Entscheidungsdatum
13.07.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W168 2184464-1/29E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.12.2017, Zl. 1105468702/160232513, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.06.2021, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 14.02.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.
2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des BF am selben Tag führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass er Afghanistan aus Angst vor den Taliban verlassen habe. Da in seiner Region Krieg vorherrsche, hätten Taliban Jugendliche entführt, um sie für Kämpfe einzusetzen. Die Taliban hätten ihn vor ungefähr drei Monaten ebenfalls mitgenommen und er sei ungefähr 15 Tage in der Ortschaft Badrap angehalten worden. Da er nicht am Krieg teilnehmen habe wollen, sei er geschlagen worden. Da er aufgrund der zahlreichen Schläge krank geworden sei, hätten die Taliban seinen Vater verständigt, damit er den BF zu einem Arzt bringe. Der BF habe daraufhin die Gelegenheit genutzt, zu fliehen. Überdies sei die Sicherheitslage in Afghanistan insgesamt schlecht, weshalb es dem BF verwehrt gewesen sei, die Schule regelmäßig zu besuchen. Die Taliban hätten Nahrung eingefordert oder verlangt, nächtigen zu dürfen, bei jeglichem Widerspruch werde man getötet. Auf dem Schulweg sei der BF mehrmals von den Taliban angehalten worden, da er mit einem Motorrad gefahren sei. Bei einer Rückkehr habe der BF Angst vor den Taliban.
Zu seinen persönlichen Umständen befragt, gab der BF an, dass er in der Provinz Kapisa geboren worden sei und im Herkunftsstaat 11 Jahre die Grundschule besucht habe. Er habe vor Ausreise keine Berufsausbildung absolviert und sei keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Seine Eltern, eine Schwester und vier Brüder würden sich nach wie vor im Heimatland aufhalten. Ein Onkel mütterlicherseits lebe in Österreich.
3. Am 30.08.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zusammenfassend aus, dass gesund sei, aber aufgrund einer Verletzung Medikamente einnehme. Er stamme aus der Provinz Kapisa und habe dort mit seinen Eltern sowie seinen Geschwistern und mit den Familien seiner Onkel väterlicherseits in einem großen Haus gewohnt. Befragt, welche seiner Angehörigen derzeit noch im Herkunftsstaat leben würden, erklärte der BF, dass seine gesamte Verwandtschaft nach wie vor dort aufhältig sei, zwei Onkeln seien aufgrund von Gefechten jedoch nach Kabul gezogen. Nachgefragt, wie seine Angehörigen den Lebensunterhalt bestreiten würden, entgegnete der BF, dass sein Vater Lehrer sei und nach wie vor unterrichte. Überdies besitze seine Familie vier landwirtschaftliche Grundstücke, die von seiner Familie und seinen Onkeln bewirtschaftet werden würden. Das Verhältnis zu seinen Angehörigen sei gut. Die Fragen, ob er je einen eigenen Reisepass besessen habe oder in Afghanistan Mitglied einer politischen Organisation oder eines politischen Vereins gewesen sei, wurden vom BF verneint. Er sei sunnitischer Paschtune und habe im Herkunftsstaat 11 Jahre die Schule besucht. Sein Vater habe durch die Bewirtschaftung mehrerer Grundstücke sowie eines Obstgartens für seinen Unterhalt gesorgt. Die wirtschaftliche Situation der Familie des BF sei insgesamt gut gewesen. Der BF stehe nach wie vor in Kontakt mit seinen Eltern sowie seinem Onkel und sie würden sich über seine Gesamtsituation erkundigen. Die Fragen, ob er im Herkunftsland oder woanders Strafrechtsdelikte begangen habe oder gegen ihn ein offizieller Strafrechtsbefehl bestehe, wurden vom BF ebenfalls verneint. Er habe Afghanistan vor zwei Jahren verlassen und sei eine Woche in Kabul aufhältig gewesen.
Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF an, dass ihn die Taliban mitgenommen hätten, um ihn in den Krieg zu schicken. In einer Ortschaft namens „Bedrau“ sei er 15 Tage festgehalten worden und dort krank geworden. Da es dort keinen Arzt gegeben habe, hätten die Taliban seinen Vater verständigt, der ihn nach Kabul mitgenommen habe. In einem Krankenhaus in Kabul habe er die Gelegenheit ergriffen, aus Afghanistan zu fliehen. Man habe gegen die Vorherrschaft der Taliban keine Druckmittel gehabt, da sie gegen die Dorfbewohner auch Gewalt angewendet hätten. Zudem sei in Afghanistan das Motorrad seines Vaters eingezogen worden, weshalb ihm ein weiterer Schulbesuch aufgrund der Entfernung verunmöglicht worden sei. Zur Frage, wie es dazu gekommen sei, dass er von den Taliban festgehalten worden sei, erwiderte der BF, dass es ein starkes Gefecht zwischen Taliban und Regierung gegeben habe und die Taliban für Kriegseinsätze junge Leute benötigt hätten. Auf Nachfrage, ob auch andere junge Leute festgehalten worden seien, erklärte der BF, dass sich viele junge Leute freiwillig den Taliban angeschlossen hätten und manche gekämpft hätten, da sie inhaftiert gewesen seien. Befragt, wieso das Interesse der Taliban auf ihn gerichtet gefallen sei, gab der BF an, dass die Taliban jeden gebraucht hätten. Dies, da es ein starkes Gefecht gegeben habe und sie Garnisonen gebraucht hätten. Auf Aufforderung, näher zu beschreiben, wie es zur Festnahme gekommen sei, antwortete der BF, dass er gerade zu Hause gewesen sei, als die Taliban sie aufgesucht hätten. Er habe ihnen die Tür geöffnet und die Taliban hätten ihm erklärt, dass es ein Gefecht gebe, weshalb er sich ihnen anschließen müsse. Auf Nachfrage, wie es dann zu der Verletzung gekommen sei, entgegnete der BF, dass sie ihn mit Fäusten geschlagen, ihn mit Füßen getreten und mit einem Gewehrkolben attackiert hätten. Aufgrund einer Erkältung habe er die Gelegenheit bekommen, nach Kabul zu gelangen. Auf die weitere Frage, was er über die fünfzehntägige Anhaltung berichten könne, führte der BF an, dass das Gefängnis der Taliban in einer Burg gewesen sei, in der es viele Zimmer gebe. Junge Gefangene seien zu zweit in einem Zimmer gehalten worden. Hochrangige Taliban würden nicht selbst in den Krieg ziehen, sondern junge Leute in den Krieg schicken. Nachgefragt, was in den 15 Tagen noch alles passiert sei, gab der BF an, dass seine Hände angekettet gewesen seien und sie zu essen bekommen hätten, dafür jedoch auch geschlagen worden seien. Befragt, was der ausschlaggebende Grund für seine Flucht gewesen sei, erwiderte der BF, dass er aufgrund seiner Krankheit nach Kabul gebracht worden sei und sein Vater die Ausreise für ihn organisiert habe. Die Taliban hätten sie vor die Wahl gestellt, entweder in den Krieg zu ziehen oder eine Gefängnisstrafe zu akzeptieren, weshalb der BF die Gefängnisstrafe vorgezogen habe. Weitere Fluchtgründe habe der BF nicht. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde der BF Probleme bekommen. Die Frage, ob er die Möglichkeit hätte, sich innerhalb Afghanistans an einen anderen Ort zu begeben, um seinen Problemen zu entgehen, wurde vom BF verneint, da in Afghanistan überall Krieg vorherrsche. Im Falle seiner freiwilligen Rückkehr müsste sich die Sicherheitslage insgesamt verbessern. Die Frage, ob er persönlich aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit bzw. seiner Religionszugehörigkeit Probleme gehabt habe, wurde vom BF verneint.
Zu den Lebensumständen in Österreich befragt, brachte der BF vor, dass er Leistungen aus der Grundversorgung beziehe und in Österreich nie von einer gerichtlichen Untersuchung oder einem Gerichtsverfahren betroffen gewesen sei. Er habe im Bundesgebiet einen familiären Anknüpfungspunkt in Form eines Onkels. Er gehe in die Schule und wolle auch einen Deutschkurs besuchen. Die Frage, ob er Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation sei, wurde vom BF verneint.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF ein ärztlicher Entlassungsbrief eines Universitätsklinikums vom 28.08.2017 mit der Diagnose „Collum (Hals) und Paramedianfraktur links“ und einer empfohlenen Medikation sowie angeordneter Kontrolle und Nahtentfernung, eine Kursbestätigung des bfi vom 11.05.2017 über den Besuch des 112-stündigen Deutschkurses vom 28.03.2017-11.05.2017, eine Schulbesuchsbestätigung eines Aufbaulehrganges und Fachschule für wirtschaftliche Berufe vom 28.06.2017 für das Schuljahr 2016/17, eine Aufenthaltsbestätigung eines Universitätsklinikums vom 28.08.2017 über einen stationären Krankenhausaufenthalt vom 23.08.2017-28.08.2017 und eine Bestätigung eines Basisbildungskurses für junge Flüchtlinge vom 17.01.2017-29.03.2017 in Vorlage gebracht. Der BF brachte auch eine Tazkira in Vorlage.