TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/22 W280 2219340-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

22.09.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch


W280 2219340-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Wolfgang BONT über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 1992, StA. Slowakei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .04.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.07.2021 und am XXXX .09.2021, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in weiterer Folge: BF), eine Staatsangehörige der Slowakei, ist in Österreich geboren und aufgewachsen. Mit Urteilen österreichischer Strafgerichte wurde die BF in der Vergangenheit zweimal rechtskräftig zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt und am XXXX 2019 neuerlich in Untersuchungshaft genommen.

2. Unter Bezugnahme auf die Verhängung der Untersuchungshaft über die BF wurde diese mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge: BFA oder belangte Behörde) vom XXXX 2019 darüber in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, gegen sie ein Aufenthaltsverbot, in eventu einen ordentlichen Schubhaftbescheid, zu erlassen. Zudem wurde die BF zur Abgabe einer dahingehenden Stellungnahme binnen 10 Tagen ab Zustellung dieses Schreibens aufgefordert.

4. Mit dem am XXXX 2019 beim BFA eingelangten Schreiben gab die BF durch ihre damalige Rechtsvertretung hierzu eine Stellungnahme ab.

5. Mit Urteil vom XXXX 2019 wurde die BF wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Jahren verurteilt.

6. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA wurde gegen die BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf 5 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

7. Dagegen erhob die BF durch ihre damalige Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde. Darin wurde neben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die erste Instanz, beantragt.

8. Die gegenständliche Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in weiterer Folge: BVwG) vom BFA vorgelegt, und langten dort am XXXX 2019 ein. Mit der Beschwerdevorlage wurde vom BFA beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom XXXX .03.2020 wurde das Beschwerdeverfahren der zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

9. Am 22.07.2021 fand vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung statt, an welcher die BF und ihre damalige gewillkürte Rechtsvertretung teilnahm. Ein Vertreter des BFA ist zur Verhandlung nicht erschienen.

10. Am XXXX .08.2021 wurde die Vertretung durch den gewillkürten Vertreter zurückgelegt.

11. Am XXXX .09.2021 wurde die mündliche Verhandlung zur Einvernahme von Zeugen fortgesetzt. Die BF hat an dieser entschuldigt nicht teilgenommen. Ein Vertreter des BFA ist nicht erschienen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum), ist slowakische Staatsangehörige, ledig, und die Mutter zweier Söhne.

Die BF leidet an Herzproblemen. Sie spricht Deutsch und Serbisch, Ihre Muttersprache, die sie nur in Grundzügen beherrscht, ist Slowakisch.

1.2. Die BF wurde in XXXX geboren, lebt seither durchgehend in Österreich und ist mit Wohnsitz in Österreich gemeldet. Sie besuchte hier vier Jahre die Volksschule, vier Jahre die Mittelschule und ein Jahr die polytechnische Schule. Sie hat danach keine berufliche Ausbildung gemacht. Seit dem XXXX .02.2017 verfügt sie über eine Bescheinigung eines Daueraufenthaltes.

1.3. Die BF verdiente ihren Lebensunterhalt bisher durch den Bezug von Mindestsicherung und die Arbeit als private Haushaltshilfe. Dabei weist sie lediglich zwei versicherungspflichtige Beschäftigungen auf: Als Arbeiterin bei einem Reinigungsunternehmen von XXXX .02.2020 bis XXXX .03.2020 und bei XXXX von XXXX .07.2020 bis XXXX .05.2021. Im Übrigen bestehen folgende Sozialversicherungszeiten: Kinderbetreuungsgeld von XXXX .05.2010 bis XXXX .08.2011, bedarfsorientierte Mindestsicherung von XXXX .09.2011 bis XXXX .12.2012, von XXXX .05.2013 bis XXXX .02.2016 sowie von XXXX .03.2016 bis XXXX .01.2019, Krankengeld (Sonderfall) von XXXX .02.2016 bis XXXX .03.2016 sowie Arbeitslosengeld von XXXX .02.2016 bis XXXX .02.2016 sowie von XXXX .04.2020 bis XXXX .06.2020. Seit XXXX .06.2021 ist die BF aufgrund ihrer Herzprobleme erneut arbeitslos gemeldet und sie bezieht seither Arbeitslosengeld.

1.4. Im Bundesgebiet halten sich der ehemalige Lebensgefährte der BF XXXX (vormals XXXX , geb. am XXXX .1989, serbischer Staatsangehöriger), die in Österreich geborenen gemeinsamen Kinder XXXX (geb. am XXXX 2009) und XXXX (geb. am XXXX 2010), beide slowakische Staatsangehörige, die Mutter der BF XXXX (geb. am XXXX 1966, slowakische Staatsangehörige) und der von der Mutter geschiedene Vater der BF, XXXX (geb. am XXXX 1959, serbischer Staatsangehöriger) sowie die Geschwister der BF auf. Die BF und ihr ehemaliger Lebensgefährte sind seit ihrer Haftentlassung getrennt. Die Obsorge für das ältere Kind obliegt allein dem Vater, die Obsorge für das zweitgeborene Kind beiden zusammen.

Die BF lebte nach Bewilligung des elektronisch überwachten Hausarrestes zunächst bei ihren Eltern und seit Februar 2021 alleine in einer ca. 40 bis 50 m2 großen Mietwohnung bestehend aus zwei Unterkunftsräumen (Schlafzimmer und Wohnküche) samt Bad und WC und einem Garten. Ihre Kinder wohnen seit dem Haftantritt der BF überwiegend beim Kindesvater, verbringen jedoch die Wochenenden bei der Kindesmutter bei der sie sohin zwei bis drei Mal pro Woche nächtigen. Seit Beendigung der Haft übernimmt die BF auch unter der Woche des öfteren die Betreuung der Kinder, mit denen diese auch Freizeitaktivitäten unternimmt.

Der Lebensunterhalt für die Kinder wird von beiden Elterntelen getragen, wobei die BF zumndest EUR 200 monatlich hierfür beiträgt. Die Kinder der BF besuchen bereits die Mittelschule. Der Kindesvater arbeitet auf XXXX und hat mittlerweile eine neue Lebensgefährtin, mit welcher er ein gemeinsames Kind hat. Untertags kümmern sich sowohl der Kindesvater, dessen Eltern sowie seine neue Lebensgefährtin als auch die BF, soweit es dieser zeitlich möglich ist, um die Kinder.

Die BF hält zum Kindesvater wegen der Kinder telefonischen Kontakt, zu ihren Eltern und ihren Geschwistern pflegt sie regelmäßigen Kontakt in unterschiedlichem Ausmaß. Während die BF mit deren Mutter jeden zweiten Tag persönlichen und täglichen telefonischen Kontakt pflegt, finden persönliche Treffen mit dem Vater 2 bis 3 Mal, mit dem Bruder 1 bis 2 Mal pro Monat statt. Sowohl die Ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber den Eltern und ihrem Bruder kann nicht festgestellt werden.

Die BF hat in Österreich seit ihrer Straffälligkeit keine Freunde, ist kein aktives Mitglied in einem Verein, einer sonstigen sozialen- und kulturellen Organisation oder einer Glaubensgemeinschaft und hat sich auch nicht ehrenamtlich engagiert.

1.5. Die BF ist als Kind in den Ferien zu ihren Großeltern mütterlicherseits auf Urlaub in ihren Herkunftsstaat gefahren und besuchte diese auch noch mit ihrem damaligen Lebensgefährten und ihren Kindern. Ihre Großeltern sind mittlerweile verstorben und die BF war zuletzt vor zwei Jahren mit ihrer Mutter im Herkunftsstaat anlässlich der Beerdigung der Großmutter. Im Herkunftsstaat halten sich noch eine Tante sowie deren beiden Kinder auf. Ein Kontakt zu dieser besteht nicht.

1.6. Die BF weist drei strafgerichtliche Verurteilungen in Österreich auf:

1. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX .10.2014 zu XXXX wurde die BF wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Absatz 1 Ziffer 1, 148 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, wobei ihr die verhängte Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Darin wurde die BF für schuldig befunden:

Sie hat in Wien in insgesamt sechs Angriffen mit dem Vorsatz sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung schwerer Betrugshandlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Verfügungsberechtigte des Unternehmens XXXX durch Eingabe der nachgenannten Namen und korrespondierender Emailadressen bei Bestellungen im Internet in Verbindung mit der Behauptung, sie sei als diese Personen eine zahlungsfähige und -willige Kundin, sohin durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung falscher Daten, zu Handlungen, nämlich zur Ausfolgung nachgenannter Waren, verleitet, die das Unternehmen XXXX in einem Gesamtbetrag von € 1.732,20 am Vermögen schädigten, und zwar

A./ am XXXX .5.2012 unter dem Namen XXXX Kleidung, Schuhe und Kosmetikartikel im Gesamtwert von € 260,30

B./ am XXXX .6.2012 unter dem Namen XXXX Kleidung im Gesamtwert von € 234,90;

C./ am XXXX .6.2012 unter dem Namen XXXX Geschirr und vier Handtücher im Gesamtwert von € 238,65;

D./ am XXXX .3.2013 unter dem Namen XXXX eine Badematte, ein Badezimmer-Set, Kosmetikartikel, Kleidung und Handtücher im Gesamtwert von € 468,35;

E./ unter dem Namen XXXX

I./ am XXXX .12.2913 einen Wandhandschuh und zwei Handtücher im Gesamtwert von € 386,05;

II./ am 4.1.2014 ein Unterbett im Wert von € 143,95.

Die BF wurde darin außerdem für schuldig befunden, an das Unternehmen XXXX den Betrag von € 1.732,20 zu bezahlen. Dabei wertete das Strafgericht das Geständnis, den bisherigen ordentlichen Lebenswandel sowie das teilweise Alter unter 21 Jahren als mildernd und keinen Umstand als erschwerend.

2. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX .09.2017 zu XXXX wurde die BF wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2, 148, erster Fall, und 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt, wobei ihr die verhängte Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Die BF wurde für schuldig erkannt:

Sie hat in Wien in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, nachdem sie bereits zwei solche Taten begangen hat, sohin gewerbsmäßig (§ 70 Abs. 1 Z 3 StGB), XXXX durch Täuschung über die Tatsache, dass sie fähig und willens sei, die ihr als Darlehen gewährten Geldbeträge vollständig zurückzuzahlen, sowie über die von ihr beabsichtigte Verwendung der gewährten Geldbeträge, zu Handlungen, die den Genannten in dem in Punkt 1./ bezeichneten, mithin in einem EUR 5.000,-- übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, und zwar

1./ in einem nicht mehr feststellbaren Zeitraum in einer nicht mehr feststellbaren Anzahl von Angriffen zur Übergabe von Bargeldbeträgen in mehreren Tranchen in Höhe eines insgesamt 6.000,- Euro übersteigenden Betrags, verleitet, indem sie ihm wahrheitswidrig vorspiegelte, dass sie die gewährten Geldbeträge unter anderem für die Anreise ihrer Cousine aus Serbien, dem Begräbnis ihrer Großmutter in Serbien, dem Verkauf ihres geerbten, in Serbien gelegenen Hauses sowie für Arbeitskleidung benötige und sich bemühe, einen Arbeitsplatz zu finden, um den Genannten die übergebenen Bargeldbeträge zurückzuzahlen, obwohl sie in Wahrheit die Bargeldbeträge vereinbarungswidrig für sich selbst verwendete und niemals vorhatte, die Geldbeträge an den Genannten zurückzuzahlen;

2./ im Zeitraum von XXXX .1.2017 bis zuletzt am XXXX .4.2017 zur Übergabe der erhofften Bargeldbeträgen zu verleiten versucht (§ 15 StGB), indem sie den Genannten wiederholt fernmündlich kontaktierte und ihn aufforderte, ihr Geldbeträge zu übergeben, wobei es aufgrund des Umstandes, dass der Genannte ihr betrügerisches Vorhaben mittlerweile durchschaut und ihr keine weiteren Geldbeträge mehr übergeben hatte, beim Versuch blieb.

Die BF wurde zudem verurteilt, dem Privatbeteiligten XXXX einen Betrag von € 6.000,- zu bezahlen. Das Strafgericht wertete als mildernd das umfassende, reumütige Geständnis, teilweiser Versuch und als erschwerend die einschlägige Vorstrafe, die zweifache Qualifikation und den langen Zeitraum. Es wurde vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX .10.2014 zu XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

3. Zuletzt wurde die BF mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX 2019 zu XXXX wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde:

Die BF hat in XXXX und an anderen Orten

A./ im Zeitraum von XXXX .4.2018 bis XXXX .12.2018 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren Betrugshandlungen (§ 147 Abs 2 StGB) längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, nachdem sie bereits einmal wegen einer solchen Tat verurteilt worden ist, nämlich mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 20.9.2017 zu XXXX , somit gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StGB), XXXX in mehreren Angriffen durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch Vorgabe, aufgrund persönlicher Notsituationen Geld zu benötigen und dieses auch zurückzuzahlen, zur Übergabe in bar oder Überweisung von Geldbeträgen via Western Union in Höhe von insgesamt € 99.738,--, somit zu Handlungen, welche XXXX in einem € 5.000,-- übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten bzw. schädigen sollten,

1./ verleitet, und zwar

a./ am XXXX .4.2018 zur Übergabe von € 200,--;

b./ am XXXX .4.2018 zur Übergabe von € 500,--;

c./ am XXXX .4.2018 zur Überweisung von € 4.080,-- per Western Union;

d./ am XXXX .4.2018 zur Überweisung von € 510,-- per Western Union;

e./ am XXXX .4. 2018 zur Übergabe von € 14.000,--;

f./ am XXXX .5.2018 zur Überweisung von € 5.610,-- per Western Union;

g./ am XXXX .5.2018 zur Überweisung von € 510,-- per Western Union;

h./ am XXXX .5.2018 zur Überweisung von € 6.180,-- per Western Union;

i./ am XXXX .5.2018 zur Überweisung von € 5.150,-- per Western Union;

j./ am XXXX .5.2018 zur Überweisung von € 5.150,-- per Western Union;

k./ am XXXX .5.2018 zur Überweisung von € 5.150,-- per Western Union;

l./ am XXXX .5.2018 zur Überweisung von € 6.180,-- per Western Union;

m./ am XXXX .5.2018 zur Überweisung von € 5.150,-- per Western Union;

n./ am XXXX .6.2018 zur Übergabe von € 6.300,--;

o./ am XXXX .6.2018 zur Überweisung von € 6.050,-- per Western Union;

p./ am XXXX .6.2018 zur Übergabe von € 1.550,--;

q./ am XXXX .6.2018 zur Übergabe von € 1.550,--;

r./ am XXXX .6.2018 zur Übergabe von € 2.040,--;

s./ am XXXX .6.2018 zur Übergabe von € 620,--;

t./ am XXXX .6.2018 zur Übergabe von € 1.110,--;

u./ am XXXX .6.2018 zur Übergabe von € 1.500,--;

v./ am XXXX .6.2018 zur Übergabe von € 320,--;

w./ am XXXX .6.2018 zur Übergabe von € 520,--;

x./ am XXXX .7.2018 zur Übergabe von € 1.640,--;

y./ am XXXX .7.2018 zur Übergabe von € 420,--;

z./ am XXXX .7.2018 zur Übergabe von € 1.240,--;

aa./ am XXXX .7.2018 zur Übergabe von € 1.540,--;

bb./ am XXXX .7.2018 zur Übergabe von € 100,--;

cc./ am XXXX .7.2018 zur Übergabe von € 6.050,--;

dd./ am XXXX .8.2018 zur Übergabe von € 1.540,--;

ee./ am XXXX .8.2018 zur Überweisung von € 1.040,-- per Western Union;

ff./ am XXXX .8.2018 zur Überweisung von € 740,-- per Western Union;

gg./ am XXXX .8.2018 zur Überweisung von € 1.523,-- per Western Union;

hh./ am XXXX .8.2018 zur Überweisung von € 1.545,-- per Western Union;

ii./ am XXXX .8.2018 zur Überweisung von € 530,-- per Western Union;

2./ zu verleiten versucht (§ 15 StGB), und zwar

a./ am XXXX .11.2018 zur Überweisung von € 700,--;

b./ am XXXX .12.2018 zur Überweisung von € 1.200,--;

B./ am XXXX .1.2019 fremde bewegliche Sachen, nämlich drei Golddukaten im Wert von je ca. € 135,--, XXXX mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Die BF wurde dabei auch zur Zahlung von € 99.738,- an den Privatbeteiligten XXXX verurteilt. Als mildernd wertete das Strafgericht das reumütige Geständnis und den teilweisen Versuch und als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, die Vielzahl der Angriffe, die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit, die zwei einschlägigen Vorstrafen und das vielfache Überschreiten der Wertgrenze. Es wurde die mit Urteil des Landesgerichts XXXX zu XXXX gewährte Strafnachsicht widerrufen. Hingegen wurde vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts XXXX zu XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

1.7. Aufgrund ihrer jüngsten Verurteilung befand sich die BF ab XXXX .01.2019 in Haft. Dabei wurde sie im gelockerten Vollzug angehalten, ab XXXX .11.2019 war sie als Freigängerin im Kindergarten der Justizanstalt XXXX beschäftigt und ab XXXX .08.2019 wurden ihr Ausgänge nach XXXX gewährt. Mit Bescheid vom XXXX .01.2020 wurde der Antrag der BF auf Vollzug der Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes bewilligt. Am XXXX .01.2021 wurde sie unter Setzung einer dreijährigen Probezeit zum Zwei-Drittel-Stichtag bedingt entlassen. Die BF erhielt im Gefängnis sowohl von ihren Eltern als auch ihrem Bruder Besuche.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie durch die Einsichtnahme in den Akt des BFA, in den bekämpften Bescheid, in die Beschwerde sowie die beigeschafften und vorgelegten Unterlagen. Ergänzend wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister und der Grundversorgung, dem Zentralen Fremdenregister sowie ein Sozialversicherungsdatenauszug zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.1. Die Feststellungen zu Identität (Namen und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Familienstand, Obsorge, Unterhaltstragung und Sprachkenntnissen beruhen auf den Angaben der BF und ihres ehemaligen Lebensgefährten in der Beschwerdeverhandlung. Die Fesstellungen zu den Herzproblemen der BF gründen in deren glaubhaften Angabe gegebenüber dem erkennenden Gericht, sowie den diese bestätigenden Angaben des ehemaligen Lebensgefährten.

2.2. Die Feststellungen zu ihrer Ausbildung ergibt sich aus ihren eigenen Angaben. Der durchgehende Aufenthalt der BF in Österreich beruht auf ihren insoweit glaubhaften Angaben, welche durch die Aussagen des Ex-Lebensgefährten, mit dem diese zumindest 11 Jahre in einer Beziehung lebe, bestätigt wurden. Ihre Wohnsitzmeldung in Österreich ergibt sich aus einer aktuellen Auskunft aus dem Zentralen Melderegister. Dass die BF seit dem XXXX .02.2017 über eine Bescheinigung eines Daueraufenthaltes verfügt, beruht auf dem Eintrag im Zentralen Fremdenregister.

2.3. Die Erwerbs- und Versicherungszeiten der BF beruhen auf einem Sozialversicherungsauszug sowie ihren Angaben in der Beschwerdeverhandlung. Ferner hat die BF ein Konvolut an Lohnabrechnungen hinsichtlich ihrer ehemaligen Beschäftigung bei der Tankstelle (Beilage ./J) sowie einen Nachweis über den aktuellen Bezug von Arbeitslosengeld (Beilage ./I) in Vorlage gebracht.

2.4. Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben beruhen auf den Angaben der BF und der Zeugen in der Beschwerdeverhandlung sowie den vorgelegten Unterlagen (Geburtsurkunden, ZMR-Auszüge und Reisepasskopien der Kinder in Beilagen ./A bis ./F sowie Mietvertrag als Beilage ./K). Die Zudem ergeben sich die Besuche ihrer Kinder in der Justizanstalt aus der beigeschafften Besucherliste.

Die Feststellungen zur Obsorge gründen sich auf den von der BF vorgelegten Beilagen ./G und ./H, denen zu entnehmen, dass Ende des Jahres 2020 der Kindesvater die alleinige Obsorge über den älteren Sohn, die Kindesmutter die alleinige Obsorge über den jüngeren Sohn und der Kindesvater einen Antrag auf alleinige Obsorge betreffend den jüngeren Sohn gestellt hatte, sich jedoch nach Gesprächen mit der Kindesmutter und der Sozialarbeiterin der Kinder- und Jugendhilfe entschied, die gemeinsame Obsorge mit der Kindesmutter betreffend den jüngeren Sohn auszuüben. Dies entspricht auch den Angabend es Kindesvaters in der mündlichen Verhandlung.

2.5. Die Feststellung zu Besuchen und Verwandten im Herkunftsstaat sowie dem Kontakt zu ihnen beruht auf den Angaben in der Beschwerdeverhandlung.

2.6. Die strafgerichtlichen Verurteilungen der BF in Österreich samt den näheren Ausführungen zu den Straftaten beruhen auf der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie der jeweiligen Ausfertigung der oben zitierten Strafurteile (vgl. dazu die Strafurteile in OZ 6 und AS 60).

2.7. Die Bewilligung des elektronisch überwachten Hausarrest ergibt sich aus dem beigeschafften Bescheid der Anstaltsleitung der Justizanstalt Wien-Simmerung (OZ 4). Die bedingte Entlassung der BF aus der Freiheitsstrafe lässt sich dem Strafregister der Republik Österreich entnehmen. Die Feststellungen zu den übrigen Vollzugsverhältnissen beruhen auf der vorgelegten Stellungnahme der Anstaltsleitung der Justizanstalt XXXX (Beilage ./L).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen, Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt, und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Die BF als slowakische Staatsangehörige ist EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG und fällt sohin in den persönlichen Anwendungsbereich der §§ 66 und 67 FPG.

3.1.2. Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:

„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3.       als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.       wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.       eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Der mit „Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:

„§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

2.       Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

3.       Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

4.       Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder

5.       sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,

a)       die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,

b)       die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder

c)       bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

Das BFA ist bei der Erlassung des auf fünf Jahre befristeten Aufenthaltsverbots gegen die BF erkennbar vom Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG ausgegangen (vgl. Seite 9 des Bescheids). Der Genuss des verstärkten Schutzes nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG ist davon abhängig, dass sich der Betroffene in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats rechtmäßig aufgehalten hat.

Dabei ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der für die Beurteilung des durchgehenden zehnjährigen Aufenthalts iSd. § 67 Abs. 1 FPG maßgebliche Zeitpunkt jener der Verfügung einer rechtskräftigen - und nicht schon der erstinstanzlichen - aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Das VwG hat generell die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bestehende Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen und dabei auch die absehbare weitere Entwicklung, insbesondere die voraussichtliche Dauer einer Freiheitsentziehung, zu berücksichtigen (vgl. VwGH 18.01.2021, Ra 2020/21/0511 mit Verweis auf VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0297, wonach bei Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf den Zeitpunkt ihrer Durchsetzbarkeit abzustellen ist).

Dieser Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren muss grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein und ist vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung des Betroffenen an zurückzurechnen. Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe finden für die Zwecke der Gewährung des verstärkten Schutzes nach der genannten Bestimmung keine Berücksichtigung und diese Zeiten können die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung grundsätzlich unterbrechen. Diesbezüglich ist eine die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Umstände berücksichtigende umfassende Beurteilung vorzunehmen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen durch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe abgerissen sind. Dabei kommt es unter anderem darauf an, wie lange sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat sowie auf die Gesamtdauer der Unterbrechungen und deren Häufigkeit (vgl. VwGH 26.11.2020, Ro 2020/21/0013).

Die BF hält sich seit ihrer Geburt im Jahr 1992 durchgehend in Österreich auf (hinsichtlich der Unbeachtlichkeit kurzer Auslandsaufenthalte siehe § 53a NAG), hat hier ihren Lebensmittelpunkt und verfügt seit XXXX .02.2017 über eine Bescheinigung eines Daueraufenthaltes. Selbst unter Berücksichtigung der Verurteilungen der BF ist vor dem Hintergrund ihres langjährigen Aufenthaltes und ihren familiären Bezugspunkten in Österreich davon auszugehen, dass kein – einer Aufenthaltsunterbrechung gleichkommender – Integrationsabbruch durch ihre Inhaftierung erfolgt ist. Denn auch wenn sie seit ihrer Straffälligkeit ihre Freunde verloren hat, pflegte sie während und nach ihrer Haft Kontakte zu ihren in Österreich lebenden Familienangehörigen (vgl. zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten VwGH 07.03.2019, Ra 2018/21/0097). Zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung zurückgerechnet hält sich die BF somit bereits seit mehr als 10 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Da bei der BF sohin die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit mehr als 10 Jahren erfüllt ist, kommt für diese der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG bzw. § 66 Abs. 3 FPG zur Anwendung.

3.1.4. Gegen die BF ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 fünfter Satz – bzw. der Ausspruch einer Ausweisung gemäß § 66 Abs. 3 FPG – daher nur zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch deren Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

„Mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll nämlich Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG ("Freizügigkeitsrichtlinie" ; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.05.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf).“ (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091)

„Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN).“ (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

„Eine Ausweisung als Teil eines Aufenthaltsverbotes, das aus einer Ausreiseverpflichtung und der Verpflichtung besteht, innerhalb des festgelegten Zeitraums (oder auf Dauer) nicht zurückzukehren, stellt gegenüber dem Aufenthaltsverbot nicht ein Aliud, sondern ein Minus dar (vgl. VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349; VwGH 20.12.2007, 2004/21/0328). Die Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber dem Fremden hätte somit die Prüfung des Vorliegens der Tatbestandserfordernisse für die Erlassung einer (von der erstinstanzlichen Entscheidung des BFA umfassten) Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 nach sich ziehen müssen. Die ersatzlose Behebung des auf § 67 FrPolG 2005 gestützten Aufenthaltsverbotes (ohne weitere Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 und damit ohne vollständige Erledigung des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens) widerspricht somit der Rechtslage.“ (vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0196)

3.1.5. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

•        die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

•        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

•        die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

•        den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

•        die Bindungen zum Heimatstaat,

•        die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

•        auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

„Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens iSd Art. 8 MRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbeso

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten