Entscheidungsdatum
21.09.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W222 2200227-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Obregon als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG, § 57 AsylG, 10 Abs. 1 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG iVm § 46 FPG sowie § 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 23.06.2015 den ersten Antrag auf internationalen Schutz. Am Folgetag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er in seiner Heimat von den Al-Shabaab Milizen verfolgt und bedroht worden sei. Diese hätten den BF beschuldigt, er habe in seiner Funktion als freier Journalist schlechte Berichte über sie im Internet verbreitet. Aus Angst um sein Leben habe er sich zur Ausreise entschlossen.
Am 12.09.2016 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Dabei gab er an, dass es Ende 2012 in XXXX Clanproblem gegeben hätte. Eines Nachts seien Ogaden zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen und hätten ihn und seine Eltern geschlagen. Aus Angst sei er deshalb nach Mogadischu gezogen. Nachdem er dort seinen Uni-Abschluss absolviert gehabt habe, habe er Probleme mit der Al-Shabaab bekommen. Diese hätten den Beschwerdeführer mehrmals bedroht und ihm vorgeworfen, dass er ein Spion der Regierung sei und, dass er mit Journalisten zusammenarbeiten würde, die Berichte gegen die Al-Shabaab schreiben würden. Sie hätten zum Beschwerdeführer gesagt, dass er zu Tode verurteilt sei. Aus diesem Grund habe er Somalia verlassen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei ein erwachsener, gebildeter, gesunder und arbeitsfähiger Mann, dem es möglich und auch zumutbar sei in Mogadischu zu leben und dort den Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Behörde gehe auch davon aus, dass der Beschwerdeführer telefonischen Kontakt mit seiner Familie im Herkunftsland aufnehmen könne und somit auch mit finanzieller Unterstützung seitens der Familie rechnen könne. Er würde bei einer Rückkehr nach Somalia somit nicht in eine ausweglose Situation geraten. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.01.2020 W252 2200227-1/24E nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.09.2019 als unbegründet abgewiesen.
Am XXXX .10.2020 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz in Deutschland. Am XXXX .04.2021 wurde der Beschwerdeführer von Deutschland nach Österreich überstellt.
Am XXXX .04.2021 stellte der Beschwerdeführer gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz und gab an: „Meine Eltern wurden am XXXX .01.2021 von den Ogaden getötet. Die Ogaden wollten das Land meiner Eltern. Ich befürchte ebenfalls von den Ogaden oder der Al-Shabaab getötet zu werden. Diese Gruppen glauben, dass ich kein Muslim bin und wollen mich deshalb töten.“
Bei der Einvernahme am 14.05.2021 vor der XXXX gab der Beschwerdeführer auf die Frage, warum er einen neuerlichen Asylantrag stelle an:
„(…) LA: Sind die Angaben, die Sie im Rahmen der polizeilichen Erstbefragung im 2. Verfahren gemacht haben richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?
VP: Ja.
LA: Welchen Fluchtgrund haben Sie jetzt in Ihrem 2. Verfahren?
VP: Meine Eltern wurden am XXXX .01.2021 getötet, das sind meine einzigen neuen Gründe.
LA: Was hat das mit Ihnen zu tun?
VP: Sie haben unser Land genommen. Nachgefragt: Die Volksgruppe Ogaden. Nachgefragt: Weil es meine Eltern sind, das ist wichtig für mich.
LA: Warum wurden Ihre Eltern getötet?
VP: Weil das Land meinem Vater gehört. Weil es eine andere Volksgruppe ist. Sie haben meine Eltern getötet. Nachgefragt: Weil wir sind Sheikahla und wir sind eine Minderheit in Somalia, wir haben keine Rechte.
LA: Haben Sie Beweismittel, dass Ihre Eltern umgebracht wurden?
VP: Nein, Nachgefragt – wie haben Sie von dem Tod Ihrer Eltern erfahren? Mein Bruder hat mir das berichtet.
LA: Was konkret befürchten Sie aufgrund dieses Ereignisses bei einer Rückkehr nach Somalia?
VP: Ich habe Angst vor Ogaden und auch vor der Al-Shabaab, das Land ist nicht sicher für mich.
LA: Was würden Sie konkret zu befürchten haben, wenn Sie zurückkehren müssen?
VP: Ich habe Angst um mein Leben. Nachgefragt warum: Weil diese Leute meine Eltern getötet haben und dann habe Angst vor der Al-Shabaab.
LA: Wissen Sie konkret warum Ihre Eltern getötet worden sind?
VP: Weil das Land genommen worden ist.
LA Wem hat das Land gehört?
VP: Meinem Vater
LA: Wissen Sie warum das Land angeeignet worden ist?
VP Nein.
LA: Sind Sie verheiratet?
VP: Ja.
LA: Haben Sie Kinder?
VP: Nein.
LA: Sind Sie in Österreich Mitglied in Vereinen oder Organisationen?
VP: Nein
LA: Haben Sie in Ihrem Heimatland Familienangehörige oder Verwandte?
VP: Niemand ist in Somalia. Nachgefragt Bruder: In XXXX Kenia
LA: Haben Sie in Österreich Verwandte?
