TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/21 L503 2185148-1

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Veröffentlicht am 21.06.2021
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Entscheidungsdatum

21.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L503 2185148-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.01.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 08.06.2021, zu Recht erkannt:

A.) I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis V. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs 1 AsylG, § 8 Abs 1 AsylG, § 57 AsylG, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs 2 Z 2, § 52 Abs 9 FPG iVm § 46 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit vier Wochen ab Rechtskraft dieses Erkenntnisses festgelegt wird.

B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: „BF“), ein irakischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 23.8.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu seiner Person befragt gab der BF in seiner am 24.8.2015 erfolgten Erstbefragung an, er stamme aus Bagdad; im Irak würden sich noch seine Eltern sowie zahlreiche Geschwister aufhalten. Den Irak habe er am 7.8.2015 legal mit dem Pkw über Erbil in Richtung Türkei verlassen. Zu seinen Fluchtgründen verwies der BF auf „den Krieg“. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

2. Am 29.11.2017 wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz: „BFA“) niederschriftlich einvernommen.

Eingangs gab der BF auf Nachfragen zu seiner Person an, er sei Araber muslimisch-sunnitischer Glaubensrichtung und stamme aus Bagdad. Er sei ledig und habe keine Kinder. Im Irak würden nach wie vor seine Eltern sowie zahlreiche Geschwister leben. Der BF habe bis zur Flucht im Elternhaus an näher genannter Adresse gelebt (AS 130). Er habe von 2011 bis Juli 2015 als Verkäufer in einem Geschäft für alkoholische Getränke in Bagdad gearbeitet. Seine Eltern würden in Bagdad ein Haus besitzen. Sein Vater sei Pensionist und erhalte eine Rente, seine Mutter sei Hausfrau; ein Bruder arbeite als Klimaanlagenmonteur, zwei Brüder seien bei der Stadt Bagdad angestellt und zwei Brüder würden als selbstständiger Taxifahrer arbeiten. Auf weiteres Nachfragen gab der BF an, seit seinem Aufenthalt in der Türkei habe er keinen Kontakt mehr mit seiner Familie, weil diese „wegen seiner Arbeit nicht mehr mit ihm rede“. Er telefoniere aber regelmäßig mit seiner Tante mütterlicherseits, die auch in Bagdad wohne (AS 131). Auf die Frage, ob der BF im Fall der Rückkehr wieder von seinen Angehörigen aufgenommen werden könnte, gab der BF an: „Ja, sie würden mich schon wieder aufnehmen, aber ich habe Probleme“ (AS 131).

Vorgelegt wurde vom BF eingangs insbesondere ein Drohbrief.

Auf die Frage nach seinen Fluchtgründen gab der BF zu Beginn an, er habe in einem Alkoholgeschäft als Verkäufer gearbeitet. Er habe einen Drohbrief „vor der Haustür des Elternhauses“ gefunden (AS 132), woraufhin er sich entschieden habe, das Land zu verlassen, weil er dort nicht leben könne. „Das ist mein ganzer Fluchtgrund, andere Gründe gibt es nicht“ (AS 132).

Die Fragen nach allfälligen Behörden im Heimatstaat, allfälligen politischen Aktivitäten sowie nach allfälligen Problemen aufgrund seines Religionsbekenntnisses bzw. seiner Volksgruppenzugehörigkeit verneinte der BF. Im Fall einer Rückkehr befürchte er, von der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq getötet zu werden. In weiterer Folge wurden dem BF die länderkundlichen Feststellungen des BFA zur Kenntnis gebracht; der BF verzichtete diesbezüglich auf Abgabe einer Stellungnahme.

Auf näheres Nachfragen zu dem Alkoholgeschäft, in dem er gearbeitet habe, gab der BF an, der Besitzer des Geschäfts sei ein Freund und Christ gewesen. Der Verkauf sei zwar offiziell erfolgt, sie hätten aber immer Angst vor den Milizen gehabt. Das Geschäft sei immer noch offen, wobei ihm dies seine Freunde sowie seine Tante erzählen würden. Auf näheres Nachfragen nach dem von ihm vorgelegten Drohbrief gab der BF auszugsweise wörtlich wie folgt an (AS 134): „A: Ich fand den Drohbrief vor der Haustür. Ich ging dann gar nicht mehr ins Elternhaus zurück, sondern sofort zum Haus der Tante. Dort blieb ich dann. F: Haben Sie Ihre Familie über den Drohbrief verständigt? A: Nein, nicht ich, sondern meine Tante machte das. Sie ging zu meinem Elternhaus und holte den Originaldrohbrief ab. Den Drohbrief im Original hat meine Tante. Vorhalt: Sie haben soeben gesagt, dass Sie den Drohbrief vor der Haustüre gefunden hätten und dass Sie dann nicht einmal mehr ins Elternhaus zurückgingen, sondern sofort zur Tante flüchteten. Wie ist es dann möglich, dass der Originaldrohbrief bei Ihren Eltern war und von der Tante geholt wurde? A: Nein, nicht ich fand den Drohbrief, sondern mein Vater. Ich war gar nicht zu Hause.“

Auf weiteres Nachfragen gab der BF an, er habe nur diesen einen Drohbrief erhalten. Es habe auch keine weitere Kontaktaufnahme seitens der Miliz mit dem BF gegeben. Auf Vorhalt, er habe seine Arbeit im Alkoholgeschäft eigenen Angaben zufolge aufgegeben, sodass nicht ersichtlich sei, warum er weiter von der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq verfolgt werden sollte, gab der BF an, er werde verfolgt, weil er in dem Geschäft gearbeitet habe. In den Augen der Miliz sei er ein Ungläubiger.

