TE OGH 2021/11/15 6Ob164/21t

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Veröffentlicht am 15.11.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** E*****, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, wider die beklagte Partei M***** B*****, vertreten durch Dr. Hannes Wiesflecker, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 150.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. August 2021, GZ 2 R 111/21x-27, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Die Klägerin und ihr Ehemann entschlossen sich, ihr Gästehaus zu verkaufen. Sie kamen zur Ansicht, dass eine Kombination Pacht-/Kaufvertrag mehr Chancen habe, Interessenten zu finden. Auf ein entsprechendes Inserat einer von ihnen beauftragten Maklerin meldete sich die Beklagte als Interessentin gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten. Die Maklerin übermittelte ihnen das Pacht-/Kaufanbot, das der Lebensgefährte der Klägerin ausfüllte und zurücksendete. Beim Namen des Antragstellers trug er die „Q***** GmbH & Co KG“ mit einer Geschäftsadresse in Berlin ein. Die Beklagte und ihr Lebensgefährte unterfertigten das Angebot als „Pächter/Käufer“. Der Klägerin war bekannt, dass die Beklagte und ihr Lebensgefährte in Österreich eine GmbH gründen wollten, über die Pacht- und Kaufvertrag abgewickelt werden sollten.

[2]       Am 14. 10. 2019 schlossen die Beklagte und ihr Lebensgefährte mit Notariatsakt den alle notwendigen Inhaltserfordernisse (§ 4 Abs 1 GmbHG) enthaltenden Gesellschaftsvertrag über die Errichtung der „Q***** GmbH“ mit Sitz in ***** (Tirol) ab. Unternehmensgegenstand ist unter anderem die Erarbeitung und Durchführung von Gastronomie- und Hotelprojekten, die Führung von eigenen Hotel-, Restaurant- und Gastronomiebetrieben sowie der Erwerb und die Pachtung von Unternehmen gleicher oder ähnlicher Art. Mit Gesellschafterbeschluss vom selben Tag wurde die Beklagte zur selbständig vertretungsbefugten Geschäftsführerin bestellt.

[3]       Einen Tag später schlossen die Klägerin als Verkäuferin und die durch die Beklagte vertretene Q***** GmbH als Käuferin einen „Kaufvertrag“ ab, der auszugsweise folgenden Inhalt hat:

III. Kaufvereinbarung und Ranganmerkung

1. Die Verkäuferin … verkauft und übergibt ihre 1/1 Anteile … an die Q***** GmbH, FN …, vertreten durch ihre Geschäftsführerin [Beklagte] …. Letztere kauft und übernimmt diese Liegenschaft in ihr Alleineigentum zu nachstehenden Bedingungen.

IV. Kaufpreis/Fälligkeit

1. Der einvernehmlich festgesetzte Kaufpreis … beträgt EUR 1.250.000,-- … zuzüglich 20 % Mehrwertsteuer, das sind EUR 250.000,-- … und ist binnen 14 Tagen nach allseitiger Fertigung und zwar im Teilbetrag von EUR 150.000,-- auf das eingerichtete Treuhandkonto … zu überweisen.

Da das gegenständliche Objekt zunächst auf beabsichtigte drei Jahre an die Käuferin verpachtet wird, wird der Kaufvertrag aufschiebend bedingt abgeschlossen. Die aufschiebende Bedingung tritt durch Zeitablauf ein. Spätestens tritt der Zeitablauf nach drei Jahren und Zeitablauf des Pachtvertrages ein, ...

…“

[4]       Der Kaufvertrag wurde von der Beklagten für die „Q***** GmbH i.G.“ unterfertigt.

[5]       Am selben Tag unterfertigten die Klägerin und für die „Q***** GmbH i.G.“ die Beklagte auch einen Pachtvertrag, der auszugsweise folgenden Inhalt hat:

„Die Verpächterin verpachtet hiermit an die Q***** GmbH, FN …, vertreten durch ihre Geschäftsführerin [Beklagte] …, den vorbezeichneten Gastgewerbebetrieb.

…“

[6]       Die Q***** GmbH (kurz: Gesellschaft) wurde am 8. 11. 2019 im Firmenbuch eingetragen. Die Beklagte und ihr Lebensgefährte erhielten von der Klagsseite die Schlüssel für das Gästehaus, um ihnen zu ermöglichen, das Weihnachtsgeschäft „mitzunehmen“. Die im Kaufvertrag vereinbarte Anzahlung von 150.000 EUR wurde zwar bislang nicht geleistet, die Gesellschaft bezahlt aber seit Dezember 2019 einen monatlichen Pachtzins, der von der Klägerin auch angenommen wurde. Außerdem bezahlte die Gesellschaft auch das Honorar der Maklerin sowie die Vertragserrichtungskosten.

[7]            Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung des vereinbarten Anzahlungsbetrags von 150.000 EUR sA, habe sich diese doch vor Gründung der Gesellschaft durch Unterfertigung des Vertrags persönlich verpflichtet und die Gesellschaft durch ihr Verhalten die Genehmigung dieses Vertrags verweigert.

[8]       Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und vertrat die Auffassung, bei einer Schuldübernahme gemäß § 2 Abs 2 GmbHG trete eine Haftungsbefreiung des vor der Eintragung für die Gesellschaft Handelnden ein, wobei die Verständigung des anderen Vertragsteils konkludent selbst durch schlüssig erkennbares Stillschweigen erfolgen könne; gerade der Fall des § 2 Abs 2 GmbHG sei bei Dauerschuldverhältnissen wie einem Bestandverhältnis in der Zeit nach der Eintragung der Gesellschaft die Regel. Allen Beteiligten sei klar gewesen, dass nicht die Beklagte, sondern die im Vorgründungsstadium (gemeint offenbar: Gründungsstadium) befindliche Gesellschaft Käuferin sein sollte; die Beklagte sei deren Geschäftsführerin gewesen. Mit Eintragung im Firmenbuch sei die Gesellschaft mit voller Rechtspersönlichkeit entstanden, weshalb eine Haftung der Gesellschaft – und nicht eine der Beklagten – zu bejahen sei. Im Übrigen sei die Bezahlung des Pachtzinses als schlüssiger Eintritt zu werten. Vertragsauslegung könne ergeben, dass zwei Verträge derart miteinander verknüpft seien, dass sie als Einheit anzusehen seien; dies treffe hier auf Kauf- und Pachtvertrag zu.

[9]            Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels einer aufgezeigten erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[10]           1. Das Berufungsgericht ist nicht von oberstgerichtlicher Judikatur abgewichen: Die von der Revisionswerberin für diese Behauptung zitierte Judikatur (8 Ob 100/12g) beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen der Vorgründungsgesellschaft und der späteren GmbH; die Vorgründungsgesellschaft besteht vor dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags (8 Ob 100/12g). Hier lag jedoch im Zeitpunkt der Unterfertigung des Kauf- und des Pachtvertrags der formgültig und mit allen notwendigen Inhaltserfordernissen abgeschlossene Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft bereits vor; diese befand sich somit nicht (mehr) im Stadium der Vorgründungsgesellschaft, sondern der Vorgesellschaft, für die andere Regeln als diejenigen für die Vorgründungsgesellschaft gelten.

[11]           2. Übernimmt die Gesellschaft eine vor ihrer Eintragung in ihrem Namen eingegangene Verpflichtung durch Vertrag mit dem Schuldner in der Weise, dass sie an die Stelle des bisherigen Schuldners tritt, so bedarf es gemäß § 2 Abs 2 GmbHG zur Wirksamkeit der Schuldübernahme der Zustimmung des Gläubigers nicht, wenn die Schuldübernahme binnen drei Monaten nach der Eintragung der Gesellschaft vereinbart und dem Gläubiger von der Gesellschaft oder dem Schuldner mitgeteilt wird.

[12]           2.1. Zu dieser Gesetzesbestimmung wird in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass die Verständigung des anderen Vertragsteils („Gläubiger“) konkludent selbst durch schlüssig erkennbares Stillschweigen erfolgen kann, was etwa bei Dauerschuldverhältnissen wie einem Bestandverhältnis in der Zeit nach der Eintragung der GmbH die Regel sein wird (RS0059513); dies gilt auch für die „Schuldübernahme“ (1 Ob 616/94).

[13]           2.2. Die Revision meint, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung würden hiezu eine Klarstellung gebieten, liege die jüngste Entscheidung 7 Ob 1516/95 doch bereits Jahrzehnte zurück. Nach ständiger Rechtsprechung ist aber eine Revision unzulässig, die nur den Hinweis auf das längere

Zurückliegen einer einschlägigen Entscheidung enthält, ohne darzutun, dass sich seither die dogmatischen Grundlagen der älteren Judikatur derart geändert haben, dass diese nicht mehr aufrecht erhalten werden kann (RS0042680). Solches zeigt die außerordentliche Revision aber nicht auf.

[14]           3. Die Revision meint weiters, das Berufungsgericht habe den Grundsatz der Rechtsprechung, dass für die Schlüssigkeit eines Verhaltens nach § 863 ABGB ein strenger Maßstab anzulegen sei, der hier durch die (bloßen) Pachtzinszahlungen durch die GmbH nicht erfüllt sei, missachtet; die enge Verknüpfung von Pacht- und Kaufvertrag liege nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung ist aber die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten den (strengen) Erfordernissen des § 863 ABGB für eine schlüssige Willenserklärung entspricht, einzelfallbezogen zu lösen und bildet – vom Fall einer Fehlbeurteilung abgesehen – regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage. Dies gilt auch für die – hier maßgebliche – Mitteilung nach § 2 Abs 2 GmbHG als Wissenserklärung (vgl bloß 2 Ob 48/17y).

[15]     Angesichts der Tatsache, dass im Zeitpunkt der Unterfertigung des Kauf- und des Pachtvertrags die Beklagte bereits als für die Gesellschaft bestellte Geschäftsführerin für diese und in deren Namen handelte und allseitiges Einvernehmen darüber herrschte, dass nicht die Beklagte, sondern die Gesellschaft Vertragspartnerin werden sollte, muss hier an die Schlüssigkeit der Mitteilung nach § 2 Abs 2 GmbHG kein allzu strenger Maßstab angelegt werden. Dazu kommt, dass der Kaufvertrag mit dem Zeitablauf des Pachtvertrags aufschiebend bedingt abgeschlossen wurde und somit beide Verträge rechtlich sehr wohl eng verknüpft waren. Wenn bei diesem Sachverhalt das Berufungsgericht angesichts der von der Klägerin unbeanstandet akzeptierten Zahlung des laufenden monatlichen Pachtzinses durch die Gesellschaft die Erfordernisse für eine schlüssige Mitteilung iSd § 2 Abs 2 GmbHG betreffend den Kaufvertrag als erfüllt erachtete, liegt darin keinesfalls eine aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[16]            4. Die Argumentation der Revision, die Klägerin habe immer wieder betont, der Kaufvertrag sei (gemeint offenbar: von der Beklagten) nur zum Schein abgeschlossen worden, widerspricht den Feststellungen.

[17]            5.1. Es ist zwar richtig, dass § 2 Abs 2 GmbHG in der jüngeren österreichischen Lehre als missglückt bezeichnet wird (vgl nur Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 2 Rz 1 und 33 mwN); die Norm habe keinen vernünftigen oder auch nur realisierbaren Normzweck (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 2 Rz 3), ihre Ratio sei höchst zweifelhaft (Enzinger in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG [Stand 1. 8. 2020] § 2 Rz 28; ähnlich zum wortgleichen § 34 Abs 2 AktG vgl Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 34 Rz 1; Böhler in Artmann/Karollus, AktG6 § 34 Rz 2). Der Bestimmung wird deshalb überwiegend entweder nur ein sehr eingeschränkter (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 2 Rz 30 ff; U. Torggler in U. Torggler, GmbHG § 2 Rz 9; Böhler in Artmann/Karollus, AktG6 § 34 Rz 78 und 89) oder überhaupt kein Anwendungsbereich (Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 34 Rz 29) zugebilligt.

[18]           5.2. Auch in Deutschland wird zur wortgleichen Norm § 41 Abs 2 dAktG übereinstimmend die Ansicht vertreten, die Norm sei veraltet und habe kaum noch einen Anwendungsbereich (Arnold in Kölner Kommentar zum AktG3 [2011] § 41 Rz 2, 84; Karsten Schmidt in GroßKommAktG5 [2016] § 41 Rz 2, 103; Pentz in Münchener Kommentar zum AktG5 [2019] § 41 Rz 5, 155; Heidinger in Spuindler/Stilz, AktG4 [2019] § 41 Rz 10 f, 129; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG4 [2020] § 41 Rz 18, 34).

[19]           5.3. Begründet wird dies in Österreich und Deutschland überwiegend mit der angenommenen Identität von Vorgesellschaft und eingetragener GmbH bzw Aktiengesellschaft, woraus folge, dass die eingetragene GmbH bzw Aktiengesellschaft automatisch in alle Rechte und Pflichten der Vorgesellschaft eintrete (vgl Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 2 Rz 28, 31; Enzinger in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG [Stand 1. 8. 2020] § 2 Rz 28; Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 34 Rz 31; Böhler in Artmann/Karollus, AktG6 § 34 Rz 77, 81; für Deutschland vgl nur Arnold in Kölner Kommentar zum AktG3 [2011] § 41 Rz 3; Karsten Schmidt in GroßKommAktG5 [2016] § 41 Rz 99; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG4 [2020] § 41 Rz 18).

[20]           5.4. In Österreich hat sich U. Torggler, (Verbandsgründung [2009], 453 ff [insbes 469 bis 475], am eingehendsten mit der Auslegung von § 2 Abs 2 GmbHG bzw § 34 Abs 2 AktG befasst und ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass von den (designierten) Organwaltern vor der Firmenbucheintragung namens der Gesellschaft begründete Verpflichtungen in analoger Anwendung von § 2 Abs 4 Satz 2 VerG mit der Firmenbucheintragung automatisch auf die eingetragene GmbH bzw Aktiengesellschaft übergehen; § 2 Abs 2 GmbHG und § 34 Abs 2 AktG seien demnach insoweit teleologisch zu reduzieren (so auch ders in U. Torggler, GmbHG § 2 Rz 9).

[21]           5.5. Einer näheren Auseinandersetzung mit dieser Literatur bedarf es hier allerdings nicht, weil auch die Anwendung der Grundsätze der Literatur zu keinem anderen Ergebnis führen würde.

Textnummer

E133294

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00164.21T.1115.000

Im RIS seit

14.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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