TE OGH 2021/12/28 9Bs331/21x

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Veröffentlicht am 28.12.2021
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Das Oberlandesgericht Linz hat durch den Richter Dr. Winsauer als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Strafsache gegen ***** G***** und ***** B***** wegen der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach den §§ 223 Abs 1, 224 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Salzburg gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 23. November 2021, 38 Hv 91/21y-18, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Landesgericht Salzburg die Fortsetzung des Hauptverfahrens aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Staatsanwaltschaft Salzburg legt mit Strafantrag vom 02. September 2021,15 St 175/21d, dem am 13. April 1975 geborenen ***** G***** die Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 1, 224 StGB (I./) und dem am 21. Jänner 1984 geborenen ***** B***** das Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden als Bestimmungstäter nach §§ 223 Abs 1, 224, 12 zweiter Fall StGB (II./) zur Last.

Demnach haben

I./ ***** G***** in B***** einen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Z***** bezüglich der Erkrankung an SARS-CoV-2 („Corona Virus“), somit eine inländische öffentliche Urkunde, durch Änderung der Personaldaten auf nachangeführte Personen mit dem Vorsatz verfälscht, dass dieser im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache, nämlich als Bestätigung einer überstandenen SARS-CoV-2 Infektion, gebraucht werde, und zwar

II./ ***** B***** an einem bislang unbekannten Zeitpunkt vor dem 23. Mai 2021 den ***** G***** zu der unter Punkt I.1./ angeführten Tat bestimmt, indem er ihm die Personaldaten seines Vaters F***** B***** bekannt gab und um Übermittlung des gefälschten Bescheides ersuchte (ON 11).

Noch vor Anberaumung einer Hauptverhandlung teilte das Erstgericht den Angeklagten jeweils gemäß §§ 199, 200 Abs 4 StPO mit, das Verfahren gegen Zahlung eines den Pauschalkostenbeitrag von jeweils EUR 150,00 beinhaltenden Geldbetrages (EUR 750,00 betreffend den Erstangeklagten und EUR 500,00 betreffend den Zweitangeklagten) einzustellen (ON 15, ON 16).

Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Landesgericht Salzburg nach fristgerechter und vollständiger Leistung der Geldbeträge – trotz ablehnender Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft Salzburg (ON 1) – das Strafverfahren gegen ***** G***** und ***** B***** gemäß §§ 199, 200 Abs 5 StPO endgültig ein (ON 18).

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Salzburg, mit der sie aus generalpräventiven Gründen die Kassation des angefochtenen Beschlusses und die Durchführung des Hauptverfahrens anstrebt (ON 19).

Die Beschwerde ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Tatsächlich ist der von der Staatsanwaltschaft angeklagte Sachverhalt unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens rechtlich den Vergehen der Datenfälschung nach § 225a StGB (I./) beziehungsweise §§ 12 zweiter Fall, 225a StGB (II./) zu unterstellen, weil nach den Angaben des Erstangeklagten der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Z***** nur als PDF-Dokument elektronisch zugestellt worden sei und er dieses Dokument mit einer Software (PDF-Converter) durch Veränderung darin angegebener Daten (Vor- u. Nachname, Adresse und Geburtsdatum) verfälscht habe (vgl S 14 in ON 4). Daraus ergibt sich aber, dass der Erstangeklagte die Daten einer Bilddatei eines von einer Behörde elektronisch zugestellten Dokuments mit dem Vorsatz verfälscht habe, damit diese verfälschte Datei zum Beweis eines Rechtes oder einer Tatsache, nämlich der Genesung einer anderen als im Bescheid genannten Person nach einer COVID-19-Erkrankung gebraucht werde. Gedankenerklärungen, die sich auf Datenträgern befinden, erfüllen aber mangels schriftlicher Verkörperung den Urkundenbegriff des § 74 Abs 1 Z 7 StGB nicht (vgl RIS-Justiz RS0130519Kienapfel/Schroll in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 223 Rz 30 ff mwN; siehe auch Reindl-Krauskopf in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 225a Rz 10).

Nach Einbringung der Anklage wegen Begehung einer strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist (was auch auf das Vergehen der Datenfälschung nach § 225a StGB zutrifft), hat das Gericht gemäß § 199 StPO die für die Staatsanwaltschaft geltenden Bestimmungen der §§ 198, 200 bis 209b StPO sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen. Das Gericht kann demnach ab Einbringung der Anklage bis zum Schluss der Hauptverhandlung diversionell vorgehen.

Wie auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde darlegt, stehen angesichts der von beiden Angeklagten zum Ausdruck gebrachten Verantwortungsübernahme und deren bisheriges Wohlverhalten spezialpräventive Gründe einer diversionellen Erledigung grundsätzlich nicht entgegen. Auch die übrigen Voraussetzungen des § 198 Abs 2 StPO liegen für ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO vor.