Der vom BF vorgelegte Drohbrief wurde in der Einvernahme einer Übersetzung zugeführt und hat folgenden Inhalt: Urheber: Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq, Datum: 25.7.2015. Verständigung: „An den Verbrecher A. R. A. J. A. A. Es wurde festgestellt, dass Sie Alkohol verkaufen und dass Sie Sunnit sind. Die Sunniten sind ungläubig und Verbrecher. Wir haben entschieden, dass Sie Ihr Haus innerhalb von 72 Stunden vom heutigen Datum an verlassen müssen. Wenn Sie das nicht tun, dann werden Sie getötet oder verbrannt und Ihr Haus wird auch angezündet. Das ist eine Warnung für Sie. A. S. A. H. H. a. A.“

Zu seinem Leben in Österreich gab der BF an, er lebe von der Grundversorgung, führe jedoch auch gemeinnützige Tätigkeiten im Heim durch. Er habe Deutschkurse auf Niveau A1 besucht, die Prüfung jedoch noch nicht abgelegt. In Österreich würden sich keine Angehörigen befinden oder sonstige Personen, zu denen der BF ein besonderes Naheverhältnis habe, leben.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 2.1.2018 wies das BF den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, das Fluchtvorbringen des BF – nämlich der behauptete Verkauf von Alkohol und die damit in Zusammenhang stehende Bedrohung durch die Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq – sei unglaubwürdig, zumal seine getätigten Angaben äußerst widersprüchlich seien. Zuerst habe er angegeben, dass er selbst den Drohbrief vor der Haustüre seines Elternhauses vorgefunden hätte. Seinen eigenen Angaben zufolge sei er daraufhin zu seiner Tante geflüchtet und gar nicht mehr in sein Elternhaus zurückgekehrt. Im Zuge seiner Einvernahme habe er auf konkretes Nachfragen seine Angaben dann dahingehend abgeändert, dass seine Tante seine Eltern über den Drohbrief verständigt hätte und die Tante den Drohbrief im Elternhaus abgeholt hätte. Auf Vorhalt seiner widersprüchlichen Angaben habe er seine Aussage wiederum dahingehend abgeändert, als er angab, dass nicht er selbst, sondern sein Vater den Drohbrief vorgefunden hätte und dass der BF zu diesem Zeitpunkt gar nicht zu Hause gewesen sei. Zudem habe der BF eigenen Angaben zufolge in der Zeit vom 25.7.2015 bis zum 7.8.2015 – als er seine Tätigkeit als Verkäufer bereits eingestellt habe – keine weiteren Drohungen erhalten. Dem vom BF vorgelegten Drohbrief komme keine Glaubwürdigkeit bzw. Beweiskraft zu, zumal amtsbekannt sei, dass Fälschungen von derartigen Drohbriefen leicht möglich sind. Vielmehr sei davon auszugehen, dass das Vorbringen des BF asylzweckbezogen angelegt sei, wobei tatsächlich aber keinerlei Gefahr einer Verfolgung aus einem der in der GFK angeführten Gründe gegeben sei.

Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände habe zudem nicht festgestellt werden können, dass bei einer Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak für den BF eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bestehen würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes vorliegen würde. Der BF habe keine Gefahren vorgebracht, die über sein als äußerst unglaubwürdig erachtetes Vorbringen hinausgehen würden. Eine Rückkehr nach Bagdad könne dem BF jedenfalls zugemutet werden; die Sicherheitslage dort, obgleich schwierig, stelle sich keinesfalls so dar, dass jeder einzelne Bürger der Stadt jederzeit einer unabwendbaren Bedrohung ausgesetzt wäre. Es habe zudem nicht festgestellt werden können, dass dem BF im Herkunftsland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen wäre oder dass er bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt würde. Konkret habe der BF Angehörige im Irak und verfüge demensprechend über ein soziales Auffangnetz. Der BF sei ein junger, arbeitsfähiger Mann, der einer Arbeit nachgehen könne und der auch bereits im Irak erwerbstätig gewesen sei. Der BF habe in Österreich keine nahen Familienangehörigen und hätten sonstige, relevante soziale Bindungen und/oder sonstige wirtschaftliche Anknüpfungspunkte nicht festgestellt werden können. Es hätten keine Umstände festgestellt werden können, die auf ein schützenswertes Privatleben in Österreich hinweisen würden. Seine Bindungen zum Herkunftsstaat seien stärker und nachhaltiger ausgeprägt als jene zu Österreich.

4. Mit Schriftsatz seiner damaligen Vertretung vom 31.1.2018 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 30.11.2017, wobei er zunächst nur auf seine Angaben vor dem BFA sowie weitere Ausführungen im Rahmen einer noch zu erstattenden Beschwerdeergänzung verwies.

5. Am 1.2.2018 wurde der Akt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

6. Am 14.2.2018 langte die Beschwerdeergänzung ein, in der das bisherige Vorbringen des BF im Wesentlichen wiederholt wurde und in der auf verschiedene Länderberichte verwiesen wurde.

7. Am 8.6.2021 führte das BVwG in der Sache des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Darin brachte der BF erstmals vor, er sei bereits ca. 2012, seit er als Alkoholverkäufer tätig sei, von seiner Familie verstoßen worden und werde von dieser bedroht. Hinzu würde sein bisher protokolliertes Vorbringen hinsichtlich einer Bedrohung durch die Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq kommen. Im Falle einer Rückkehr befürchte er insbesondere Verfolgung durch seine Brüder. Auf Vorhalt, dass seine gesamten bisherigen, ausführlichen Angaben vor dem BFA, aus denen klar hervorgehe, dass er bei seiner Familie gelebt und mit dieser seinerzeit offensichtlich keine gravierenden Probleme gehabt habe, mit seinem nunmehrigen Vorbringen gänzlich unvereinbar seien, gab der BF sinngemäß an, der Dolmetscher vor dem BFA habe sein gesamtes diesbezügliches Vorbringen seinerzeit falsch übersetzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF werden folgende Feststellungen getroffen:

Der BF trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am dort angeführten Datum geboren. Der BF ist Staatsangehöriger des Irak; er gehört der arabischen Volksgruppe an und spricht als Muttersprache Arabisch. Er bekennt sich zum sunnitischen Islam. Der BF stammt aus Bagdad. Er ist ledig und hat keine Kinder. In Bagdad leben nach wie vor die Mutter des BF, fünf Brüder, zwei Schwestern sowie unter anderem eine Tante. Der Vater des BF ist im Dezember 2020 an einer Covid-19-Infektion gestorben. Der BF war im Irak erwerbstätig, wobei diesbezüglich keine näheren Feststellungen getroffen werden können.

1.2. Zu den Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen des BF werden folgende Feststellungen getroffen:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Irak einer unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre. In diesem Sinne kann insbesondere nicht festgestellt werden, dass der BF –wie (bereits vor dem BFA) behauptet – als Alkoholverkäufer tätig war und aus diesem Grunde von der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq bedroht wurde oder er - wie (erstmals vor dem BVwG) ergänzend behauptet – wegen seines (ohnedies nicht feststellbaren) Alkoholverkaufs auch durch seine eigene Familie bedroht wurde.

