TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/8 95/04/0194

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Veröffentlicht am 08.10.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §63 Abs1;
AVG §8;
GewO 1994 §356 Abs3;
GewO 1994 §359 Abs4;
GewO 1994 §75 Abs2;
GewO 1994 §79 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde

1.) des F, 2.) der X und 3.) des G, alle in A, alle vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 20. Juli 1995, Zl. V/1-BA-9485, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Verfahren gemäß § 79 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: L-Gesellschaft m.b.H. in A), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Punkt I. des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 25. Juli 1994 wurde der mitbeteiligten Partei unter Berufung auf § 79 Abs. 3 GewO 1994 aufgetragen, der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf binnen drei Monaten ab Rechtskraft dieses Bescheides ein Sanierungskonzept für die Betriebsanlage für das Gastgewerbe in der Betriebsart Kaffee-Restaurant mit Diskothek an einem näher bezeichneten Standort vorzulegen. Dieses Sanierungskonzept habe Maßnahmen zu enthalten, die gewährleisteten, daß zur Nachtzeit (das sei von 22.00 bis 06.00 Uhr) die durch die Betriebsanlage verursachten Geräuschimmissionen bei dem der Diskothek der Betriebsanlage nächsten Anrainer im Inneren des Hauses 45 dB(A) nicht überschritten.

Mit Punkt 2. seines Bescheides vom 20. Juli 1995 wies der Landeshauptmann von Niederösterreich die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführer im Grunde des § 356 Abs. 4 GewO 1994 als unzulässig zurück. Zur Begründung führte er aus, nach § 356 Abs. 4 GewO 1994 hätten unter anderem im Verfahren betreffend die Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen (§ 79) die im Abs. 3 genannten Nachbarn Parteistellung. Das seien jene Nachbarn, die spätestens bei der Augenscheinsverhandlung Einwendungen gegen die Anlage im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 oder 5 erheben, und zwar vom Zeitpunkt ihrer Einwendungen an. Die Bestimmung des § 356 Abs. 4 sei auf Grund ihrer taxativen Aufzählung auf § 79 Abs. 3 GewO 1994 nicht anwendbar, weil diese Gesetzesstelle die Anwendung des § 79 leg. cit ausdrücklich auf "Verfahren betreffend die Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen" (§ 74 Abs. 1 und 2 leg. cit.) beschränke. Es komme daher den Beschwerdeführern im gegenständlichen Verfahren zur Vorschreibung eines Sanierungskonzeptes gemäß § 79 Abs. 3 leg. cit. keine Parteistellung und damit auch kein Berufungsrecht zu. Daran vermöge der Umstand, daß die Beschwerdeführer im Verfahren erster Instanz geladen wurden und ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, Einwände zu erstatten, sowie die nachweisliche Zustellung des angefochtenen Bescheides nichts zu ändern.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer in dem Recht, im gegenständlichen Verwaltungsverfahren Parteistellung zu besitzen sowie, wie sich aus ihrem gesamten Beschwerdevorbringen ergibt, in dem Recht auf meritorische Erledigung ihrer Berufung verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes bringen sie vor, die belangte Behörde zitiere § 356 Abs. 4 GewO 1994 falsch. In dieser Bestimmung werde das Verfahren betreffend die Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen (§ 79) erwähnt. Eine solche Einschränkung des gerade beschriebenen Verfahrens auf die Abs. 1 und 2 des § 79 GewO 1994 sei nirgendwo zu finden. Eine solche Einschränkung hätte auch keinen Sinn, werde doch im § 79 Abs. 3 leg. cit. bloß eine Spielart des Verfahrens nach § 79 leg. cit. behandelt. In diesem - dritten - Absatz werde der Fall berücksichtigt, daß der Schutz der Interessen, wie sie nach § 74 Abs. 2 wahrzunehmen seien, nach dem ersten und zweiten Absatz des § 79 GewO 1994 nur durch die Vorschreibung solcher anderer oder zusätzlicher Auflagen erreicht werden könnte, durch die die genehmigte Betriebsanlage in ihrem Wesen verändert würde. Eine Unterscheidung der Parteistellung danach, welche Spielart eines Verfahrens nach § 79 durchzuführen sei, widerspreche dem Gesetz.

Gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994 hat die Behörde, wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die nach dem Stand der Technik (§ 71.) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.

Nach dem Abs. 2 dieser Gesetzesstelle sind Auflagen im Sinne des Abs. 1 zugunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 GewO 1994 geworden sind, nur soweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen notwendig sind. Auflagen im Sinne des Abs. 1 zur Vermeidung einer über die unmittelbare Nachbarschaft hinausreichende beträchtlichen Belastung durch Luftschadstoffe, Lärm oder gefährliche Abfälle sind, sofern sie nicht unter den ersten Satz fallen, zugunsten socher Personen nur dann vorzuschreiben, wenn diese Auflagen im Sinne des Abs. 1 verhältnismäßig sind.

