Entscheidungsdatum
24.08.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L525 2171021-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Johannes ZÖCHLING als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gregor KLAMMER, Jordangasse 7/4, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.06.2021, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer – ein iranischer Staatsangehöriger – stellte nach illegaler und schlepperunterstützter Einreise in das Bundesgebiet am 4.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er Probleme mit seinem Glauben habe. Er glaube nicht an den Islam und deshalb sei es nicht möglich, im Iran zu leben. Das seien alle seine Fluchtgründe. Im Falle einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er, getötet zu werden.
2. Am 16.5.2017 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "BFA") einvernommen. Der Beschwerdeführer gab zu seiner Religion zusammengefasst im Wesentlichen an, dass er, als er noch studiert habe, einen Hass auf den Islam entwickelt und nur noch nach seiner Logik gelebt habe. Im Iran, nahe ihres Hauses, habe sich eine Kirche befunden. Sein Freund sei armenischer Christ gewesen und habe er mit ihm diese Kirche besucht. Der Beschwerdeführer sei damals 22 Jahre alt gewesen, als er das Christentum erstmals kennengelernt habe. Durch diesen Freund habe er die christlichen Zeremonien besucht und diesen beigewohnt. Er habe damals noch kein Interesse gehabt, aber es sei ein Kennenlernen gewesen. In Österreich habe er zuerst eine katholische Kirche besucht und sei jetzt in einer protestantischen Kirche. Über seinen Freund XXXX habe er den Pfarrer der Freikirche, XXXX , kennengelernt. Insgesamt sei er seit acht Monate dort; seit sechs Monaten sei er dreimal pro Woche dort, weil er auch einen Bibelkurs dort besuche. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass er im Iran von der Polizei vorgewarnt worden sei, dass sein Name aufliege mit dem Vorhalt, dass er in seinem Geschäft gegen den Islam Gespräche führe und dort Musik spiele, die im Iran verboten sei, weil sie gegen die Religion sei. Der Beschwerdeführer habe einen Freund, er sei stellvertretender Leiter der Kriminalpolizei gewesen und habe ihm das gesagt. Der Freund habe XXXX geheißen. Er habe sogar Schmiergelder von Leuten verlangt und auf das Konto des Beschwerdeführers überwiesen. Der Beschwerdeführer habe es dann behoben und ihm gegeben. Der Anlass für das Verlassen seines Herkunftsstaates sei gewesen, dass XXXX ihn vorgewarnt habe. Der Beschwerdeführer sei auf der Liste gestanden, weil er im Geschäft gegen den Islam gesprochen habe. Seine Frau wisse, dass er Christ sei und deshalb seien sie auch geschieden; vor sechs Monaten hätten sie telefonisch Schluss gemacht und sie habe dann die Scheidung eingereicht. Das Scheidungsverfahren sei noch nicht abgeschlossen.
Der Beschwerdeführer legte im Verfahren vor dem BFA diverse iranische Dokumente (Geburtsurkunde, Identitätskarte, Führerschein), ein Taufzeugnis vom 18.12.2016, ein Schreiben des Pastors der Freien Christengemeinde XXXX vom 15.5.2017 sowie einen Ratenbewilligungs(änderungs)-Bescheid der Staatsanwaltschaft Passau vom 14.12.2016 vor.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 1.9.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für seine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte das BFA zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe und die vorgelegten Beweismittel nicht geeignet seien, seine Identität zweifelsfrei festzustellen. Der Beschwerdeführer habe sich seit seiner Einreise in Europa mehrerer Aliasidentitäten bedient. Die vom Beschwerdeführer ausgesagten Ausreisegründe bzw. Asylantragsgründe vermögen nicht glaubhaft zu machen, dass dieser im Herkunftsstaat einer hinreichend intensiven GFK-relevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. im Rückkehrfall ausgesetzt wäre, die eine Asylgewährung rechtfertigen würde. Es sei nicht glaubhaft, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Hinwendung zum Christentum, welche er durch Vorlage eines Taufzeugnisses der Freien Christengemeinde XXXX (Pfingstgemeinde) für den 18.12.2016 zu beweisen versuche, tatsächlich seiner inneren Überzeugung entspreche. Im Fall des Beschwerdeführers sei vom Vorliegen einer Scheinkonversion auszugehen. Der Beschwerdeführer habe keine anderweitigen Bedrohungsmomente abseits seiner nicht glaubhaft seiner tatsächlichen inneren Überzeugung entsprechenden, behaupteten Konversion zum Christentum im gegenständlichen Verfahren geltend gemacht, noch seien solche hervorgekommen. Er sei weder bedroht oder verfolgt worden, noch habe er jemals Probleme mit Behörden, Polizei oder Militär im Herkunftsstaat gehabt oder sei anderen Schikanen ausgesetzt gewesen. Aus der vom Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme nicht glaubhaft ausgesagten Geldwäsche von Schmiergeldzahlungen für den stellvertretenden Leiter der Kriminalpolizei, XXXX , ließe sich, ebenso wie aus der nicht glaubhaft ausgesagten Scheidung von seiner Gattin, auch im rein hypothetisch unterstellten Wahrheitsfall keine GFK-Relevanz ableiten. Die Angaben des Beschwerdeführers zum vermeintlichen Fluchtgrund seien nicht glaubhaft und als reines Konstrukt zur Asylerlangung zu werten. Die behaupteten Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers seien unsubstantiiert und würde der Beschwerdeführer im Rückkehrfall nicht in eine persönlich ausweglose Situation geraten. Es hätten sich im Verfahrensverlauf keine Rückkehrhemmnisse seine Person betreffend ergeben. Der Beschwerdeführer habe in Österreich kein relevantes Familien- oder Privatleben. Er sei maßgeblich im Heimatstaat Iran familiär und sozial verankert und würden seine nächsten Angehörigen nach wie vor in seiner vormaligen Heimatregion im Herkunftsstaat leben.
4. Mit Schriftsatz vom 15.9.2017 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 1.9.2017. Darin brachte er im Wesentlichen vor, dass er im Zuge seiner Flucht im Mazedonien aufhältig gewesen sei und die mazedonische Polizei im Rahmen der Weiterreise Unterlagen mit seinem Namen ausgestellt habe, wobei dies für missverständliche Alias-Namen ursächlich sei. Die Staatsangehörigkeit habe der Beschwerdeführer absichtlich vor den mazedonischen Behörden mit Afghanistan angegeben, da er ansonsten nicht weiterreisen hätte können. Etwaige Ungereimtheiten in Bezug auf Angaben des Beschwerdeführers seien dem Umstand geschuldet, dass die Vernehmung bei der BPD München am 3.12.2015 in englischer Sprache erfolgt sei und der Beschwerdeführer Verständigungs- und Verständnisprobleme gehabt habe. Der Beschwerdeführer habe eine Mittelschulausbildung abgeschlossen und eine Zeit lang eine Hochschule besucht; er habe im Iran in weiterer Folge ein eigenes Geschäft gehabt. Er sei offiziell verheiratet, doch wolle seine Frau aufgrund seines Bekenntnisses zum Christentum nichts mehr mit ihm zu tun haben bzw. wünsche sie die Ehescheidung. Der Beschwerdeführer habe sich im Iran seit längerem kritisch zum Islam geäußert; so habe er insbesondere mit Kunden, die in sein Geschäft gekommen seien bzw. mit seinen Mitarbeitern einschlägig islamkritische Inhalte ausgetauscht. Die islamkritische Haltung des Beschwerdeführers resultiere aus dem Umstand, dass er den Islam mit Gewalt gleichsetze und er die Kriege bzw. die Unruhen in muslimisch geprägten Ländern auf den muslimischen Glauben zurückführe. In diesem Zusammenhang habe der Beschwerdeführer auch seit längerem islamische Traditionen kritisiert, wie z.B. das Kettenschlagen der schiitischen Glaubensgemeinde. Diese islamkritische Haltung des Beschwerdeführers wäre und sei in der gesamten Umgebung des Geschäftes bekannt und habe der Beschwerdeführer von einem beim Geheimdienst tätigen Bekannten erfahren, dass ein Name mittlerweile auf einer schwarzen Liste stehe, die staatlichen Behörden ergo von seiner Haltung bzw. seinen Gesprächen über diese wüssten. Der Beschwerdeführer befürchte aus diesem Grund, von staatlichen Behörden gesucht, diskriminiert, verfolgt und in weiterer Folge bestraft zu werden. Insbesondere fürchte sich der Beschwerdeführer vor einer etwaigen Todesstrafe. Apostasie (Abtrünnigkeit vom islamischen Glauben) sei im Iran faktisch verboten, wenngleich sie nicht immer unter diesem Titel bestraft würden. Nach seiner Abwendung vom Islam habe der Beschwerdeführer danach getrachtet, sich einer anderen Quelle der Spiritualität und des Glaubens zu öffnen. Dadurch habe er sich bereits im Iran dem Christentum zugewendet, das für ihn inneren Frieden und Glück bedeute und ihn anderen Menschen mit Erbarmen, Aufrichtigkeit und Vertrauen begegnen lasse. Der Beschwerdeführer schätze das Christentum wegen dessen Betonung der (Nächsten-)Liebe zwischen den Menschen und sehe dies als ursächlich dafür, dass christliche Länder für gewöhnlich sehr sicher seien. Als Ausdruck seines Glaubens und seiner verstärkten Hinwendung zum Christentum nach seiner Ankunft in Österreich habe er sich am 18.12.2016 bei der Freien Christengemeinde – Pfingstgemeinde – XXXX , XXXX , taufen lassen. Der Beschwerdeführer besuche in seinem Wohnort XXXX regelmäßig, mindestens einmal pro Woche, den Gottesdienst, habe sich mit dem Christentum und seinen Wurzeln auseinandergesetzt und habe im Rahmen des Gottesdienstes Bekanntschaften mit Bewohnern von XXXX geschlossen. Als Konvertit befürchte der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Iran, verfolgt zu werden bzw. massiven Repressalien seitens staatlicher Stellen ausgesetzt zu sein; als Konvertit zum Christentum befürchte er drakonische und willkürliche Strafen, wie insbesondere die Todesstrafe. Diese Befürchtung gründe insbesondere darauf, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers im Wissen um seine Konversion zum Christentum Anzeige erstattet habe, die Behörden also von seiner Konversion wüssten. Dass im Ausland Konvertierte nichts zu befürchten hätten, wenn sie sich bloß "ruhig verhalten", gelte keinesfalls für Personen, die schon vorher unter staatlicher Beobachtung gestanden seien, so wie dies beim Beschwerdeführer der Fall sei. Der Beschwerdeführer habe im Rahmen seiner Einvernahme eingehend geschildert, weshalb er den Islam für eine schlechte Religion halte und sie in Verbindung mit Gewalt bringe und habe die belangte Behörde der Taufe des Beschwerdeführers keine angemessene Beweiskraft zugemessen. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer bereits im Iran Interesse am Christentum gezeigt habe (vor der Taufe) und er in XXXX (nach der Taufe) regelmäßig den Gottesdienst besuche und mit Angehörigen der Kirchengemeinde in regen Kontakt trete, erlauben keinesfalls den Schluss, dass die Taufe lediglich einen "Formalakt", ja gar ein "Konstrukt zur Asylerlangung" darstelle. Das höchstgerichtlich geforderte Basiswissen weisen der Beschwerdeführer jedenfalls auf und habe der Beschwerdeführer seine Absicht, gemäß den leitenden Glaubensprinzipien zu leben, stets demonstriert.
5. Am 20.9.2017 wurde der Akt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
6. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.3.2021 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, seine Glaubensaktivitäten seit seiner Einreise in Österreich bis zur Gegenwart vollständig darzulegen, alle bislang nicht vorgebrachten bzw. neuen Tatsachen sowie allfällige wesentliche Änderungen oder Ergänzungen zu seinem bisherigen Vorbringen schriftlich unter Beibringung bzw. Geltendmachung aller Beweismittel bekanntzugeben. Der Beschwerdeführer wurde weiters aufgefordert, die bislang nur in Kopie übermittelte Heiratsurkunde im Original vorzulegen sowie aktuelle Bescheinigungen und Beschreibungen seiner Glaubensbetätigung durch offizielle Repräsentanten seiner Glaubensgemeinschaft unter Angaben von ladungsfähigen Adressen dieser Personen zum Zwecke einer allfälligen Zeugenbefragung zu übermitteln.
7. Der Beschwerdeführer legte am 25.3.2021 – soweit im Verfahren noch nicht vorgelegt – einen von ihm verfassten Brief, eine Heiratsurkunde im Original, ein ÖSD-Zertifikat A1 ("gut bestanden") vom 6.4.2018, eine Meldebestätigung vom 24.1.2020, ein Schreiben des Pastors der Freien Christengemeinde XXXX vom 20.3.2021 samt Ergänzung vom 23.3.2021, eine Kopie des Taufzeugnisses vom 18.12.2016 sowie diverse Empfehlungsschreiben und Lichtbilder vor.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.6.2021 in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seines (mündlich bevollmächtigten) rechtsfreundlichen Vertreters eine mündliche Verhandlung durch. Ein Behördenvertreter ist entschuldigt nicht erschienen. In der Verhandlung wurden der Zeuge XXXX einvernommen.
Im Zuge der Ladung zur Verhandlung wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Länderberichte zum Iran übermittelt. Informationen zur COVID-19-Pandemie sowie aktuelle Zahlen der WHO zu COVID-19 im Iran und in Österreich wurden vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingebracht. Der Beschwerdeführer und sein rechtsfreundlicher Vertreter verzichteten auf eine Stellungnahme. Der in der mündlichen Verhandlung einvernommene Zeuge legte dem erkennenden Gericht ein Schreiben des Beschwerdeführers vor (Beilage ./1).
9. Mit Schreiben vom 7.7.2021 gab der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers seine Vollmacht schriftlich bekannt.
10. Mit Abschlussbericht der LPD Niederösterreich vom 5.8.2021 wurde dargelegt, dass der Beschwerdeführer verdächtig sei, sich durch den Verkauf und Transport von Cannabiskraut ein fortwährendes Einkommen zu verschaffen. Einer freiwilligen Nachschau in seiner Wohnung habe der Beschwerdeführer nicht zugestimmt. Der Beschwerdeführer sei nicht geständig.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am dort angeführten Datum geboren. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Iran und der Volksgruppe der Perser zugehörig. Er spricht Farsi als Muttersprache und verfügt über Deutschkenntnisse, die ihm eine einfache Unterhaltung auf Deutsch erlauben. Der Beschwerdeführer ist gesund.
Der Beschwerdeführer wurde in XXXX in der iranischen Provinz Gilan geboren. Dort besuchte er zwölf Jahre lang die Schule und erlangte den Schulabschluss. Danach zog er nach XXXX und absolvierte dort eine fünfsemestrige Ausbildung als Elektriker für Autos. Anschließend zog er in die Stadt XXXX , wo er ein Maschinenbaustudium aufnahm, das er allerdings nicht abschloss. Der Beschwerdeführer eröffnete dann ein Fachgeschäft für gasbetriebene Heizungen, welches er bis zu seiner Ausreise aus dem Iran betrieb.
Der Beschwerdeführer heiratete im Jahr 2014 die iranische Staatsangehörige XXXX ; dass die Ehe geschieden wurde, kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer hat keine Kinder. Die Eltern des Beschwerdeführers, seine Schwester und sein Schwager sowie deren Kinder leben in der Heimatstadt des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer telefoniert mit seinen Eltern zweimal täglich, mit seiner Schwester ca. einmal in der Woche. Der Vater des Beschwerdeführers ist pensionierter Marineoffizier; sein Schwager ist ebenfalls Marineoffizier.
Der Beschwerdeführer reiste im November 2015 via Flugzeug von Teheran in die Türkei aus.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer befasste sich im Iran weder mit dem christlichen Glauben, noch ist er dort als Christ in Erscheinung getreten. Der Beschwerdeführer ist nicht ernstlich und aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert, sondern handelt es sich bei der im Verfahren vorgebrachten Konversion um eine Scheinkonversion. Der christliche Glaube ist nicht zu einem Teil seiner Identität geworden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Iran einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre. Es steht auch nicht fest, dass der Beschwerdeführer um sein Leben zu fürchten hat.
Weiters kann unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit mit sich bringen würde.
1.3. Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer reiste im Dezember 2015 illegal und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und stellte am 4.12.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Zuvor war dem Beschwerdeführer am 2.12.2015 die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland verweigert worden, nachdem er versucht hatte, dort unter Vorlage von gefälschten Urkunden (die ihn als afghanischen Staatsbürger auswiesen), einzureisen. Gegen den Beschwerdeführer wurde in der Folge von den deutschen Behörden ein Strafverfahren wegen § 276 Abs. 1 Z 2 dStGB (Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen – Verschaffen, Verwahren oder Überlassen) eingeleitet und eine Geldstrafe in Höhe von EUR 950,00 verhängt.
Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich und lebt auch nicht mit einer ihm sonst nahestehenden Person zusammen. Er verfügt über soziale und freundschaftliche Anknüpfungspunkte in Österreich; intensivere persönliche Beziehungen zu Österreichern können aber nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer legte diverse Empfehlungsschreiben vor. Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied in einem Verein.
Mitte des Jahres 2016 kam der Beschwerdeführer mit der Freien Christengemeinde – Pfingstgemeinde XXXX in Kontakt und besuchte zunächst einen in XXXX abgehaltenen, ca. viermonatigen Glaubensgrundkurs dieser Gemeinde (einmal pro Woche für zwei bis drei Stunden). Nach spezieller Taufvorbereitung an zwei, drei Abenden wurde der Beschwerdeführer am 18.12.2016 getauft. Der Beschwerdeführer nimmt regelmäßig an den Gottesdiensten der Gemeinde teil und besucht seit ca. vier Jahren einen wöchentlichen Bibelkurs (Bibelschule), der zuletzt online abgehalten wurde. Der Beschwerdeführer verrichtet in der Kirche Hilfstätigkeiten, wie Kaffeekochen und Ausgeben von Masken (Mund-Nasen-Schutz) sowie Platzzuweisung an Gemeindemitglieder; samstags putzt er die Kirche. Der Beschwerdeführer betreute gemeinsam mit dem Pastor der Freikirche, XXXX , in einem Zeitraum von ca. eineinhalb bis zwei Monaten einen Infostand in XXXX . Der Beschwerdeführer nimmt seit 24.1.2020 im Haus des Pastors der Freikirche Unterkunft.
Der Beschwerdeführer bestand am 6.4.2018 die Prüfung für das ÖSD-Zertifikat auf dem Sprachniveau A1 (Beurteilung: "gut bestanden").
Der Beschwerdeführer ging während seines Aufenthalts in Österreich bisher keiner Erwerbstätigkeit nach und bemühte sich auch nicht um eine Arbeitserlaubnis. Er steht nach wie vor im Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Von ihm begangene Verwaltungsübertretungen sind nicht aktenkundig.
1.4. Länderfeststellungen:
COVID-19
Letzte Änderung: 28.01.2021
Iran gilt als eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder (DW 18.11.2020) und ist nun auch von einer dritten COVID-19-InfektionsweNe stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind dabei kaum auszumachen, da das Ansteckungsrisiko flächendeckend sehr hoch ist. Städte und Provinzen sind je nach Infektionszahlen in unterschiedliche Risikogruppen eingeteilt (rot = kritische Situation, orange = hohes Risiko, gelb = geringes Risiko) (AA 1.12.2020). Die Zahl der Neuinfektionen bewegt sich den offiziellen Zahlen zufolge weiterhin auf einem hohen, und weiter steigenden Niveau, die Zahl der täglichen Todesopfer ist auch im Steigen begriffen (WKO 28.11.2020). Aktuelle Informationen und detaillierte Zahlen bieten das iranische Gesundheitsministerium und die Weltgesundheitsorganisation WHO (AA 1.12.2020). Die Auslastung der medizinischen Einrichtungen ist sehr hoch, verschiedentlich gibt es Engpässe bei der Versorgung mit Schutzausrüstung und Medikamenten (WKO 28.11.2020). Die Spitäler kämpfen mit Überlastung (WKO 28.11.2020; vgl. ZDF.de 18.10.2020). Für alle der 31 Provinzen inklusive Teheran gilt die Situation als sehr besorgniserregend (WKO 28.11.2020).
Personen, die in den Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf bei der Einreise nicht älter als 96 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, wird ausländischen Staatsangehörigen die Einreise nach Iran verwehrt. Iranische Staatsangehörige (Doppelstaatsbürger reisen in der Regel mit ihrem iranischen Reisepass ein) werden unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums in ein Flughafenhotel eingewiesen, dessen Kosten selbst zu tragen sind. Mit eigenhändiger Unterschrift ist zu bestätigen, dass das Hotel nicht verlassen werden darf. Die 14-tägige Quarantäne kann durch einen negativen molekularbiologischen Test beendet werden (BMeiA 1.12.2020; vgl. AA 1.12.2020). Positiv auf COVID-19 getestete Passagiere werden in ein Krankenhaus in Teheran oder andere Isolationsstationen verbracht (AA 1.12.2020).
Seit 21. November 2020 gilt für alle Provinzhauptstädte und zahlreiche weitere Städte ein zunächst zweiwöchiger Lockdown mit weitreichenden Verkehrseinschränkungen (BMeiA 1.12.2020; vgl. DW 18.11.2020), obwohl sich die iranische Regierung - aus Angst vor Protesten - lang gegen einen Lockdown gewehrt hat (DW 18.11.2020). Der Reiseverkehr zwischen diesen rot eingestuften Städten ist grundsätzlich untersagt. In Teheran gilt von 21 Uhr bis 4 Uhr ein Fahrverbot für Privatfahrzeuge (BMeiA 1.12.2020; vgl. DW 18.11.2020). Ab 22 Uhr gilt dies auch für den öffentlichen Nahverkehr. Taxis verkehren auch nach 22 Uhr (AA 1.12.2020). Es kommt - abgesehen vom Lebensmittelhandel und systemrelevanten Einrichtungen - ebenfalls zu landesweiten Betriebsschließungen (BMeiA 1.12.2020). Im Alltag ist derzeit vor allem in orangen und roten Regionen wieder mit Einschränkungen bei Öffnungszeiten und Serviceangebot zu rechnen. Vorübergehend werden weitergehende Beschränkungen eingeführt (z.B. Schließungen von Restaurants, Sporteinrichtungen, religiösen Einrichtungen usw.). Einrichtungen für den essentiellen Lebensbedarf wie Supermärkte und Apotheken bleiben geöffnet. Davon sind u.a. Teheran sowie der Großteil der Provinzhauptstädte und weitere Großstädte betroffen. In roten Regionen bleiben Touristenziele teilweise geschlossen. Camping in öffentlichen Parks ist grundsätzlich untersagt (AA 1.12.2020). Behörden bleiben geöffnet, werden aber nur mit einem Drittel der üblichen Mitarbeiter besetzt (DW 18.11.2020). In allen Schulen und Universitäten wird auf Fernunterricht umgestellt (WKO 28.11.2020; vgl. DW 18.11.2020).
Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen und öffentliche Transportmittel zu meiden. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr (AA 1.12.2020; vgl. WKO 28.11.2020). Künftig soll die Polizei stärker gegen Verstöße vorgehen, Strafen für Verstöße gegen die Auflagen wurden angekündigt (AA 1.12.2020).
Die Regierung hat ein Hilfspaket für Haushalte und Arbeitgeberbetriebe in der Höhe von 24 Mrd. USD beschlossen. 4 Mio. Haushalte sollen einen zinsfreien Mikrokredit von umgerechnet 62 bzw. 124 USD erhalten (WKO 28.11.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.12.2020, unverändert gültig seit 18.11.2020): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/ de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396 , Zugriff 1.12.2020
• BMeiA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (1.12.2020, unverändert gültig seit 20.11.2020): Iran - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia. gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/, Zugriff 1.12.2020
• DW-Deutsche Welle (18.11.2020): Irans Regierung gibt Widerstand gegen Corona-Lockdown auf, https://www.dw.com/de/irans-regierung-gibt-widerstand-gegen-corona-lockdown-auf/a-55651492 , Zugriff 1.12.2020
• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (28.11.2020): Coronavirus: Situation im Iran, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/iran-bulletin-aussenwirtschaftscenter-zum-coronavi rus--.html , Zugriff 1.12.2020
• ZDF.de (18.10.2020): Wie die zweite Welle den Iran trifft, https://www.zdf.de/nachrichten/panoram a/coronavirus-iran-zweite-welle-100.html, Zugriff 1.12.2020
Politische Lage
Letzte Änderung: 28.01.2021
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih", der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 9.2020a; vgl. BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdar- an oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Revolutionsführer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2020; vgl. FH 4.3.2020). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).
Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt (ÖB Teheran 10.2020). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 9.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2020). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 9.2020a). Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020). Nach dem die Erwartungen des Volks vom moderat-reformorientierten Parlament nicht erfüllt wurden und die Wirtschaftslage und die finanzielle Situation des Volks nach den US-Sanktionen immer schlechter wurde, kamen nach den Parlamentswahlen 2020 hauptsächlich die konservativen und erzkonservativen Kräfte ins Parlament. Die Mehrheit der Abgeordneten der neuen Legislaturperiode verfolgt sowohl gegenüber der Regierung von Rohani als auch gegenüber westlichen Werten eine sehr kritische Linie (ÖB Teheran 10.2020).
Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. GIZ 9.2020a, FH 4.3.2020, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 9.2020a). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 9.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 9.2020a).
Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 9.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 9.2020a; vgl. AA4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Folglich können iranische Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten auswählen (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.3.2020a): Politisches Portrait - Iran, https://www.auswaert iges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450 , Zugriff 7.4.2020
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.3.2020b): Steckbrief - Iran, https://www.auswaertiges-amt .de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394, Zugriff 7.4.2020
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland
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• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report - Iran, https://www.bti-project.org/co ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020
• DW - Deutsche Welle (23.2.2020): Konservative siegen bei Parlamentswahl im Iran, https://www.dw.com/de/konservative-siegen-bei-parlamentswahl-im-iran/a-52489961 , Zugriff 7.4.2020
• FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2025928.html , Zugriff 7.4.2020
• GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (9.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 3.12.2020
• ÖB Teheran - Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 2.12.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 28.01.2021
Der Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 2.12.2020).
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Diese haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 2.12.2020; vgl. AA 2.12.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 2.12.2020b).
In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 2.12.2020b).
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA2.12.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 2.12.2020).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 2.12.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 2.12.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.5.2020b, unverändert gültig seit 18.11.2020): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/ira nsicherheit/202396 , Zugriff 2.12.2020
• EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (2.12.2020, unverändert gültig seit 3.11.2020): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertr etungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 2.12.2020
• ÖB Teheran - Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 2.12.2020
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 28.01.2021
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2020). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA26.2.2020; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (USDOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische
Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).
Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrerAuslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens" [divine knowledge] für schuldig befinden (USDOS 11.3.2020).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die „Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere „Feindschaft zu Gott" und „Korruption auf Erde";
-Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
- Spionage für fremde Mächte;
- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).
Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Die Amputation z.B. eines Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen (Qisas), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann (ÖB Teheran 10.2020). Bei derartigen Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes (Diya) auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020). Durch Erhalt einer Kompensationszahlung (Diya) kann also der ursprünglich Verletzte auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten" gegen Diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2020). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).
Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten - wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit - dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).
Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 26.2.2020).
Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).
Quellen:
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland
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• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938 794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamisch en-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 7.4.2020
• AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445 204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-d er-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 7.4.2020
• AI - Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https: //www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html , Zugriff 14.5.2020
• AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World’s Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html , Zugriff 7.4.2020
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report - Iran, https://www.bti-project.org/co ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020
• BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/file admin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 7.4.2020
• FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2025928.html , Zugriff 7.4.2020
• HRC - UN Human Rights Council (28.1.2020): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/43/61], https://undocs.org/en/A/HRC/43/61, Zugriff 8.4.2020
• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/do kument/2022677.html , Zugriff 7.4.2020
• ÖB Teheran - Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 2.12.2020
• USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 28.01.2021
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (USDOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Revolutionsgarden unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist.
Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2020).
Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 26.2.2020). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij Milizen unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020).
Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Letztere nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden - gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Präsident Hassan Rohani versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BS 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben - nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen - überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).
Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).
Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU- Menschenrechtssankt