Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASchG 1972 §27 Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der X-AG in N, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 27. Februar 1995, Zl. Ge - 441371/8 -1995/sch/Th, betreffend gewerbliche Betriebsanlage, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 14.240,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz schrieb mit Bescheid vom 6. Juli 1994 der Beschwerdeführerin für eine näher bezeichnete Betriebsanlage eine Reihe die Gestaltung der Kassenarbeitsplätze betreffende Auflagen gemäß "§§ 79, 333 der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194/1994 iVm § 27 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972", vor.
Die von der Beschwerdeführerin dagegen erhobene Berufung wies der Landeshauptmann von Oberösterreich mit Bescheid vom 27. Februar 1995 als unbegründet ab. In der Begründung dieses Bescheides werden (nach Darstellung des Verfahrensganges) die §§ 79 Abs. 1 GewO 1994 sowie 27 Abs. 5 des Arbeitnehmerschutzgesetzes zitiert. Im Anschluß daran wird die Aussage getroffen, daß "die vorzitierten gesetzlichen Voraussetzungen für die Vorschreibung zusätzlicher Auflagen" vorlägen. Die Betriebsbeschreibung des Genehmigungsbescheides enthalte keine Ausführungen über die Gestaltung der Kassenarbeitsplätze. Es werde davon ausgegangen, daß einerseits zum Zeitpunkt der Genehmigung (1979) Sitz-Steh-Arbeitsplätze nicht bekannt gewesen seien, andererseits, daß in Lebensmittelmärkten dieser Art mit Selbstbedienung durchwegs Sitz-Arbeitsplätze zur Anwendung gelangten. Mit welchem Zeitpunkt im gegenständlichen Betrieb Sitz-Steh-Arbeitsplätze eingerichtet worden seien, sei nicht entscheidungsrelevant. Maßgeblich sei, daß im Jahre 1993 durch das Arbeitsinspektorat erhoben worden sei, es stünden im gegenständlichen Betrieb Sitz-Steh-Arbeitsplätze zur Verfügung. Die Berufungsbehörde folge vollinhaltlich den Ausführungen des Arbeitsinspektorates Linz. Zusätzliche Erhebungen, insbesondere die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Ergonomie würden nicht als erforderlich erachtet. Die fachliche Stellungnahme von Dr. K enthalte die Aussage, daß an den österreichischen Kassenarbeitsplätzen zu etwa 90 % im Sitzen gearbeitet werde. Laut Aussage des Arbeitsinspektorates würden in Lebensmittelmärkten mit Selbstbedienung durchwegs Sitz-Arbeitsplätze eingerichtet. Ausgangspunkt für die Beurteilung sei nicht der derzeit vorliegende Umstand, daß in der gegenständlichen Filiale Sitz-Steh-Arbeitsplätze eingerichtet seien, sondern vielmehr "die oben zitierte gesetzliche Forderung der Arbeitnehmerschutzverordnung", wonach Sitz-Arbeitsplätze einzurichten seien. Dementsprechend seien auch die ÖNORMEN für Sitz-Abeitsplätze heranzuziehen. Bei dieser Rechtslage sei auf die von der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit Sitz-Steh-Arbeitsplätzen erstatteten Vorbringen nicht weiter einzugehen. Nach der zitierten Gesetzesbestimmung seien Sitz-Arbeitsplätze einzurichten, weshalb die Berufung als unbegründet abzuweisen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachte sich die Beschwerdeführerin in den Rechten, daß ihr ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nachträglich Auflagen nicht vorgeschrieben werden und daß ihr nicht in gesetzwidriger Weise eine bestimmte Gestaltung der Kassenarbeitsplätze vorgeschrieben werde, verletzt. In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes macht sie - vor allem - geltend, die in Rede stehenden Auflagen stünden mit den neuesten Erkenntnissen über die Gestaltung von Kassenarbeitsplätzen in Widerspruch.
Ausgehend davon, daß nach den Begründungsdarlegungen die belangte Behörde - jedenfalls erkennbar - in Ansehung der Auflagenvorschreibungen (allein) auf den Schutz der in der Betriebsanlage den Bestimmungen des Arbeitsnehmerschutzgesetzes unterliegenden beschäftigten Personen abstellte, erweist sich die vorliegende Beschwerde im Ergebnis schon aus folgenden Gründen als begründet:
§ 79 Abs. 1 GewO 1994 hat folgenden Wortlaut:
"(1) Ergibt sich nach Genehmigung der Anlage, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, so hat die Behörde (§§ 333, 334, 335) die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen."
§ 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972, das im Hinblick auf die Übergangsvorschrift des § 127 Abs. 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz 1994 hier anzuwenden ist, bestimmt:
"(5) Zeigt sich in einem Betrieb nach rechtskräftig erteilter Betriebsbewilligung, daß den Erfordernissen des Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer unter den vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen nicht in ausreichendem Maße entsprochen wird, so sind die hiezu unbedingt notwendigen Maßnahmen von der Behörde aufzutragen. Dies gilt sinngemäß auch für Betriebe, für die eine Bewilligung nach einer anderen bundesgesetzlichen Vorschrift vorliegt, soweit diese Rechtsvorschrift eine entsprechende Regelung nicht enthält."
§ 79 Abs. 1 GewO 1994 sieht die nachträgliche Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen für bereits genehmigte Anlagen vor, wenn die bisherigen Auflagen keinen hinreichenden Schutz der in § 74 Abs. 2 GewO 1994 genannten Interessen ermöglichen. § 79 Abs. 1 GewO 1994 nimmt somit zwar die Schutzinteressen der in § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 genannten Personen, nicht jedoch jene der Arbeitnehmer wahr; § 79 Abs. 1 GewO 1994 stellt daher keine den § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972 "entsprechende Regelung" dar (vgl. Azizi, Gewerbliches Betriebsanlagenrecht und Arbeitnehmerschutzrecht, ÖZW 1980, 46). § 27 Abs. 5 erster Satz Arbeitnehmerschutzgesetz 1972 ist folglich auch in einem Verfahren wie dem vorliegenden "sinngemäß" (§ 27 Abs. 5 zweiter Satz Arbeitnehmerschutzgesetz 1972) anzuwenden und nicht (auch)
Die belangte Behörde verkannte damit die Rechtslage, wenn sie die gegenständlichen Auflagenvorschreibungen - nach dem Bescheidspruch allein und nach der Bescheidbegründung auch - auf § 79 Abs. 1 GewO 1994 stützte. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Im Hinblick auf das fortzusetzende Verfahren sieht sich der Verwaltungsgerichtshof veranlaßt, auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1996, Zl. 96/04/0092, zu verweisen, wonach gemäß § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972 die Vorschreibung von nachträglichen Maßnahmen einerseits voraussetzt, daß auch bei Einhaltung der bereits vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen der Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer nicht in ausreichendem Maß gesichert ist; andererseits diese Bestimmung bei Zutreffen dieser Voraussetzung lediglich die Vorschreibung jener Maßnahmen rechtfertigt, die unbedingt notwendig sind, um das Ziel des Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu erreichen. Hingegen bietet diese Bestimmung keine Rechtsgrundlage dafür, dem Arbeitnehmer eine Gestaltung der Arbeitsplätze - ohne Rücksicht auf das für den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer unbedingt notwendige Maß - nach den neuesten Erkenntnissen der Ergonomie vorzuschreiben. Ob die so zu verstehenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 5 leg. cit. gegeben sind, bedarf daher konkreter, in der Regel durch Beiziehung entsprechender Sachverständiger zu gewinnender Feststellungen darüber, einerseits ob und wie, allenfalls aus welchen Ursachen trotz Einhaltung der bereits vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen das Leben oder die Gesundheit der Arbeitnehmer des Betriebes gefährdet ist und andererseits welche Maßnahmen unbedingt erforderlich sind, um das Ziel des Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu erreichen.
Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Da der klare Wortlaut des § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG den Zuspruch von Schriftsatzaufwand für andere Schriftsätze als die Beschwerde verwehrt, war ein Schriftsatzaufwand für den (gesonderten) Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht zuzusprechen.
Schlagworte
Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker GewerbetechnikerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995040095.X00Im RIS seit
01.06.2001