Könnte der hinreichende Schutz der gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 wahrzunehmenden Interessen nach Abs. 1 und 2 nur durch die Vorschreibung solcher anderer oder zusätzlicher Auflagen erreicht werden, durch die die genehmigte Betriebsanlage in ihrem Wesen verändert würde, so hat nach dem Abs. 3 des § 79 die Behörde dem Inhaber der Anlage mit Bescheid aufzutragen, zur Erreichung des hinreichenden Interessenschutzes und der Begrenzung der Emissionen von Luftschadstoffen nach dem Stand der Technik innerhalb einer dem hiefür erforderlichen Zeitaufwand angemessenen Frist ein Sanierungskonzept für die Anlage zur Genehmigung vorzulegen; für dieses Sanierungskonzept ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Abs. 1) maßgebend. Im Bescheid, mit dem die Sanierung genehmigt wird, hat die Behörde eine dem Zeitaufwand für die vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen entsprechende Frist zur Durchführung der Sanierung festzulegen.

Nach § 356 Abs. 3 GewO 1994 sind im Verfahren auf Grund eines Ansuchens um Genehmigung der Errichtung und des Betriebes einer Betriebsanlage oder um Genehmigung der Änderung einer genehmigten Betriebsanlage - vom Fall des zweiten Satzes abgesehen - nur jene Nachbarn Parteien, die spätestens bei der Augenscheinsverhandlung Einwendungen gegen die Anlage im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 und 5 erheben, und zwar vom Zeitpunkt ihrer Einwendungen an.

Nach dem Abs. 4 dieser Gesetzesstelle haben die im Abs. 3 genannten Nachbarn unter anderem auch im Verfahren betreffend die Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen (§ 79) Parteistellung.

Das Verfahren nach § 79 Abs. 3 zerfällt insofern in zwei Abschnitte, als die Behörde zunächst in einem ersten Schritt dem Inhaber der Anlage mit Bescheid die Vorlage eines Sanierungskonzeptes aufzutragen hat. Nach dessen Vorlage ist in einem weiteren Verfahrensschritt die Genehmigungsfähigkeit dieses Sanierungskonzeptes zu prüfen und sodann mit Bescheid unter Festsetzung einer entsprechenden Frist darüber abzusprechen.

Mit dem Bescheid, der dem Inhaber der Anlage die Vorlage eines Sanierungskonzeptes aufträgt, wird allein die Rechtstellung des Anlageninhabers bestimmt. Die Rechstellung der Nachbarn wird dadurch noch nicht berührt. Es kann daher im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob, wie dies von Berka in Korinek (Herausgeber), Gewerberecht, Grundfragen der GewO 1994 in Einzelbeiträgen, 1995, 268 und von Stolzlechner-Wendl-Zitta, Die gewerbliche Betriebsanlage, Ergänzungsband 1994, Rz. 223, 17.4.a (Seite 120), vertreten wird, im Verfahren nach § 79 Abs. 3 GewO 1994 den Nachbarn Parteistellung zukommt.

Diese unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzinteresses und des Gleichheitsschutzes vertretenen Lehrmeinungen mögen auf den Bescheid, mit dem das Sanierungskonzept genehmigt wird, zutreffen; sie treffen aber (noch) nicht auf den Auftrag zur Vorlage dieses Konzeptes (wobei die Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen das Gesetz dem Anlageninhaber überläßt; vgl. Berka, a.a.O., 264). Nur bei dem (zuerst genannten) Genehmigungsbescheid könnte die Auffassung vertreten werden, daß im weitesten Sinn "die Vorschreibung von Sanierungsmaßnahmen" auch als eine Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen gewertet werden könne (Stolzlechner-Wendl-Zitta a.a.O.). Denn selbst wenn dies der Fall sein sollte, stünde ihnen ein Berufungsrecht gegen den die Vorlage eines Sanierungskonzeptes auftragenden Bescheid keinesfalls zu. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann das Berufungsrecht, wenn es nicht in der anzuwendenden Verwaltungsvorschrift abweichend geregelt ist, was hier aber nicht zutrifft, inhaltlich nicht weiterreichen als jenes rechtliche Interesse, auf dem die Parteistellung ruht, da ein prozessuales Recht als Mittel der Rechtsverfolgung nicht weiter gehen kann als das dahinterstehende materielle Recht, das im Verfahren durchgesetzt werden soll (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Juni 1971, Slg. N. F. Nr. 8032/A). Das Berufungsrecht steht daher im allgemeinen nur jenen Parteien des Verfahrens zu, deren Rechtsansprüche oder rechtliche Interessen durch den anzufechtenden Bescheid beeinträchtigt werden können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 1981, Zl. 2589/80).

Von dieser Rechtslage ausgehend erweist sich die Rechtsansicht der belangten Behörde, den Beschwerdeführern stehe ein Berufungsrecht gegen den erstbehördlichen Bescheid nicht zu, schon deshalb als frei von Rechtsirrtum, weil durch diesen Bescheid ihre rechtlichen Interessen nicht berührt werden.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995040194.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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