Ein diversionelles Vorgehen setzt unter anderem aber auch voraus, dass es unter Berücksichtigung der einzusetzenden diversionellen Maßnahme der Bestrafung des Angeklagten nicht bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. § 198 Abs 1 StPO schließt eine Diversion somit dann aus, wenn den generalpräventiven Bedürfnissen auch unter Berücksichtigung der Diversionsmaßnahme nicht ausreichend Rechnung getragen wird (RIS-Justiz RS0123346).

Die Beurteilung der Generalprävention ist ein dynamischer Prozess, der den Anforderungen an die Effektivität eines die Gesellschaft schützenden Strafrechts gerecht werden muss. Es gilt nicht nur potentielle Täter durch entsprechende Sanktionen abzuschrecken (sogenannte negative Generalprävention), sondern hat bei Straftaten, die die Gesellschaft im besonderen Maße bedrohen, die Entscheidung auch und vor allem unter dem Gesichtspunkt zu erfolgen, das Vertrauen der rechtsverbundenen Bevölkerung in die schützende Funktion der Strafrechtspflege und auch in ihrer Entschlossenheit im Falle eines ernsthaften gerechtfertigten Bedürfnisses, die ihr verfügbaren Sanktionen mit dem Ziel hochgradiger generalpräventiver Effizienz auszuschöpfen, zu stärken (sogenannte positive Generalprävention). Gerade der positiven Generalprävention (Integrationsprävention) kommt besondere Bedeutung zu. Die Strafe dient dazu, die Gesellschaft nach einem Rechtsbruch in ihrem Bewusstsein der Normgeltung zu bestärken und damit die (innere) Integrität der Rechtsordnung wiederherzustellen. Eine funktionierende Strafrechtspflege erzeugt einen Aspekt der generellen Normtreue. Androhung, Verhängung und Strafvollzug steuern die Einstellungs- und Bewusstseinsbildung der Bevölkerung, die Pönalisierung bestimmter Verhaltensweisen deklariert diese einprägsam als sozialschädlich, vor allem sozialethisch verwerflich und leistet so einen Beitrag dazu, diese Verhaltensweisen langfristig zu tabuisieren (vgl Jesionek/Birklbauer, Strafrecht AT II8 Rz 2/20 mit Verweis auf Moos; mwN Ebner in Höpfel/Ratz, WK2 StGB, Vor §§ 32–36 Rz 13).

Die Notwendigkeit einer Bestrafung aus generalpräventiven Erwägungen hängt demnach stark davon ab, in welchem Umfang strafbare Handlungen beziehungsweise welche Art von strafbaren Handlungen aktuell, also im Entscheidungszeitpunkt, das friedliche Zusammenleben in einer Gesellschaft beziehungsweise die von der Gesellschaft als wichtig erachteten Rechtsgüter bedrohen.

Nach den vorliegenden, einen hinreichend geklärten Sachverhalt begründenden, Verfahrensergebnissen habe die indizierte Datenfälschung nach § 225a StGB, nämlich des von der Bezirkshauptmannschaft Z***** elektronisch als PDF-Dokument übermittelten behördlichen Quarantäne-Bescheides betreffend den an SARS-CoV-2 (Corona Virus) erkrankten ***** G*****, ausschließlich dazu gedient, anderen Personen, die noch nicht geimpft oder nach einer SARS-CoV-2-Erkrankung genesen waren, die Durchführung eines – auch zum damaligen Zeitpunkt vom Staat kostenlos zur Verfügung gestellten – COVID-19-Tests zu ersparen, um am sozialen Leben wieder uneingeschränkt teilnehmen zu können. Dadurch sollten nicht nur die staatlichen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie umgangen werden, sondern indiziert der angelastete Tatplan zudem, dass die Angeklagten aus Bequemlichkeit auch jene sich normtreu verhaltenden Menschen täuschen wollten, die darauf vertrauen, dass sich ihre Mitmenschen an die gesetzlichen Vorgaben halten, die zur Bekämpfung der Pandemie, damit dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung dienen.

Angesichts der finanziell und personell aufwendigen Anstrengungen der Gesellschaft zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, so auch zur Einhaltung der angeordneten Maßnahmen vor allem zum Schutz jener Personen, deren Gesundheit und Leben durch diese Viruserkrankung besonders gefährdet ist und zur Aufrechterhaltung der notwendigen stationären medizinischen Behandlung erkrankter Personen in Krankenhäusern, stehen in diesem Fall gewichtige generalpräventive Gründe einem Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der Strafprozessordnung entgegen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Textnummer

EL0000301

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0459:2021:0090BS00331.21X.1228.000

Im RIS seit

14.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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