Entscheidungsdatum
22.12.2021Index
82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
4. COVID-19-SchuMV §5 Abs1 Z4Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Spielmann über die Beschwerde der AA, BB GmbH, Adresse 1, **** Z, vertreten durch die Rechtsanwälte CC und DD, Adresse 2, **** Y, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 04.11.2021, Zahl ***, betreffend eines Strafverfahrens nach dem COVID-19-MG,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahren und Sachverhalt:
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Beschwerdeführerin spruchgemäß Folgendes zur Last gelegt:
„Sie haben als strafrechtlich Verantwortliche der Betriebsstätte des Unternehmens „BB GmbH" in **** W, Adresse 3, nicht durch geeignete Maßnahmen sichergestellt, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten, dass pro Kunde 20 m2 zur Verfügung stehen, obwohl gemäß 2. Novelle zur 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung - 2. Novelle zur 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl. II Nr. 58/2021, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 94/2021, in der Zeit vom 28.02.2021 bis 09.03.2021 der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen hat, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten, dass pro Kunde 20 m2 zur Verfügung stehen; ist der Kundenbereich kleiner als 20 m2, so darf jeweils nur ein Kunde den Kundenbereich der Betriebsstätte betreten. Bei Betriebsstätten ohne Personal ist auf geeignete Weise auf diese Voraussetzung hinzuweisen.
Bei der Überprüfung der BB-Filiale am 05.03.2021 um 13:15 Uhr wurde festgestellt, dass keine ausreichenden Maßnahmen getroffen wurden, um die max. Personenanzahl (20 m2 pro Kunde) gewährleisten zu können.“
Sie habe damit gegen § 5 Abs 1 Ziffer 4 der 4. COVID-19-SchuMaV iVm § 3 Abs 1 und 8 Abs 4 COVID-19-MG verstoßen und sei mit einer Geldstrafe in Höhe von € 600,- (Ersatzfreiheitsstrafe 112 Stunden) zu bestrafen. Außerdem habe sie einen Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von € 60,- zu leisten.
Dagegen richtet sich die fristgerechte Beschwerde vom 06.11.2021 Die Beschuldigte bringt insbesondere vor, dass sie durch Abzählung und Reduzierung der Einkaufswagen sichergestellt habe, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten hätten, dass pro Kunde 20 m2 zur Verfügung gestanden seien. Es sei nicht nachvollziehbar, welche geeigneten Maßnahmen zusätzlich zu ergreifen gewesen wären. Eine Überschreitung der zulässigen Kundenzahl sei zu keinem Zeitpunkt festgestellt worden, sodass die ergriffenen Maßnahmen jedenfalls geeignet gewesen wären. Außerdem werde sie bereits wegen vergleichbarer Übertretungen vom 12.02.2021 und 19.02.2021 in gesonderten Strafverfahren zur Verantwortung gezogen. Da es sich um ein fortgesetztes Delikt handle, werde dadurch gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoßen.
II. Rechtslage:
COVID-19-Maßnahmengesetz (COVID-19-MG), BGBl I Nr 12/2020 idF BGBl I Nr 33/2021:
„Betreten und Befahren von Betriebsstätten und Arbeitsorten sowie Benutzen von Verkehrsmitteln
§ 3. (1) Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung
1. das Betreten und das Befahren von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen,
(…)
geregelt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.
(…)
Strafbestimmungen
§ 8. (…)
(4) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte oder eines Arbeitsortes, als Betreiber eines Verkehrsmittels oder als gemäß § 4 hinsichtlich bestimmter privater Orte, nicht von Abs. 2 erfasster Verpflichteter nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, der Arbeitsort, das Verkehrsmittel oder der bestimmte private Ort nicht entgegen den in einer Verordnung gemäß §§ 3 und 4 festgelegten Personenzahlen, Zeiten, Voraussetzungen oder Auflagen betreten oder befahren wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe von bis zu vier Wochen, zu bestrafen.“
4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. COVID-19-SchuMaV), BGBl II Nr 58/2021 idF BGBl II Nr 94/2021:
„Auf Grund der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. I Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 23/2021, sowie des § 15 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl. Nr. 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 23/2021, wird im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats verordnet:
(…)
Kundenbereiche
§ 5. (1) Das Betreten und Befahren des Kundenbereichs von Betriebsstätten ist unter folgenden Voraussetzungen zulässig:
(…)
4. Der Betreiber hat durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten, dass pro Kunde 20 m² zur Verfügung stehen; ist der Kundenbereich kleiner als 20 m², so darf jeweils nur ein Kunde den Kundenbereich der Betriebsstätte betreten. Bei Betriebsstätten ohne Personal ist auf geeignete Weise auf diese Voraussetzung hinzuweisen.“
III. Erwägungen:
Gemäß § 5 Abs 1 Ziffer 4 der 4. COVID-19-SchuMaV hatte der Betreiber von Betriebsstätten im Tatzeitpunkt durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten, dass pro Kunde 20 m² zur Verfügung stehen. Der Inhaber der Betriebsstätte – bzw der nach § 9 VStG verwaltungsstrafrechtlich Verantwortliche – hat sich gemäß § 8 Abs 4 COVID-19-MG dann strafbar gemacht, wenn er nicht dafür Sorge getragen hat, dass die festgelegte Personenzahl eingehalten wird.
Eine Bestrafung nach § 8 Abs 4 COVID-19-MG iVm § 5 Abs 1 Ziffer 4 der 4. COVID-19-SchuMaV setzt voraus, dass es aufgrund ungeeigneter Maßnahmen tatsächlich zu einer Überschreitung der zulässigen Kundenanzahl gekommen ist. Es müsste also feststehen, wie viele Kunden sich gleichzeitig in der Betriebsstätte aufhalten hätten dürfen und wie viele Kunden im Tatzeitpunkt tatsächlich anwesend waren. Wurde die zulässige Kundenanzahl nicht überschritten, wurden offenkundig ausreichende Maßnahmen gesetzt, sodass es zu keiner Übertretung gekommen ist. Wurde also die zulässige Kundenanzahl – aus welchen Gründen immer – eingehalten, stellt sich die Frage der Geeignetheit der Maßnahmen nicht. Ist es hingegen zu einer Überschreitung der Kundenanzahl gekommen, dann hat der Inhaber der Betriebsstätte dafür einzustehen, soweit er nicht durch geeignete Maßnahmen entsprechende Vorsorge zur Vermeidung dieser Rechtswidrigkeiten getroffen hat.
Im angefochtenen Straferkenntnis beschränkt sich der Tatvorwurf darauf, dass im Tatzeitpunkt „keine ausreichenden Maßnahmen getroffen wurden, um die max. Personenanzahl (20 m2 pro Kunde) gewährleisten zu können.“ Der Beschwerdeführerin wurde aber nicht vorgehalten, dass es tatsächlich zu einer Überschreitung der Kundenanzahl gekommen ist. Es bleibt auch offen, wie viele Kunden sich aufgrund der 20 m2-Regel in der Filiale aufhalten hätten dürfen und wie viele Kunden im Tatzeitpunkt tatsächlich anwesend waren. Im Spruch wurde auch nicht konkretisiert, warum aus Sicht der Behörde keine ausreichenden Maßnahmen getroffen worden sein sollen.
Der Spruch eines Straferkenntnisses hat gemäß § 44a Z 1 VStG die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Dazu gehört neben der Anführung der Tatzeit und des Tatortes auch die Umschreibung der Tathandlung. Die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes reicht dafür nicht aus (vgl VwGH 15.06.1983, 83/03/0079). Die Tatumschreibung hat so präzise zu sein, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt wird. Das bedeutet, dass die der beschuldigten Person vorgeworfene Tat unverwechselbar konkretisiert sein muss, damit diese in die Lage versetzt wird, dem Vorwurf entsprechend zu reagieren und damit ihr Rechtsschutzinteresse zu wahren (vgl VwGH 30.04.2021, Ra 2020/05/0043).
Im gegenständlichen Fall wäre es für die Tatumschreibung notwendig gewesen, eine allfällige Überschreitung der Kundenanzahl im Tatzeitpunkt festzustellen. Der alleinige Tatvorwurf, wonach keine ausreichenden Maßnahmen getroffen worden seien, bildet noch keine Verwaltungsübertretung. Aber auch wenn man der Ansicht wäre, dass die tatsächliche Kundenanzahl für die Verwirklichung der Verwaltungsübertretung nicht relevant wäre, hätte der Beschwerdeführerin zur Wahrung ihrer Verteidigungsrechte zumindest vorgeworfen werden müssen, warum die gesetzten Maßnahmen nicht ausreichend gewesen sein sollen. Somit genügt das angefochtene Straferkenntnis nicht den Anforderungen des § 44a Z 1 VStG.
Das Verwaltungsgericht ist nicht nur berechtigt, sondern vielmehr verpflichtet, einen fehlerhaften Spruch im behördlichen Straferkenntnis richtig zu stellen oder zu ergänzen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist eine rechtzeitige Verfolgungshandlung durch die Behörde gesetzt wurde, die alle relevanten Sachverhaltselemente enthält. Im gegenständlichen Fall fehlt eine Verfolgungshandlung, aus der sich eine allfällige Überschreitung der Kundenanzahl im Tatzeitpunkt ableiten ließe. Der Beschwerde ist daher Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
IV. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist zulässig, da eine Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob auch ohne tatsächliche Überschreitung der Kundenanzahl eine Verwaltungsübertretung nach § 8 Abs 4 COVID-19-MG iVm § 5 Abs 1 Ziffer 4 der 4. COVID-19-SchuMaV möglich ist.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Mag. Spielmann
(Richter)
Schlagworte
KundenanzahlEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.44.3340.1Zuletzt aktualisiert am
12.01.2022