfallen. Denn die Verfolgung der gesetzlichen Ziele des KoPl-G, denen ohnehin bereits ausreichend Rechnung getragen wird, und das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug müssen in einem solchen Fall schon aus rechtstaatlichen Gründen in den Hintergrund treten. Dies umso mehr, als es gegenüber der Revisionswerberin kein durchschlagendes oder höherwertig einzustufendes öffentliches Interesse an weiteren Vollzugsmaßnahmen gibt: Die Revisionswerberin hat nämlich fristgerecht zum Geltungsbeginn des KoPl-G am 1. April 2021, freiwillig und unpräjudiziell, ein von der belangten Behörde bis dato nicht beanstandetes, leicht auffindbares, effektives und damit gesetzmäßiges Meldeverfahren für rechtswidrige Inhalte auf den angebotenen Kommunikationsplattformen eingerichtet, was die belangte Behörde auch bestätigen kann. Im fristgerecht vorgelegten Transparenzbericht (§ 4 Abs 1 KoPl-G) wurde ferner auch konkret nachgewiesen, dass dieses Meldeverfahren nicht nur existiert, sondern auch die Wahrung des gesetzlich intendierten Ziels sicherstellt: Es werden die von Nutzern gemeldeten Inhalte nicht nur umgehend auf deren Rechtswidrigkeit geprüft, sondern bei tatsächlich vorliegender Rechtswidrigkeit auch innerhalb der gesetzlichen Fristen entfernt bzw. der Zugang zu diesen gesperrt. Damit wird der eigentlichen Zielsetzung des KoPl-G (vgl § 1 Abs 1 KoPl-G), nämlich „[…] der Förderung des verantwortungsvollen und transparenten Umgangs mit Meldungen der Nutzer über [rechtswidrige] Inhalte auf Kommunikationsplattformen und der unverzüglichen Behandlung solcher Meldungen“, auch im Fall einer Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung während des vorliegenden Revisionsverfahren jedenfalls weiterhin nachgekommen. In diesem Kontext darf letztlich auch nicht übersehen werden, dass etwa die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten kein Selbstzweck ist, sondern dessen Funktion vor allem darin liegt, die Verpflichtungen des KoPl-G, insbesondere im Hinblick auf das Meldesystem, zu gewährleisten (§ 5 Abs 1 Z 1 KoPl-G). Außerdem wurde auch ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, durch den – die gesetzliche Intention umsetzend – die behördliche Kommunikation mit der Antragstellerin als Diensteanbieter effektiv erfolgen kann und auch tatsächlich erfolgt. Da dem Hauptanliegen (wie oben ausgeführt) aber derzeit schon Rechnung getragen wird, kann auch kein überwiegendes Interesse an dessen Bestellung bestehen. Die laufenden (und nun aufzuschiebenden) Vollzugs- und Strafverfahren betreffen daher auch nicht die Kernanliegen des KoPl-G, sondern es geht lediglich um die Finanzierung einer (aufgrund des Herkunftslandprinzips ohnehin unionsrechtswidrigen) Plattformregulierung (Finanzierungsbeiträge) sowie um (gegen das Unternehmen und natürliche Personen) gerichtete Strafverfahren im Hinblick auf einen untergeordneten Teilaspekt des KoPl-G (Bestellung verantwortlicher Beauftragter). Umso mehr überwiegen daher die Nachteile der Revisionswerberin gegenüber anderen etwaigen Interessen.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
§ 30 Abs. 2 VwGG lautet: „Bis zur Vorlage der Revision hat das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedarf nur dann einer Begründung, wenn durch sie Interessen anderer Parteien berührt werden. Wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Revision maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei neu zu entscheiden.“
Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wird die Feststellung der belangten Behörde bestätigt, dass das KoPl-G auf die revisionswerbende Partei anzuwenden ist. Die Behörde wird die Anwendbarkeit des KoPl-G voraussetzende Verfahren nur dann einleiten dürfen, wenn die Feststellung der Anwendbarkeit des KoPl auf die revisionswerbende Partei im Revisions-verfahren Bestand hat; verneint der Verwaltungsgerichtshof hingegen die Anwendbarkeit des KoPl-G, hätten an die in Revision gezogene Feststellung anknüpfende Verfahren – etwa Aufsichtsverfahren gemäß § 9 KoPl-G und Strafverfahren gemäß § 10 KoPl-G – zu unterbleiben. Daher zeitigt das angefochtene Erkenntnis Rechtswirkungen für künftige behördliche Akte, sodass es einem mittelbaren Vollzug zugänglich ist (vgl. zur Vollzugstauglichkeit von Feststellungsentscheidungen etwa VwGH 22.07.2013, AW 2013/07/0016). Auch geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Zwar ist zu bedenken, dass bei Zuerkennung von aufschiebender Wirkung die im KoPl-G vorgesehene Regulierung bis zum Abschluss des Revisionsverfahrens gegenüber der revisionswerbenden Partei suspendiert ist. Jedoch ist für die Beurteilung der Frage, ob für die sofortige Anwendung des KoPl-G auf die revisionswerbende Partei zwingende öffentliche Interessen sprechen, auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in § 1 Abs. 5 KoPl-G Diensteanbietern wie der revisionswerbenden Partei die Möglichkeit einräumt, auf Verlangen durch die Aufsichtsbehörde feststellen zu lassen, ob sie dem KoPl-G unterliegen. Dadurch soll ein Diensteanbieter „Rechtssicherheit […] erlangen, ob [er] den in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Verpflichtungen unterliegt (oder nicht)“ (vgl. die EBRV 463 BlgNR XXVII. GP 5). Der Umstand, dass der Gesetzgeber Diensteanbietern die Möglichkeit einräumt, ein Verfahren zur Klärung anzustrengen, ob sie überhaupt dem KoPl-G unterliegen, spricht gegen die Annahme, der Gesetzgeber habe mit dem KoPl-G solch zwingenden öffentlichen Interessen begegnen wollen, dass die sofortige Anwendung des Gesetzes – noch vor Beendigung der Überprüfung eines Erkenntnisses gemäß § 1 Abs. 5 KoPl-G im Revisionsweg – geboten und keine aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist. Denn andernfalls würde das Feststellungs-verfahren gemäß § 1 Abs. 5 KoPl-G gerade nicht die den EBRV zufolge angestrebte Rechtssicherheit der Diensteanbieter bieten, müssten die Diensteanbieter doch die Anpassung ihrer Kommunikationsplattformen und Geschäftsstruktur an das KoPl-G vornehmen, noch bevor dessen Anwendbarkeit auf sie geklärt ist, insbesondere um sich nicht strafbar zu machen. Daher geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Zuerkennung von aufschiebender Wirkung an die Revision keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Schließlich würde die sofortige Anwendung des KoPl-G auf die revisionswerbende Partei umgehend intensive Anpassungen ihrer Kommunikationsplattform – insbesondere die Schaffung der (technischen und organisatorischen) Voraussetzungen zur Durchführung der Melde- und Überprüfungsverfahren gemäß § 3 leg cit – erfordern. Zudem sind Verstöße gegen das KoPl-G mit hohen Verwaltungsstrafen von bis zu € 10 Mio. bewährt. Mit Blick darauf geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der sofortige Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses und damit die sofortige Anwendung des KoPl-G auf die revisionswerbende Partei für diese einen unverhältnismäßigen Nachteil bedeuten würde.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung Interessenabwägung Kommunikationsplattform Rechtswirkung Revision unverhältnismäßiger Nachteil VerwaltungsgerichtshofEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W195.2241960.1.01Im RIS seit
14.01.2022Zuletzt aktualisiert am
14.01.2022