TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/12 W133 2195946-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.08.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

12.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1a

Spruch


W133 2195946-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2021, Zl. 1096030704/200874135, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides richtet, als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides richtet, gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid in diesem Umfang aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 20.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Bei seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 21.11.2015 gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er sein Heimatland wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen habe. Zudem seien sein Onkel väterlicherseits und sein Vater von den Taliban getötet worden.

Am 06.10.2017 fand die Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), statt. Darin brachte er vor, dass die Taliban seinen Vater und seinen Onkel aufgrund ihrer Arbeit bei der afghanischen Armee getötet hätten. Die Taliban hätten die ganze Familie bedroht und hätten sogar Fotos der ganzen Familie gehabt. Zudem sei der Beschwerdeführer am 17.05.2017 getauft worden und sei nunmehr Christ.

Das BFA wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 20.11.2015 mit Bescheid vom 13.04.2018 zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen widersprüchlich, detailarm, lebensfremd und letztlich unglaubwürdig seien und mit dem von den Taliban gesetzten Verhalten bei einmal ausgesprochenen Drohungen unvereinbar seien. Zudem seien die Angaben des Beschwerdeführers zur behaupteten inneren Abkehr vom Islam und der Konversion zum Christentum unglaubwürdig und offenbar ausschließlich von asylrelevanten Überlegungen getragen. Der einvernommene Zeuge habe bestätigt, dass sich der Beschwerdeführer kaum engagiere, er sehr zurückhaltend sei und kaum an religiösen Veranstaltungen teilnehme. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände sei nicht von einer echten inneren Hinwendung zum Christentum auszugehen.

Im Wege seiner Rechtsvertretung erhob der Beschwerdeführer gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht eine Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde mangelhaft sei, da der Beschwerdeführer sowohl von den Taliban bedroht worden sei, als auch aus einer inneren Überzeugung heraus zum Christentum konvertiert sei.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.08.2019, GZ: W276 2195946-1/12E, wurde die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.06.2019 in allen Punkten als unbegründet abgewiesen. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers wurde die Glaubhaftigkeit versagt und beweiswürdigend ausgeführt, dass dieser zu seinen Ausreisegründen ein widersprüchliches, vages, detailarmes und nicht nachvollziehbares Vorbringen erstattet habe. Auch sei das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Konversion unsubstantiiert und vage und erwecke er dadurch den Anschein, dass die Konversion bloß aus asyltaktischen Gründen und nicht aus einer ernsthaften und ehrlichen inneren Zuwendung zum christlichen Glauben erfolgt sei. Dem Beschwerdeführer würde auch aus anderen Gründen keine konkrete und individuelle physische oder psychische Gewalt drohen.

Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.

Am 16.09.2020 stellte der Beschwerdeführer den nunmehrigen zweiten und verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz beim BFA.

Anlässlich seiner Erstbefragung am 16.09.2020 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der Beschwerdeführer zur Frage, warum er einen neuerlichen Asylantrag stelle, vor, dass er keine neuen Asylgründe habe, seine bisherigen Asylgründe jedoch nach wie vor bestehen würden und er nicht nach Afghanistan zurückkehren könne, da er zum christlichen Glauben übergetreten sei.

Am 16.12.2020 fand die Einvernahme des Beschwerdeführers vor der nunmehr belangten Behörde statt. Darin führte er zu seinem Gesundheitszustand aus, dass er sich kurz vor der Einvernahme beim BFA einen Monat in stationärer psychiatrischer Behandlung befunden habe und diesbezüglich auch Medikamente einnehme. Er habe keine Hoffnung und keine Ziele mehr. Seit er in Europa sei, befinde er sich auf der Flucht. Seine Familie habe mit ihm Schluss gemacht, weil er Christ geworden sei. Nach seiner letzten rechtskräftigen Entscheidung sei er zunächst nach Deutschland geflohen, wo man ihm gesagt habe, dass er nach Österreich zurückmüsse. Als er das gehört habe, sei er nach Frankreich weiter geflohen, wo er mehrere Monate auf der Straße gelebt habe und schließlich nach Österreich rücküberstellt worden sei. Er wisse nicht mehr, wohin er solle. Wenn er nach Afghanistan zurückkehre, werde er auch getötet, weil er Christ geworden sei. Er sehe keine Hoffnung und keinen Sinn mehr im Leben. Der Beschwerdeführer legte einen ärztlichen Entlassungsbrief einer psychiatrischen Abteilung eines näher genannten Krankenhauses vom 15.12.2020 vor, woraus sich ergibt, dass er sich vom 26.11.2020 bis zum 15.12.2020 aufgrund einer depressiven Episode in stationärer psychiatrischer Betreuung befunden hatte. Dem Beschwerdeführer wurden regelmäßige fachärztliche Kontrollen, Psychotherapie und regelmäßige Medikamenteneinnahme verordnet. Weiters wurde fachärztlicherseits wegen der medizinischen Betreuung und der regelmäßigen fachärztlichen Kontrollen sowie zur Vermeidung einer Exazerbation bei suizidaler Einengung von einer Abschiebung abgeraten.