VP: Nein. (…)“
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG erteilt und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrens-gesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idgF (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF (FPG) erlassen (Spruchpunkt III. und IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren dieselben Gründe, die er im ersten Asylverfahren behauptet habe, vorgebracht habe. „(…) Die Feststellung, dass Sie im gegenständlichen Verfahren keinen nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens neu entstandenen und asylrelevanten Sachverhalt vorgebracht haben, ergibt sich aus Ihren Angaben bei der Erstbefragung sowie der nachfolgend durchgeführten Einvernahme beim Bundesamt zum gegenständlichen Verfahren. Sie führen nunmehr aus, dass Ihre Eltern aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten umgebracht worden wären. Sie können weder den genauen Hergang der Ereignisse nennen, noch können Sie angeben, inwiefern dies etwas mit Ihnen zu tun haben sollte. Sie hätten dies von jemandem Erfahren, können jedoch keinerlei diesbezügliche Dokumente oder Bescheinigungen vorlegen.
Sie stellten die genannten Ereignisse völlig inhaltslos in den Raum, es hätte ihnen möglich sein müssen zumindest grundsätzliche Details anzuführen, wozu sie nicht in der Lage waren. Daher war auch an dieser Stelle ersichtlich, dass sie sich in ihrem Verfahren einer völlig frei erfundenen Fluchtgeschichte bedient haben, der jeder Wahrheitsgehalt zu versagen war.
Abgesehen davon, haben Sie Ihr Vorbringen viel zu „blass“ und wenig detailreich geschildert. Ein reales Erlebnis ist in der Regel in einen größeren Kontext eingebettet, es ist mit anderen Ereignissen, bewiesenen Tatsachen verflochten, bzw. steht im raumzeitlichen Zusammenhang mit anderen, quasi externen Gegebenheiten, wie z.B. Alltäglichkeiten. Sie stellen lediglich in den Raum, dass Ihre Eltern getötet worden wären, können aber keinerlei Details nennen. Selbst wenn Sie die Ereignisse nur erzählt bekommen hätten, so hätten Sie doch jedenfalls die Person, welche Ihnen dies berichtet hatte, über den genauen Hergang der Ereignisse befragt hätten. Es ist daher festzustellen, dass Sie diese Ereignisse offensichtlich frei erfunden haben. Sie wussten weder etwas über den Tathergang zu berichten und konnten jedenfalls nicht angeben, inwiefern die genannten Ereignisse mit Ihnen in Zusammenhang stehen sollten.
Festzuhalten ist, dass Ihre Angaben somit einen unveränderten Sachverhalt darstellen, weswegen sich zum jetzigen Zeitpunkt auch hinsichtlich der im Erstverfahren getroffenen Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Somalia ebenfalls keine Änderung ergeben hat und diese daher nach wie vor für zulässig erachtet wird.
Aufgrund der Feststellungen im Vorverfahren, sowie auch aufgrund der Feststellungen, dass sich in Bezug auf die Länderberichte zu Somalia in Bezug auf Ihr Vorbringen keine wesentlichen Veränderungen der Lage ableiten lassen, kann weiterhin nicht von einer gezielt gegen Sie gerichteten Verfolgung ausgegangen werden.
Die vorgebrachten Gründe, warum es Ihnen nun nicht mehr möglich wäre, in Ihr Herkunftsland zurückzukehren, sind somit nicht geeignet, eine neue, inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und kann darin kein neuer, entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden, da sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 9.9.1999, 97/21/0913; 27.9.2000, 98/12/0057; 25_4.2002, 2000/07/0235). Werden nur Nebenumstände modifiziert, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl, zB VwGH 27.9.2000, 98/12/0057). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des ho. vorliegenden Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen. Anhaltspunkte für eine Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf allgemein bekannte Tatsachen, die vom Bundesamt von Amts wegen zu berücksichtigen wären, liegen auch nicht vor, da sich die allgemeine Situation in Somalia seit Rechtskraft des vorherigen Verfahrens, nicht wesentlich geändert hat.
Das Bundesamt geht in einer Zusammenschau des gesamten vorliegenden Sachverhalts davon aus, dass die von Ihnen im gegenständlichen Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe und Begründungen für den neuerlichen Asylantrag nach wie vor nicht dazu geeignet sind einen neuen Sachverhalt entstehen zu lassen.
Die erkennende Behörde kann sohin nur zum zwingenden Schluss kommen, dass der objektive und entscheidungsrelevante Sachverhalt unverändert ist. Es liegt sohin entschiedene Sache im Sinne von § 68 AVG vor.
Weder aus Ihrem Vorbringen im gegenständlichen Verfahren, noch aus dem im Erstverfahren zugrunde gelegten Feststellungen zu Ihrem Heimatland, unter Berücksichtigung von aktualisierten Versionen des im Erstverfahren verwendeten Quellenmaterials, gehen Hinweise auf eine seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahren maßgeblich geänderte Lage in Ihrem Heimatland hervor.
Die in den Feststellungen zu Somalia angeführten Inhalte stammen aus einer Vielzahl von unbedenklichen und aktuellen Quellen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, welche durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt wurden. In diesem Zusammenhang sei auf den Inhalt des § 5 BFA- Einrichtungsgesetz betreffend die Ausführungen zur Staatendokumentation verwiesen, insbesondere auf den Passus, wonach die gesammelten Tatsachen länderspezifisch zusammenzufassen, nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren sind, einschließlich den vorgegebenen Aktualisierungsverpflichtungen.
Hinweise darauf, dass die vorstehend angeführten Vorgaben des § 5 BFA-Einrichtungsgesetz bei den dem gegenständlichen Verfahren zugrunde gelegten Feststellungen zu Somalia nicht beachtet worden wären, haben sich im Verfahren nicht ergeben.
Bezüglich der von der erkennenden Behörde getätigten Feststellungen zur allgemeinen Situation in Ihrem Herkunftsland ist festzuhalten, dass diese Kenntnisse als notorisch vorauszusetzen sind. Gemäß § 45 Absatz 1 AVG bedürfen nämlich Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind (so genannte „notorische“ Tatsachen; vergleiche Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze 13-MSA1998-89) keines Beweises. „Offenkundig“ ist eine Tatsache dann, wenn sie entweder „allgemein bekannt“ (notorisch) oder der Behörde im Zuge ihrer Amtstätigkeit bekannt und dadurch „bei der Behörde notorisch“ (amtsbekannt) geworden ist; „allgemein bekannt“ sind Tatsachen, die aus der alltäglichen Erfahrung eines Durchschnittsmenschen – ohne besondere Fachkenntnisse – hergeleitet werden können (VwGH 23.01.1986, 85/02/0210; vergleiche auch Fasching; Lehrbuch 2 Rz 853). Zu den notorischen Tatsachen zählen auch Tatsachen, die in einer Vielzahl von Massenmedien in einer der Allgemeinheit zugänglichen Form über Wochen hin im Wesentlichen gleichlautend und oftmals wiederholt auch für einen Durchschnittsmenschen leicht überprüfbar publiziert wurden, wobei sich die Allgemeinnotorietät nicht auf die bloße Verlautbarung beschränkt, sondern allgemein bekannt ist, dass die in den Massenmedien verbreiteten Tatsachen auch der Wahrheit entsprechen.
Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des ho. vorliegenden Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen.
Was die weiteren und gemäß § 8 AsylG 2005 berücksichtigungswürdigen Aspekte betrifft, ist anzumerken, dass sich im gegenständlichen Verfahren ebenso kein Hinweis auf einen seit Rechtskraft Ihres Erstverfahrens entscheidungsrelevant geänderten Sachverhalt ergeben hat, weder im Hinblick auf Ihre persönliche Situation, noch im Hinblick auf die allgemeine Lage in Somalia. (…)“
Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 23.06.2015 den ersten Antrag auf internationalen Schutz, der in 2. Instanz vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 28.01.2020 W252 2200227-1/24E nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen wurde; das Vorbringen des Beschwerdeführers wurde dabei als nicht glaubhaft beurteilt und liegt eine Rückkehrentscheidung bezogen auf den Herkunftsstaat vor. Am XXXX .04.2021 stellte der Beschwerdeführer den zweiten Antrag auf internationalen Schutz und gab als Begründung an, dass seine Eltern von den Ogaden am XXXX .01.2021 getötet worden seien und er befürchte ebenfalls von den Ogaden oder der Al-Shabaab getötet zu werden.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten oder sonstige Personen, zu denen eine besonders enge Beziehung bestehen würde. Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten und ist arbeitsfähig. Er eignete sich während seines Aufenthalts Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A2 an, holte den Pflichtschulabschluss nach und hat österreichische Freunde. Er ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation. Darüber hinaus konnten weitere maßgebliche Anhaltspunkte, die für die Annahme einer besonderen Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sprechen würden, nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer ist seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen, sondern hat einen zweiten Asylantrag gestellt.
Zur Lage in Somalia wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichten Folgendes festgestellt:
COVID-19
Letzte Änderung: 07.07.2021
Zwischen 19.3.2020 und 2.1.2021 wurden über 81.000 Menschen getestet, knapp 4.700 waren infiziert (HIPS 2021, S. 24). Im ersten Quartal 2021 entwickelte sich eine neue Welle. Im Zeitraum 16.3.-7.5.2021 wurden 11.504 Infektionen bestätigt, 537 Personen starben an oder mit Covid-19 (UNSC 19.5.2021, Abs. 61). Mit Stand 27.6.2021 waren in Somalia 7.235 aktive Fälle registriert, insgesamt 775 Personen waren verstorben. Seit Beginn der Pandemie waren nur 140.128 Tests durchgeführt worden (ACDC 27.6.2021). Mitte März 2021 trafen die ersten Impfstoffe in Somalia ein. Mit Stand 29.4.2021 waren 121.700 Personen immunisiert (UNSC 19.5.2021, Abs. 61).
Im August 2020 wurde der internationale Flugverkehr wieder aufgenommen (PGN 10.2020, S. 9).
Regeln zum social distancing oder auch Präventionsmaßnahmen wurden kaum berücksichtigt (HIPS 2021, S. 24). Trotz Warnungen wurden Moscheen durchgehend – ohne Besucherbeschränkung – offengehalten (DEVEX 13.8.2020). Mitte Feber 2021 warnte die Gesundheitsministerin vor einer Rückkehr der Pandemie. Die Zahl an Neuinfektionen und Toten stieg an (Sahan 16.2.2021b). Ende Feber 2021 wurden alle Demonstrationen in Mogadischu verboten, da eine neue Welle von Covid-19 eingetreten war. Zwischen 1. und 24. Feber verzeichnete Somalia mehr als ein Drittel aller Covid-19-Todesopfer der gesamten Pandemie (PGN 2.2021, S. 16).
Die tatsächlichen Infektionszahlen sind aufgrund wenig verfügbarer bzw. erreichbarer Testmöglichkeiten, Stigma, wenig Vertrauen in Gesundheitseinrichtungen sowie teilweise der Leugnung von COVID-19 völlig unklar (UC 13.6.2021, S. 9). Testungen sind v.a. auf Städte beschränkt (UC 13.6.2021, S. 2) und generell so gut wie inexistent. Die offiziellen Todeszahlen sind niedrig, das wahre Ausmaß wird aber wohl nie wirklich bekannt werden (STC 4.2.2021). Die Zahl an Infektionen dürfte höher liegen, als offiziell bekannt. Viele potenziell Infizierte melden sich nicht, da sie eine gesellschaftliche Stigmatisierung fürchten (UNFPA 12.2020, S. 1). Auch, dass es in Spitälern kaum Kapazitäten für Covid-19-Patienten gibt, ist ein Grund dafür, warum viele sich gar nicht erst testen lassen wollen – ein Test birgt für die Menschen keinen Vorteil (DEVEX 13.8.2020).
Die informellen Zahlen zur Verbreitung von Covid-19 in Somalia und Somaliland sind also um ein Vielfaches höher als die offiziellen. Einerseits sind die Regierungen nicht in der Lage, breitflächig Tests (es gibt insgesamt nur 14 Labore) oder gar Contact-Tracing durchzuführen. Gleichzeitig behindern Stigma und Desinformation die Bekämpfung von Covid-19 in Somalia und Somaliland. Mit dem Virus geht eine Stigmatisierung jener einher, die infiziert sind, als infiziert gelten oder aber infiziert waren. Mancherorts werden selbst Menschen, die Masken tragen, als infiziert gebrandmarkt. Die Angst vor einer Stigmatisierung und die damit verbundene Angst vor ökonomischen Folgen sind der Hauptgrund, warum so wenige Menschen getestet werden. Es wird berichtet, dass z.B. Menschen bei (vormals) Infizierten nicht mehr einkaufen würden. IDPs werden vielerorts von der Gastgemeinde gemieden – aus Angst vor Ansteckung. Dies hat auch zum Verlust von Arbeitsplätzen – z. B. als Haushaltshilfen – geführt. Dabei fällt es gerade auch IDPs schwer, Präventionsmaßnahmen umzusetzen. Sie leben oft in Armut und in dicht bevölkerten Lagern, und es mangelt an Wasser (DEVEX 13.8.2020).
Somalia ist eines jener Länder, dass hinsichtlich des Umgangs mit der Pandemie die geringsten Kapazitäten aufweist (UNFPA 12.2020, S. 1). Humanitäre Partner haben schon im April 2020 für einen Plan zur Eindämmung von Covid-19 insgesamt 256 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNSC 13.11.2020, Abs. 51). UNSOS unterstützt medizinische Einrichtungen, stellt Ausrüstung zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung. Bis Anfang Juni konnten die UN und AMISOM eine substanzielle Zahl an Behandlungsplätzen schaffen (darunter auch Betten zur Intensivpflege) (UNSC 13.8.2020, Abs. 69). Trotzdem gibt es nur ein speziell für Covid-19-Patienten zugewiesenes Spital, das Martini Hospital in Mogadischu. Dieses ist unterbesetzt und schlecht ausgerüstet; von 150 Betten verfügen nur 11 über ein Beatmungsgerät und Sauerstoffversorgung (Sahan 25.2.2021c). In ganz Somalia und Somaliland gab es im August 2020 für Covid-Patienten nur 24 Intensivbetten (DEVEX 13.8.2020). Es gibt so gut wie keine präventiven Maßnahmen und Einrichtungen. Menschen, die an Covid-19 erkranken, bleibt der Ausweg in ein Privatspital – wenn sie sich das leisten können (Sahan 25.2.2021c). Der türkische Rote Halbmond hat Somalia im Feber 2021 weitere zehn Beatmungsgeräte zukommen lassen (AAG 26.2.2021). Im März 2021 spendete die Dahabshil Group dem Staat Sauerstoffverdichter, mit denen insgesamt 250 Patienten versorgt werden können. Die Firma übernimmt auch die technische Instandhaltung (Sahan 11.3.2021). Insgesamt bleiben Test- und Behandlungsmöglichkeiten für Covid-19-Infizierte aber beschränkt (UNFPA 12.2020, S. 1).
Nachdem die Bildungsinstitutionen ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten, sind nicht alle Kinder zurück in die Schule gekommen. Dies liegt an finanziellen Hürden, an der Angst vor einer Infektion, aber auch daran, dass Kinder zur Arbeit eingesetzt werden. Außerdem zeigt eine Studie aus Puntland, dass die Zahl an Frühehen zugenommen hat. Gleichzeitig wurden Immunisierungskampagnen und auch Ernährungsprogramme unterbrochen. Manche Gesundheitseinrichtungen sind teilweise nur eingeschränkt aktiv – nicht zuletzt, weil viele Menschen diese aufgrund von Ängsten nicht in Anspruch nehmen; der Patientenzustrom hat sich in der Pandemie verringert (UNFPA 12.2020, V-VI).
Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, S. 2; vgl. UNFPA 12.2020). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22% der städtischen, 12% der ländlichen und 6% der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10% (IPC 3.2021, S. 2). Auch der Export von Vieh – der wichtigste Wirtschaftszweig – ist wegen der Pandemie zurückgegangen (UNFPA 12.2020, S. 1). Aus Somaliland hingegen wird berichtet, dass die Remissen im Jahr 2020 um 15 % auf 1,3 Milliarden US-Dollar angewachsen sind (SLP 7.4.2021).
Internationale und nationale Flüge operieren uneingeschränkt. Ankommende müssen am Aden Adde International Airport in Mogadischu und auch am Egal International Airport in Hargeysa einen negativen Covid-19-Test vorweisen, der nicht älter als drei Tage ist. Wie in Mogadischu mit Personen umgegangen wird, welche diese Vorgabe nicht erfüllen, ist unbekannt. In Hargeysa werden Personen ohne Test auf eigene Kosten in eine von der Regierung benannte Unterkunft zur zweiwöchigen Selbstisolation geschickt. Die Landverbindungen zwischen Dschibuti und Somaliland wurden wieder geöffnet, der Hafen in Berbera ist in Betrieb (GW 11.6.2021).
Restaurants, Hotels, Bars und Geschäfte sind offen, es gelten Hygienemaßnahmen und solche zum Social Distancing. Die Maßnahmen außerhalb Mogadischus können variieren. Es kann jederzeit geschehen, dass Behörden Covid-Maßnahmen kurzfristig verschärfen (GW 11.6.2021).
Quellen:
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? DEVEX / Sara Jerving (13.8.2020): Stigma and weak systems hamper the Somali COVID-19 response, https://www.devex.com/news/stigma-and-weak-systems-hamper-the-somali-covid-19-response-97895, Zugriff 12.10.2020
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Politische Lage
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Letzte Änderung: 07.07.2021
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 18.4.2021, S. 4f). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2020, S. 4).
Staatlichkeit: Somalia hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs. 78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Somalia hat in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 18.4.2021, S. 4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 3.3.2021a, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2020, S. 33). Die Regierung ist bei der Umsetzung von Aktivitäten grundsätzlich stark von internationalen Institutionen und Geberländern abhängig (FH 3.3.2021a, C1). Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 30.3.2021, S. 23). Generell sind drei entscheidende Punkte abzuarbeiten: die Überarbeitung der Verfassung; der Aufbau der föderalen Architektur; und die Entwicklung eines angemessenen Wahlsystems. Der Stillstand zu Anfang des Jahres 2021 ist das Ergebnis des Versagens der Regierung Farmaajo, auch nur einen dieser Punkte zu lösen (ECFR 16.2.2021).
Regierung: Die Präsidentschaftswahl fand im Feber 2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten (AA 18.4.2021, S. 6; vgl. ÖB 3.2020, S. 2; USDOS 30.3.2021, S. 1/23). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 30.3.2021, S. 1). Premierminister Hassan Ali Kheyre wurde mit einem Misstrauensvotum des Parlaments am 25.7.2020 seines Amtes enthoben (UNSC 13.8.2020, Abs. 5). Im September 2020 wurde Mohamed Hussein Roble als neuer Premierminister angelobt (UNSC 13.11.2020, Abs. 6). Seit Feber 2021 regiert Farmaajo ohne Mandat, seine Amtszeit ist abgelaufen (TNH 20.5.2021). Insgesamt verfügt die Regierung in der eigenen Bevölkerung und bei internationalen Partnern nur über wenig Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in den Staat ist gering (BS 2020, S. 34/40).
Parlament: Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Anfang 2017 besetzt (USDOS 30.3.2021, S. 1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt (AA 18.4.2021, S. 6; vgl. USDOS 30.3.2021, S. 23). Beide Häuser wurden also in indirekten Wahlen besetzt, das Unterhaus nach Clanzugehörigkeit. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 30.3.2021, S. 1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2020, S. 11). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2020, S. 20). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 18.4.2021, S. 6; vgl. BS 2020, S. 20). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 30.3.2021, S. 26f; vgl. ÖB 3.2020, S. 3; BS 2020, S. 11). Auch die Regierung ist entlang dieser Formel organisiert (ÖB 3.2020, S. 3). Insgesamt wird das Parlament durch Stimmenkauf entwertet, und es hat auf die Tätigkeiten von Präsident und Premierminister wenig Einfluss (BS 2020, S. 20).
Demokratie: Seit 1969 wurde in Somalia keine Regierung mehr direkt gewählt (FP 10.2.2021). Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2020, S. 11/15). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 30.3.2021, S. 23f) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clanstrukturen) vergeben (AA 18.4.2021, S. 6). 2016 und 2017 konnten mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratischen Machtwechsel wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 18.4.2021, S. 4). Die errungenen Fortschritte wurden von der Regierung Farmaajo allerdings weitgehend rückgängig gemacht (ECFR 16.2.2021).
Für 2021 vorgesehene Wahlen wurden zuerst verschoben (UNSC 13.8.2020, Abs. 7), bis es im September 2020 hinsichtlich des Prozederes zu einer Einigung mit den Bundesstaaten kam. Das vereinbarte Modell entsprach in etwa jenem von 2016. Dabei werden von Ältesten, Bundesstaaten und Vertretern der Zivilgesellschaft Wahldelegierte ausgesucht, welche wiederum die einzelnen Parlamentsabgeordneten wählen. Pro Abgeordnetem sollen 101 Wahlmänner und -Frauen ausgewählt werden (2016: 51). Statt der National Independent Electoral Commission soll die Wahl von sogenannten Electoral Implementation Committees (EIC) umgesetzt werden. Die Abgeordneten zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten ausgewählt (UNSC 13.11.2020, Abs. 2f; vgl. FP 10.2.2021). Neben einem 25köpfigen EIC des Bundes sollte zusätzlich in jedem Bundesstaat ein eigenes elfköpfiges EIC eingesetzt werden (UNSC 13.11.2020, Abs. 21). Dieses Modell war von allen relevanten politischen Stakeholdern, von Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft vereinbart und vom Bundesparlament ratifiziert worden (UNSC 13.11.2020, Abs. 88).
Aktuelle Politische Lage: Allerdings hatte sich um die Bestellung der Mitglieder dieser EICs ein neuer Konflikt entsponnen (FP 10.2.2021). Präsident Farmaajo war schließlich nicht in der Lage, sich mit Ahmed Madobe, Präsident von Jubaland, und Said Deni, Präsident von Puntland, auf die Umsetzung des im September 2020 vereinbarten Fahrplans für Neuwahlen zu einigen (IP 12.2.2021; vgl. FP 10.2.2021). Und so ist das Mandat des Parlaments im Dezember 2020 ausgelaufen (SG 8.2.2021), jenes von Präsident Farmaajo formell am 8.2.2021 (IP 12.2.2021; vgl. ECFR 16.2.2021). Damit verfügte Somalia im Feber 2021 plötzlich über keine legitime Regierung mehr, und Präsident Farmaajo weigerte sich sein Amt abzugeben (ECFR 16.2.2021).
Die Präsidenten von Puntland und Jubaland (FP 10.2.2021; vgl. Sahan 22.2.2021) sowie eine Allianz aus 14 Präsidentschaftskandidaten, darunter die ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamed und Sharif Sheikh Ahmed, haben Farmaajo danach nicht mehr als Präsidenten anerkannt (Sahan 9.2.2021b; vgl. IP 12.2.2021, FP 10.2.2021). Somalia stürzte in eine schwere Verfassungs- und politische Krise (Sahan 9.2.2021a). Dabei hat das Versagen, einen Kompromiss zu finden, nicht nur den demokratischen Prozess unterminiert, es hat die Sicherheit Somalias vulnerabel gemacht (FP 10.2.2021). Denn al Shabaab hat sich die politische Krise zu Nutzen gemacht und die Angriffe seit Anfang 2021 verstärkt (IP 12.2.2021).
Ende Feber und Anfang März 2021 wurden neuerliche Verhandlungen über eine Umsetzung des beschlossenen Wahlsystems angesetzt – auf Druck der internationalen Gemeinschaft (AMISOM 3.3.2021; vgl. UNSOM 2.3.2021). Die Verhandlungen verliefen ohne Ergebnis. Daraufhin hat das parlamentarische Unterhaus ein Gesetz verabschiedet, mit welchem die Legislaturperiode des Parlaments und auch die Amtszeit des Präsidenten um zwei Jahre verlängert wurden. Das National Salvation Forum - eine Allianz der Präsidentschaftskandidaten und der Präsidenten von Puntland und Jubaland - hat diesen Vorgang scharf zurückgewiesen. In der Folge kam es in Mogadischu zwischen Kräften der Regierung und Kräften der Opposition am 25.4.2021 zu Kampfhandlungen. Am 1.5.2021 wurde das Gesetz schließlich vom Parlament zurückgezogen und man kehrte zum Abkommen vom September 2020 zurück. Neuer Verantwortlicher für die Umsetzung der Wahlen ist nun Premierminister Roble. Dieser hat in Verhandlungen mit der Allianz der Präsidentschaftskandidaten am 5.5.2021 eine Einigung zur Entflechtung [Disengagement] bzw. zum Rückzug der jeweiligen bewaffneten Kräfte in ihre Stützpunkte erzielt (UNSC 19.5.2021, Abs. 3-11). Ende Mai 2021 wurden - nach enormem nationalen und internationalen Druck - Verhandlungen wieder aufgenommen. Maßgeblich verantwortlich dafür war wieder Premierminister Roble (TNH 20.5.2021). Am 27.5.2021 wurde eine Einigung verkündet, demnach sollen die Wahlen im Sommer 2021 stattfinden (BAMF 31.5.2021). Nach neueren Angaben sind die Präsidentschaftswahlen für den 10.10.2021 angesetzt (TSD 29.6.2021). Nun stolpert das Land also in Richtung eines stark verzögerten und komplexen Wahlvorganges, der wieder von Clanältesten getragen werden wird (BBC 31.5.2021). Derweil höhlt al Shabaab den immer noch angeschlagenen Staat in Somalia aus (ACCORD 31.5.2021, S. 8).
Föderalisierung: Auch wenn die Entscheidung zur Föderalisierung umstritten war, und die Umsetzung von Gewalt begleitet wurde, konnten neue Bezirks- und Regionalverwaltungen etabliert werden. Neben Puntland wurden in den letzten Jahren vier neue Bundesstaaten geschaffen: Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (BS 2020, S. 10; vgl. AI 13.2.2020, S. 13). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (Banadir Regional Administration/BRA) (AI 13.2.2020, S. 13). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S. 55f).
Grundsätzlich gibt es politische Uneinigkeit über die Frage, ob Bundesstaaten semi-autonom sein sollen oder ob mehr Macht bei der Bundesregierung zentralisiert sein soll (ISS 15.12.2020). Zahlreiche Befugnisse wurden nicht geklärt. Das betrifft die Verteidigung, welche militärischen Truppen und Polizeieinheiten vor Ort eingesetzt werden können, die Frage der Ressourcenverteilung, die Verteilung von internationalen Hilfsgeldern. Auch Entwicklungszusammenarbeitsprojekte werden über die Zentralregierung in Mogadischu abgewickelt, und die Verteilung auf die Regionen ist strittig, ebenso die Fragen, wer welche "Hoheiten" über welche Verträge hat (ACCORD 31.5.2021, S. 4).
Generell versuchte Farmaajo die Macht wieder zu zentralisieren (TNYT 14.4.2021). Dass in vier der fünf Bundesstaaten im Zeitraum 2018-2019 eine neue Führung gewählt werden sollte, sah die Bundesregierung als Chance, sich durch die Platzierung loyaler Präsidenten Einfluss zu verschaffen. Dementsprechend mischte sich die Bundesregierung in die Wahlen ein (HIPS 2020, S.1/4ff; vgl. ECFR 16.2.2021). So hat etwa der Geheimdienst NISA die Zusammensetzung von Wahlversammlungen manipuliert (TNYT 14.4.2021). Zudem hat sie Truppen entsendet, um die politische Kontrolle zu erlangen (ECFR 16.2.2021). Die Präsidenten von HirShabelle, dem SWS und von Galmudug gelten nunmehr als der somalischen Bundesregierung freundlich gesinnt (Sahan 11.2.2021b). Schließlich hat Farmaajo Somalia aber an den Rand eines institutionellen Kollaps’ geführt (ECFR 16.2.2021).
Bei der Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten kommt u. a. die Krise am Golf zu tragen: Der Konflikt zwischen den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) – unterstützt von Saudi-Arabien – und Katar – unterstützt von der Türkei – wurde auch nach Somalia exportiert und trägt dort erheblich zur Vertiefung der Spaltung bei (BS 2020, S. 41). Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der Bundesregierung und dem Nachbarland Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien – beide Staaten sind Truppensteller (ISS 15.12.2020).
Quellen:
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Somaliland
Letzte Änderung: 07.07.2021
Die Republik Somaliland hat sich im Mai 1991 für unabhängig erklärt, wurde aber bis dato international nicht anerkannt (BS 2020, S. 4; vgl. AA 18.4.2021, S. 5). Die Nachbarn in der Region sowie zunehmend weitere Staaten bemühen sich in Anerkennung der bisherigen Stabilisierungs- und Entwicklungsfortschritte um pragmatische Zusammenarbeit (AA 18.4.2021, S. 5). Die somalische Bundesregierung erachtet Somaliland als einen somalischen Bundesstaat (PGN 10.2020, S. 4).
Somaliland ist politisch, wirtschaftlich und in Sicherheitsfragen größtenteils vom Rest des Landes entkoppelt (HIPS 2021, S. 19). Das Land verfügt über zahlreiche Zeichen der Eigenständigkeit: Es gibt eine Zivilverwaltung, Streitkräfte, eine eigene Währung (ICG 12.7.2019, S. 1; vgl. BBC 31.5.2021), eigene Polizei, ein eigenes – mehr oder weniger funktionierendes – Steuersystem (Spiegel 1.3.2021), eine Regierung, eine Verfassung und seit Jahren über ökonomische Stabilität (DW 30.11.2018). Die demokratischen Standards sind im regionalen Vergleich als hoch zu bewerten (AA 18.4.2021, S. 6). Von Freedom House erhält Somaliland diesbezüglich 42 Punkte - fast doppelt soviele, wie das benachbarte Dschibuti (24); und sieben mal mehr als Somalia (7) (RUSI 4.6.2021).
Somaliland hat schrittweise staatliche Strukturen wieder aufgebaut und war auch bei demokratischen Reformen erfolgreich (BS 2020, S. 4/33). Das Land verfügt über eine funktionierende Regierung (HIPS 2021, S. 19), und mit internationaler Hilfe konnten Bezirksverwaltungen und Bezirksräte etabliert werden (BFA 8.2017, S. 94). Auf dem gesamten Gebiet wurden Behördenstrukturen geschaffen, auch wenn diese nicht überall voll funktionieren. Politische Entscheidungen können i.d.R. umgesetzt werden, allerdings muss diesbezüglich zuvor die Zustimmung einflussreicher Clanältester eingeholt werden (BS 2020, S.11). Seit 1997 herrschen Frieden und politische Stabilität (BS 2020, S. 32). Die Regierung bekennt sich zu Demokratie und Marktwirtschaft und hat dazu auch schon einiges beigetragen (BS 2020, S. 37). Regierungsausgaben erfolgen relativ klar und transparent (Spiegel 1.3.2021). Die Bindung bzw. das Commitment Somalilands zum demokratischen System ist groß (BS 2020, S. 20). Die meisten Somaliländer unterstützen die Regierung und vertrauen dieser (JF 14.8.2020). Die Demokratie in Somaliland wird als konsolidiert bezeichnet, das demokratische System ist allerdings anfällig für Einflussnahme und Clanpolitik (BS 2020, S. 13/20).
Das Land kämpft mit massiven strukturellen Restriktionen. Der Staatsapparat bleibt schwach und unterfinanziert und das Land ist von einem hohen Maß an Armut geprägt (BS 2020, S.33). Der Staat ist von Wirtschaftstreibenden abhängig. Auf allen Ebenen der Verwaltung kommt es zu Korruption und Clanpatronage (BS 2020, S. 5). Zudem sind staatliche Institutionen – wie erwähnt – hinsichtlich der Umsetzung ihrer Entscheidungen an das Einverständnis einflussreicher Clanältester gebunden (BS 2020, S. 13). Dabei hat Somaliland aber im Wesentlichen mit Verhandlungen zwischen und mit unterschiedlichen Akteuren gute Erfahrungen gemacht (BS 2020, S. 36).
Somaliland hat seit der Erklärung der Unabhängigkeit mehrere allgemeine Wahlen durchgeführt (AA 18.4.2021, S. 6; vgl. ICG 12.7.2019, S. 1). Diese wurden durch internationale Beobachter regelmäßig als frei und fair beurteilt (BS 2020, S. 4f). Außerdem ist es schon mehrfach zur relativ friedlichen Machtübergabe an neugewählte Präsidenten gekommen (BS 2020, S. 37; vgl. Spiegel 1.3.2021; AA 18.4.2021, S. 6).
Es gibt ein Zwei-Kammern-Parlament. Das Ober- bzw. Ältestenhaus (Guurti) besteht aus 86 ernannten bzw. indirekt gewählten, das Unter- bzw. Repräsentantenhaus aus 82 gewählten Mitgliedern. Parlamentswahlen waren seit Jahren überfällig (USDOS 30.3.2021, S. 25; vgl. FH 3.3.2021b, A2) und wurden mehrfach verschoben. Das Unterhaus war bereits im fünfzehnten Amtsjahr, ohne neu gewählt worden zu sein (AA 18.4.2021, S. 6). Dies warf einen Schatten auf das vergleichsweise demokratische Somaliland (AA 18.4.2021, S. 4). Schließlich haben die Wahlen am 31.5.2021 stattgefunden. Mehr als eine Million Wähler waren registriert (BAMF 7.6.2021). Mehrere europäische Staaten haben die erfolgreiche Wählerregistrierung gelobt (Sahan 10.2.2021), die mit einer biometrischen Identifizierung durchgeführt wurde (JF 18.6.2021). Die EU und andere europäische Staaten haben auch die Wahlen an sich gelobt (EEAS 8.6.2021). Diese sind friedlich und transparent verlaufen. Die Oppositionsparteien UCID und Waddani gewannen die Wahl gegen die Kulmiye-Partei des Präsidenten (JF 18.6.2021) - und zwar sowohl im Parlament als auch auf kommunaler Ebene. Die beiden Parteien haben eine Regierungskoalition angekündigt (BAMF 7.6.2021).
Das Guurti wurde 1993 gebildet und seither - aufgrund unklarer Rechtslage - nicht mehr neu besetzt. Mandate wurden regelmäßig verlängert (FH 3.3.2021b, A2). Über das Guurti, aber auch generell verfügen Clanälteste über eine einflussreiche Rolle in der Politik (FH 4.3.2020, B3).
Auch die Präsidentschaftswahl hatte sich mehrfach verzögert, bevor sie Mitte November 2017 stattfand (AA 18.4.2021, S. 6; vgl. FH 3.3.2021b, A1). Zum Präsidenten gewählt wurde der Kandidat der regierenden Kulmiye-Partei, Muse Bihi Abdi. Seine Angelobung erfolgte im Dezember 2017 (USDOS 30.3.2021, S. 25; vgl. AA 18.4.2021, S. 6). Die Wahl wurde als weitgehend frei und fair eingeschätzt, auch wenn es einige Unregelmäßigkeiten gab (BS 2020, S. 13; vgl. FH 4.3.2020b, A1). Letztere haben den Ausgang der Wahl jedoch nicht signifikant beeinflusst (FH 3.3.2021b, A1). Die Wahl war effizient und ohne größere Störungen abgelaufen. Erstmals kam ein Augenscan zum Einsatz. Mit dieser biometrischen Technik konnten Mehrfachabstimmungen erfolgreich reduziert werden (BS 2020, S. 13).
Eine Clan-bezogene Organisation politischer Parteien ist in der Verfassung verboten (BS 2020, S. 20f). Mit der Beschränkung auf drei Parteien soll eine Zersplitterung der Parteienlandschaft entlang von Clans verhindert werden. Lokalwahlen entscheiden darüber, welche drei Parteien für die nächsten Wahlen auf nationaler Ebene zugelassen werden (BS 2020, S. 21; vgl. AA 18.4.2021, S. 6). Bei den Gemeindewahlen im November 2012 entschied sich die Bevölkerung bei einer Auswahl von sieben Parteien für Kulmiye, Ucid und Waddani als nationale Parteien (BS 2020, S. 21), die Udub verlor die Zulassung. Politisches Engagement im Rahmen anderer Gruppen wird staatlicherseits beobachtet. Gegebenenfalls werden strafrechtliche Maßnahmen ergriffen (AA 18.4.2021, S. 6).
Das Innenministerium hat 2.700 Sultane [traditionelle Älteste bzw. Clanführer] registriert. Diese erhalten für ihre Beteiligung an den Lokalverwaltungen auch ein Gehalt (UNHRC 6.9.2017, Abs. 74).
Somaliland definiert seine Grenzen gemäß der kolonialen Grenzziehung; Puntland hingegen definiert seine Grenzen genealogisch entlang der Siedlungsgebiete des Clans der Darod. Insgesamt ist die Ostgrenze Somalilands zu Puntland nicht demarkiert, und die Grenze bleibt umstritten (EASO 2.2016, S. 72).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_%28Stand_Januar_2021%29%2C_18.04.2021.pdf, Zugriff 23.4.2021
? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.6.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw23-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 21.6.2021
? BBC - BBC News (31.5.2021): Somaliland elections: Could polls help gain recognition? https://www.bbc.co.uk/n