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Zusammenfassend führte das BFA aus, dass äußerst unglaubwürdig sei, dass der BF ins Visier der Taliban geraten sei. Zwar habe er betont, dass die Taliban jeden Mann zum Kämpfen gebraucht hätten, andererseits hätten die Taliban einfach den Vater des BF um Hilfe gebeten, als er krank geworden sei, damit er den BF zum Arzt bringe. Diese Konstellation erscheine abwegig und gänzlich aus dem Lebenszusammenhang gegriffen. Würden ihm die Taliban nach dem Leben trachten, hätten sie dieses Vorhaben bereits an Ort und Stelle umgesetzt und nicht den Vater um Hilfe gebeten. Vor diesem Hintergrund sei es äußerst unglaubwürdig, dass die Taliban den Vater des BF um Hilfe gebeten hätten, dem BF medizinische Hilfe zu ermöglichen. Der BF habe auch über seine fünfzehntägige Anhaltung nur wenig substantiierte Angaben gemacht. Aufgrund der knappen und nicht plausiblen Angaben sei nicht glaubhaft, dass der BF wegen einer gegen ihn gerichteten Verfolgung bzw. Furcht vor einer solchen nach Österreich gekommen sei. Eine Verfolgung oder die Gefahr einer solchen habe der BF hiermit nicht glaubhaft geltend machen können.
5. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wurde zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig und teilweise unrichtig seien. Sie würden zwar allgemeine Aussagen über Afghanistan beinhalten, würden sich jedoch kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF befassen und seien dadurch als Begründung zur Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Die belangte Behörde habe insbesondere unterlassen, das Fluchtvorbringen des BF betreffende Feststellungen, nämlich Zwangsrekrutierung durch die Taliban und Feststellungen bezüglich der Situation von RückkehrerInnen nach Afghanistan zu treffen. Im Verfahren vor dem BFA sei zudem der Grundsatz des Parteiengehörs verletzt worden. Der BF habe keine ausreichende Zeit und Gelegenheit gehabt, auf die Feststellungen zu seinem Heimatland, die ihm im Zuge des Verfahrens vorgehalten worden seien, zu antworten bzw. zu reagieren. Die belangte Behörde habe ihre Manuduktionspflicht, Ermittlungspflicht und den Grundsatz des Parteiengehörs verletzt, indem sie den BF nicht ausreichend darüber aufgeklärt habe, dass die Länderfeststellungen einen wichtigen Teil der Entscheidungsgrundlage bilden würden. Der BF habe aufgrund seiner Sprachkenntnisse keine Möglichkeit gehabt, die Länderfeststellungen innerhalb der von der Behörde gesetzten dreitägigen Frist zu lesen und eine Stellungnahme dazu abzugeben, weswegen er darauf verzichtet habe. Die belangte Behörde habe unterlassen, Feststellungen zur Verfolgung des BF durch die Taliban bzw. deren Versuche, ihn zwangsweise zu rekrutieren, zu treffen. Die belangte Behörde habe den Antrag des BF abgewiesen, weil sie ihn als unglaubwürdig erachtet. Diese Feststellung basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung und verletze § 60 AVG. Die Begründung der belangten Behörde dafür, dass der BF angeblich widersprüchliche Angaben gemacht habe, sei völlig unlogisch. Die belangte Behörde begründe nicht, worin sie die Widersprüche sehe, sondern verweise nur auf das Vorbringen des BF. Die belangte Behörde begründe nicht, wieso sie der Meinung sei, dass die Angaben des BF zu seiner Haft nicht substantiiert genug seien. Die belangte Behörde begründe nicht, wie sie zu der absurden Feststellung kommen habe können, dass der BF in ganz Afghanistan Unterstützung durch Paschtunen erhalten und deswegen nicht in eine existentielle Notlage geraten würde. Dem BF stehe entgegen der Ansicht des BFA keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, da die Taliban über ein Netzwerk verfügen, durch das ihnen möglich sei, den BF im gesamten afghanischen Staatsgebiet aufzuspüren und er aufgrund seiner Verwestlichung im gesamten afghanischen Staatsgebiet verfolgt werde. Auch im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung habe das BFA den angefochtenen Bescheid auf Grundlage eines mangelhaft geführten Verfahrens und einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung erlassen. Das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde sei mangelhaft gewesen, da der in Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht erhoben worden sei. Das BFA habe insbesondere unterlassen, Ermittlungen zum bestehenden Familienleben des BF in Österreich anzustellen. Der Bescheid sei inhaltlich rechtswidrig, weil er eine Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK darstelle und eine falsche Beurteilung anhand des Kriterienkataloges enthalte. Der Bescheid sei inhaltlich rechtswidrig, weil die belangte Behörde verkannt habe, dass der BF durch eine Rückkehrentscheidung in seinen Rechten nach Art. 8 EMRK verletzt werde. Die belangte Behörde habe daher eine mangelhafte Interessensabwägung vorgenommen und sei daher zu Unrecht zu dem Schluss gelangt, dass die Verhängung einer Rückkehrentscheidung zulässig wäre. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
6. Im Rahmen einer Beschwerdenachreichung vom 28.11.2018 wurde vom BFA eine Strafkarte (Verständigung von einer rechtskräftigen Verurteilung) vom 14.11.2018, dass der BF wegen § 15 StGB § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) § 15 StGB § 269 StGB Abs. 1 4. Fall (Widerstand gegen die Staatsgewalt) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt worden sei sowie ein Protokollvermerk und eine gekürzte Urteilsausfertigung eines Landesgerichts übermittelt.
7. Mit Urkundenvorlage vom 08.03.2019 wurde vom BFA eine Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) in Vorlage gebracht.
8. Mit Schriftsatz vom 11.03.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine Verständigung der Behörde von der Teil-Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft XXXX vom 04.03.2019 wegen § 15 StGB § 105 Abs. 1 StGB übermittelt.
9. In einem weiteren Schriftsatz vom 17.05.2019 wurden vom BFA eine Strafkarte des BF wegen § 83 Abs. 2 StGB (Körperverletzung), wonach der BF zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt worden sei und ein Protokollvermerk sowie eine gekürzte Urteilsausfertigung eines Bezirksgerichts vom 14.03.2019 wegen dem Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB übermittelt.
10. Mit Urkundenvorlage vom 08.07.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft XXXX wegen § 127 StGB (Diebstahl) übermittelt.
11. Mit Urkundenvorlage vom 16.07.2019 wurden dem Bundesverwaltungsgericht eine Verständigung der Fremdenbehörden von der Aufnahme eines Fremden in Untersuchungshaft einer Justizanstalt vom 15.07.2019, ein Depositenbericht sowie eine Aufenthaltskarte übermittelt.
12. Aus einer weiteren Verständigung der Behörde von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens vom 20.08.2019, am 22.08.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt, geht hervor, dass das Ermittlungsverfahren wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG (Suchtmittelgesetz) eingestellt worden sei.
13. Mit Schriftsatz vom 16.09.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht in einer Mitteilung ausgeführt, dass der BF seit dem 13.07.2019 wegen verschiedener Suchtgiftdelikte in Strafhaft aufhältig sei. Laut dem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich sei der BF bereits zum dritten Mal wegen Suchtmitteldelikten im Bundesgebiet rechtskräftig verurteilt worden.
14. Am 22.10.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht ein Abschlussbericht der Landespolizeidirektion vom 22.10.2019 übermittelt.
15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.06.2021 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu, sowie des gewillkürten Vertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
In dieser Verhandlung wurde der BF ausführlich zu den Gründen für die Stellung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz, den Beschwerdegründen, zu seinen Rückkehrbefürchtungen, zu seinen persönlichen Umständen in Österreich befragt.
Ebenso wurde dem BF die Gelegenheit geboten in Bezug auf die dem BF im Vorfeld der mündlichen Verhandlung übermittelten aktuellen Länderberichte zu Afghanistan Stellung zu nehmen und seine konkrete Situation im Falle einer allfälligen Rückkehr darzulegen.
Der BF wurde zudem konkret in Bezug auf seine persönliche Situation bei einer allfälligen Rückkehr in den Herkunftsstaat, dies unter konkreter Zugrundelegung der sich aus den aktuellen Länderfeststellungen ableitbaren allgemeinen Sicherheits- als auch Versorgungssituation, befragt.
Abschließend wurde der BF hinsichtlich der von ihm gesetzten integrativen Schritte im Bundesgebiet befragt und diesem die Möglichkeit geboten sämtliche seit der Einreise im Bundesgebiet gesetzten integrativen Schritte auszuführen.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden mehrere Fotos durch den BF in Vorlage gebracht auf denen ein zerstörtes Haus zu erkennen ist. Betreffend dieser Fotos wurde seitens des BF ausgeführt, dass es sich hierbei um Aufnahmen des Wohnhauses der Familie des BF handle, welches nach dem Verlassen des BF bombardiert und zerstört worden sei und die übrigen Familienmitglieder deshalb später ebenfalls Afghanistan verlassen hätten. Hinweise die eine bestimmte Zurodnung zu einer bestimmten Zeit der Aufnahme, einen Ort oder auf sonstigen konkrete Zuordnungselemente ermöglichen würden, sind diesen Bildern nicht entnehmbar.
Im Zuge der Verhandlung vor dem BVwG wurden zwei sich in Österreich aufhältige Familienangehörige des BF, nämlich ein Cousin, sowie ein Onkel des BF, die selbstständig zur Verhandlung erschienen sind, ergänzend durch das BVwG angehört und diesen die Möglichkeit gegeben die Art und Weise, sowie die Intensität ihres Kontaktes mit dem BF darzulegen, bzw. allfällig für sie relevantes Vorbringen zu erstatten.
Der RV beantragte die Einholung eines Berichtes des Bewährungshelfers des BF.
Zudem wurde seitens des RV zusammenfassend festgehalten, dass gemäß einschlägigen Berichten von NGO es bekannt wäre, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan in jüngster Zeit drastisch verschlechtert habe und eine Rückkehr nach Afghanistan als äußerst problematisch erachtet werden würde. Es wurde zudem auf den Inhalt des am 18.06.2021 stattgefundene Pressekonferenz des Justizministeriums verwiesen, sowie darauf, dass es notwendig sei, die aktuellsten Länderinformationen zu Afghanistan einzubringen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der volljährige BF ist in der Provinz Kapisa geboren, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Paschtu.
Der BF hat 11 Jahre die Grundschule in Kapisa besucht und ist in Afghanistan im Familienverband aufgewachsen. Der BF steht in regelmäßigen Kontakt mit seinen sich nach den Angaben des BF nunmehr in Pakistan aufhältigen Familienangehörigen. Der BF hat keine Berufsausbildung abgeschlossen noch eine Erwerbstätigkeit ergriffen. Er ist verlobt und hat keine Kinder.
Der BF reiste aus Afghanistan kommend durch bewusste Umgehung der Grenzkontrollen schlepperunterstützt unter Aufwendung von rund 10.000 USD unberechtigt nach Österreich. Der BF hat aus nicht asylrelevanten Gründen Österreich beliebig als sein gewolltes Zielland bestimmt und hält sich seit der Antragstellung auf internationalen Schutz zumindest seit dem 14.02.2016 durchgehend im Bundesgebiet auf.
Der BF ist gesund, leidet an keinen lebensbedrohlich schweren Erkrankungen und befindet sich gegenwärtig nicht in durchgehender ärztlicher oder stationärer Behandlung, noch benötigt der BF eine spezielle Therapie oder Medikamente. Er war wegen einer Fraktur des Halses und des Unterkiefers von 23-28.08.2017 in stationärer Behandlung.
Der BF hat in Österreich familiäre Anknüpfungspunkte in Form eines Onkels und eines Cousins. Das Vorliegen eines schützenswerten Nahe- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses zu Personen im Bundesgebiet konnte insgesamt nicht festgestellt werden. Eine Ausweisung des BF stellt diesbezüglich keinen unzulässigen Eingriff in besonders durch Art. 8 EMRK geschützte Rechte dar.
Der BF ist strafgerichtlich nicht unbescholten, hat während seines Aufenthaltes in Österreich bereits wiederholt strafrechtlich relevante Delikte begangen und in Österreich hierfür bereits eine unbedingte Strafhaft verbüßt.
Dem Strafregister der Republik Österreich können gegenwärtig folgende Verurteilungen entnommen werden:
Der BF wurde von einem Landesgericht am 06.11.2018, 009 HV 131/2018z, wegen § 15 StGB § 83 (1) StGB (Körperverletzung), § 15 StGB § 269 (1) 4. Fall StGB (Widerstand gegen die Staatsgewalt) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Die Probezeit wurde auf fünf Jahre verlängert.
Der BF wurde am 14.03.2019, 032 U 11/2019f von einem Bezirksgericht, wegen § 83 Abs. 2 (Köperverletzung) StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Die Probezeit wurde auf fünf Jahre verlängert.
Am 05.09.2019 wurde der BF von einem Landesgericht, HV 109/2019s, wegen § 50 (1) Z 2 WaffG (Waffengesetz) und §§ 28a (1) 5. Fall, 28a (3) 1. Fall SMG (Suchtmittelgesetz) zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.
Der BF wurde nach Verbüßung des unbedingten Strafteils am 12.07.2020 aus der Freiheitsstrafe mit einer Probezeit von 3 Jahren unter Anordnung der Bewährungshilfe vom 29.06.2020 bedingt entlassen. (LG XXXX 015 BE 149/2020i)
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF Afghanistan aufgrund einer glaubwürdigen, ihn unmittelbar persönlich treffenden asylrelevanten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.
Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine ihn unmittelbar betreffende konkrete Gefahr Verfolgung seitens regierungsfeindlicher Gruppierungen, durch die Taliban, einer Zwangsrekrutierung, noch droht dem BF eine verfahrenswesentliche relevante Gefährdung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner Religionszugehörigkeit.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF allein deshalb, weil er sich zuletzt in Europa aufgehalten hat und als afghanischer Staatsangehöriger in Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hätte.
Im Verfahren sind keine Anhaltpunkte hervorgekommen, dass eine Asylantragstellung im Ausland oder eine rechtswidrige Ausreise zu Sanktionen oder Repressionen in Afghanistan führen würde.
Der BF hat bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Privatpersonen zu erwarten.
1.3. Zum (Privat)Leben und der Integration des BF in Österreich:
Der nicht unbescholtene und bereits auch wegen wiederholt verübter Delikte mehrfach verurteilte BF ist seit seiner Antragstellung durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Der BF hat in Österreich an Deutschkursen teilgenommen, Deutschprüfungen absolviert (A1, A2), einen Aufbaulehrgang und die Fachschule für wirtschaftliche Berufe besucht und hat im Jahr 2019 und 2020 einzelne ehrenamtliche Tätigkeiten verrichtet.
Das Vorliegen eines besonders zu berücksichtigenden Nahe - bzw. Abhängigkeitsverhältnisses des volljährigen Beschwerdeführers zu Personen im Bundesgebiet ist nicht dargelegt worden.
Der BF lebt von der Grundversorgung und ist insgesamt nicht selbsterhaltungsfähig.
Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.
Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu insgesamt nicht festgestellt werden.
Das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben des BF im Bundesgebiet sprechen sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.
Eine Ausweisung des BF aus dem Bundesgebiet stellt insgesamt keinen unzulässigen Eingriff in besonders durch Art. 8 EMRK geschützte Rechte dar.
1.4. Zu einer Rückkehr nach Afghanistan:
Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer ihn unmittelbar und konkret betreffenden Verfolgung aus asylrelevanten Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre oder aufgrund der allgemeinen Sicherheits- oder Versorgungslage in sämtlichen Regionen einer relevanten Gefährdung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
Dem BF droht bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Kapisa aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Diese Provinz ist für den BF nicht sicher erreichbar.
Der BF kann sich jedoch zumutbar im Rückkehrfall in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen und es ist ihm aufgrund der vorliegenden Länderfeststellungen dort möglich und auch zumutbar sich dort mittelfristig eine Existenz aufzubauen.
Bei dem BF handelt es sich um einen volljährigen, insgesamt gesunden und arbeitsfähigen jungen Mann, dem die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, in einer ersten Zeit auch als Hilfsarbeiter, in seiner Heimat, insbesondere in den Städten Mazar -e Sharif oder Herat zur Sicherung seiner Lebenserhaltungskosten zugemutet werden kann.
Der BF hat bis zu seiner Ausreise in Afghanistan gelebt, wuchs in einem afghanischen Familienverband auf und ist mit den soziologischen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Der BF spricht eine der Landessprachen von Afghanistan (Paschtu) als Muttersprache.
Bei einer Ansiedlung in diesen Städten liefe der BF keine Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Aufgrund der individuellen Umstände und der persönlichen Eigenschaften des BF kann somit in Zusammenschau mit den aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan insgesamt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht davon ausgegangen werden, dass es ihm nicht möglich sein sollte nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan, insbesondere bei einer Neuansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen, sich dort eine Existenz aufbauen und diese zumindest anfänglich mit einfachen Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten zu sichern und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Der BF ist in der Lage in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Auch hat die Möglichkeit finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.
Der BF verfügt zudem über einen Onkel in Österreich, der ihn seinen eigenen Angaben zufolge regelmäßig auch mit höheren Geldleistungen unterstützt und den BF bei Bedarf auch weiter, unterstützen will und kann.
Die Städte Herat oder Mazar-e Sharif können auf dem Luftweg (via Kabul) sicher erreicht werden.
Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende auch aufgrund der gegenwärtigen Lage der COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Der BF ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen relevanter physischer Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.
Dem BF ist somit aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften in Zusammenschau mit den aktuellen Länderfeststellungen einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere in die Städte Mazar – e Sharif oder Herat möglich und auch zumutbar.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.4.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan (letzte Änderungen: 10.06.2021) wiedergegeben:
„[...] 3 COVID-19 Letzte Änderung: 10.06.2021
Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf, folgende Website der WHO: https: //www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-report oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis. com/apps/opsdashboard/index.h tml#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
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Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021). Maßnahmen der Regierung und der Taliban Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause.
Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021). Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021). Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisen der zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021). Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. NachAngaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“ (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021). Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021). Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang 15verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als „schwer erreichbar“ gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021). Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021). Gesundheitssystem und medizinische Versorgung COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021). Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021). Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021). 16In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021). Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020). Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020). Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Prei17se für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021). Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020). Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020). Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020). Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021). Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthand18werk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021). Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).
Bewegungsfreiheit
Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden (IOM 18.3.2021). Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt (UNOCHA 3.6.2021; vgl. AnA 29.4.2021). Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (UNOCHA 3.6.2021).
Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021). Mit Stand 25.5.2021 ist das Projekt Restart III weiter aktiv und Teilnehmer melden sich (IOM AUT 25.5.2021).
Quellen: • AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.7.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2035827/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsr elevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_16. 07.2020.pdf , Zugriff 20.9.2020 • AAN - Afghanistan Analysts Network (1.10.2020): Covid-19 in Afghanistan (7): The effects of the pandemic on the private lives and safety of women at home, https://www.afghanistan-analysts.org /en/reports/economy-development-environment/covid-19-in-afghanistan-7-the-effects-of-the-pan demic-on-the-private-lives-and-safety-of-women-at-home/ , Zugriff 18.11.20020 • ABC News (27.1.2021): Afghanistan prepares to vaccinate citizens against coronavirus amid ongoing violence, https://www.abc.net.au/news/2021-01-27/afghanistan-prepares-for-vaccine-rolloutamid-ongoing-violence/13096290 , Zugriff 1.2.2021 • ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (25.5.2021): Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Gewalt gegen Kinder und etwaige Veränderungen durch die Covid-19-Pandemie; Zugang zu Bildungseinrichtungen im Zusammenhang mit Pandemie, insb. in Kabul und Mazar-e-Sharif, https://www.ecoi.net/en/document/2052138.html , Zugriff 4.6.2021 , ua.
Politische Lage Letzte Änderung: 11.06.2021
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 1.10.2020). Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen (NSIA 1.6.2020) bis 39 Millionen Menschen (WoM 6.10.2020). Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen, die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (CoA 26.2.2004; vgl. STDOK 7.2016, Casolino 2011). Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (CoA 26.2.2004; vgl. Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019). Im direkt gewählten Unterhaus der Nationalversammlung, der Wolesi Jirga (Haus des Volkes) mit 249 Sitzen, kandidieren die Abgeordneten für eine fünfjährige Amtszeit. In der Meshrano Jirga, dem Oberhaus mit 102 Sitzen, wählen die Provinzräte zwei Drittel der Mitglieder für eine Amtszeit von drei oder vier Jahren, und der Präsident ernennt das verbleibende Drittel für eine Amtszeit von fünf Jahren. Die Verfassung sieht die Wahl von Distrikträten vor, die ebenfalls Mitglieder in die Meshrano Jirga entsenden würden, aber diese sind noch nicht eingerichtet worden. Zehn Sitze der Wolesi Jirga sind für die nomadische Gemeinschaft der Kutschi reserviert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 30.3.2021) und mindestens zwei Frauen sollen aus jeder Provinz gewählt werden (insgesamt 68) (USDOS 30.3.2021). Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit gelegentlichen kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzesentwürfen die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Parlaments. Gleichzeitig werden aber die verfassungsmäßigen Rechte genutzt, um die Arbeit der Regierung gezielt zu behindern, Personalvorschläge der Regierung zum Teil über lange Zeiträume zu blockieren, und einzelne Abgeordnete lassen sich ihre Zustimmung mit Zugeständnissen - wohl auch finanzieller Art - belohnen. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaftspflicht der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 16.7.2020).
Quellen: • AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.10.2020): Afghanistan: Politisches Porträt, https://www.au swaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/afghanistan-node/politisches-portraet/204718 , Zugriff 6.11.2020, ua.
Friedens- und Versöhnungsprozess Letzte Änderung: 11.06.2021
Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des 27Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). 2020 fanden die ersten ernsthaften Verhandlungen zwischen allen Parteien des Afghanistan-Konflikts zur Beendigung des Krieges statt (HRW 13.1.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020, EASO 8.2020a) - die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses (EASO 8.2020a). Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nicht-amerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020; REU 6.10.2020). Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa Al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020, EASO 8.2020a). Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der afghanischen Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der afghanischen Regierung vor, ihren Teil der am 29.2.2020 von den Taliban mit der US-Regierung geschlossenen Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten, und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020). Im September 2020 starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (REU 6.10.2020; vgl. AJ 5.10.2020, BBC 22.9.2020). Der Regierungsdelegation gehörten nur wenige Frauen an, aufseiten der Taliban war keine einzige Frau an den Gesprächen beteiligt. Auch Opfer des bewaffneten Konflikts waren nicht vertreten, obwohl Menschenrechtsgruppen dies gefordert hatten (AI 7.4.2021). Die Gewalt hat jedoch nicht nachgelassen, selbst als afghanische Unterhändler zum ersten Mal in direkte Gespräche verwickelt wurden (AJ 5.10.2020; vgl. AI 7.4.2021). Insbesondere im Süden, herrscht trotz des Beginns der Friedensverhandlungen weiterhin ein hohes Maß an Gewalt, was weiterhin zu einer hohen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung führt (UNGASC 9.12.2020; vgl. AI 7.4.2021). Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung (BBC 22.9.2020; vgl. EASO 8.2020a) wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben (REU 6.10.2020). Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Die Taliban sind wiederholt danach gefragt worden und haben wiederholt darauf bestanden, dass Frauen und Mädchen alle Rechte erhalten, die „innerhalb des Islam“ vorgesehen sind (BBC 22.9.2020). Frauenrechtlerinnen in Afghanistan haben jedoch seit vielen Jahren Bedenken geäußert, dass die Regierung die Rechte der Frauen eintauschen wird, um eine Einigung mit den Taliban zu erreichen. Die afghanische Regierung hat sich oft dagegen gewehrt, Frauen in Friedensgespräche einzubeziehen. Im Juni 2015 verabschiedete die afghanische Regierung einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution 1325 28des Sicherheitsrats für den Zeitraum 2015 bis 2022, der auch das Ziel enthielt, die effektive Beteiligung von Frauen am Friedensprozess zu gewährleisten, doch dem Plan fehlten Details und er wurde nicht sinnvoll umgesetzt (HRW 22.3.2021). Am Tag der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Doha am 5.1.2021 wurde nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kabul in mindestens 22 von 34 Provinzen des Landes gekämpft (Ruttig 12.1.2021; vgl. TN 9.1.2021). Die neue amerikanische Regierung warf den Taliban im Januar 2021 vor, gegen das im Februar 2020 geschlossene Friedensabkommen zu verstoßen und sich nicht an die Verpflichtungen zu halten, ihre Gewaltakte zu reduzieren und ihre Verbindungen zum Extremistennetzwerk Al-Qaida zu kappen. Ein Pentagon-Sprecher gab an, dass sich der neue Präsident Joe Biden dennoch an dem Abkommen mit den Taliban festhält, betonte aber auch, solange die Taliban ihre Verpflichtungen nicht erfüllten, sei es für deren Verhandlungspartner „schwierig“, sich an ihre eigenen Zusagen zu halten (FAZ 29.1.2020; vgl. DZ 29.1.2021). Jedoch noch vor der Vereidigung des US-Präsidenten Joe Biden am 19.1.2021 hatte der designierte amerikanische Außenminister signalisiert, dass er das mit den Taliban unterzeichnete Abkommen neu evaluieren möchte (DW 29.1.2020; vgl. BBC 23.1.2021). Nach einer mehr als einmonatigen Verzögerung inmitten eskalierender Gewalt sind die Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung am 22.2.2021 in Katar wieder aufgenommen worden (RFE/RL 23.2.2021b; vgl. AP 23.2.2021). Am 18.3.2021 empfing die russische Regierung Vertreter der afghanischen Regierung, der Taliban und von Partnerländern zu einem Gipfeltreffen, das die Friedensgespräche voranbringen sollte. Der 12-köpfigen afghanischen Regierungsdelegation gehörte eine Frau, Dr. Habiba Sarabi, an - ein Rückschritt gegenüber der Teilnahme von vier Frauen unter den 20 Mitgliedern beim innerafghanischen Dialog in Doha, Katar, im September 2020. Die 10-köpfige Taliban-Delegation war wie in der Vergangenheit ausschließlich männlich. Afghanische Frauenrechtsaktivistinnen haben die Sorge geäußert, dass Frauen von den geplanten Friedensgesprächen in der Türkei weitgehend ausgeschlossen werden, wodurch die Rechte der Frauen bei einer endgültigen Einigung stark gefährdet sind (HRW 22.3.2021). Beobachter sehen bei den Taliban eine bewusste Strategie des Teilens und Herrschens am Werk, die Einladungen zu privaten Gesprächen an verschiedene regionale Warlords und Herrscher verschickt haben. Offenbar ist das Ziel, Präsident Ghani zu isolieren (BAMF 10.5.2021). Die USA versuc