Die belangte Behörde veranlasste in der Folge eine ärztliche Untersuchung des Beschwerdeführers. In der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 10.02.2021 kam die Sachverständige zur Beurteilung, dass der Beschwerdeführer derzeit an einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode leidet. Bei zunehmender Belastung – so die medizinische Sachverständige – könne aber beim Beschwerdeführer eine akute Belastung entweder mit einer Affekthandlung oder einer suizidalen Krise mit „erfolgreichem“ Suizid nicht ausgeschlossen werden. Von einer Abschiebung werde derzeit aus ärztlicher Sicht abgeraten. Auch im ärztlichen Gespräch hätten sich immer wieder große Verzweiflung mit suizidalen Impulsen gezeigt.

Am 16.03.2021 fand vor dem BFA eine ergänzende niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers statt. Im Rahmen der Einvernahme bestätigte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und führte erneut aus, dass er keine neuen Fluchtgründe habe. Nachdem er die negative Entscheidung im Vorverfahren erhalten habe, habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Nach Afghanistan könne er nicht zurück, da er aufgrund seiner Konversion zum Christentum von seiner Familie verstoßen worden sei und er im Falle einer Rückkehr ermordet werden würde. Im Rahmen der Einvernahme äußerte der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einer möglichen Abschiebung nach Afghanistan mehrmals suizidale Gedanken.

Das BFA wies mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 09.06.2021 den Antrag hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten und des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Das BFA erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Das BFA sprach zudem aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer keine neuen Fluchtgründe vorgebracht habe und ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keine asylrelevante Verfolgung drohen würde. Auch habe kein Sachverhalt festgestellt werden können, der auf eine physische bzw. psychische oder psychologische Erkrankung bzw. notwendige und in Afghanistan nicht durchführbare medizinische Behandlung hindeuten würde. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im Wesentlichen aus, dass zwar eine krankheitswertige psychische Störung vorliege, jedoch bei Bedarf auch in Afghanistan Behandlungsmöglichkeiten gegeben seien. Insgesamt habe der Beschwerdeführer keinen Sachverhalt behauptet, welcher nicht schon bereits im Prüfungsumfang des Erstverfahrens beinhaltet gewesen sei. Der behaupteten Sachverhaltsänderung in Bezug auf den Fluchtgrund des Erstverfahrens fehle ein „glaubhafter Kern“.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung mit Schreiben vom 22.06.2021 fristgerecht Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Pandemiesituation und des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers maßgeblich geändert habe. Der Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr weder Zugang zu Medikamenten haben, noch einen Job finden, wodurch er in eine ausweglose Lage geraten würde. Insbesondere seien für Rückkehrer aber auch soziale Netzwerke notwendig, um eine Integration zu ermöglichen. Aufgrund seiner Konversion zum Christentum könne der Beschwerdeführer allerdings nicht auf die Unterstützung seiner Familie zurückgreifen.

Vom 10.06.2021 bis zum 18.06.2021 befand sich der Beschwerdeführer neuerlich wegen einer suizidalen Krise in stationärer psychiatrischer Behandlung.

Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 25.06.2021 vom BFA vorgelegt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.2021, GZ: W133 2195946-2/6Z, wurde der gegenständlichen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu Spruchteil A)

Gemäß § 21 Absatz 3 erster Satz BFA-VG ist das Verfahren zugelassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des BFA stattzugeben ist. Gemäß § 21 Abs. 3 Satz 2 BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Laut den Erläuterungen (RV 2144 BlgNR 24. GP 14) geht aus der Regelung des Abs. 3 hervor, dass die Stattgebung einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Zulassungsverfahren ex lege zur Zulassung führt. Das Bundesverwaltungsgericht hat neben den Fällen von falscher rechtlicher Beurteilung auch im Fall von Erhebungsmängeln die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzu[ver]weisen. Dieses kann allerdings im materiellen Verfahren – die Zulassung steht einer späteren Zurückweisung nicht entgegen – wieder zu der Ansicht kommen, dass der Antrag unzulässig war.

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235). Werden nur Nebenumstände modifiziert, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes – nicht bloß von Nebenumständen – kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z.B. VwGH 27.09.2000, 98/12/0057). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen. Stützt sich ein Asylantrag auf einen Sachverhalt, der verwirklicht worden ist, bevor das Verfahren über einen (früheren) Antrag beendet worden ist, so steht diesem (zweiten) Antrag die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266).

Gegenüber neu entstandenen Tatsachen (novae causae supervenientes; vgl. VwGH 20.02.1992, 91/09/0196) fehlt es an der Identität der Sache; neu hervorgekommene Tatsachen (oder Beweismittel) rechtfertigen dagegen allenfalls eine Wiederaufnahme iSd § 69 Abs. 1 Z 2 AVG (wegen nova reperta; zur Abgrenzung vgl. z.B. VwGH 04.05.2000, 99/20/0192; VwGH 21.09.2000, 98/20/0564; VwGH 24.08.2004, 2003/01/0431; VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391), bedeuten jedoch keine Änderung des Sachverhaltes iSd § 68 Abs. 1 AVG. Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes ausgeschlossen, sondern auch dann, wenn dasselbe Begehren auf Tatsachen und Beweismittel gestützt wird, die schon vor dem Vorverfahren bestanden haben (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183 mwN).

Zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen iSd § 18 Abs. 1 AsylG – kann die Behörde jedoch nur durch eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes berechtigt und verpflichtet werden, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die – falls sie festgestellt werden kann – zu einem anderen Ergebnis als das erste Verfahren führen kann (VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 18 Abs. 1 AsylG 2005, nämlich § 28 AsylG 1997). Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den diese positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der (neuerliche) Asylantrag zulässig ist, mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Antragstellers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinanderzusetzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gem. § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; 24.02.2000, 99/20/0173; 19.07.2001, 99/20/0418; 21.11.2002, 2002/20/0315; vgl. auch VwGH 19.10.2004, 2001/03/0329; 31.03.2005, 2003/20/0468; 30.06.2005, 2005/18/0197; 26.07.2005, 2005/20/0226). Wird in einem neuen Asylantrag eine Änderung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen und berechtigt die Behörde dazu, ihn zurückzuweisen (VwGH 04.05.2000, 99/20/0192).

Auch wenn das Vorbringen des Folgeantrages in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den Behauptungen steht, die im vorangegangenen Verfahren nicht als glaubwürdig beurteilt worden sind, schließt dies nicht aus, dass es sich um ein asylrelevantes neues Vorbringen handelt, das auf seinen "glaubhaften Kern" zu beurteilen ist. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der neu behaupteten Tatsachen von Bedeutung sein, macht eine neue Beweiswürdigung aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar unzulässig, etwa in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden. "Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit" (VwGH 29.09.2005, 2005/20/0365; 22.11.2005, 2005/01/0626; 16.02.2006, 2006/19/0380; vgl. auch VwGH 22.12.2005, 2005/20/0556).

Identität der Sache liegt auch dann vor, wenn sich das neue Parteibegehren von dem mit rechtskräftigem Bescheid bereits abgewiesenem nur dadurch unterscheidet, dass eine bisher von der Partei nicht ins Treffen geführte Rechtsfrage aufgegriffen wird oder die Behörde in dem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren die Rechtsfrage auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens oder einer unvollständigen oder unrichtigen rechtlichen Beurteilung entschieden hat (VwGH 02.07.1992, 91/06/0207 mwN).

Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtskräftigen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Bei der Prüfung, ob Identität der Sache vorliegt, ist vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne seine sachliche Richtigkeit nochmals zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. z.B. VwGH 15.10.1999, 96/21/0097; 25.04.2002, 2000/07/0235).

"Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder – falls entschiedene Sache vorliegt – das Rechtsmittel abzuweisen oder – falls dies nicht zutrifft – den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.05.1995, 93/08/0207).

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. – in Bezug auf mehrere Folgeanträge – VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die – falls feststellbar – zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. das schon zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.11.2004 mwN).

Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinanderzusetzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen.

Als Vergleichsentscheidung ist im gegenständlichen Fall das rechtskräftige Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.08.2019, GZ W276 2195946-1/12E, heranzuziehen, mit welchem die Beschwerde gemäß den §§ 3, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen worden war.

Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit nur die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Spruchpunkt A I. dieses Erkenntnisses):

Im Zuge des Vorverfahrens führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt insbesondere aus, dass sein Vater und sein Onkel aufgrund ihrer Arbeit bei der afghanischen Armee von den Taliban getötet worden seien. Die Taliban hätten die ganze Familie bedroht und hätten sogar Fotos der ganzen Familie gehabt. Darüber hinaus führte der Beschwerdeführer im Rahmen des Erstverfahrens aus, dass er getauft und nunmehr Christ geworden sei. Über diese Fluchtgründe wurde im Erstverfahren bereits rechtskräftig abgesprochen.

Im Rahmen der neuerlichen Antragstellung führte der Beschwerdeführer keine neuen Asylgründe ins Treffen, er hielt vielmehr seine bisherigen Fluchtgründe aufrecht und brachte erneut vor, dass er nicht nach Afghanistan zurückkehren könne, da er zum christlichen Glauben übergetreten sei. Der Beschwerdeführer führte im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA auch nach mehrmaliger Nachfrage an, dass er keine weiteren Fluchtgründe habe.

Im Vergleich zum Vorverfahren ergibt sich auf Grundlage des Tatsachenvorbringens des Beschwerdeführers somit keine geänderte Sachverhaltslage in Bezug auf eine asylrelevante Verfolgungsgefahr. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist auch keine Sachverhaltsänderung zu entnehmen, die – falls feststellbar – in Bezug auf den (nicht gewährten) Asylstatus zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, und die zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweist, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann.

Eine vom Erstverfahren unabhängige asylrelevante Verfolgung vermochte der Beschwerdeführer daher nicht darzulegen bzw. behauptete er im Hinblick auf seine Fluchtgründe auch keine Änderung der Ausgangslage. Wird in einem neuen Asylantrag eine Änderung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen, so steht – wie oben bereits ausgeführt – die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen und wird die belangte Behörde dazu berechtigt, ihn zurückzuweisen (VwGH 04.05.2000, 99/20/0192).

Die belangte Behörde stellte somit im nunmehr angefochtenen Bescheid vom 09.06.2021 in Bezug auf den Spruchpunkt I. richtig fest, dass einer inhaltlichen Entscheidung die Rechtskraft des Erstverfahren entgegensteht. Die belangte Behörde begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer keine neuen Fluchtgründe vorgebracht bzw. keine aussagekräftigen Beweismittel bezüglich des Fluchtgrundes in das Verfahren eingebracht habe, welche die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers bekräftigen würden. Das Vorbringen baue vielmehr in modifizierter Form auf dem Vorbringen im Erstverfahren auf, welches als nicht glaubhaft angesehen und bereits rechtskräftig negativ entschieden worden sei. Der Beschwerdeführer habe insgesamt keinen Sachverhalt behauptet, welcher nicht schon bereits Prüfungsumfang im Erstverfahren gewesen sei und habe er diesbezüglich keinen „glaubhaften Kern“ darlegen können.

Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer weiters auch auf § 3 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 zu verweisen: „Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.“

Auch aus diesem Grund wäre dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen: Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer die Umstände, auf denen die Verfolgungsgefahr beruht, selbst nach Verlassen seines Herkunftsstaates aufgrund seiner Konversion zum Christentum geschaffen. Bei der Konversion zum Christentum und der Ausübung des christlichen Glaubens handelt es sich zwar grundsätzlich um eine in Österreich erlaubte Aktivität, es liegt jedoch kein Hinweis dafür vor, dass diese Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung des Beschwerdeführers ist. Der Beschwerdeführer fand – seinen eigenen Angaben nach – erst im Zuge seiner Flucht zum christlichen Glauben.

Die belangte Behörde hat daher im Hinblick auf den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu Recht eine zurückweisende Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG getroffen.

Zur Stattgebung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis VI. und zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides in diesem Umfang (Spruchpunkt II. des vorliegenden Erkenntnisses)

Die belangte Behörde setzte sich im angefochtenen Bescheid nicht ausreichend mit dem vom Beschwerdeführer im nunmehrigen Verfahren neu erhobenen Tatsachenvorbringen, welches über die Fluchtgründe hinausgeht, nämlich, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe, er in psychiatrischer Behandlung sei, sich mehrmals in stationärer psychiatrischer Behandlung befunden habe, Medikamente einnehme und von seiner Familie verstoßen worden sei, auseinander.

Aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen – insbesondere aus der von der belangten Behörde eingeholten gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren – ergibt sich klar, dass der Beschwerdeführer derzeit an einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode, mit immer wiederkehrenden suizidalen Gedanken, leidet. Der Beschwerdeführer befand sich diesbezüglich auch schon mehrfach in stationärer psychiatrischer Behandlung. Im Zuge des Verfahrens legte der Beschwerdeführer medizinische Unterlagen, insbesondere einen ärztlichen Entlassungsbrief eines näher genannten Krankenhauses vom 15.12.2020, vor, in welchem auch regelmäßige fachärztliche Kontrollen, Psychotherapie und regelmäßige Medikamenteneinnahme verordnet wurden.

Die aktuelle Lage in Afghanistan erweist sich, im konkreten Hinblick auf das im nunmehrigen Verfahren neu erhobene Tatsachenvorbringen des Beschwerdeführers, basierend auf dem diesbezüglichen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, zuletzt aktualisiert am 11.06.2021, Stand letzte Kurzinformation 02.08.2021 (LIB) sowie den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR) und dem EASO-Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018 (EASO Netzwerke), wie folgt:

Allgemeine Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. (LIB, Sicherheitslage) Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu. Im Mai 2021 übernahmen die Taliban die Kontrolle über den Distrikt Dawlat Shah in der ostafghanischen Provinz Laghman und den Distrikt Nerkh in der Provinz (Maidan) Wardak, einen strategischen Distrikt etwa 40 Kilometer von Kabul entfernt. Aufgrund der sich intensivierenden Kämpfe zwischen den Taliban und der Regierung an unterschiedlichsten Fronten in mindestens fünf Provinzen (Baghlan, Kunduz, Helmand, Kandahar und Laghman) sind im Mai 2021 bis zu 8.000 Familien vertrieben worden. Berichten zufolge haben die Vertriebenen keinen Zugang zu Unterkunft, Verpflegung, Schulen oder medizinischer Versorgung. (LIB, Sicherheitslage)

Ende Mai/Anfang Juni übernahmen die Taliban die Kontrolle über mehrere Distrikte. Die Taliban haben den Druck in allen Regionen des Landes verstärkt, auch in Laghman, Logar und Wardak, drei wichtigen Provinzen, die an Kabul grenzen. Damit haben die Taliban seit Beginn des Truppenabzugs am 1.5.2021 bis Anfang Juni mindestens zwölf Distrikte erobert. (LIB, Sicherheitslage)

Zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.3.2021 dokumentierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 1.783 zivile Opfer (573 Tote und 1.210 Verletzte). Der Anstieg der zivilen Opfer im Vergleich zum ersten Quartal 2020 war hauptsächlich auf dieselben Trends zurückzuführen, die auch im letzten Quartal des vergangenen Jahres zu einem Anstieg der zivilen Opfer geführt hatten - Bodenkämpfe, improvisierte Sprengsätze (IEDs) und gezielte Tötungen hatten auch in diesem vergleichsweise warmen Winter extreme Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. (LIB, Sicherheitslage)

Allgemeine Wirtschaftslage

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft. (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft)

Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan. Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. (LIB, Arbeitsmarkt)

Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig. Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt. (LIB, Arbeitsmarkt)

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. (LIB, Arbeitsmarkt)

Laut dem Afghanistan National Peace and Development Framework (ANPDF) hat die Regierung geplant, sich auf mehrere Sektoren zu konzentrieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Insbesondere konzentriert sie sich auf umfassende Programme zur Entwicklung der Landwirtschaft und des Privatsektors. (LIB, Arbeitsmarkt)

Ungelernte Arbeiter erwirtschaften ihr Einkommen als Tagelöhner, Straßenverkäufer oder durch das Betreiben kleiner Geschäfte. Der Durchschnittslohn für einen ungelernten Arbeiter ist unterschiedlich, für einen Tagelöhner beträgt er etwa 5 USD pro Tag. Während der COVID-19-Pandemie ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftszweige durch die Sperr- und Restriktionsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ beeinflusst wurden. Kleine und große Unternehmen boten in der Regel direkte Arbeitsmöglichkeiten für Tagelöhner. (LIB, Arbeitsmarkt)

Der durchschnittliche Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können (EASO Netzwerke, Kapitel 4.1).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapitel 4.2.). Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen. (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Aktuelle Lage im Zusammenhang mit COVID-19

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei. Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. (LIB, COVID-19)

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. (LIB, COVID-19)

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes. Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne. Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind. (LIB, COVID-19)

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten. (LIB, COVID-19)

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019. (LIB, COVID-19)

Rückkehrer

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. (LIB, Rückkehr)

