TE Vfgh Beschluss 2021/10/6 V20/2021

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Veröffentlicht am 06.10.2021
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z3
COVID-19-MaßnahmenG §3, §7
COVID-19-MaßnahmenV - Schigebiete des Landeshauptmannes von Salzburg LGBl 135/2020 §1
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrages auf Aufhebung einer Bestimmung einer Salzburger COVID-19-MaßnahmenV betreffend das Speisen- und Getränkeabholverbot für Gastronomiebetriebe, die nicht über eine allgemein zugängliche öffentliche Straße erreichbar sind wegen zu engen Anfechtungsumfanges

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG begehren die antragstellenden Parteien, der Verfassungsgerichtshof möge §1 der Verordnung des Landeshauptmannes von Salzburg vom 22. Dezember 2020, mit der zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 eine zusätzliche Maßnahme festgelegt wird, LGBl 135/2020, als gesetz- und verfassungswidrig aufheben.

II. Rechtslage

Die Verordnung des Landeshauptmannes von Salzburg vom 22. Dezember 2020, mit der zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 eine zusätzliche Maßnahme festgelegt wird (im Folgenden: Sbg COVID-19-MaßnahmenVO – Schigebiete), LGBl für Salzburg 135/2020, idF LGBl 3/2021 (die in der Stammfassung angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben) lautete:

"Auf Grund der §§3 Abs1 Z1 und 7 Abs2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, in der geltenden Fassung wird verordnet:

§1. Die Abholung von Speisen und Getränken ist bei solchen Betriebsstätten des Gastgewerbes in Schigebieten unzulässig, die durch Gäste nicht mit Kraftfahrzeugen über Straßen erreicht werden können, deren Benutzung durch die Allgemeinheit vom Willen des Grundeigentümers oder Straßenerhalters unabhängig ist.

§2. Die Verordnung tritt mit 24. Dezember 2020 in Kraft."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die antragstellenden Parteien bringen zu ihrer Antragslegitimation im Wesentlichen vor, sie seien jeweils Unternehmer und würden Gastgewerbebetriebe in Schigebieten betreiben, die weder durch eine öffentliche noch durch eine private Straße erreichbar seien. Die von den antragstellenden Parteien betriebenen "Schihütten" befänden sich jeweils im Bereich einer Schipiste und könnten zu Fuß, mit Schi oder Schlitten, aber nicht mit Kraftfahrzeugen, erreicht werden.

1.1. Gemäß §7 Abs7 2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung (2. COVID-19-NotMV), BGBl II 598/2020, sei es zulässig, abweichend von der Grundsatznorm des Abs1 eine Abholung von Speisen und Getränken unter bestimmten Voraussetzungen "durchzuführen". Mit dieser Bestimmung sei die Zulässigkeit des Take Away normiert. Entsprechend der Textierung der 2. COVID-19-NotMV betreffe die Zulässigkeit des Take Away auch Schigebiete unter den darin genannten Voraussetzungen. Die antragstellenden Parteien seien somit von dieser Bestimmung unmittelbar betroffen. Mit der bekämpften Bestimmung in der Sbg COVID-19-MaßnahmenVO – Schigebiete werde jedoch die Abholung von Speisen und Getränken bei solchen Betriebsstätten des Gastgewerbes in Schigebieten für unzulässig erklärt, die durch Gäste nicht mit Kraftfahrzeugen über Straßen erreicht werden können, deren Benutzung durch die Allgemeinheit vom Willen des Grundeigentümers oder Straßenerhalters unabhängig ist. Damit werde die Zulässigkeit des Take Away für die von den antragstellenden Parteien betriebenen Schihütten in Schigebieten, welche gemäß §7 Abs7 2. COVID-19-NotMV zulässig sei, im Wege der Verordnung des Landeshauptmannes von Salzburg verboten.

1.2. §1 Sbg COVID-19-MaßnahmenVO – Schigebiete stelle "quasi" auf öffentliche Straßen ab. Die Verordnung trete (vorläufig) mit 18. Jänner 2021 außer Kraft, sie sei sohin zum Zeitpunkt der Einbringung des Antrages aufrecht und gültig und auf die antragstellenden Parteien unmittelbar anwendbar. Das Verbot des Take Away gemäß §1 Sbg COVID-19-MaßnahmenVO – Schigebiete schränke die unternehmerische Handlungsfreiheit der antragstellenden Parteien unmittelbar und direkt ein und greife nachteilig in deren subjektive Rechtssphäre ein. Ein anderer Weg, diese Bedenken gegen die Sbg COVID-19-MaßnahmenVO – Schigebiete an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, liege nicht vor. Die antragstellenden Parteien könnten lediglich durch einen Verstoß gegen die Verordnung ein Verwaltungsstrafverfahren provozieren, was nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes keinen zumutbaren Weg darstelle.

1.3. In der Sache machen die antragstellenden Parteien geltend, §1 Sbg COVID-19-MaßnahmenVO – Schigebiete verstoße gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und auf Unversehrtheit des Eigentums. Zudem stünde sie im Widerspruch zur bundesgesetzlichen Regelung der 2. COVID-19-NotMV.

2. Der Landeshauptmann von Salzburg erstattete eine Äußerung, in der er die Zurückweisung des Antrages, in eventu deren Abweisung begehrt.

2.1. Der Landeshauptmann von Salzburg verneint die Zulässigkeit des Antrages mit der Begründung, dass dieser zu eng gefasst und daher zurückzuweisen sei. Im gegenständlichen Verfahren sei lediglich §1 Sbg COVID-19-MaßnahmenVO – Schigebiete angefochten. Neben dem §1 enthalte die Verordnung aber noch einen §2 mit folgendem Wortlaut: "Die Verordnung tritt mit 24. Dezember 2020 in Kraft und mit 18. Jänner 2021 außer Kraft." Diese Bestimmung sei im Übrigen mit Wirkung vom 16. Jänner 2021 durch die Verordnung LGBl 3/2021 geändert worden [Wegfall des Außerkrafttretensdatums]. Im Fall der Aufhebung des angefochtenen §1 verbliebe lediglich die Inkrafttretensbestimmung des §2 im Rechtsbestand. Dabei handle es sich aber um einen inhaltsleeren und unanwendbaren Torso (vgl VfSlg 20.179/2017).

2.2. Zudem nähmen die antragstellenden Parteien in ihrem mit 18. Jänner 2021 datierten Antrag ausschließlich Bezug auf die Stammfassung der Sbg COVID-19-MaßnahmenVO – Schigebiete. Erst durch Entfall der mit Ablauf des 17. Jänner 2021 befristeten Geltung der gegenständlichen Verordnung durch die Novelle LGBl 3/2021 sei eine Rechtslage entstanden, die das bekämpfte "Take Away-Verbot" zum Zeitpunkt der Antragstellung wirksam werden ließe. Die Novelle sei am 15. Jänner 2021 kundgemacht worden und hätte den antragstellenden Parteien daher bei Einbringung ihres Antrages bekannt sein müssen.

2.3. Auch in der Sache tritt der Landeshauptmann von Salzburg dem Antrag entgegen.

3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

IV. Zulässigkeit

1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

2. Der Antrag ist nicht zulässig.

3. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

3.1. Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.972/2015).

3.2. Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Verordnung dieser ein völlig veränderter, dem Verordnungsgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (vgl VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015; VfGH 15.10.2016, G339/2015).

3.3. Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

4. Der Antrag ist infolge zu eng gewählten Anfechtungsumfanges unzulässig:

4.1. Die antragstellenden Parteien wenden sich gegen das in §1 Sbg COVID-19-MaßnahmenVO – Schigebiete angeordnete, sie unmittelbar treffende Verbot der Abholung von Speisen und Getränken bei Gastgewerbebetrieben in Schigebieten, die nicht mit Kraftfahrzeugen über eine allgemein zugängliche öffentliche Straße erreichbar sind. Neben dem von den antragstellenden Parteien angefochtenen Abholungsverbot (§1) regelt die Sbg COVID-19-Maßnahmenverordnung – Schigebiete in ihrem §2 das Inkrafttreten dieser Verordnung. Weitere Bestimmungen enthält die Sbg COVID-19-MaßnahmenVO – Schigebiete nicht.

4.2. Damit bilden §1 und §2 Sbg COVID-19-Maßnahmenverordnung – Schigebiete eine untrennbare Einheit: Im Falle der begehrten Aufhebung des §1 Sbg COVID-19-Maßnahmenverordnung – Schigebiete hätte die Verordnung keinen Anwendungsbereich mehr und es würde mit dem nicht (mit-)angefochtenen §2 leg cit ein völlig inhaltsleerer und unanwendbarer Rest im Rechtsbestand verbleiben (vgl VfSlg 20.179/2017). Die Sbg COVID-19-Maßnahmenverordnung – Schigebiete wäre somit zur Gänze anzufechten gewesen.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, COVID (Corona), Gastgewerbe, Schigebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:V20.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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