Es kann auch keine sonstige Gefahr einer Verfolgung für den BF im Fall seiner Rückkehr festgestellt werden. Ebenso wenig kann eine maßgebliche, sonstige Gefahr für Leib und Leben des BF im Fall der Rückkehr in den Irak festgestellt werden.

1.3. Zur Lage des BF im Fall einer Rückkehr:

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF im Fall der Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. Der BF ist gesund und arbeitsfähig und lebt seine Familie im Irak.

1.4. Zum Privat- und Familienleben des BF in Österreich:

Der BF reiste im August 2015 illegal und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein. Er spricht kaum Deutsch und hat keine Deutschprüfung abgelegt.

In Österreich ist der BF nicht erwerbstätig, er hat jedoch in seiner Unterkunft sowie für die Gemeinde gemeinnützige Tätigkeiten (Putzdienste, Hausmeistertätigkeiten, Landschaftspflege) durchgeführt. Er lebt von der Grundversorgung. Er verfügt aktuell über eine Einstellungszusage eines Restaurants.

In Österreich leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des BF. Er hat verschiedene Freunde, mit denen er z. B. Fußball spielt.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Zur Lage im Irak wird auf das vom Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 8.6.2021 in das Verfahren eingebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak, Gesamtaktualisierung am 17.3.2020, sowie den Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020 verwiesen, in denen eine Vielzahl von Berichten diverser allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt werden. Insoweit die Berichtslage konkret im gegenständlichen Verfahren relevant ist (vor allem betreffend die Sicherheitslage im Irak), wird darauf unten im Rahmen der Beweiswürdigung betreffend die Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen des BF näher eingegangen. Ergänzend sei zum Thema Covid-19 auch auf den Bericht von IOM Iraq, COVID-19 Response Overview #7, 7 – 28 December 2020, verwiesen, der in der Beschwerdeverhandlung ebenso in das Verfahren eingebracht wurde.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des BF:

Die zur Identität des BF getroffenen Feststellungen beruhen einerseits auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des BF und andererseits auf den vom BF vorgelegten Dokumenten (Personalausweis, Staatsbürgerschaftsnachweis). Glauben zu schenken war den Angaben des BF auch insofern, als er im Irak erwerbstätig gewesen sei; lediglich im Hinblick auf die von ihm konkret ins Treffen geführte Tätigkeit war dem BF die Glaubwürdigkeit zu versagen und konnten insofern keine Feststellungen getroffen werden, wobei diesbezüglich auf die zu den Fluchtgründen des BF getroffenen Ausführungen verwiesen sei. Die getroffenen Feststellungen, wonach die erwähnten Angehörigen des BF nach wie vor im Irak wohnen, beruhen auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des BF.

2.2. Zu den Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen oder sonstigen Gefährdungen des BF:

2.2.1. Der BF hat bei seiner Befragung vor dem BFA am 29.11.2017 vorgebracht, er wäre ca. drei Jahre lang als Verkäufer in einem Alkoholgeschäft tätig gewesen und habe aus diesem Grunde am 25.7.2015 einen Drohbrief der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq (welchen er in Kopie in Vorlage brachte) erhalten, woraufhin er den Irak am 7.8.2015 mit dem Pkw legal in die Türkei verlassen habe. Auch seine Beschwerde vom 31.1.2018 bzw. seine Beschwerdeergänzung vom 13.2.2018 stützt sich ausschließlich auf dieses Vorbringen.

2.2.2. Wie bereits das BFA zutreffend dargelegt hat, erwies sich das diesbezügliche Vorbringen des BF bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens als äußerst unglaubwürdig:

Eingangs ist dazu anmerken, dass der BF bei seiner Erstbefragung auf die Frage nach seinen Fluchtgründen lediglich auf den „Krieg“ verwies, sodass er um sein Leben fürchte (AS 17). In diesem Zusammenhang wird keinesfalls verkannt, dass die Erstbefragungen sehr kurz gehalten sind und dass der BF auf diesbezügliches Nachfragen bei seiner späteren Einvernahme vor dem BFA angab, die seinerzeitigen Angaben bei der Erstbefragung würden stimmen, allerdings sei es nur eine sehr kurze Befragung gewesen und habe er nicht alle Fluchtgründe schildern können (AS 129). Dies ändert aber nichts daran, dass sich der BF später gerade nicht mehr auf den „Krieg“ berief, sondern eine konkrete Verfolgung durch eine Miliz wegen seiner Tätigkeit als Verkäufer von Alkohol ins Spiel brachte. Insofern besteht doch eine erhebliche Divergenz zwischen den Angaben des BF bei seiner Erstbefragung und jenen im weiteren Verlauf des Verfahrens.

Ganz abgesehen davon hat bereits das BFA treffend aufgezeigt, dass das Vorbringen des BF nicht den Tatsachen entsprechen kann. So schilderte der BF zum Auffinden des Drohbriefs verschiedene Versionen, die nicht miteinander vereinbar sind (AS. 132, 134): „Ich wurde von den Milizen Asa’ib Ahl al-Haqq am 25.07.2015 bedroht. Ich fand den Drohbrief vor der Haustür des Elternhauses“ (AS. 132). … „A: Ich fand den Drohbrief vor der Haustür. Ich ging dann gar nicht mehr ins Elternhaus zurück, sondern sofort zum Haus der Tante. Dort blieb ich dann. F: Haben Sie Ihre Familie über den Drohbrief verständigt? A: Nein, nicht ich, sondern meine Tante machte das. Sie ging zu meinem Elternhaus und holte den Originaldrohbrief ab. Den Drohbrief im Original hat meine Tante. Vorhalt: Sie haben soeben gesagt, dass Sie den Drohbrief vor der Haustüre gefunden hätten und dass Sie dann nicht einmal mehr ins Elternhaus zurückgingen, sondern sofort zur Tante flüchteten. Wie ist es dann möglich, dass der Originaldrohbrief bei ihren Eltern war und von der Tante geholt wurde? A: Nein, nicht ich fand den Drohbrief, sondern mein Vater. Ich war gar nicht zu Hause“ (AS. 134). Bereits hier verstrickte sich der BF in deutliche Widersprüche, als er einerseits angab, er selbst habe den Drohbrief (beim Elternhaus) aufgefunden, andererseits aber angab, der Drohbrief habe sich zwar beim Elternhaus befunden, allerdings habe sein Vater den Drohbrief gefunden und habe seine Tante diesen dort abgeholt.

In der Beschwerdeverhandlung präsentierte der BF wieder eine andere „Version“ hinsichtlich des Auffindens des Drohbriefes: So habe er – was er im Übrigen ebenso erstmals in der Beschwerdeverhandlung vorbrachte (siehe dazu weiter unten) - gar nicht im Elternhaus gelebt, sondern in der Wohnung des Inhabers des Alkoholgeschäfts, mit dem der BF auch befreundet gewesen sei. Den Drohbrief habe seine Tante zufällig aufgefunden, als sie gerade am Haus des Geschäftsinhabers „vorbeiging“ (Verhandlungsschrift S. 8), wobei er ergänzend anmerkte, dass seine Tante eine heimliche Beziehung mit dem Geschäftsinhaber geführt habe. Noch bemerkenswerter wurden die weiteren Angaben des BF im Verlauf der Beschwerdeverhandlung, als er angab, er habe den Drohbrief im Original niemals zu Gesicht bekommen: Nach dem Auffinden des Drohbriefes habe die Tante den BF nur telefonisch über den Inhalt des Drohbriefes in Kenntnis gesetzt (Verhandlungsschrift S. 8, 9). Der BF habe seine Tante daraufhin gebeten, den Drohbrief zu behalten und die Tante habe dem BF geraten, nicht mehr nach Hause zurückzukehren. Daraufhin sei der BF (gemeint: bis zur Ausreise) „gependelt von einem Ort in den anderen, zu Freunden, Bekannten“ (Verhandlungsschrift S. 8). Auch dies steht im Übrigen im klaren Widerspruch zu seinen bisherigen Angaben vor dem BFA, wonach er „nicht mehr ins Elternhaus zurückgegangen“, sondern „sofort zum Haus der Tante“ gegangen sei und „dort dann blieb“ (AS 134); von einem wechselnden Aufenthalt bei verschiedenen Freunden oder Bekannten war seinerzeit keine Rede. Im weiteren Verlauf der Beschwerdeverhandlung gab der BF zu seinen nachfolgenden Kontakten mit seiner Tante im Übrigen wie folgt an: „Zwei bis drei Tage nach dem Anruf meiner Tante traf ich mich heimlich mit meiner Tante. Ich gab ihr den Hausschlüssel und ich machte mit ihr einen zweiten Termin aus. Am selben Tag, an dem ich ihr den Hausschlüssel meines Freundes gab, traf ich mich mit ihr heimlich und nahm meine Sachen und die meines Freundes. Sie hat uns unsere privaten Gegenstände wie zB Dokumente gebracht. Am selben Tag am Abend traf ich mich mit ihr und sie brachte uns die Sachen“ (Verhandlungsschrift S. 8/9).

Abgesehen von den eklatanten Widersprüchlichkeiten im Vergleich zu seinen Angaben vor dem BFA wird hierbei auch die gänzliche Unplausibilität des Vorbringens des BF ersichtlich: So gab der BF, wie bereits erwähnt, in der Beschwerdeverhandlung an, er habe den Drohbrief im Original überhaupt nie zu Gesicht bekommen; seine Tante habe ihm diesen per WhatsApp geschickt (Verhandlungsschrift S. 8), und zwar erst, als er sich schon in der Türkei aufgehalten habe (Verhandlungsschrift S. 9). Der BF will also den Irak wegen eines Drohbriefes verlassen haben, den er (seinerzeit) gar nicht zu Gesicht bekomme hat. Daran vermag auch der Einwand des BF auf den diesbezüglichen Vorhalt in der Beschwerdeverhandlung, seine Tante habe ihm den Drohbrief ja am Telefon vorgelesen und es sei klar, dass man als Alkoholverkäufer mit dem Feuer spiele, bzw. hätte er auch Angst gehabt, den Drohbrief auf der Flucht zu verlieren (Verhandlungsschrift S. 9), nichts zu ändern. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich der BF seinen nunmehrigen Angaben zufolge mit seiner Tante, die den Drohbrief aufbewahrt habe, vor seiner Ausreise noch zweimal getroffen habe, um Schlüssel und persönliche Gegenstände wie insbesondere Dokumente entgegen zu nehmen (Verhandlungsschrift S. 8/9), ist es völlig unplausibel und steht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass sich der BF den Drohbrief trotz Gelegenheit nicht zumindest zeigen ließ, ehe er wegen dieses Drohbriefes den Irak verlassen haben will.

All dies zeigt deutlich auf, dass es sich beim gesamten Vorbringen des BF um ein Konstrukt handelt. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass dem vom BF in Form eines Computerausdrucks (und per Messenger-Dienst übermittelten) vorgelegten Drohbrief vor dem Hintergrund der dargelegten Erwägungen keinerlei Beweiswert zukommt. Ergänzend sei auch angemerkt, dass der BF vor dem BFA am 29.11.2017 angab, von Freunden und seiner Tante wisse er, dass das Alkoholgeschäft, in dem er gearbeitet habe, immer noch geöffnet sei (AS. 134). Auch insofern ist wenig plausibel, dass der Geschäftsinhaber sein Geschäft weiter betreiben kann, dass aber der BF als bloßer Angestellter wegen dieser Tätigkeit den Irak hätte verlassen müssen. Betont wird jedoch nochmals, dass aufgrund der massiven Widersprüche im Vorbringen des BF bereits dessen Tätigkeit in einem Alkoholgeschäft dem Grunde nach als unglaubwürdig erachtet wird. Was den sinngemäßen Einwand des BF in der Beschwerdeverhandlung anbelangt, der Dolmetscher vor dem BFA habe alles falsch übersetzt, so sei auf die Ausführungen weiter unten verwiesen.

2.2.3. Was das erstmals in der Beschwerdeverhandlung erstattete Vorbringen, ein (weiterer) Hauptgrund für die Flucht sei eine Bedrohung durch seine Familie gewesen, wobei er von seiner Familie bereits seit dem Verkauf von Alkohol ab dem Jahr 2012 verstoßen worden sei, so ist zunächst anzumerken, dass der BF trotz Gelegenheit Derartiges weder bei seiner Erstbefragung, noch bei seiner ausführlichen Befragung vor dem BFA geschildert hat. Vielmehr entstand der Eindruck, als wäre dem BF im Laufe des Verfahrens bewusst geworden, dass sein bisheriges (äußerst widersprüchliches) Vorbringen hinsichtlich der Bedrohung durch Asa’ib Ahl al-Haqq wegen seines angeblichen Alkoholverkaufes kaum geeignet ist, zu einer für ihn positiven Entscheidung zu führen, sodass er noch eine Bedrohung durch seine Angehörigen konstruierte; vgl. die diesbezüglichen – erstmaligen - Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung (Verhandlungsschrift S. 6): „P: Ich bekam massive Probleme mit meiner Familie, besonders mit meinen Brüdern. Sie haben mich geschlagen und beleidigt. Ich wurde auch von meinen Brüdern bedroht, dass sie mich töten werden, wenn ich diese Arbeit nicht auf der Stelle verlassen würde und dass sie mich zuerst foltern und einen Krüppel aus mir machen würden. Da dieser Beruf eine Schande ist und ich für die Familie eine Schande bin. VR: Wie oft haben Sie Ihre Brüder gesehen, seit Sie Ihre Arbeit im Alkoholgeschäft aufgenommen haben? P: Gesehen kann ich nicht sagen, sie haben mich erwischt, es war zwei oder dreimal, da ich nie an einem Ort war, ich pendelte umher, dass sie mich nicht fassen können.“

Nicht verkannt wird in diesem Zusammenhang, dass der BF zwar bereits vor dem BFA auf Nachfragen angab, er habe (erst) seit seiner Flucht, konkret seit er sich dabei in der Türkei aufgehalten habe, keinen Kontakt mehr zu seiner Familie; „Meine Familie redet wegen meiner Arbeit nicht mehr mit mir“ (AS. 131), was auch noch insofern mit seinen vorherigen Angaben vereinbar ist, wonach er „bis zur Flucht“ an näher genannter Adresse im „Elternhaus“ gelebt habe (AS. 130). Zwischen Nicht-mehr-reden-wollen seit der Ausreise und einer (jahrelangen) Bedrohung mit dem Tod durch Angehörige noch während des Aufenthalts im Irak besteht aber doch ein erheblicher Unterschied. Darüber hinaus gab der BF vor dem BFA im selben Zug auf die Frage, ob er wieder bei seinen Angehörigen leben könnte, an: „Ja, sie würden mich schon wieder aufnehmen, aber ich habe Probleme“ (AS. 131). Auch in seiner ausführlichen Beschwerdeergänzung vom 13.2.2018 (S. 5) moniert der BF die Feststellungen des BFA zu Unterstützungsmöglichkeiten durch seine Familie nur insofern, als er „nur noch sehr eingeschränkten Kontakt mit seinen Familienangehörigen in Bagdad habe. Diese Einschränkung fuße auf seiner Tätigkeit, Alkohol verkauft zu haben – dies habe seine Familie nie akzeptieren können. Dass der Beschwerdeführer auf ausreichend familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsstaat zurückgreifen kann und ausreichend Unterstützung von diesen erfahren wird, wird ausdrücklich bestritten“. Auch insofern ist davon auszugehen, dass der BF, wenn er tatsächlich einer Gefährdung von Seiten seiner Familie unterliegen würde, in seiner ausführlichen Beschwerdeergänzung nicht bloß auf den Mangel einer ausreichenden Unterstützung durch seine Familie, sondern vielmehr auf eine Bedrohung durch diese hingewiesen hätte.

Dass vor diesem Hintergrund nunmehr die Familie selbst ein wesentliches Gefährdungsmoment darstellen soll – und auch bereits immer (und zwar schon seit 2012 [!]) dargestellt haben soll und auch ein Hauptgrund für die Ausreise des BF gewesen sein soll – stellt eine massive Steigerung des Vorbringens dar und ist vor dem Hintergrund der dargelegten Erwägungen geradezu denkunmöglich. Es ist somit davon auszugehen, dass die Familie des BF für diesen im Fall einer Rückkehr keinerlei Bedrohung darstellt.

Dieses Bild ergibt sich im Übrigen auch zwingend bei näherer Betrachtung der Angaben des BF vor dem BFA. Wie bereits erwähnt, gab der BF hier eingangs zu seinen Personalien an, er habe „bis zur Flucht“ an näher genannter Adresse im „Elternhaus“ gelebt (AS. 130). Dies präzisierte der BF dann im weiteren Verlauf der Befragung insofern, als er nach dem Auffinden des Drohbriefs „gar nicht mehr ins Elternhaus zurückgegangen“, sondern „sofort zum Haus der Tante“ gegangen und dort (die wenigen Tage bis zur Ausreise) geblieben sei (AS. 134). Zuvor hatte der BF in diesem Sinne auch konkret und unmissverständlich angegeben „Ich fand den Drohbrief vor der Haustür des Elternhauses“ (AS. 132). Auf Vorhalt der Widersprüchlichkeiten zum Auffinden des Drohbriefs gab der BF vor dem BFA dann weiters an, sein Vater habe den Drohbrief aufgefunden (AS. 134). All dies belegt klar, dass der BF – seinen damaligen Angaben zufolge – im Elternhaus gelebt oder zumindest in gewöhnlichem Kontakt mit seinen Eltern gestanden sein muss. Dies schließt aber die nunmehrigen Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung aus, wonach er immer auf der Flucht gewesen sei, damit ihn seine Brüder nicht „erwischen“ und wonach er in Anbetracht der jahrelangen Bedrohungslage sein Elternhaus keinesfalls mehr aufgesucht, geschweige denn dort gelebt habe. Wenn der BF auf den diesbezüglichen Vorhalt in der Beschwerdeverhandlung angibt, er sei bis zur Ausreise bei seinen Eltern im Irak (nur) behördlich gemeldet gewesen, ohne dort zu wohnen, und er habe dies dem Dolmetscher auch gesagt (Verhandlungsschrift S. 7), so stellt sich dies in Anbetracht der zahlreichen Angaben des BF, aus denen klar auch ein faktischer Wohnsitz des BF bei seinen Eltern hervorgeht, als bloße Schutzbehauptung dar.

2.2.4. Nicht verkannt wird, dass der BF in der Beschwerdeverhandlung auf Vorhalt der zahlreichen Widersprüchlichkeiten angab, seine Angaben vor dem BFA seien zumeist falsch übersetzt würden, „da der Dolmetscher Palästinenser war“ (Verhandlungsschrift S. 6), er habe den Dolmetscher wegen dessen Dialekts auch „nicht gut verstanden“ und er sei diesbezüglich „kein Einzelfall“ (Verhandlungsschrift S. 7). Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass das Einvernahmeprotokoll des BFA dem BF nachweislich rückübersetzt worden war und hatte der BF in der Beschwerdeverhandlung auf Nachfragen auch eine seinerzeitige Rückübersetzung ausdrücklich bestätigt (Verhandlungsschrift S. 7); zudem geht aus dem Einvernahmeprotkoll des BFA klar hervor, dass der BF mehrfach gefragt wurde, ob es irgendwelche (Verständigungs-)probleme gegeben hat oder er noch etwas ergänzen möchte (AS. 137): „F: Hatten Sie während dieser Befragung irgendwelche Probleme? A: Nein, ich hatte keine Probleme. F: Haben Sie alles verstanden bzw. konnten Sie der Vernehmung ohne Probleme folgen? A: Ja, ich habe alles verstanden und konnte der Vernehmung ohne Probleme folgen. F: Haben Sie den Dolmetscher während der gesamten Befragung einwandfrei verstehen können? A: Ja, ich konnte den Dolmetscher sehr gut verstehen und habe alles verstanden. F: Haben Sie alles verstanden was Sie gefragt wurden, sowohl von der Sprache als auch vom Verständnis her? A: Ja. F: Wollen Sie abschließend noch etwas anführen? A: Nein, ich habe nichts mehr zu sagen. Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt. Nach erfolgter Rückübersetzung: F: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde Ihre Einvernahme richtig und vollständig protokolliert? A: Es war alles korrekt. Es hat alles gepasst. Ich habe nichts mehr hinzuzufügen.“

Gerade vor dem Hintergrund, dass dem BF das seinerzeitige Einvernahmeprotokoll unbestritten rückübersetzt wurde, erweist sich das nunmehrige Vorbringen einer grundlegend falschen Übersetzung durch den seinerzeitigen Dolmetscher als Schutzbehauptung, zumal nicht erhellt, warum allfällige Fehler nicht im Rahmen der Rückübersetzung hervorkommen hätten sollen und warum der BF explizit angab, alles sei „korrekt“ übersetzt worden und er habe nichts mehr hinzuzufügen. In dieses Bild fügt sich im Übrigen auch der Umstand, dass der BF weder in seiner Beschwerde, noch in seiner ausführlichen Beschwerdeergänzung allfällige Übersetzungsfehler ins Treffen führte. Ganz abgesehen davon sind gegenständlich nicht etwa vereinzelt Divergenzen aufgetreten, die allenfalls noch mit Missverständnissen bei der Übersetzung hätten erklärt werden können, sondern bestehen mehrfache, massive Widersprüchlichkeiten, die in ihrer Gesamtheit denkunmöglich dem seinerzeitigen Dolmetscher angelastet werden können.

2.2.5. Zusammengefasst ist dem gesamten, individuellen Fluchtvorbringen des BF – nämlich, dass er – wie (bereits vor dem BFA) behauptet – als Alkoholverkäufer tätig war und aus diesem Grunde von der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq bedroht wurde oder dass er - wie (erstmals vor dem BVwG) ergänzend behauptet – wegen seines Alkoholverkaufs auch durch seine eigene Familie bedroht wurde, die Glaubwürdigkeit zu versagen und war somit zur obigen Feststellung zu gelangen. Es konnte folglich nicht festgestellt werden, dass der BF in dieser Hinsicht im Irak einer unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre. In Anbetracht der generellen Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des BF braucht auch nicht weiter auf die vom Vertreter des BF in der Beschwerdeverhandlung erwähnte Berichtslage hinsichtlich der Stigmatisierung und Gefährdung von Alkoholverkäufern im Irak eingegangen zu werden.

2.2.6. Auch wenn der BF Probleme wegen seiner Glaubensrichtung per se nicht ins Treffen führte bzw. solche vor dem BFA von staatlicher Seite sogar explizit verneint hatte (vgl. AS. 133: „Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion – Moslem/Sunnit – verfolgt? A: Nein“; in dem vom BF vorgelegten Drohbrief wird allerdings schon auf die sunnitische Glaubensrichtung des BF verwiesen, wobei dazu aber auf die obigen Ausführungen verweisen sei, wonach das gesamte diesbezügliche Vorbringen unglaubwürdig ist), so ist der Vollständigkeit halber doch darauf hinzuweisen, dass der BF der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam angehört. Mit 17 bis 22 % Anteil an der Bevölkerung mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak bilden (arabische) Sunniten eine der wichtigsten – nach den (arabischen) Schiiten mit 60 bis 65 % die zweitgrößte – ethnisch-religiöse Gruppierung im Irak. Aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020, S. 7 f). Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach Entmachtung Saddam Husseins 2003 insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 – 2014) aus öffentlichen Positionen gedrängt. Anerkannte Führungspersönlichkeiten fehlen weitgehend. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als "IS"-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher "IS"-Anhänger (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020, S. 18). Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Hinzu kommt eine Stigmatisierung, unter der Sunniten oftmals automatisch als "IS"-Unterstützer gesehen werden. Ehemalige "IS"-Kämpfer oder Personen, die dessen beschuldigt werden, werden aktuell in großer Zahl (Details werden von der Regierung nicht preisgegeben) mit unzulänglichen Prozessen zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt und häufig auch hingerichtet (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020, S. 13). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für den Irak, Gesamtaktualisierung am 17.3.2020, S. 79).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Lage der Sunniten im Irak somit vielfach als schwieriger darstellt als jene der schiitischen Mehrheit und es immer wieder zu gegen Sunniten gerichteten Verfolgungshandlungen und Vertreibungen, primär wegen (unterstellter) IS-Anhängerschaft gekommen ist. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass jeder Sunnit im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte, sondern ist dies eine Frage der individuellen Beurteilung. Im Fall des BF – dessen individuelles Fluchtvorbringen für unglaubwürdig befunden wurde – ist nicht ersichtlich, dass diesem bis zu seiner Ausreise aus dem Irak jemals (etwa vonseiten schiitischer Milizen) eine IS-Anhängerschaft oder auch nur Sympathien für den IS zur Last gelegt worden wären; derartiges behauptete der BF im Verfahren auch nicht. Vor dem Hintergrund, dass der BF bereits seit beinahe sechs Jahren in Österreich lebt und der IS im Irak mittlerweile (seit Dezember 2017) als territorial besiegt gilt, erscheint es auch nicht als besonders wahrscheinlich, dass gerade dem BF bei einer Rückkehr in den Irak nunmehr eine IS-Anhängerschaft unterstellt würde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass verschiedene Familienmitglieder des BF (Mutter, zahlreiche Geschwister, Tante) nach wie vor in Bagdad leben, wobei der BF auf Nachfragen in der Beschwerdeverhandlung anmerkte, diesen gehe es „nicht wirklich gut“, und zwar „wegen der Lage“, was er dann insofern präzisierte, als es im Irak „keine Sicherheit“ gebe, zumal es „jeden Moment eine Explosion geben“ könne (Verhandlungsschrift S. 5). Die sunnitische Glaubensrichtung erwähnte der BF hier aber in keiner Weise und ist somit davon auszugehen, dass diese – jedenfalls im Umfeld des BF und seiner Familie – keine wesentliche Rolle spielt.

2.2.7. Die Gefahr einer Verfolgung des BF aus sonstigen Gründen wurde nicht behauptet und sind im Verfahren auch keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen.

Der BF konnte damit im Ergebnis keine asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat glaubhaft machen.

2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

2.3.1. Zur Sicherheitslage im Irak:

Im Hinblick auf die Sicherheitslage im Irak wird im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak (Gesamtaktualisierung am 17.3.2020) auszugsweise wie folgt ausgeführt:

Zur allgemeinen Sicherheitslage (S. 14):

"Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat […]. Die Sicherheitslage hat sich seitdem verbessert […]. Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete […].

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren […]. […]"

Zur Sicherheitslage in Bagdad (S. 21 ff):

"Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden […].

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden […]. Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt […]).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen […], doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen […]. Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden […].

Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet […]. Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad […].

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet […], im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten […]. Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar […]

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren […].“

Wenngleich die Berichte noch ein durchaus problematisches Bild von der Sicherheitslage im Irak – so auch, wie gegenständlich relevant, in Bagdad – zeichnen, kann daraus nach Ansicht des erkennenden Gerichtes aber nicht abgeleitet werden, dass gleichsam jeder, der dorthin verbracht wird, einer maßgeblichen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt ist. Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung des BF wurde bereits verneint; eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des BF allein aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage kann – auch vor dem Hintergrund, dass seine Mutter und seine Geschwister weiterhin im Irak leben – nicht festgestellt werden.

2.3.2. Zur Versorgungs- und Wirtschaftslage im Irak:

Im Hinblick auf die Grundversorgung im Irak wird im Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020, auszugsweise wie folgt ausgeführt (S. 25):

"Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Jenseits des Ölsektors – daraus stammen 90% der Staatseinnahmen – verfügt Irak kaum über eigene Industrie. Der Hauptarbeitgeber ist die öffentliche Hand. Über 4 Mio. der geschätzt 38 Mio. Iraker sind Staatsbedienstete.

Öffentliche Gehälter wurden in den letzten Jahren aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise gar nicht oder erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt. Nach Angaben der Weltbank (2018) leben über 70 % der Iraker in Städten, wobei die Mehrzahl der Stadtbewohner in prekären Verhältnissen lebt, ohne ausreichenden Zugang zu öffentlichen Basis-Dienstleistungen. Bedürftige erhalten Lebensmittelgutscheine, mit denen sie in speziellen staatlichen Geschäften einkaufen können. Die vom "IS" befreiten Gebiete sind immer noch stark durch improvisierte Sprengfallen oder nicht-explodierte Kampfmittel kontaminiert. Einige Städte und Siedlungen sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv von UNDP und internationalen Gebern unterstützt. Deutschland ist seit 2014 mit kumuliert ca. 2 Mrd. Euro einer der größten Geber.

Über die befreiten Gebiete hinaus ist im gesamten Land die durch Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur stark sanierungsbedürftig. Die Versorgungslage ist für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Nach Angaben der WHO (2014) leben 17% der Bevölkerung unterhalb der internationalen Armutsgrenze (1,90 USD/Tag). Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt.

Die Stromversorgung ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht. Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen. In der RKI erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag, insbesondere im Sommer und Winter (höherer Verbrauch durch Klimatisierung und Heizperiode).

Die Wasserversorgung leidet unter völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen. Sie führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Hinzu kommt Verschmutzung durch (Industrie-)Abfälle. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. Kritisch wird die Wasserversorgung in den Sommermonaten immer wieder in der Hafenstadt Basra (ca. 2 Mio. Einwohner), die insbesondere im Sommer 2018 unter einer Wasserkrise litt. Über 100.000 Fälle von registrierten Magen-Darm-Erkrankungen waren auf die schlechte Wasserqualität zurückzuführen."

Im Hinblick auf die Grundversorgung und Wirtschaft im Irak wird im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak (Gesamtaktualisierung am 17.3.2020), auszugsweise wie folgt ausgeführt:

Zur Wirtschaftslage (S. 134 f):

"Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mossul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im April 2019 […]. Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre. Während das BIP 2016 noch um 11% wuchs, verzeichnete der Irak 2017 ein Minus von 2,1%. 2018 zog die Wirtschaft wieder an und verzeichnete ein Plus von ca. 1,2% aufgrund einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitsbedingungen und höherer Ölpreise. Für 2019 wurde ein Wachstum von 4,5% und für die Jahre 2020–23 ebenfalls ein Aufschwung um die 2-3%-Marke erwartet […]

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar […]. Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Der Irak besitzt kaum eigene Industrie jenseits des Ölsektors. Hauptarbeitgeber ist der Staat […]

Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Unterbeschäftigung ist besonders hoch bei IDPs. Fast 24% der IDPs sind arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 17% im Landesdurchschnitt). Ein Fünftel der wirtschaftlich aktiven Jugendlichen ist arbeitslos, ein weiters Fünftel weder erwerbstätig noch in Ausbildung […].

Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen […]. Während sie 2012 bei 18,9% lag, stieg sie während der Krise 2014 auf 22,5% an […]. Einer Studie von 2018 zufolge ist die Armutsrate im Irak zwar wieder gesunken, aber nach wie vor auf einem höheren Niveau als vor dem Beginn des IS-Konflikt 2014, wobei sich die Werte, abhängig vom Gouvernement, stark unterscheiden. Die südlichen Gouvernements Muthanna (52%), Diwaniya (48%), Maisan (45%) und Dhi Qar (44%) weisen die höchsten Armutsraten auf, gefolgt von Ninewa (37,7%) und Diyala (22,5%). Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen […]. Die Regierung strebt bis Ende 2022 eine Senkung der Armutsrate auf 16% an […].

Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Arbeitsmöglichkeiten haben im Allgemeinen abgenommen. Die monatlichen Einkommen im Irak liegen in einer Bandbreite zwischen 200 und 2.500 USD (Anm.: ca. 185-2.312 EUR), je nach Position und Ausbildung. Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD (Anm.: ca. 0,9 EUR) pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land sind derzeit keine dieser Weiterbildungsprogramme, die nur durch spezielle Fonds zugänglich sind, aktiv […]."

Zur Nahrungsmittelversorgung (S. 136):

"Etwa 1,77 Millionen Menschen im Irak sind von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, ein Rückgang im Vergleich zu 2,5 Millionen Betroffenen im Jahr 2019 […]. Die meisten davon sind IDPs und Rückkehrer. Besonders betroffen sind jene in den Gouvernements Diyala, Ninewa, Salah al-Din, Anbar und Kirkuk […]. 22,6% der Kinder sind unterernährt […].

[…]

Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen (K4D 18.5.2018; vgl. USAID 30.9.2019). Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schwerer Ineffizienz gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 11.3.2020)."

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht nicht, dass sich die Versorgungslage im Irak zum Teil als problematisch darstellt; die Berichtslage deutet aber in keiner Weise auf exzeptionelle Umstände, wie Hungersnöte, Naturkatastrophen oder vergleichbare die gesamte Bevölkerung betreffende Notstandssituationen hin. Es kann im konkreten Fall nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. Der BF leidet an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung, ist arbeitsfähig und hat keine Sorgepflichten. Der BF verfügt im Irak über eine mehrjährige Schulbildung und war bereits erwerbstätig, wobei zu seiner konkreten Tätigkeit keine näheren Feststellungen getroffen werden können. Es spricht nichts dagegen, dass der BF wie bisher durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Irak für seinen Lebensunterhalt sorgen könnte.

Der BF verfügt im Irak auch über soziale Anknüpfungspunkte in Form seiner in Bagdad lebenden Mutter, zahlreicher Geschwister und einer Tante. Es wird zwar nicht verkannt, dass der BF bei seiner Befragung vor dem BFA vorbrachte, er habe zu seiner Familie – mit Ausnahme seiner Tante – wegen seiner Tätigkeit als Alkoholverkäufer keinen Kontakt mehr und dass er in der Beschwerdeverhandlung vorbrachte, von seiner Familie – konkret seinen Brüdern – gehe vielmehr, seit er als Alkoholverkäufer tätig gewesen sei, eine Bedrohung aus bzw. sei er von seiner Familie (seit Beginn seiner Tätigkeit als Alkoholverkäufer an) „verstoßen“ worden. In diesem Zusammenhang ist jedoch auf die obige Beweiswürdigung zu verweisen, wonach dem Vorbringen des BF hinsichtlich seines ausgeübten Berufs und einer daraus resultierenden Gefährdung die Glaubwürdigkeit gänzlich zu versagen ist. Vor diesem Hintergrund können zwar keine näheren Feststellungen hinsichtlich der tatsächlichen Intensität der Bindungen des BF zu seiner Familie und (mit Ausnahme seiner Tante, mit der er eigenen Angaben in der Beschwerdeverhandlung zufolge – vgl. Verhandlungsschrift S. 5 - in regelmäßigem telefonischem Kontakt steht) zur Häufigkeit allfälliger telefonischer Kontakte getroffen werden, vor dem Hintergrund der Unglaubwürdigkeit des individuellen Vorbringens des BF ist jedoch nicht davon auszugehen, dass er – im Falle von Anfangsschwierigkeiten – nicht zumindest für eine Übergangszeit bis zur Aufnahme einer Beschäftigung durch seine Familie unterstützt werden könnte. Es ist jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass der BF seine grundlegenden Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit befriedigen können wird, ohne dass es der Unterstützung durch ein familiäres Netzwerk bedürfte, zumal der BF im Verfahren auch nicht behauptet hat, dass es ihm im Irak nicht möglich wäre, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

Der BF ist als irakische Staatsbürger außerdem berechtigt, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt.

Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass der BF im Fall einer Rückkehr in den Irak seine notwendigen Lebensbedürfnisse befriedigen könnte und nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

2.3.3. Zur medizinischen Versorgung im Irak:

Eine beim BF aktuell bestehende, schwere oder lebensbedrohliche Erkrankung konnte nicht festgestellt werden.

Im Hinblick auf die medizinische Versorgung im Irak wird im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak (Gesamtaktualisierung am 17.3.2020) auszugsweise wie folgt ausgeführt (S. 138 f):

"Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen […]. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen […].

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt […]. Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung […]. In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen […]. Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend […]. Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren […].

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen […]. Für das Jahr 2020 werden in Flüchtlingslagern der kurdischen Gouvernements Dohuk und Sulaymaniyah erhebliche Lücken in der Gesundheitsversorgung erwartet, die auf Finanzierungsengpässe zurückzuführen sind […]."

Angesichts des Umstandes, dass keine beim BF keine schwere oder lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt, stellt seine Rückverbringung keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar; dies wurde im Verfahren auch nicht behauptet.

2.3.4. Zur Situation im Irak im Zusammenhang mit der aktuellen COVID-19-Pandemie:

Der BF ist gesund und gehört bei Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht der Risikogruppe für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung an (vgl. dazu die Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe vom 7.5.2020, BGBl. II Nr. 203/2020).

Im Irak gab es bisher insgesamt 1.259.683 bestätigte COVID-19-Fälle, 16.736 Personen sind bis dato verstorben (Stand 15.6.2021). Dies bedeutet 3.131 Fälle pro 100.000 Menschen (welt-weit tagesaktuelle Statistiken abgerufen unter www.covid19.who.int). In Relation ist diese Zahl wesentlich niedriger als jene in Österreich (7.242 Fälle pro eine 100.000 Menschen). Für den Irak weist diese Zahl nicht auf eine völlig außer Kontrolle geratene Ausbreitung des Virus hin und wurde im Irak ausweislich des im Anschluss zitierten Berichts von IOM Iraq eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen (vgl. zu den aktuellen vom irakischen Staat getroffenen Maßnahmen auch www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/irak-node/iraksicherheit/202738).

Im Bericht von IOM Iraq, COVID-19 Response Overview #7, 7 – 28 December 2020 – der vom BVwG im Rahmen der Beschwerdeverhandlung am 8.6.2021 in das Verfahren eingebracht wurde - wird die COVID-19-Situation im Irak eingehend dargestellt, wobei darin etwa auch wie folgt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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