Entscheidungsdatum
29.09.2021Norm
BFA-VG §18 Abs2 Z1Spruch
W159 2236872-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.102020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.08.2021 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchteile I. bis IV. ersatzlos behoben
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Dem Beschwerdeführer, einem Staatsbürger von Bosnien und Herzegowina, wurde wegen mehrfälliger Straffälligkeit mit Schreiben vom 02.05.2018 seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich das Parteiengehör zu zahlreichen Fragen im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung verbunden mit einem Einreiseverbot sowie hinsichtlich Auszügen des Länderinformationsblatts zu Bosnien und Herzegowina eingeräumt. Dazu führte der Beschwerdeführer handschriftlich selbst aus, dass er im Jahre 1991 im Alter von 4 Jahren mit seinen Eltern nach Österreich als Flüchtling gekommen sei, legal eingereist sei und über einen Reisepass verfüge. Er sei gesund und nicht in ärztlicher Behandlung. In Österreich habe er die Volksschule und Hauptschule besucht, sowie 2 Jahre lang die HTL (ohne Abschluss). In der Folge habe er eine Lehre als Maschinenfertigungstechniker abgeschlossen. Seine Eltern XXXX und XXXX verfügten über einen unbefristeten Aufenthaltstitel. In Österreich würde auch seine Lebensgefährtin, welche österreichische Staatsbürgerin sei, sowie der 2010 geborene Sohn leben. Er verfüge sowohl über eine Kranken- als auch über eine Unfallversicherung und zahlreiche soziale Bindungen und Freunde in Österreich. Er schreibe und spreche Deutsch, verfüge jedoch über keinerlei Bindungen zu seinem (früheren) Heimatland, habe auch dort keine Wohnanschrift. Derzeit sei er in der JA XXXX . Er werde von seiner Lebensgefährtin und seinen Eltern unterstützt. Er entschuldige sich für sein falsches Handeln. Er habe Angst um den Betrieb seiner Frau gehabt, aber es sei durch seine Handlungen noch alles viel schlimmer geworden. Er bereue vieles. Wenn er aus dem Gefängnis komme, wolle er sich eine Arbeit suchen. Er sei gelernter Maschinenfertigungstechniker. Er möchte sich um seine Lebensgefährtin und seinen Sohn kümmern. Er verfüge auch über einen Aufenthaltstitel mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich vom 18.03.2019, Zl. IFA XXXX wurde unter Spruchteil I. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt II. festgestellt, dass die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei, unter Spruchpunkt III. ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, unter Spruchpunkt IV. eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und unter Spruchpunkt V. einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Im Verfahrensgang wurden die Ergebnisse des oben bereits wiedergegebenen Parteiengehörs dargestellt und anschließend Auszüge aus den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers getätigt, sowie Feststellungen zum Herkunftsstaat getroffen. Nach beweiswürdigenden Ausführungen wurde rechtlich zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer geschieden sei, laut eigenen Angaben aber mit seiner Exfrau in Lebensgemeinschaft lebe und dass sie einen gemeinsamen Sohn haben, wobei seine Exfrau noch einen weiteren Sohn aus einer früheren Beziehung habe. Er sei aber nicht an der gleichen Adresse wie seine Exfrau gemeldet. Der Beschwerdeführer lebe seit 1991 in Österreich und habe hier die Schule besucht und eine Lehre abgeschlossen. Er sei aber in der Folge nur jeweils kurze Zeit beschäftigt gewesen und habe meistens Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe bezogen. Er sei dann in der Firma seiner Exfrau für 2 Jahre angestellt gewesen und habe diese Firma für seine Betrugshandlungen benutzt. Insgesamt weise der Beschwerdeführer aufgrund seines langjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet erhebliche private Bindungen zu Österreich auf. Diesen stünden jedoch ein erhebliches kriminelles Verhalten, insbesondere mehrfache Betrügereien entgegen und könne daher nicht von einer gelungenen Integration gesprochen werden. Sein kriminelles Verhalten hätte sich sogar gegen seine Exfrau gerichtet und bleibe es ihm unbenommen, im Falle einer allfälligen Abschiebung den Kontakt zu seiner Familie und seinen Freunden mittels Telefon oder elektronischen Medien aufrechtzuerhalten. Das kriminelle Verhalten des Beschwerdeführers rechtfertige daher insgesamt eine Rückkehrentscheidung.
Unter Spruchteil II. wurde insbesondere ausgeführt, dass sich weder aus den Feststellungen zur Lage im Zielstaat noch aus dem Vorbringen eine Gefährdung ergebe, zumal es sich bei dem Beschwerdeführer um einen gesunden, arbeits- und anpassungsfähigen und nicht vulnerablen Menschen handle. Von der Möglichkeit zu dem Länderinformationsblatt Stellung zu nehmen, habe er ich nicht Gebrauch gemacht. Eine Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina stehe auch keiner Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegen, sodass diese als zulässig zu bezeichnen sei.
Zu Spruchteil III. wurde ausgeführt, dass im vorliegenden Fall der § 53 Abs. 3 Z 5 (unbedingte Freiheitsstrafe von mehr als 3 Jahren) erfüllt sei und der Beschwerdeführer bereits 2009 strafffällig geworden sei und auch schon 2011 in Haft gewesen sei. Er habe zuletzt im Zusammenhang mit dem Autohandel seiner Ex-Gattin insgesamt 25 Betrugsdelikte innerhalb von 2 Jahren begangen. Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Es sei daher die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig. Im vorliegenden Fall sei die aufschiebende Wirkung der Beschwerde abzuerkennen gewesen, da die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei, es sei daher auch keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren gewesen (Spruchpunkte IV. und V.)
Gegen diesen Bescheid erhob der Bescheidadressat, vertreten durch den XXXX , fristgerecht gegen alle Spruchpunkte Beschwerde. Darin wurde insbesondere kritisiert, dass die Behörde es unterlassen habe, auf sein individuelles Vorbringen einzugehen und sich damit auseinanderzusetzen, zumal er bereits er bereits 1991 nach Österreich gekommen sei und sich hier ein Leben aufgebaut habe. Habe hier seine gesamte Sozialisation erfahren, während Bosnien für ihn ein völlig fremdes Land sei. Er hab dort keine Verwandten, die ihn dort unterstützen könnten. Er wisse nicht, wo er dort eine Unterkunft finden könnte. Er habe keinerlei Beziehungen zu Menschen in Bosnien und verfüge auch über unzureichende Kenntnisse der bosnischen Sprache. Zudem werde er von seiner Familie unterstützt und würde ihn diese nach seiner Haftentlassung weiter unterstützen, sodass im vorliegenden Fall sein Verhältnis zu seinen Eltern als Familienleben zu qualifizieren sei.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.05.2020, XXXX wurde der Beschwerde insofern Folge gegeben als der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wurde. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid eine Prüfung nach § 52 Abs. 4 FPG durchgeführt habe, ohne zuvor geprüft zu haben, ob nicht § 52 Abs. 5 FPG anzuwenden sei.
Die belangte Behörde räumte mit Schreiben vom 19.08.2020 neuerlich im schriftlichen Wege das Parteiengehör ein. In seiner schriftlichen Stellungnahme führte der Beschwerdeführer aus, dass er jeden Tag telefonischen Kontakt mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn habe und seine Lebensgefährtin ihn häufig besuche. Er habe schon ab 1996 ein unbefristetes Visum gehabt und dann ab 2007 einen Daueraufenthaltstitel EU. Er habe zunächst in der JA XXXX als Hausarbeiter gearbeitet und nunmehr sei er in der JA XXXX in der KFZ-Abteilung als Mechaniker tätig, weiters auch als Hausarbeiter und verrichte pflichtbewusst jeden Tag seine Arbeit. Seine Lebensgefährtin arbeite Vollzeit als Pflegekraft und habe er auch schon eine Einstellungszusage der Firma XXXX . Er bereue seine Fehler sehr und liebe Österreich, wo er seine gesamte Schul- und Berufsausbildung erhalten habe. Er liebe seine Exfrau und jetzige Lebensgefährtin über alles und ersuche, dass man ihm eine letzte Chance gewähre.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich vom 08.10.2020, Zl. XXXX wurde unter Spruchpunkt I. gemäß § 52 Abs. 5 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt II. die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina für zulässig erklärt, unter Spruchpunkt III. ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, unter Spruchpunkt IV. eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und unter Spruchpunkt V. einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.
In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Ergebnisse des Parteiengehörs angeführt und die über den Beschwerdeführer verhängten Urteile auszugsweise zitiert, sowie Feststellungen zu Bosnien und Herzegowina getroffen. Nach beweiswürdigenden Ausführungen wurde zunächst zu Spruchteil I. darauf hingewiesen, dass das XXXX einen unbefristeten Aufenthaltstitel (Daueraufenthalt EU) dem Beschwerdeführer ab 01.08.2007 erteilt hatte, in vorliegenden Fall jedoch aufgrund der mehrfachen schwerwiegenden Verurteilungen des Beschwerdeführers von dem Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe. Der Beschwerdeführer lebe seit 1991 in Österreich. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens wurden die bereits im aufgehobenen Bescheid getätigten Ausführungen wiederholt. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer von XXXX seit Jahren geschieden sei, trotzdem behaupte er, in einer Lebensgemeinschaft zu leben, obwohl er auch nicht am selben Wohnsitz gemeldet gewesen sei. Den familiären und privaten Bindungen stünde ein erhebliches kriminelles Verhalten gegenüber. Seine Exfrau müsse sowohl nach der Scheidung als auch nun während des Haftaufenthaltes alleine zurecht kommen. Weiters sei es ihm unbenommen, im Falle einer Abschiebung mit Familie und Freunden mittels Telefon und elektronischen Medien Kontakt aufrecht zu erhalten. Es sei daher insgesamt eine Rückkehrentscheidung zulässig. Zu Spruchteil III. wurden die bereits im aufgehobenen Bescheid enthaltenen Ausführungen wiederholt, ebenso zu Spruchteil IV. und V. .Ergänzend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit einer beträchtlichen kriminellen Energie ausgestattet sei und er trotz bekannter Konsequenzen sich auf ein kriminelles Verhalten eingelassen habe, sodass kein Vertrauensvorschuss mehr gewährt werden könnte und von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Bescheidadressat, vertreten durch den XXXX , gegen alle Spruchteile Beschwerde. Der Beschwerdeführer spreche Deutsch auf Muttersprachenniveau und wurde auch die zeugenschaftliche Einvernahme seiner Ehefrau unter Angabe der Wohnadresse angeregt, zumal nach wie vor eine innige Beziehung bestehe. Der Beschwerdeführer pflege auch – soweit dies während der Haft möglich sei – ein enges, persönliches Verhältnis zu seinem Sohn und könne er nach der Haftentlassung kurzfristig eine Anstellung finden, sodass eine günstige Zukunftsprognose zu erstellen wäre. Er verhalte sich auch in der Haft vorbildlich. Ohne die in Österreich begangenen Straftaten verharmlosen zu wollen, würden die Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib in Österreich die gegenteiligen öffentlichen Interessen überwiegen.
Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.11.2020, Zl. XXXX wurde der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides) Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben, sowie der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Nach Richterwechsel beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 12.08.2021 an, zu der der Beschwerdeführer vorgeführt wurde. Die XXXX hatte bereits mit Datum 27.07.2021 eine Vollmacht gelegt. Ein Mitarbeiter der XXXX erschien auch als Vertreter zur Beschwerdeverhandlung, während sich die belangte Behörde für die Nichtteilnahme entschuldigen ließ. Weiters wurden die Zeugin XXXX geladen und beantragte der Beschwerdeführervertreter weiters die Einvernahme des Zeugen XXXX (Vater des Beschwerdeführers) zum Beweise des Familienlebens in Österreich und der engen Beziehung zu seinen Eltern, wobei diesem Beweisantrag stattgegeben wurde. Der Beschwerdeführer hielt die Beschwerde und das bisherige Vorbringen aufrecht und wollte nichts korrigieren oder ergänzen. Er sei Staatsbürger von Bosnien und Herzegowina, könne aber nicht sagen, aus welcher Teilrepublik er stamme. Er habe auch kein Religionsbekenntnis, sondern fühle sich als Österreicher. Er sei in Bosnien, nämlich in XXXX am XXXX geboren und habe nur seine ersten vier Lebensjahre in Bosnien verbracht. Im September 1991 sei er mit seinen Eltern nach Österreich gekommen. Als er noch jugendlich war, sei er mit seinen Eltern regelmäßig nach Bosnien gefahren, um Verwandte zu besuchen, diese wären aber in der Zwischenzeit gestorben. Er sei dann auch nicht mehr nach Bosnien gefahren. Das letzte Mal sei er Ende 2010, Anfang 2011 in Bosnien gewesen. Sämtliche lebenden Verwandten wären in Österreich, in XXXX , in Oberösterreich und in Wien. Er habe in Bosnien auch keinerlei Wohnmöglichkeit oder Haus- oder Grundbesitz. Er könne wohl auf Bosnisch kommunizieren, wüsste aber bestimmte Wörter nicht. Mit seinen Eltern habe er nur die ersten paar Jahre Bosnisch gesprochen, dann hauptsächlich Deutsch. Er habe in Österreich die Volksschule und die Hauptschule besucht und dann 2 ½ Jahre die HTL, Abteilung Maschinenbau. In Folge habe er die HTL abgebrochen und eine Lehre als Maschinen- und Fertigungstechniker in Österreich absolviert. Darüber hinaus habe er auch eine Ausbildung als Schweißer und einen Stapler- und Kranschein gemacht (die Abschlussbescheinigung für den Lehrberuf Maschinenfertigungstechniker legte er vor).
Er habe von 2004 bis 2008 bei der Firma XXXX gearbeitet, wo er seine Lehre absolviert habe, dann habe er in dem XXXX gearbeitet, aber 2009 sei er wegen der Wirtschaftskrise gekündigt worden. Nach ein paar Monaten Arbeitslosigkeit habe er als Autoverkäufer bei der Firma XXXX begonnen, dann als Maschinenführer bei der Firma XXXX gearbeitet. Dann sei er das erste Mal im Gefängnis gewesen, als er 2013 entlassen worden sei, habe er bei der Firma XXXX als Maschinenführer gearbeitet und in der Folge habe er mit seiner Frau selbst einen Autohandel gegründet.
Seine Exfrau habe er im September/Oktober 2008 beim XXXX kennengelernt. Sie sei eine gebürtige Österreicherin. 2010 sei dann der gemeinsame Sohn XXXX auf die Welt gekommen. Seine Frau habe 2 Kinder in die Ehe mitgebracht, XXXX nunmehr 19 Jahre und XXXX , nunmehr 15 Jahre. Seine Frau sei vorher schon einmal verheiratet gewesen. Sie hätten nur ein gemeinsames Kind, den Sohn XXXX . Seine Frau habe, als er seinen ersten Gefängnisaufenthalt 2012 gehabt habe, die Scheidung beantragt. Als er dann in der Folge wieder auf Freigang gekommen sei, habe der Kontakt wieder begonnen. Er sei zum Unterhalt nur für sein Kind, nicht für seine Exfrau verpflichtet. Das Sorgerecht würde gemeinsam bestehen. Er habe mit seiner Exfrau auch bis 2018, bis er neuerlich verhaftet worden sei, zusammen gelebt. Gemeldet sei er jedoch bei seinen Eltern gewesen. Bis vor 6 Monaten sei der Kontakt zu seiner Exfrau sehr gut gewesen. Sie hätten eine gemeinsame Zukunft geplant. Jetzt tendieren sie jedoch eher für getrennte Wege. Sie möchten jedoch wegen des gemeinsamen Kindes den Kontakt aufrecht erhalten. Im Gefängnis sei er nur von seiner Exfrau, manchmal von seinem Stiefsohn XXXX besucht worden. Seine Eltern hätten eine Scheu ihn im Gefängnis zu besuchen, aber sie hätten telefonischen Kontakt, ebenso wie zu seinem Sohn XXXX . Sein Freund XXXX , der ein Fitnessstudio betreibe, habe ihm angeboten, dass er ihn beim Aufbau weiterer Fitnessstudios unterstützen könnte. Außerdem könnte er in einem Autohandel mit Werkstatt als Automechaniker beginnen. Er werde voraussichtlich im April 2022 aus dem Gefängnis entlassen (der Justizwachebeamte ergänzte 26.04.2022). Es gäbe kein weiteres Strafverfahren. Über Vorhalt des Strafregisterauszuges gab er an, dass er mit der Situation, dass er ein Kind habe und mit einer Frau, die schon 2 Kinder mitgebracht habe, zusammen gewesen sei, überfordert gewesen sei. Er habe nur die gemeinsame Firma mit seiner Exfrau erhalten wollen. Im Gefängnis arbeite er in der Garage, bereite Autos auf und warte sie. Am Sonntag sei er überdies als Hausarbeiter beschäftigt. Er könnte kurzfristig die Lehrabschlussprüfung als Außenmechaniker nachholen. Wenn er nach Bosnien zurückkehren müsste, wüsste er nicht, was er dort machen solle. In Österreich seien 3 Brüder seiner Mutter aufhältig, 2 im Bezirk XXXX und einer in XXXX . Auch die Brüder seines Vaters würden in Österreich leben. Er habe niemanden verletzen wollen und er möchte noch gerne eine Chance bekommen.
Die Zeugin XXXX wurde nach Wahrheitserinnerung und Belehrung über die Entschlagungsgründe wie folgt befragt:
Sie sei am XXXX in XXXX geboren. Ihr lediger Name sei XXXX gewesen. Sie habe eine 3-jährige Fachschule für wirtschaftliche Berufe absolviert und als Immobilienkauffrau und als Autohändlerin gearbeitet. Nunmehr sei sie Pflegefachkraft. Ihren Ex-Mann habe sie vor ca. 14 Jahren in einem Kaffeehaus kennengelernt. Sie hätten sich aber schon vom Sehen von der Schule gekannt. Damals sei sie noch verheiratet gewesen, habe aber schon getrennt gelebt. Sie habe sich dann in der Folge scheiden lassen. Sie habe insgesamt 3 Kinder, XXXX , geboren XXXX , XXXX , geboren XXXX und XXXX , geboren XXXX . Nach der Geburt ihres Sohnes im Jahre 2011 hätten sie geheiratet. Wie lange sie mit ihrem Mann tatsächlich zusammen gelebt habe, könne sie nicht genau sagen. Wegen seiner kriminellen Aktivitäten sei es zur Scheidung gekommen. Der Beschwerdeführer habe hinter ihrem Rücken Dinge gemacht, die sie nicht habe akzeptieren können. Wann die Scheidung gewesen sei, wisse sie nicht auswendig. Ein Unterhaltsanspruch bestehe nur für den Sohn. Das Sorgerecht würden sie beide haben, aber derzeit übe sie dieses faktisch alleine aus. Sie habe nach der Scheidung wieder mit ihrem Ex-Mann zusammengelebt. Sie hätten aber verschiedene Wohnadressen gehabt. Es sei für sie schwierig ihren Ex-Mann im Gefängnis zu besuchen, weil die Besuchszeit in der Regel nur bis 14:00 Uhr sei und sie bis 17:00 Uhr arbeite. Ihr gemeinsamer Sohn hätte seinen Vater einmal in der Außenstelle besucht. Sie hätten aber telefonischen Kontakt. Ihr Sohn könne auch mit einem Handy umgehen. Er kenne sich auch mit dem Internet aus. Er möchte lieber mit seinem Vater als mit ihr lernen. Eine Abschiebung ihres Ex-Mannes nach Bosnien wäre fürchterlich, vor allem für ihren Sohn. Sie glaube er würde die Schule komplett verweigern. Er möchte schon jetzt nicht gerne in die Schule gehen und habe sie einen Psychologen beigezogen. Ob sie mit ihrem Ex-Mann wieder zusammen leben würde, wisse sie nicht. Sie habe noch keinen neuen Partner, aber es sei viel passiert. Es wäre aber allerdings wichtig, wenn sich ihr Ex-Mann um den Sohn kümmern würde. Sie ersuche, dass es möglich gemacht werde, dass ihr Ex-Mann in Österreich bleiben dürfe.
In der Folge wurde der Vater des Beschwerdeführers XXXX nach Wahrheitserinnerung und Belehrung über die Entschlagungsgründe wie folgt befragt:
Auf die Frage, warum sein Sohn nach der Scheidung bei seinen Eltern gemeldet gewesen sei, obwohl er faktisch mit seiner Ex-Frau zusammengelebt habe, konnte er auch keine Antwort geben. Mit einem Kontakt mit seinem Sohn wäre er psychisch überfordert. Seine Frau habe schon Kontakt mit ihm. Sie telefoniere auch regelmäßig mit ihm. Ihr Sohn habe nur bis 2008, als er mit seiner Ex-Frau zusammen gekommen sei, regelmäßig bei ihnen gelebt. Sämtliche Familienmitglieder wären in Österreich. Sie hätten auch ihr Haus in Bosnien verloren und der Beschwerdeführer sei ihr einziges Kind. Er selbst sei Holztechniker, arbeite aber in der Metallindustrie. In Bosnien habe er gar nichts mehr. Der Beschwerdeführer könnte nach der Haftentlassung wieder bei seinen Eltern wohnen. Sie würden ihn auch finanziell unterstützen. In Bosnien habe er keine Zukunft, in Österreich schon.
Der Beschwerdeführervertreter beantragte die Einräumung einer Frist zur Vorlage einer Einstellungszusage.
Diese Frist von 4 Wochen wurde gewährt und wurde die gleiche Frist zur Abgabe einer allfälligen Stellungnahme zu dem aktuellen Länderinformationsblatt zu Bosnien-Herzegowina eingeräumt.
Von dieser Möglichkeit machte der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Vertretung Gebrauch und wurde zunächst das bisherige Vorbringen wiederholt. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers würde einen massiven Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK garantiertes Recht auf Privat- und Familienleben darstellen und würde die Beziehung zu seinem Sohn sehr gefährdet, der stark an seinen Vater gebunden sei und unter der jetzigen Trennungssituation leide. Er sei auch regelmäßig beim Schulpsychologen und hätte sogar schon einmal stationär auf die Jugendpsychiatrie aufgenommen werden müssen. Nach Außerkrafttreten des § 9 Abs. 4 BFA-VG würden nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die ehemaligen Aufenthaltsfestigungstatbestände im Rahmen einer Interessensabwägung weiterhin beachtlich sein und wurde diesbezüglich aus Judikatur des VwGH zitiert. Im vorliegenden Fall sei der Begriff „gravierende Straffälligkeit“ als Voraussetzung für eine Rückkehrentscheidung sei nicht erfüllt und sei aufgrund des langen rechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers von über 30 Jahren eine Rückkehrentscheidung unzulässig, wobei im vorliegenden Fall den Umständen des Einzelfalls besonderes Gewicht zukommen würde. Der Beschwerdeführervertreter legte weiters eine Einstellungszusage der Firma XXXX , Inhaber XXXX vor, wonach der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung als Mechaniker oder Autoübersteller arbeiten könnte. Weiters wurde ein E-Mail der Ex-Frau XXXX vorgelegt, wonach nach der Verhaftung ihres Ex-Mannes für ihren gemeinsamen Sohn XXXX eine Welt zusammengebrochen sei und er nicht mehr lernen wollte. Eines Tages sei er völlig ausgerastet und sei daraufhin eine Woche stationär auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie in XXXX aufhältig gewesen. Nach einer kurzen Besserung sei er wieder nicht in die Schule gegangen. Er leide unter starker Neurodermitis, sei seit 3 Jahren Asthmatiker und sei für sie, da sie selbst in der Pflege arbeite und ihr Sohn oft krank sei, die Betreuung ihres Sohnes ohne jegliche Hilfe sehr schwierig. Der Sohn brauche unbedingt seinen Vater. Er möchte lieber mit seinem „Papa“ lernen als mit ihr und wäre eine Abschiebung für ihren Sohn „der Weltuntergang“.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Bosnien und Herzegowina und wurde am XXXX in XXXX geboren. Angaben zu seiner Volksgruppe kann er keine machen. Er verfügt auch über kein Religionsbekenntnis. Er hat nur die ersten 4 Jahre seines Lebens in Bosnien verbracht und ist im September 1991 als Flüchtling mit seinen Eltern (als einziges Kind) nach Österreich gekommen und war in der Folge rechtmäßig in Österreich mit einem Visum bzw. mit einem Daueraufenthaltstitel EU aufhältig. Der Beschwerdeführer hat in Österreich seine gesamte Schul- und Berufsausbildung erfahren. Nach der Volks- und Hauptschule besuchte er zunächst 2 ½ Jahre lang die HTL, Abteilung Maschinenbau. Nach dem er diese abbrach, absolvierte er eine Lehre als Maschinen- und Fertigungstechniker, die er auch abschloss. Weiters absolvierte er auch einen Schweißkurs und verfügt er über einen Stapler- und Kranschein, sowie einen österreichischen Führerschein.
Der Beschwerdeführer lernte 2018 seine Ehefrau XXXX , geborene XXXX kennen. Am XXXX kam der gemeinsame Sohn XXXX zur Welt. Beide sind österreichische Staatsbürger. Nach der Geburt des Sohnes wurde geheiratet. Es kam jedoch wegen des ersten Haftaufenthaltes des Beschwerdeführers in der Folge zur Scheidung. Der Beschwerdeführer hat jedoch bis 2018 mit seiner Ex-Frau wieder zusammen gelebt, wenn er auch bei seinen Eltern, zu denen er nach wie vor eine enge Beziehung hat, gemeldet war. Seine Ehefrau brachte 2 Kinder in die Ehe mit, XXXX , geboren XXXX und XXXX , geboren XXXX . Der Beschwerdeführer war nach seiner Lehre im XXXX als Maschinenführer in einer Kunststofffirma tätig und betrieb dann mit seiner Frau gemeinsam, wobei die Gewerbeberechtigung seine Frau hatte, einen Autohandel. Der Beschwerdeführer war zuletzt 2010 in Bosnien. Er hat keinerlei Verwandte mehr dort und auch keine Bindungen, ebenso wenig irgendeine Wohnmöglichkeit oder einen Haus- und Grundbesitz. Sämtliche Familienangehörige und Verwandte des Beschwerdeführers leben in Österreich. Der Beschwerdeführer kann sich wohl auf Bosnisch verständigen, spricht aber Deutsch auf muttersprachlichem Niveau. Er verfügt in Österreich auch über einen großen Freundeskreis.
Der Beschwerdeführer wurde in Österreich wie folgt verurteilt:
1. Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 17.11.2009, Zahl. XXXX wegen §§ 127, 128 und 133 StGB zu einer Freiheitsstrafe von achten Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren
2. Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 04.05.2010, Zahl XXXX wegen §§ 146 und 147 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon acht Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren
3. Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 24.05.2011, Zahl XXXX wegen §§ 146, 147 und 148 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten
4. Mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 07.02.2013, Zahl XXXX wegen §§ 146, 147, 127, 128, 129, 130, 24e und 297 StGB zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten und
5. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.01.2019, Zahl XXXX wegen §§ 146, 147, 148 iVm § 15 und 12 StGB sowie 105 iVm §15 StGB sowie 83 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahre.
Im zuletzt genannten Urteil wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßig schweren Betruges, teilweise als Beitragstäter, teilweise als Bestimmungstäter und teilweise als unmittelbarer Täter sowie wegen des Vergehens der Nötigung und der teilweise versuchten, teilweise vollendeten Nötigung sowie des Vergehens der Körperverletzung verurteilt. Grundlage der Verurteilung war eine Täuschung mehrere Kreditinstitute über die jeweilige Rückzahlungsfähigkeit und Rückzahlungswilligkeit von Krediten sowie die Veräußerung von unter Eigentumsvorbehalt stehenden Fahrzeugen ohne den dadurch erhaltenen Erlös an die Kreditinstitute weiterzuleiten, wobei insgesamt der Schaden eine Summe von € 300.000,- überstiegen hat. Es handelte sich dabei um zahlreiche Luxusautos der Marken XXXX , die trotz Eigentumsvorbehalt von dem Beschwerdeführer veräußert wurden. Weiters wurde der Beschwerdeführer deswegen verurteilt, weil er seine Exgattin und Lebensgefährtin XXXX in einem Streit um ein Handy an den Haaren gerissen habe, wodurch diese zu Sturz gekommen sei und weiters gedroht habe kompromittierende Videoaufnahmen zu verbreiten, falls sie gegen ihn eine Anzeige erstatten würde.
Als mildernd wurde das in der Hauptverhandlung abgelegte umfassende Geständnis sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen eines Verbrechens mit Vergehen sowie das Vorhandensein von vier einschlägigen Vorstrafen und das Vorliegen der Rückfallsvoraussetzungen nach § 39 Abs. 1 StGB gewertet. Die Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren wurde auch mit der hohen Schadenssumme begründet. Der Beschwerdeführer wird voraussichtlich (vorzeitig) am 26.04.2022 aus der Strafhaft entlassen.
Er verfügt über zwei Einstellungszusagen, und zwar sowohl bei einem Fitnesscenter, als auch bei einem Autohandel samt Werkstatt. Auch seine Eltern würden ihn nach der Haft unterstützen, er könnte vorübergehend bei ihnen wohnen. Während seine Exgattin bis vor einigen Monaten von einer gemeinsamen Zukunft ausgegangen ist, scheint dies derzeit nicht wahrscheinlich, jedoch hat die Exgattin nicht völlig mit ihm gebrochen und möchte vor allem wegen des gemeinsamen Sohnes, der den Beschwerdeführer stark vermisst und ihn dringend benötigen würde, den Kontakt aufrecht erhalten.
Wegen Behebung des angefochtenen Bescheides aus rechtlichen Gründen war es nicht erforderlich, Länderfeststellungen aufzunehmen.
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der belangten Behörde zur Zahl XXXX , insbesondere die darin enthaltenen schriftlichen Einräumungen des Parteiengehörs und Beantwortungen durch den Beschwerdeführer und zwar vom 02.05.2018 und vom 19.08.2020, weiters durch Befragung des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.08.2021, im Zuge derer auch die Zeugin XXXX sowie der Zeuge XXXX unter Wahrheitspflicht befragt wurden, weiters durch Einsichtnahme in den den Beschwerdeführer betreffenden Strafregisterauszug und die im Verfahrensakt enthaltenen Strafurteile, insbesondere das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.01.2019, Zahl XXXX , der Vorlage einer Bestätigung über die positive Absolvierung der Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Maschinenfertigungstechniker, wie eine Einstellungszusage des XXXX und des XXXX und eines E-Mails der XXXX durch den Beschwerdeführer bzw. seine Vertretung.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers sind dem Verfahrensakt und den Aussagen in der Beschwerdeverhandlung vom 12.08.2021 entnommen. Den erfolgreichen Abschluss der Lehrausbildung als Maschinenfertigungstechniker konnte der Beschwerdeführer in einem entsprechenden Dokument nachweisen.
Die Feststellungen über die Verurteilungen des Beschwerdeführers sind aus dem den Beschwerdeführer betreffenden Strafregisterauszug sowie den im Verfahrensakt enthaltenen Urteilen, insbesondere dem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.01.2019 entnommen. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei den Verurteilungen des Beschwerdeführers weit überwiegend um Betrugsdelikte, zuletzt mit einer sehr hohen Schadenssumme, handelte. Die Misshandlung bzw. an seine Exfrau begangene Nötigung hat jedenfalls nicht zu einem völligen Bruch der Ex-Ehepartner geführt, vielmehr konnte sich die Ex-Ehefrau bis vor wenigen Monaten eine gemeinsame Zukunft vorstellen und wird auch nach wie vor der Kontakt wegen des gemeinsamen Sohnes Armin aufrechterhalten. Die als Zeugin vernommene Ex-Ehefrau XXXX konnte eindrucksvoll schildern, dass dem gemeinsame Sohn derzeit die physische Präsenz seines Vaters stark fehlt, der im Zusammenhang mit der Abwesenheit eines Vaters unter schweren Lernschwierigkeiten und psychischen Problemen, die letztlich sogar zu einer kurzfristigen stationären Aufnahme in eine Anstalt für Kinder- und Jugendpsychiatrie geführt hat, schildern und hat dies noch einmals in einem E-Mail bekräftigt.
Wenn auch derzeit kein persönlicher Kontakt zu seinem Vater besteht, so hat dieser glaubhaft angegeben, dass er nach der Haftentlassung seinen Sohn vorübergehend auch finanziell unterstützen würde und ihm eine Wohnmöglichkeit bieten würde.
Der Beschwerdeführer hat weiters von sich aus zwei Einstellungszusagen vorgelegt, die beweisen, dass er nach seiner Haftentlassung kurzfristig wieder arbeiten könnte und selbsterhaltungsfähig wäre.
Was den persönlichen Eindruck betrifft, so ist aus den Aussagen des Beschwerdeführers doch ein gewisses Bemühen um einen Neuanfang ohne Kriminalität und um eine Eingliederung in die Gesellschaft erkennbar.
3. Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 52 Abs. 5 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU" verfügt, ein Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
Am 01.08.2007 wurde Ihnen vom XXXX ein unbefristeter Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU" erteilt.
§ 53 Abs. 3 FPG regelt die Erlassung eines Einreiseverbotes für die Dauer von höchstens 10 Jahren, in bestimmten Fällen auch die unbefristete Erlassung. Ein solches ist zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen, die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn
1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingten oder teilbedingten nachgesehenen Freiheitsstraße von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlung rechtkräftig verurteilt worden ist;
2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtkräftig verurteilt worden ist;
3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;
4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;
5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);
7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ überschriebene § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK zulässig ist, ist weiters eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).
Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist laut ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen und es kann grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (vgl. etwa VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0340, mwN).
§ 9 Abs. 4 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 70/2015 lautete:
„Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.“
§ 9 Abs. 4 BFA-VG wurde durch das FrÄG 2018 mit Ablauf des 31. August 2018 aufgehoben. Dazu hielt der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien (RV 189 BlgNR 26. GP 27 f) ausdrücklich fest, § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG erweise sich "lediglich als Konkretisierung bzw. Klarstellung dessen, was sich unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur ohnehin bereits aus Abs. 1 iVm Abs. 2 ergibt". Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof schon zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet des Außerkrafttretens des § 9 Abs. 4 BFA-VG die Wertungen dieser ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG weiter beachtlich seien (vgl. VwGH 16.05.2019, Ra 2019/21/0121, Rn. 9, mit dem Hinweis auf VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0152, Rn. 20), ohne dass es aber einer ins Detail gehenden Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung des ehemaligen § 9 Abs. 4 BFA-VG bedürfe (siehe neuerlich VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0152, Rn. 20). Es ist also weiterhin darauf Bedacht zu nehmen, dass für die Fälle des bisherigen § 9 Abs. 4 BFA-VG allgemein unterstellt wurde, diesfalls habe die Interessenabwägung - trotz einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung - regelmäßig zu seinen Gunsten auszugehen und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme dürfe in diesen Konstellationen grundsätzlich nicht erlassen werden. Durch die Aufhebung dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber erkennbar nur bei Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen einen fallbezogenen Spielraum einräumen (vgl. dazu noch einmal RV 189 BlgNR 26. GP 27, wo diesbezüglich von "gravierender Straffälligkeit" bzw. "schwerer Straffälligkeit" gesprochen wird). Dazu zählen jedenfalls die schon bisher in § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG normierten Ausnahmen bei Erfüllung der Einreiseverbotstatbestände nach den Z 6, 7 und 8 des § 53 Abs. 3 FPG, aber auch andere Formen gravierender Straffälligkeit (siehe zu solchen Fällen der Sache nach zuletzt VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, betreffend Vergewaltigung, und VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, betreffend grenzüberschreitenden Kokainschmuggel) (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0238; siehe zuletzt auch VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0246; ebenso Bundesverwaltungsgericht vom 26.08.2021, W192 2244208). Erst jüngst (VwGH vom 31.08.2021, Ra 2021/21/0075) hat der VwGH ausgeführt, dass eine Rückkehrentscheidung bei Erfüllung der Voraussetzungen des (aufgehobenen) § 9 Abs. 4 BFA-VG nur bei besonders verwerflichen Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen zulässig ist.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes ist gemäß Abs. 2 leg. cit. nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar2 [1996] Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Der Begriff des Privatlebens iSd Art. 8 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst das persönliche und berufliche Umfeld eines Menschen, in dem er mit anderen interagiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen einem ansässigen Migranten und der Gemeinschaft, in der er lebt, integraler Bestandteil des Begriffs des Privatlebens (EGMR 13.10.2011, 41548/06, Trabelsi/DE; EGMR [GK] 23.06.2008, 1638/03, Maslov/AT). Dazu zählen auch berufliche und geschäftliche Beziehungen. Wie stark das Privatleben ausgeprägt ist, hängt in erster Linie von der Dauer des Aufenthalts ab. Für die Annahme eines in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallenden Privatlebens ist keine konkrete Mindestaufenthaltsdauer erforderlich. Die bereits in Österreich verbrachte Zeit und die dabei erfolgte Integration ist erst bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten (vgl. Peyerl/Czech in Abermann et al. NAG § 11 Rz 38).
Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgeführt hat, ist eine Ausweisung von Ausländern, die in Österreich ihre gesamte Kindheit und Jugend verbracht haben, auch bei Straffälligkeit nicht zulässig (Case of MASLOV vs. Austria, Nr. 1638/03 vom 23.06.2008).
Der Europäische Gerichthof hat weiters im Fall ÜNER gegen Niederlande vom 18.10.2006, Nr. 46410/99 (Große Kammer) wie folgt ausgeführt:
„RZ 57: Auch wenn Art. 8 EMRK somit für keine Gruppe von Fremden einen absoluten Schutz vor Ausweisung gewährt, zeigt die Rechtsprechung des Gerichtshofs doch deutlich, dass die Ausweisung eines Fremden unter Umständen gegen diese Bestimmung verstoßen kann (vgl. Moustaquim / Belgien, Urteil vom 18.02.1991; Beldjoudi / Frankreich, Urteil vom 26.03.1992; Boultif/ Schweiz, Nr. 54273/00; Amrohalli / Dänemark, Urteil vom 11.07.2002, Nr. 56811/00; Yilmaz / Deutschland, Urteil vom 17.04.2003; Keles / Deutschland, Urteil vom 27.10.2005, Nr. 32231/02). Im Fall Boultif / CH hat der Gerichtshof die Kriterien dargelegt, an Hand derer er prüft, ob eine Ausweisung verhältnismäßig war. Demnach sind folgende Kriterien zu berücksichtigen: die Art und Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten, die Dauer seines Aufenthalts, die seit Begehung der Straftat verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers in diesem Zeitraum, die Staatsangehörigkeit der verschiedenen betroffenen Personen, die familiäre Situation (so wie die Dauer der Ehe und andere Faktoren, die die Wirksamkeit des Familienlebens eines Paares ausdrücken), ob der Ehepartner über die Straftat Bescheid wusste, als sie / er die familiäre Bindung eingegangen ist, ob es Kinder aus der Ehe gibt, und wenn ja, ihr Alter, und die Schwierigkeiten, auf die der Ehepartner wahrscheinlich im Land, in das der Beschwerdeführer ausgewiesen wird, treffen wird.
Rz. 58. Der Gerichtshof möchte zwei Kriterien hervorheben, die vielleicht schon in den im Fall Boultif/CH genannten enthalten sind: das Interesse und Wohl der Kinder, insbesondere die Schwierigkeiten, die einem Kind des Beschwerdeführers in dessen Heimatland begegnen und die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Heimatland.
Bezüglich des ersten Aspekts stellt der Gerichtshof fest, dass dieser bereits in seiner gegenwärtigen Rechtsprechung Niederschlag findet (s. Sen / Niederlande, Urteil vom 21.12.2001, Nr. 31465/96; Tuquab0-Tek1e ua. / Niederlande, Urteil vom 01.12.2005, Nr. 60665/00) und sich an die Empfehlung des Ministerkomitees Rec(2002)4 über die rechtliche Stellung von zur Familienzusammenführung zugelassenen Personen anlehnt.
Was den zweiten Aspekt anbelangt, so ist hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer in der Sache Boultif bei seiner Einreise in die Schweiz zwar schon erwachsen war, der Gerichtshof aber erkannt hat, dass die „Boultif — Kriterien" erst recht in den Fällen anwendbar sind, in denen die Beschwerdeführer in dem Gastland geboren oder dort in jungen Jahren eingereist sind (s. Mokrani / Frankreich, Urteil vom 15.07.2003, Nr. 52206/99).
Dass die Dauer des Aufenthalts einer Person im Gastland in der Tat als ein zu berücksichtigender Aspekt gilt, ist in der Annahme begründet, dass je länger eine Person sich in einem bestimmten Land aufhält, umso stärker ihre Bindungen zu diesem Land und umso schwächer diese zu ihrem Herkunftsland sind. Im Licht dieser Erwägungen ist offensichtlich, dass der Gerichtshof die besondere Situation von Ausländern berücksichtigt, die die überwiegende oder sogar die gesamte Zeit ihrer Kindheit im Gastland verbracht haben, dort aufgewachsen sind und erzogen wurden.
Rz. 59. In der Sache Boultif hat der Gerichtshof festgestellt, dass er sich genötigt sah, diese „Leitlinien" festzulegen, weil er „nur eine begrenzte Zahl von entschiedenen Fällen hatte, in denen das Haupthindernis für die Ausweisung die Schwierigkeiten der Ehegatten, zusammenzubleiben, und insbesondere die Schwierigkeiten eines der Ehegatten und/oder der Kinder, in dem Herkunftsland des anderen Ehegatten zu leben, waren". Festzustellen ist jedoch, dass die ersten drei Leitlinien sich nicht unmittelbar auf das Familienleben beziehen. Dies veranlasst den Gerichtshof zur Prüfung der Frage, Ob die „Boultif-Kriterien" in einem Maße verständlich sind, dass sie in allen Fällen angewendet werden können, in denen es um die „expulsion" und/oder „exclusion" von niedergelassenen Einwanderern im Anschluss an eine strafrechtliche Verurteilung geht. Er stellt diesbezüglich fest, dass nicht alle Einwanderer unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem Land, aus dem sie ausgewiesen werden sollen, notwendigerweise ein „Familienleben" im Sinne des Art. 8 EMRK aufweisen. Da aber nach Art. 8 EMRK auch das Recht geschützt ist, Beziehungen zu anderen Menschen und zur Außenwelt aufzunehmen und zu pflegen (s. Pretty / Vereinigtes Königreich, Nr. 2346/02) und er gelegentlich Aspekte der sozialen Identität des Einzelnen umfassen kann (s. Mikulic / Kroatien, Nr. 53176/99), muss man akzeptieren, dass die Gesamtheit der sozialen Bindungen zwischen den niedergelassenen Einwanderern und der Gemeinschaft, in der sie leben, fester Bestandteil des „Privatlebens" im Sinne des Art. 8 EMRK sind. Unabhängig also vom Bestehen oder Nichtbestehen eines „Familienlebens" ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Ausweisung eines niedergelassenen Einwanderers einen Eingriff in sein Recht auf Achtung seines Privatlebens darstellt. Der Gerichtshof entscheidet demnach vor dem Hintergrund der einzelfallbezogenen Umstände, ob es angemessen ist, dem Aspekt „Familienleben" größeres Gewicht beizumessen als dem Aspekt „Privatleben".
Rz. 60. Im Licht des Vorstehenden folgert der Gerichtshof, dass die vorgenannten Faktoren in ihrer Gesamtheit in allen Rechtssachen zu berücksichtigen sind, bei denen es um niedergelassene Einwanderer geht, die im Anschluss an eine strafrechtliche Verurteilung „ausgewiesen" („expelled") und/oder „ausgeschlossen" „excluded" werden sollen.“
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat weiters in seinem Urteil Beldjoudi gegen Frankreich vom 26.03.1992, 12038/86 mit der Frage der Entwurzelung von Personen, die im Land ihrer Niederlassung geboren wurden oder aufgewachsen sind, auseinandergesetzt und auf die großen Schwierigkeiten bei der Anpassung bei einer Rückkehr in den Staat der Staatsbürgerschaft, wobei praktisch und rechtliche Hindernisse auftreten können, hingewiesen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat er jüngst nochmals die Bedeutung des Umstandes, wenn jemand schon seit jungen Jahren in das Aufenthaltsland gekommen ist und zu diesem besondere Bindungen aufweist, eine Ausweisung als Verstoß gegen Art. 8 EMRK erachtet (Abdiv. Denmark, 14. Sept. 2021).
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH vom 30.04.2020 Ra 2019/21/0134, ähnlich VfGH vom 03.10.2019, E3456/2019-8) sich insbesondere mit der Frage des Kindeswohls und des drohenden Verlustes des persönlichen Kontakts zwischen Vater und (Klein-)kindern im Falle einer Rückkehrentscheidung und Abschiebung, wie folgt, ausgeführt: Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (vgl. VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0012, Rn 8, mwN). Ein Kind hat grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen (vgl. erneut VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn 20, mwN). Im gegenständlichen Fall müsste es jedoch bei Versagung des beantragten Aufenthaltstitels und Durchsetzung der Rückkehrentscheidung (zumindest vorübergehend) ganz ohne Vater aufwachsen. Wenn das Bundesverwaltungsgericht die Beibehaltung des Kontakts über Internet und Telefon für faktisch möglich und rechtlich ausreichend erachtet und darauf hinweist, dass der Revisionswerber bereits bisher auf diese Weise den Kontakt zu seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn aufrecht erhalten habe, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach Kontakte über Telefon oder E-Mail nicht die durch die Trennung von Mutter oder Vater verursachte maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls wettmachen können (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0108, Rn 11, mwN); die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel ist mit einem Kleinkind kaum möglich (z.B. auch VfGH vom 03.10.2019, E3247/2019-10) und dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) kommt grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zu (vgl. in diesem Sinn betreffend ein knapp dreijähriges Kind VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0128, mwN; zu einem ähnlich gelagerten Fall bezüglich eines vierjährigen Kindes VwGH 17.4.2013, 2013/22/0088, mwN; aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vgl. etwa VfGH 19.6.2015, E 426/2015, mwN)“.
Besonderes Gewicht kommt dem Kindeswohl zu, wenn die Kinder österr. Staatsbürger sind (VwGH vom 22.08.2019 Ra 2019/21/0128).
In einem noch jüngeren Erkenntnis (VwGH vom 16.07.2020, Ra 2020/21/0091) hat der Verwaltungsgerichtshof nochmals auf die Bedachtnahme des Kindeswohls, auch bei strafgerichtlichen Verurteilungen, hingewiesen und dass dieses nicht schon durch das Verhalten des Beschwerdeführers (automatisch) eine „starke Relativierung“ erfährt.
Umgelegt auf den Fall des Beschwerdeführers bedeutet dies Folgendes: Der Beschwerdeführer ist seit 1991, somit seit 30 Jahren, ununterbrochen in Österreich legal aufhältig. Er hat seinen Herkunftsstaat im Alter von fünf Jahren verlassen und hat in Österreich seine gesamte Schul- und Berufsausbildung erfahren, spricht Deutsch auf muttersprachlichem Niveau und hat auch keinerlei Bindungen mehr zu seinem Herkunftsstaat, zumal auch dort keine näheren Verwandten mehr leben und er das letzte Mal vor rund zehn Jahren überhaupt Bosnien Herzegowina besucht hat. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass den Beschwerdeführer mit seinem Herkunftsstaat nur „das formale Band der Staatsbürgerschaft“ verbindet, die Bindungen zu Österreich jedoch weit überwiegend sind.
Es darf nicht übersehen werden, dass der Beschwerdeführer mehrfach und zuletzt ziemlich gravierend straffällig geworden ist und den zuletzt begangenen Betrugsdelikten eine hohe kriminelle Energie, aber auch eine hohe kriminelle Intelligenz innewohnte und auch eine hohe Schadenssumme besteht. Andererseits handelt es sich bei den vom Beschwerdeführer begangenen Delikten stark überwiegend um Vermögensdelikte, keinesfalls um Drogendelikte, Sexualdelikte oder Raub.
Wenn auch Gewalt gegenüber Frauen als besonders verwerflich einzustufen ist, so hat die gegenüber seiner Exfrau begangene Nötigung und Körperverletzung jedenfalls nicht zu einem Bruch zwischen der Ex-Ehepartner geführt, sondern konnte sich seine Ex-Frau bis vor wenigen Monaten eine Wiederaufnahme der Beziehung nach der Haftentlassung vorstellen. Sie hat dem Beschwerdeführer auch regelmäßig in der Haft besucht und den Kontakt, insbesondere im Interesse des gemeinsamen Sohnes Kontakt zu dem Beschwerdeführer aufrechterhalten. Auch ist es keinesfalls zu schwereren Verletzungen der Exfrau gekommen. Ohne diese Taten verharmlosen zu wollen, ist beim Beschwerdeführer doch ein starkes Überwiegen von Vermögensdelikten feststellbar.
Der vorliegende Fall zeichnet sich überdies auch noch durch die Besonderheit aus, dass dem kurz vor der Pubertät stehenden Sohn die physische Präsenz des Vaters offenbar sehr fehlt, der Sohn das Lernen verweigert bzw. nur mit dem Vater lernen möchte und überdies unter schwerwiegenden psychischen Problemen, die bis zu einer kurzfristigen Einweisung in eine Anstalt für Kinder- und Jugendpsychiatrie geführt haben, leidet. In Anbetracht der absehbaren frühzeitigen Entlassung des Beschwerdeführers im April 2022 könnte sich der Beschwerdeführer nach seiner Haftentlassung auch persönlich wieder um seinen Sohn kümmern, was jedoch bei einer Abschiebung nicht gewährleistet wäre. Wenn auch der Sohn Armin mit elf Jahren kein Kleinkind mehr ist und mit Mobiltelefonen und elektronischen Medien vertraut ist (wie seine Mutter angab), kann wegen der Besonderheit des vorliegenden Falles der Kontakt nicht durch Telefon oder elektronische Medien substituiert werden, sondern ist es im vorliegenden Fall stark im Interesse des Kindeswohls, dass der Kindesvater, der Beschwerdeführer, physisch präsent ist.
Schließlich kann trotz der wiederholten Straffälligkeit aufgrund der Unterstützung der Exfrau und der Eltern sowie des Vorliegens mehrerer Einstellungszusagen im vorliegenden Fall nicht von einer grundsätzlich negativen Zukunftsprognose ausgegangen werden.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass im vorliegenden Fall wegen der extrem langen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers es zu einer völligen Entwurzelung im Herkunftsstaat gekommen ist und den starken überwiegenden (vor allem wegen der hohen Schadenssumme nicht zu verharmlosenden) Vermögensdelikten und letztlich wegen des Kindeswohls die für eine Abstandnahme von einer Rückkehrentscheidung sprechenden Gründe die dagegen sprechenden (gerade noch) überwiegen.
Wegen Behebung der Rückkehrentscheidung war auch die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina sowie das darauf aufbauende Einreiseverbot zu beheben, Spruchpunkt IV. war zu beheben, da die Voraussetzungen des § 55 Abs. 4 FPG nicht mehr vorliegen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig