Entscheidungsdatum
07.09.2021Norm
AVG §6Spruch
W282 2245556-2/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Maßnahmenbeschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Italien, vertreten durch DI Peter MARHOLD, MBA (Helping Hands), gegen die Festnahme am 25.06.2021 und die Abschiebung am 26.06.2021 im Auftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und hinsichtlich des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 4 VwGVG und § 6 AVG als verspätet zurückgewiesen.
II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist hinsichtlich der Maßnahmenbeschwerde gegen die Festnahme des Beschwerdeführers am 25.06.2021 sowie gegen die Abschiebung des Beschwerdeführers am 26.06.2021 wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1Der Beschwerdeführer (BF), ein italienischer StA. hielt sich seit 1968 im Bundesgebiet auf und spricht fließend Deutsch. Der BF hat im Bundesgebiet eine Vielzahl an strafrechtlichen Verurteilungen angehäuft.
1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt oder belangte Behörde) vom XXXX wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG dem BF kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.), und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
1.3. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 14.08.2020, GZ G311 2233432-1/2E wurde der in Punkt 1.2 genannte Bescheid aufgehoben und gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Einer hiergegen erhobenen Amtsrevision des Bundesamtes war am 15. Februar 2021 zur Zl. Ra 2020/21/0399 erfolgreich und wurde der Beschluss des BVwG behoben. Darin wird festgehalten, dass BVwG wäre nicht zur Zurückverweisung berechtigt gewesen und hätte in der Sache selbst entscheiden müssen. Mit Behebung des Beschlusses des BVwG vom 14.08.2020 trat die Rechtssache in den Zustand vor der Erlassung des behobenen Beschlusses zurück.
1.4. Der Beschwerdeführer wurde am 25.06.2021 nach den Bestimmungen des BFA-VG seitens der LPD Wien festgenommen und am 26.06.2021 nach den Bestimmungen des 7. Hauptstückes des FPG im schriftlichen Auftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Leoben vom 25.06.2021 von Organen der LPD Wien nach Ungarn abgeschoben, wodurch die Anhaltung endete.
1.5. Gegen die Festnahme und Abschiebung wurden vom Rechtsvertreter (RV) des BF am 06.08.2021 Maßnahmenbeschwerden beim Verwaltungsgericht Wien eingebracht, welches die Beschwerde(n) gemäß § 6 AVG mit Verfügung vom 14.08.2021 und Postaufgabe am 17.08.2021 an das Bundesverwaltungsgericht weiterleitete, wo sie am 20.08.2021 eingelangte(n).
1.6. Dem Rechtsvertreter des BF wurde vom BVwG am 23.08.2021 ein Verspätungsvorhalt gemacht und eine siebentägige Frist zur Stellungnahem eingeräumt. Am 31.08.2021 langte eine Stellungnahem des RV ein, mit der zusätzlich auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt wurde. Darin wird wie folgt auszugsweise ausgeführt:
„2) Verspätungsvorhalt
Die Verbringung an die österreichisch-ungarische Staatsgrenze ist sowohl mangels Reise pass, als auch mangels durchsetzbarer Entscheidung nach dem FPG wohl nicht als Maßnahme iSd 7. und 8. Hauptstücks des FPG zu qualifizieren: Den Rückkehrausweis gem. § 96FPG gab es am 26.6. nicht, dieser hätte eine Verbringung an die italienische Grenze erforderlich gemacht und nicht an die ungarische und ist die Maßnahme der LPD Wien damit nicht als Abschiebung gem. § 46 FPG zu beurteilen. Damit ergibt sich die Zuständigkeit des LVwG Wien.
Dass die LPD Wien auf Anordnung des BFA eine Abschiebung bzw. Durchsetzung des Aufenthaltsverbots an eine ungeeignete Staatsgrenze versucht hat, ist nach der telefonisch erlangten Aussage durch das BFA RD Wien, es gäbe keinen Aktenvermerk oder keine schriftliche Anordnung, der Akt liege bei der RD Steiermark" zunächst völlig unglaubwürdig. Vielmehr ist von einem rechtsgrundlosen Versuch, einen EU-Bürger aus Wien irgendwie wegzuschaffen" auszugehen. Wenn es aufgrund einer möglicherweise bestehenden Ansicht seitens des BFA RD Steiermark, es läge entgegen Art. 31 Abs.2 der Unionsbürgerrichtlinie eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Entscheidung vor, sehr wohl eine Veranlassung durch diese Behörde gegeben haben sollte, entsteht zunächst noch immer keine Handlung nach dem 7. und 8. Hauptstück des BFA: Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts ist von einer Behörde in jedem Zeitpunkt auch ohne eigenen Antrag zu beachten:
Die unmittelbare Wirkung einer Norm des Unionsrechts führt nach ständiger Judikatur dazu, dass sie Vorrang gegenüber allen nationalen Rechtsvorschriften (Verordnungen, einfachen Gesetzen, gegebenenfalls innerstaatlichem Verfassungsrecht) genießt. Steht also eine innerstaatliche Norm dem Unionsrecht entgegen, dann verdrängt das Unionsrecht die innerstaatliche Norm.
Der Vorrang des Unionsrechts und die Anforderungen an die unionsrechtskonforme Interpretation nationalen Rechts wurde in der innerösterreichischen Judikatur mehrfach betont;
so stellt der VwGH u.a. fest:
[..]
Da im Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG eindeutig normiert wurde, dass die Durchsetzung der Aufenthaltsbeendigung entweder der gerichtlichen Entscheidung bedarf oder aus den „zwingenden Gründen" des Art. 28 Abs: 3 der Unionsbürgerrichtlinie abzuleiten wäre – die das BFA hinsichtlich der Verhängung des Aufenthaltsverbots kunstvoll wegargumentieren" wollte- und eine gerichtliche Entscheidung eben am 26.6. d.J. nicht vorlag (mangels Entscheidung des BVwG hätte dies nur ein Strafgericht sein können, aber das StG ist seit dem 1.1.1975 nicht mehr in Kraft), hat spätestens der Antrag auf. Erlassung einer einstweiligen Anordnung vom 18.6.2021 die Durchsetzbarkeit suspendiert.
In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass die Gerichte und Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet sind, diese Bestimmungen der Richtlinie unmittelbar anzuwenden, und zwar gegebenenfalls abweichend von nationalem Recht und mit Vorrang vor diesem und ohne besonderen Antrag.
Zwischenergebnis
Die rechtsgrundlose-Maßnahme der LPD Wien fällt in dieser Konstellation in die Zuständigkeit des LVwG Wien.
Gab es hingegen eine Anordnung des BFA, RD Steiermark, wurde eine unrichtige, zumindest unvollständige Auskunft dazu erstattet und die Akteneinsicht mit dem Hinweis der Akt ist in der Steiermark" sowie einem unbeantworteten Ersuchen um Akteneinsicht verweigert. In diesem Fall - der dem Verspätungsvorhalt nicht zu entnehmen ist - liegt ein Wiedereinsetzungsgrund vor:
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
[..]
Gemäß § 71 Abs. 2 AVG muss binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses der An trag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden. Der Beschwerdeführer wurde durch den Vorhalt der Verspätung vom 23.8.2021, zugestellt am 26.8.2021, informiert, dass die Maßnahmenbeschwerde aufgrund der Weiterleitung verspätet eingelangt wäre.
Die Frist für die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags nach § 71 AVG ist ab Kenntnis der Verspätung des eingebrachten Rechtsmittels zu berechnen (VwGH Erk 90/09/0157 ua). Aus diesem Grund ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig eingebracht, da er binnen zwei Wochen nach Wegfall dieses Hindernisses (hier: Kenntnis der vermutlichen Verfügung des BFA) gestellt wird.
Wie oben ausgeführt, muss die Partei durch ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis verhindert gewesen sein, die Frist einzuhalten. Der BF konnte nicht vor dem 26.8.2021 von der vermeintlich verspäteten Beschwerdeeinbringung Kenntnis erlangen, der nunmehrige Antrag erfolgt also in offener Frist. Ob die Beschwerde tatsächlich verfristet war, wird in Folge zu klären sein; allerdings ist aus advokatorischer Sorgfalt der Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht zu stellen.
Daher wird beantragt, gemäß § 71 AVG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist hinsichtlich der Maßnahmenbeschwerde zu bewilligen, da glaubhaft gemacht wurde, dass der BF aufgrund der Vereitelung der Akteneinsicht, gegen die auch kein gesondertes Rechtsmittel zulässig gewesen wäre, an der Versäumung kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Gab es die Anordnung des BFA, RD Steiermark, hingegen nicht- was noch immer plausibler erscheint - wäre die beim LVwG Wien fristgerecht eingebrachte Maßnahmenbeschwerde an dieses zurück zu übermitteln.
Maßnahmenbeschwerde,
Auf den Schriftsatz vom 6.8.2021 wird vollumfänglich verwiesen und dieser zur nachzuholenden Beschwerde erhoben. Das neuerliche Einbringen der Beschwerde als Nachholen der versäumten Handlung ist im Lichte der Rechtsprechung nicht erforderlich, gleichzeitig ist als spätestens gleichzeitig" zu verstehen.
[..]“
2. Beweiswürdigung
Der Sachverhalt und der Verfahrensgang ergeben sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt des Verfahrens des BVwG zur GZ W 2822 2245556-1 (Schubhaftbeschwerde) welches ebenfalls den BF betrifft, in Zusammenhalt mit der vorliegenden (beim Verwaltungsgerichtes Wien (VGW) eingebrachten) Beschwerde und dem Weiterleitungsschreiben des VGW vom 17.08.2021 (alles OZ 1).
Ein Auszug der OZ 10 des Aktes W282 2245556-1 (Abschiebeauftrag des Bundesamtes vom 25.06.2021 hinsichtlich des BF aus dem Fremdenakt der RD Steiermark, ASt Leoben) wurde als OZ 4 zum ggst. Akt genommen. Es besteht (und bestand bei objektiver Betrachtung niemals) ein Zweifel daran, dass die Verbringung des BF nach Nickelsdorf durch Organe der LPD Wien im Abschiebeauftrag des Bundesamtes iSd § 46 FPG erfolgte und somit dieser Akt verwaltungsbehördlichen Zwangs auch diesem zuzurechnen ist.
Die dagegen vom RV in seiner Stellungnahme vom 31.08.2021 erneut aufrechterhaltene Ansicht, die LPD Wien habe den BF ohne jedweden Auftrag und gesetzliche Zuständigkeit und ohne erkennbaren Grund aus Eigenem in rechts- und dann auch zweifelsfrei amtsmissbräuchlicher Absicht und Handlung aus dem Bundesgebiet durch Verbringung nach Ungarn zu entfernen versucht, muss bei aller gebotener Sachlichkeit als realitätsfern bezeichnet werden, zumal nicht der geringste Grund erkennbar ist, aus dem die LPD Wien derartig vorsätzlich rechtsmissbräuchlich handeln sollte, weshalb ihr auch argumentativ nicht näher zu treten ist.
3. rechtliche Beurteilung
Zu A)
3.1 anzuwendende Rechtsvorschriften:
§ 6 AVG lautet wie folgt:
„§ 6. (1) Die Behörde hat ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen; langen bei ihr Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig ist, so hat sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.
(2) Durch Vereinbarung der Parteien kann die Zuständigkeit der Behörde weder begründet noch geändert werden.“
§ 7 Abs. 4 VwGVG lautet wie folgt:
„(4) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG oder wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG beträgt vier Wochen. Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG beträgt sechs Wochen. Sie beginnt
1. in den Fällen des Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer nur mündlich verkündet wurde, mit dem Tag der Verkündung,
2. in den Fällen des Art. 132 Abs. 1 Z 2 B-VG dann, wenn der Bescheid dem zuständigen Bundesminister zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, in dem der zuständige Bundesminister von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat,
3. in den Fällen des Art. 132 Abs. 2 B-VG mit dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, wenn er aber durch diese behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung, und
4. in den Fällen des Art. 132 Abs. 4 B-VG dann, wenn der Bescheid dem zur Erhebung der Beschwerde befugten Organ zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, in dem dieses Organ von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat.“
§ 33 VwGVG lautet wie folgt:
„§ 33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrags ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil die anzufechtende Beschwerdevorentscheidung fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat oder die Beschwerdevorentscheidung keine Belehrung zur Stellung eines Vorlageantrags, keine Frist zur Stellung eines Vorlageantrags oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.
(3) In den Fällen des Abs. 1 ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen und zwar bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde und ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht; ein ab Vorlage der Beschwerde vor Zustellung der Mitteilung über deren Vorlage an das Verwaltungsgericht bei der Behörde gestellter Antrag gilt als beim Verwaltungsgericht gestellt und ist diesem unverzüglich vorzulegen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen
1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.
2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,
bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.
(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.
(4a) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrags auf Ausfertigung einer Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil auf das Erfordernis eines solchen Antrags als Voraussetzung für die Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof und einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht hingewiesen wurde oder dabei die zur Verfügung stehende Frist nicht angeführt war. Der Antrag ist binnen zwei Wochen
1. nach Zustellung einer Entscheidung, die einen Antrag auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4, eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.
2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit eines Antrags auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 Kenntnis erlangt hat,
beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen. Über den Antrag entscheidet das Verwaltungsgericht.
(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.
(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt.“
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist. Ist eine Beschwerde verspätet eingebracht worden, ist diese jedenfalls mit Beschluss zurückzuweisen. Auch über einen beim Verwaltungsgericht originär eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist mit Beschluss zu entscheiden (Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 28 VwGVG Rz. 7).
3.2 zu Spruchpunkt I.: Zurückweisung wegen Verspätung
Gemäß § 7 Abs. Z 1 3 BFA-VG iVm Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.
Gemäß § 22a Abs. 1 Z 1. u 2 BFA-VG (BFA-Verfahrensgesetz) hat ein Fremder hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem BFA-VG festgenommen worden ist, und/oder er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird. Gemäß des im 7. Hauptstück des FPG angesiedelten § 46 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung).
Gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG sechs Wochen. Sie beginnt gemäß § 7 Abs. 4 Z 3 VwGVG in den Fällen des Art. 132 Abs. 2 B-VG mit dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, wenn er aber durch diese behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung.
Für die ggst. Maßnahmenbeschwerde(n) ist daher das Bundesverwaltungsgericht das sachlich zuständige Verwaltungsgericht. Die ggst. Maßnahmenbeschwerde(n) wurden am 06.08.2021 beim sachlich unzuständigen Verwaltungsgericht Wien eingebracht, welches die Beschwerde(n) gemäß § 6 AVG ohne unnötigen Aufschub mit Verfügung vom 14.08.2021 und Postaufgabe am 17.08.2021 an das Bundesverwaltungsgericht weiterleitete, wo sie am 20.08.2021 eingelangte(n). Durch die Abschiebung am 26.06.2021 wurde die Festnahme und Anhaltung des BF faktisch und rechtlich beendet, womit die Beschwerdefrist zu Laufen begann und endete diese somit am 07.08.2021.
Werden Beschwerden bei einem unzuständigen Verwaltungsgericht eingebracht, ist die notwendige Dauer der Weiterleitung gemäß § 6 AVG an das sachlich zuständige Gericht fristwirksam, da die Weiterleitung „auf Gefahr des Einschreiters“ erfolgt. Dies hat zur Konsequenz, dass die Beschwerde somit innerhalb noch offener Beschwerdefrist beim zuständigen Verwaltungsgericht tatsächlich einlangen muss. Die ggst. Beschwerden langten beim Bundesverwaltungsgericht postalisch erst am 20.08.2021 und somit deutlich nach Verstreichen der Beschwerdefrist des § 7 Abs. 4 VwGVG am 07.08.2021 ein. Die Beschwerde(n) sind daher als verspätet zurückzuweisen. Anzumerken ist noch, dass das VGW die Beschwerde ohne unnötigen Aufschub weitergleitet hat, jedoch aufgrund der zeitnah zum Ende der Beschwerdefrist (einen Tag vor Ende der Frist) erfolgten Beschwerdeeinbringung durch den RV eine noch fristgerechte Weiterleitung realistisch nicht mehr möglich war.
Der RV macht dagegen in seiner Stellungnahme keine Gründe geltend, die zu einer anderen Bewertung der mangelnden Rechtzeitigkeit der Beschwerde führen könnten, zumal aufgrund der ausdrücklichen Adressierung und Rubrifizierung des Beschwerdeschriftsatzes an das VGW kein Zweifel daran bestehen kann, dass die Beschwerde auch nicht irrtümlich beim sachlich unzuständigen VGW eingebracht wurde, sondern der RV diese aufgrund der von ihm postulierten Fiktion der rechtsgrund- und auftragslosen Verbringung des BF aus dem Bundesgebiet durch Orange der LPD Wien in Eigenregie tatsächlich dort einbringen wollte, wie er in seiner am 31.08.2021 eingelangten Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt nochmals bestätigt. Für die Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde ist dies letztlich auch nicht weiter relevant, ist über den unter einem vom BF gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Spruchpunkt II. dieses Beschlusses zu entscheiden.
Die (gemäß § 6 AVG weitergeleitete) spruchgegenständliche Maßnahmenbeschwerde war daher gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 4 VwGVG und § 6 AVG als verspätet zurückzuweisen.
3.3. Spruchpunkt II.: zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Einleitend ist festzuhalten, dass der RV erneut die Rechtslage hinsichtlich der grds. anwendbaren Bestimmungen verkennt, wenn er in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließlich auf § 71 AVG Bezug nimmt, der bei von Verwaltungsgerichten originär zu entscheidenden Anträgen auf Wiedereinsetzung nicht zur Anwendung gelangt. Ungeachtet dessen deutet das Verwaltungsgericht diesen Antrag als Antrag auf Wiedereinsetzung nach § 33 VwGVG um, der die für das Verwaltungsgericht maßgebliche Bestimmung bildet, wenngleich der VwGH bereits ausgesprochen hat, dass seine Judikatur zu § 71 AVG auf diese Bestimmung grds. übertragbar ist.
Gegenständlich ist der Antrag beim Verwaltungsgericht richtig eingebracht, da auch die Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG bei diesem direkt einzubringen wäre. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist für eine Maßnahmenbeschwerde ist daher direkt beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Der Antrag ist aber keineswegs berechtigt:
Einleitend ist festzuhalten, dass nach der Rsp. des VwGH die Verwaltungsgerichte so wie die erstinstanzlichen Behörden an die vorgebrachten Wiedereinsetzungsgründe gebunden sind. (zB, VwGH 17. 3. 2015, Ra 2014/01/0134; 6. 6. 2017, Ra 2017/05/0075). Weiters muss der Wiedereinsetzungswerber die geltend gemachten Wiedereinsetzungsgründe ausreichend bescheinigen (VwGH 8. 6. 2015, Ra 2015/08/0005; 25. 11. 2015, Ra 2015/06/0113).
Basierend auf dem ggst. Antrag fehlt es im ggst. Fall schon dem Grunde nach einem unvorhersehbaren und unabwendbaren Ereignis: Der RV bringt auch in seinem Antrag bzw. in seiner Stellungnahme vom 31.08.2021 vor, er sei nach wie vor davon überzeugt, dass das LVwG Wien für die ggst. Maßnahmenbeschwerde zuständig sei, weil er nicht an die Existenz eines Abschiebeauftrag des Bundesamtes für die Abschiebung am 26.06.2021 glaube. Der RV ignoriert dabei geflissentlich, dass schon aus dem Verspätungsvorhalt des BVwG vom 23.08.2021 nicht nur die Existenz eines solchen Auftrags hervorgeht, sondern dieser dem BVwG auch tatsächlich vorliegt, hätte doch das BVwG angesichts des Beschwerdevorbringens in der an das (unzuständige) LVwG Wien gerichteten Maßnahmenbeschwerde des RV gar keinen Grund von seiner sachlichen Zuständigkeit auszugehen, sondern diesfalls die Beschwerde erneut gemäß § 6 AVG an das LVwG Wien zurückgeleitet. Die Tatsache, dass der RV die Beschwerde somit in voller Absicht und ohne zugrundliegenden Adressierungs- oder postalischen Irrtum an das LVwG Wien gerichtet hat, stellt per-se kein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis dar.
Weiters bringt der RV als Wiedereinsetzungsgrund vor, er habe vom diesem Abschiebeauftrag (auch wenn er nach wie vor an dessen Existenz zweifle) vor der Einbringung der Maßnahmenbeschwerde keine Kenntnis erlangen können, da ihm vom Bundesamt die Akteinsicht verweigert worden wäre. Hier übersieht der RV, dass er damit an seinem eigenen Antragsvorbringen scheitert: Er bringt vor, bloß telefonisch bei der Regionaldirektion (RD) Wien des Bundesamtes hinsichtlich des Aktes des BF nachgefragt zu haben, wo man ihm gesagt habe „es gäbe keinen Aktenvermerk oder keine schriftliche Anordnung, der Akt liege bei der RD Steiermark“. Zum einen ist der RV daran zu erinnern, dass Behörden schon aus datenschutzrechtlichen Gründen keinesfalls verpflichtet sind, verfahrensbezogene Auskünfte per Telefon zu erteilen, ist doch in diesem Wege die Berechtigung des jeweiligen Anrufers zur Akteneinsicht bzw. dessen Stellung als Partei oder bevollmächtigter Vertreter in einem bestimmten Verfahren nicht überprüfbar. Wenn also der RV sinngemäß vorbringt, ihm sei die Akteneisicht per Telefon verweigert worden, scheitert dies schon daran, dass eine solche nur in den physischen (Papier)Akt der verfahrensführenden Dienststelle der jeweiligen Behörde oder in elektronischer Form bei elektronsicher Aktenführung möglich ist. Selbst bei (ausschließlich) elektronischen Akten(teilen) kann (und muss) die Behörde dem Recht auf Akteneinsicht schon nach § 17 Abs. 1 erster Satz AVG nur dadurch Genüge tun, dass sie den Parteien über entsprechende Geräte (Bildschirme) bei der Behörde Einsicht in den Akt gewährt. Eine Verweigerung der Akteneinsicht durch das Bundesamt scheitert hier also fallbezogen schon daran, dass eine Akteneinsicht per Telefon (neben dem Faktum, dass es sich nicht um eine Einsicht handeln kann) schon aus rechtlichen Gründen ausscheidet und der RV weder schlüssig vorbringt noch bescheinigt, dass ihm trotz sonst formal konkreten Verlangens auf Akteneinsicht (vgl. zum Ganzen: Hengstschläger/Leeb, AVG § 17, Rz. 6ff) diese vor Ort vom Bundesamt verwehrt worden wäre. Auch bringt er nicht vor, ihm wäre die Ausfolgung oder Übersendung von Abschriften der betreffenden Aktenteile vom Bundesamt verweigert worden, da er eine solche nach seinem Vorbringen offenbar nicht verlangt hat.
Ungeachtet dessen wäre aber auch dieses Ereignis- so es sich so zugetragen hat - weder ein unvorhersehbares noch unabwendbares, dass zwingend zum Versäumen der Beschwerdefrist geführt hat: Tatsächlich war nämlich die Auskunft der RD Wien des Bundesamtes korrekt, da hinsichtlich der Festnahme und Abschiebung am 25. bzw. 26.06.2021 des BF die RD Steiermark, Außenstelle Leoben des Bundesamtes die verfahrensführende und somit aktführende Dienststelle ist. Dass der RV somit telefonisch tatsächlich an die richtige aktenführende Dienststelle des Bundesamtes zur Vornahme der Akteneinsicht verwiesen wurde, dort – gegenteiliges ist dem Wiedereinsetzungsantrag nicht zu entnehmen – aber offenbar niemals angefragt, eine Akteneinsichtnahme begehrt oder um Übermittlung einer Aktenabschrift im Hinblick auf den Abschiebeauftrag ersucht hat, ist keineswegs unabwendbar, sondern eine nicht nachvollziehbare Nachlässigkeit, die überdies auch den Maßstab eines „minderen Grad des Versehens“ bei Weitem überschreitet. Das BVwG kann sich auch des Eindrucks angesichts des beharrlichen Festhaltens des RV an seiner propagierten Fiktion der amts- und rechtsmissbräuchlichen sowie grund- und auftragslosen Verbringung des BF an die Staatsgrenze durch die LPD Wien nicht zur Gänze erwehren, dass sich der RV durch das Telefonat mit der RD Wien des Bundesamtes in seiner Ansicht offenbar bestätigt sehen wollte und keine weiteren Anstrengungen zu Akteneinsicht unternommen hat.
Zusammengefasst fehlt es dem Wiedereinsetzungsantrag des RV am Vorliegen bzw. an der Bescheinigung eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses iSd § 33 Abs. 1 VwGVG, das für die Versäumung der ggst. Beschwerdefrist kausal war, weshalb der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen war.
Zu B)
Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (jeweils in der Begründung zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Fristversäumung Pandemie Verschulden Versehen Verspätung WiedereinsetzungsantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W282.2245556.2.00Im RIS seit
12.01.2022Zuletzt aktualisiert am
12.01.2022