Psychische Erkrankungen

Viele Menschen innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden unter verschiedenen psychischen Erkrankungen als Folge des andauernden Konflikts, Naturkatastrophen, endemischer Armut und der COVID-19-Pandemie. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt, doch der Fortschritt ist schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig. Gemäß der "Nationalen Strategie für psychische Gesundheit 2019-2023" erhalten weniger als 10% der Bevölkerung die für die Behandlung ihrer psychischen Erkrankungen erforderlichen medizinischen Leistungen und nur ein psychosozialer Berater steht für je 46.000 Menschen zur Verfügung. (LIB, Psychische Erkrankungen)

Der Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung oder psychosozialer Unterstützung bleibt für viele unerreichbar, insbesondere in ländlichen Gebieten. Obwohl psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützungsdienste (Mental Health and Psychosocial Support Services, MHPSS) in das nationale Basic Package of Health Services (BPHS) und Essential Package of Hospital Services (EPHS) integriert wurden, stehen landesweit nur 320 Krankenhausbetten im öffentlichen und privaten Sektor für Menschen mit psychischen Problemen zur Verfügung. (LIB, Psychische Erkrankungen)

In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden - genauso wie Kranke und Alte - gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan hoch stigmatisiert. Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. (LIB, Psychische Erkrankungen)

Zwar sieht das Basic Package of Health Services (BPHS) psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vor, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig. (LIB, Psychische Erkrankungen)

Wie auch in anderen Krankenhäusern Afghanistans ist eine Unterbringung im Kabuler Krankenhaus von Patienten grundsätzlich nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt. So werden Patienten bei stationärer Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern in Afghanistan nur in Begleitung eines Verwandten aufgenommen. Der Verwandte muss sich um den Patienten kümmern und für diesen beispielsweise Medikamente und Nahrungsmittel kaufen. Zudem muss der Angehörige den Patienten gegebenenfalls vor anderen Patienten beschützen, oder im umgekehrten Fall bei aggressivem Verhalten des Verwandten die übrigen Patienten schützen. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen. (LIB, Psychische Erkrankungen)

Vor dem Hintergrund dieser Länderinformationen sowie unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers im nunmehrigen Verfahren und den vorliegenden medizinischen Unterlagen ergibt sich ein maßgeblich geänderter Sacherhalt: Im Hinblick auf den erheblich geänderten und verschlechterten Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sowie der aktuell vorliegenden angespannten und sich laufend verschlechternden Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan wäre die Frage, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zu gewähren ist, einer neuerlichen inhaltlichen Prüfung zu unterziehen gewesen, da unter Heranziehung des geänderten Sachverhalts nicht von vornherein auszuschließen ist, dass der Beschwerdeführer durch die Rückführung in seinen Herkunftsstaat in seinen gemäß Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), dem Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder dem Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe gewährten Rechten verletzt werden würde. Diesbezüglich wäre eine genauere inhaltliche Prüfung der Frage, ob es dem Beschwerdeführer trotz der vorliegenden allgemeinen Lage und seiner persönlichen Umstände möglich ist, nach Afghanistan zurückzukehren, ohne in eine ausweglose und existenzgefährdende Lage zu geraten, erforderlich gewesen. Diesbezüglich wird auf nachfolgende Rechtsprechung verwiesen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art.3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, 2002/20/0582; VwGH vom 31.05.2005, 2005/20/0095).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (z.B. Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. § 50 Abs. 1 FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 09.07.2002, 2001/01/0164; 16.07.2003, 2003/01/0059).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/20/0361, mit Verweis auf VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, und 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, jeweils mwN).

Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, 2001/21/0137).

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH vom 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aber auch abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht. Die Prüfung, ob eine solche offensteht, ist auch in den Fällen durchzuführen, in denen die Beschwerdeführenden außerhalb des Herkunftsstaats aufgewachsen sind und keine Herkunftsprovinz haben (vgl. VwGH Ra 2019/19/0221).

Ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab, insbesondere von persönlichen Umständen des Betroffenen, der Sicherheit, der Achtung der Menschenrechte und der Aussichten auf wirtschaftliches Überleben. Es muss möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute des Asylwerbers führen können. Ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation sind keine ausreichenden Gründe, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssen aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; VwGH vom 30.01.2018 Ra 2018/18/0001).

Die aktuellen EASO-Guidelines und UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Schutzbedarfs in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nennen eine Reihe von Faktoren für die Beurteilung der Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative (vgl. VfGH 24.02.2020, E 3188/2019):

Eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif kann demnach für junge, gesunde Männer im erwerbsfähigen Alter noch zumutbar sein, wenn diese auch mit gewissen Härten verbunden ist. Es gilt insbesondere die Faktoren Alter, Geschlecht, Familienstand, Gesundheitszustand, beruflicher, Bildungs- sowie wirtschaftlicher Hintergrund, Ortskenntnis und das Vorhandensein eines Unterstützungsnetzwerkes abzuwägen. Im speziellen Fall, dass Beschwerdeführende lange Zeit nicht im Herkunftsstaat gelebt haben, ist zu beachten, dass diesen die notwendige Ortskunde fehlen könnte, um ihre Grundversorgung sicherzustellen. In diesem Fall ist das Vorhandensein eines Unterstützungsnetzwerkes vor Ort, das die Beschwerdeführenden mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut machen kann, von besonderer Bedeutung. Außerdem können Berufserfahrung, Ausbildung und Beziehungen besonders wichtige Faktoren sein. Fehlt ein Unterstützungsnetzwerk, auf das die Beschwerdeführenden zurückgreifen können, könnte eine innerstaatliche Fluchtalternative unzumutbar sein (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, 5; vgl. auch UNHCR, Kapitel III.C.2).

Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, unter Berufung auf die Rechtsprechung des EGMR und des EuGH, ist das Vorliegen eines realen Risikos im Sinne des Art. 3 EMRK, das einer Abschiebung entgegenstehen würde, nur in sehr extremen Fällen erfüllt. In den übrigen Fällen muss das Vorliegen besonderer Unterscheidungsmerkmale, aufgrund derer sich die Situation der Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen, nachgewiesen werden (vgl. VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0243 mwH).

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Bezug auf die COVID- 19-Pandemie nicht nur auf die Gefahr einer schweren Erkrankung Bedacht zu nehmen, sondern müssen auch die sonstigen Auswirkungen der Pandemie auf die Rückkehrsituation des Beschwerdeführers (Versorgungslage, Unterkunft, Arbeitsmarkt) nachvollziehbar Berücksichtigung finden (vgl. zuletzt VwGH 04.01.2021, Ra 2020/18/0251).

Es muss dem Beschwerdeführer möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).

Die belangte Behörde hielt im angefochtenen Bescheid in Bezug auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers lediglich fest, dass kein Sachverhalt festgestellt werden habe können, der auf eine physische bzw. psychische oder psychologische Erkrankung bzw. notwendige und in Afghanistan nicht durchführbare medizinische Behandlung hindeuten würde. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde dazu aus, dass in Afghanistan auch Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen gegeben seien und eine medizinische Versorgung gewährleistet sei, da die verwendeten Medikamente auch in Afghanistan erhältlich seien. Weiters wurde ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer nicht in einem lebensbedrohlichen Zustand befinde, was damit begründet wurde, dass sich der Beschwerdeführer im gegenständlich eingeholten Gutachten vom Suizid distanziert habe.

Diesbezüglich gibt die belangte Behörde den Sachverhalt jedoch nicht vollständig wieder:

Die beigezogene Gutachterin führt zwar – wie von der belangten Behörde im Bescheid angeführt – aus, dass sich der Beschwerdeführer am Ende des Gesprächs von suizidalen Gedanken distanziert habe. Jedoch führt die Gutachterin nachfolgend weiters aus, dass bei zunehmender Belastung des Beschwerdeführers eine akute Belastung entweder mit einer Affekthandlung oder einer suizidalen Krise mit „erfolgreichem“ Suizid nicht ausgeschlossen werden könne. Unter Heranziehung des vorliegenden Gutachtens ist aus diesem Grund keineswegs zweifelsfrei davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer nicht in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet. In diesem Zusammenhang erweist sich auch die Feststellung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, dass sich aus dem Vorbringen nicht entnehmen lasse, dass der Beschwerdeführer an einer derart schwerwiegenden Erkrankung leide, die mit einer Lebens- oder gravierenden körperlichen Schädigungsgefahr verbunden wäre, als aktenwidrig, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Beschwerdeführer auch während seiner Einvernahme vor dem BFA mehrmals suizidale Gedanken äußerte.

Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zum Thema „psychische Krankheiten“ zeigt sich schließlich auch, dass zwar grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten bestehen, die Ressourcen jedoch sehr eingeschränkt sind und insbesondere in ländlichen Bereichen der Zugang nicht gewährleistet ist. Darüber hinaus ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass in Afghanistan die stationäre Aufnahme in eine psychiatrische Einrichtung, die der Beschwerdeführer bereits in Österreich auch mehrmals benötigte, nur mit Begleitung durch ein betreuendes Familienmitglied erfolgen kann. Personen ohne Angehörige werden selbst in Notfällen nicht stationär aufgenommen. Im Hinblick auf diese Notwendigkeit der familiären Unterstützung in Bezug auf die Gewährleistung einer medizinischen Behandlung ließ die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auch das neu erstattete Tatsachenvorbringen des Beschwerdeführers, dass ihn seine Familie in Afghanistan aufgrund seiner Hinwendung zum christlichen Glauben verstoßen habe, unberücksichtigt. Die belangte Behörde ging in diesem Zusammenhang im angefochtenen Bescheid auch nicht auf die Frage ein, inwiefern der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch ohne familiäre Unterstützung Zugang zu psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten hätte.

Im gegenständlichen Fall hat es die belangte Behörde daher verabsäumt, sich näher mit dem im Rahmen des nunmehrigen Verfahren erhobenen Tatsachenvorbringen auseinanderzusetzen. Insbesondere lässt der angefochtene Bescheid Feststellungen dazu vermissen, ob es dem Beschwerdeführer unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes und der fehlenden Unterstützung durch seine Familie im Herkunftsstaat möglich sein wird, nach anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten führen zu können. Im zugelassenen Verfahren wird hierbei somit vordergründig auch die Frage zu behandeln sein, ob der Beschwerdeführer aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes überhaupt als arbeitsfähig anzusehen ist. Diesbezüglich ergaben sich offensichtlich auch bei der belangten Behörde Zweifel, stellte sie dem Beschwerdeführer im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 16.03.2021 immerhin die Frage, ob er in Bezug auf seinen gesundheitlichen Zustand überhaupt dazu in der Lage sei, zu arbeiten, was der Beschwerdeführer ausdrücklich verneinte. Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass der bisher schon angespannte Arbeitsmarkt in Afghanistan durch die COVID-19-Pandemie in besonderem Ausmaß unter Druck geraten ist, wobei für die Arbeitssuche persönliche Kontakte eine wichtige Rolle spielen und generell das Vorhandensein eines sozialen Netzwerkes für die Integration von Rückkehrern notwendig erscheint. Die belangte Behörde wird somit im zugelassenen Verfahren zu klären haben, ob es dem Beschwerdeführer trotz seines Gesundheitszustandes und seiner fehlenden familiären Unterstützungsmöglichkeiten möglich sein wird, im Herkunftsstaat die anfänglichen Härten abzufedern, bis er sich eine gesicherte Existenz aufgebaut hat. Auch auf die sich laufend verändernde Sicherheitslage wird Bedacht zu nehmen sein.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass unter Berücksichtigung des im Vergleich zum ersten Verfahren deutlich verschlechterten Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers und seiner fehlenden familiären Unterstützungsmöglichkeiten sowie der diesbezüglichen Länderberichte eine Sachverhaltsänderung vorliegt, bei der es nicht ausgeschlossen ist, dass sie im Falle einer inhaltlichen Prüfung zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann und diese Sachverhaltsänderung somit sehr wohl einen „glaubhaften Kern“ aufweist, dem Relevanz zukommt und an den eine positive Entscheidungsprognose im Hinblick auf Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides anknüpfen kann. Unter Berücksichtigung der – aus dem vorliegenden Akt ersichtlichen – bereits mehrere Monate andauernden depressiven Krise mit mehreren schweren Episoden und wiederholter ernsthafter Suizidgefahr, der aktuell äußerst angespannten Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat sowie der fehlenden familiären Unterstützungsmöglichkeiten, die eine zeitnahe Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und Sicherstellung der für den Beschwerdeführer derzeit erforderlichen regelmäßigen fachärztlichen Behandlungen und regelmäßigen Medikamenteneinnahme mehr als in Frage stellt, ergibt sich in Gesamtschau eine maßgebliche Sachverhaltsänderung, die von der belangten Behörde einer inhaltlichen Prüfung im Hinblick darauf, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG zu gewähren ist, zu unterziehen gewesen wäre.

Die von der belangten Behörde im Hinblick auf den Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 68 Abs. 1 AVG getroffene zurückweisende Entscheidung erfolgte aus diesem Grund nicht zu Recht, weshalb Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides sowie die, daran anknüpfenden nachfolgenden Spruchpunkte aufzuheben waren, der Beschwerde insoweit stattzugeben war und das Verfahren somit in diesem Umfang entsprechend zugelassen ist.

Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG entfallen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist.

Schlagworte

Entscheidung in der Sache Identität der Sache Prozesshindernis der entschiedenen Sache Spruchpunktbehebung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W133.2195946.2.01

Im RIS seit

12.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten