TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/13 W247 2217863-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2021
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Entscheidungsdatum

13.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W247 2217863-1/18E

W247 2217865-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. am XXXX und 2.) XXXX , geb. am XXXX , beide StA. Russische Föderation und vertreten durch RA XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2019, 1.) Zl. XXXX und 2.) ZI. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.09.2021, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Die beschwerdeführenden Parteien (BF1-BF2) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Tschetschenen und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist mit der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) verheiratet.

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführenden Parteien (BF1-BF2) reisten erstmals am 03.09.2015 unrechtmäßig und schlepperunterstützt, in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 15.09.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchen sie am 02.10.2015 vor der Landespolizeidirektion XXXX erstbefragt, sowie jeweils am 22.08.2017, am 30.10.2018 und am 06.03.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion XXXX , jeweils im Beisein eines den Beschwerdeführern einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH bzw. TSCHETSCHENISCH niederschriftlich einvernommen wurden.

2.1. Am 02.10.2015 wurde der BF1 vor der Landespolizeidirektion (LPD) XXXX im Beisein eines dem BF1 einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH erstbefragt. Im Rahmen dessen gab der BF1 an, er sei traditionell und standesamtlich verheiratet, spreche muttersprachlich Tschetschenisch, sowie mittelmäßig Russisch, sei Moslem und habe 9 Jahre lang die Grundschule besucht. Der BF1 habe zuletzt als Schlosser bzw. Mechaniker Maschinen gereinigt und verfüge im Herkunftsland noch über vier Brüder, zwei Schwestern, sowie seine Tochter. In Österreich würden sein asylberechtigter Sohn, sowie sein Neffe leben und sei die letzte Wohnadresse des BF1 XXXX in Tschetschenien gewesen. Am 02.09.2015 sei der BF1 mit seiner Frau mit dem Auto nach XXXX gefahren, sodann mit dem Taxi nach XXXX und mit dem Flugzeug nach XXXX geflogen. Danach sei der BF1 mit dem Flugzeug nach XXXX geflogen, von wo aus er und seine Frau, die BF2, von ihrem gemeinsamen Sohn mit dem Auto abgeholt worden seien. Der BF1 sei illegal ausgereist und habe in XXXX von einem Schlepper einen russischen Reisepass erhalten, welchen der BF1 in XXXX vernichtet habe. Der Schlepper habe sie angewiesen, die von ihm erhaltenen Dokumente nach der Ankunft zu vernichten, weshalb der BF1 annehme, die Reisepässe seien gefälscht gewesen. Der Neffe der BF2 wohne in der Nähe von XXXX , Näheres sei dem BF1 jedoch unbekannt. Der BF1 habe ein 10-tägiges italienisches Visum gehabt, welches vom Schlepper organisiert worden sei und mit welchem er nach XXXX gereist sei. Ursprünglich sei geplant gewesen, der BF1 solle zwei Tage in XXXX verbleiben und im Anschluss weiter nach Italien reisen. Er habe am Flughafen direkt Rückflugtickets gekauft und dem Beamten vorgelegt, widrigenfalls er nicht hätte einreisen können. Die Reise hätten der BF1 und seine Frau selbst organisiert. Der Bruder seiner Frau, XXXX , sei Taxifahrer und habe ihnen den Schlepper genannt. Sein Schwager habe das Geld jemandem in einem Bus nach XXXX übergeben, der Kurier habe das Geld den Schleppern in XXXX übergeben. EUR 3.000,- hätten sie dem Schlepper bezahlt. Der Kurier habe die Telefonnummer des BF1 gehabt und sie kontaktiert, um einen Treffpunkt am Taxistand auszumachen. Eine junge Frau hätte ihnen sodann die Dokumente gebracht und die Route mitgeteilt. Den BF1-BF2 sei mitgeteilt worden, sie sollten die Dokumente nach der Reise vernichten. Nach Meinung des BF1 sei diese Frau eine junge Russin gewesen. Mit ihr hätten sie einen Treffpunkt am Flughafen ausgemacht und von dort seien der BF1 und seine Frau zu einem anderen Flughafen gefahren, wobei die Fahrt zwei Stunden gedauert habe.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF1 aus, seine ganze Familie sei hier. Er habe nur einen Sohn und dieser lebe in Österreich. Die ganze Vorbereitung habe sehr lange gedauert, auch bis sie das Geld gespart hätten, weshalb sie erst jetzt nach Österreich gekommen seien. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, gab der BF1 an, er habe am ersten Tschetschenienkrieg teilgenommen und sei sein Sohn auch bereits zweimal verhaftet worden. Es passiere immer wieder, dass jemand aus der Nachbarschaft weggebracht werde. Auch die BF1-BF2 würden in der Nacht beobachtet.

2.2. Die BF2 brachte im Rahmen ihrer Erstbefragung am 02.10.2015 vor, dass sie traditionell und standesamtlich verheiratet sei, muttersprachlich Tschetschenisch, sowie gut Russisch spreche, dem muslimischen Glauben zugehörig sei und 11 Jahre lang die Grundschule besucht habe. Zuletzt sei die BF2 Hausfrau gewesen und verfüge sie im Herkunftsstaat noch über eine Schwester, zwei Halbschwestern, einen Halbbruder und ihre Tochter. Ihr Sohn sei in Österreich asylberechtigt und ihr Neffe lebe ebenfalls im Bundesgebiet. Die letzte Wohnadresse der BF2 sei XXXX in Tschetschenien gewesen. Hinsichtlich der Reiseroute und der erfolgten Schleppung machte die BF2 dieselben Angaben wie der BF1.

Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die BF2 an, dass ihr Bruder im Jahr 2004 ermordet worden sei. Er sei lange Zeit verfolgt und dann erschossen worden, wobei sie nicht genau wüssten von wem. Ihr zweiter Bruder und ihr Mann seien auch im Krieg aktiv gewesen, weshalb es oft Drohungen gegeben habe. Die BF2 sei deswegen drei Jahre lang in Behandlung gewesen. Sie seien nicht mehr jung, aber sie hätten sich dennoch zur Ausreise entschlossen. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat fürchte sich die BF2 vor dem Staat. „Man“ habe erfahren, dass die BF1-BF2 vorgehabt hätten das Land zu verlassen. Aus diesem Grund seien die BF1-BF2 nicht von XXXX , sondern von XXXX ausgereist. „Sie“ seien in ihrem Haus gewesen, als die BF2 und ihr Mann bereits weg gewesen seien. Woher „sie“ gewusst hätten, dass die BF2 und ihr Mann flüchten wollten, wisse die BF2 nicht.

3.1. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 22.08.2017 vor dem BFA, gab der BF1 zusammenfassend an, dass er XXXX heiße, am XXXX geboren, Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Tschetschene und dem muslimischen Glauben zugehörig sei. Der BF1 spreche Tschetschenisch, sowie Russisch und es gehe ihm gesundheitlich gut. In Österreich würden sich noch seine Ehefrau, sein Sohn, der Sohn seiner Schwester, sowie der Sohn der Schwester seiner Frau aufhalten. Der BF1 legte seinen Inlandsreisepass vor, seinen Auslandsreisepass habe er in XXXX weggeschmissen. Er werde nicht von heimatlichen Behörden, der Polizei, dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft gesucht, doch würde nach seinem Aufenthalt gefragt. Der BF1 habe im ersten Tschetschenienkrieg gekämpft, sei jedoch weder Mitglied in einer Partei oder einer Organisation gewesen. Sie hätten in XXXX und im Gebirge gekämpft. Es habe aus jedem Dorf freiwillige Helfer gegeben, sogenannte Gruppen. Der BF1 sei Mitglied einer solchen Gruppe geworden und habe an Kampfhandlungen teilgenommen. Sie seien bombardiert worden, doch habe der BF1 niemanden getötet, soweit er wüsste. Der BF1 habe gesehen, was jeder gesehen habe, tote Menschen. Von Kriegsverbrechen habe er gehört, diese selbst jedoch nicht miterlebt. Der BF1 habe eine Kalashnikow, einen Granatwerfer und ein Maschinengewehr im Krieg bedient. An Kämpfen außerhalb Tschetscheniens habe der BF1 nicht teilgenommen, er selbst habe von Ende des Jahres 1994 bis Ende des Jahres 1996 gekämpft. Offiziell sei der erste Tschetschenienkrieg Ende August/Anfang September 1996 vorbei gewesen. Danach habe der BF1 Vieh gekauft, zu arbeiten begonnen und ein normales Leben geführt. Im zweiten Tschetschenienkrieg habe der BF1 nicht mitgekämpft, er sei nicht jung genug gewesen, habe jedoch Rebellen mit Lebensmitteln unterstützt. Zu konkreten Verfolgungshandlungen befragt, führte der BF1 aus, dass er von den Behörden verdächtigt und befragt werde, sobald es irgendwo eine Explosion gegeben habe. Sein letzter Wohnsitz in Tschetschenien sei XXXX gewesen und zuvor habe er im Bezirk XXXX in XXXX gelebt. Zu seinen Familienangehörigen machte der BF1 dieselben Angaben, wie bei der Erstbefragung. Mit ihnen habe er über das Handy Kontakt. Ein paar Mal sei seine Familie dazu befragt worden, wo der BF1 sei und seien zwei seiner Brüder gefragt worden, warum der BF1 „dort“ sei. Die Brüder des BF1, sowie eine Schwester würden in XXXX leben und seine andere Schwester lebe im Bezirk XXXX . Der BF1 habe 10 Jahre lang die Schule besucht und sei Mechaniker auf einer Baustelle gewesen. Wenn es sehr gut gegangen sei, habe der BF1 bis zu 8.000 Rubel verdient. Er habe auch Vieh gehalten, weshalb manchmal Tiere geschlachtet worden seien, damit sie etwas zu Essen hatten. Zu seinen Lebensumständen vor der Ausreise befragt, führte der BF1 aus, sobald irgendwo etwas passiert sei, habe er gehofft, dass sie nicht wieder zu ihm kommen würden. Der BF1 sei im Besitz eines Grundstückes samt eines darauf befindlichen Hauses. Ein Freund seines Sohnes wohne dort. Der BF1 sei mit der BF2, XXXX , geb. am XXXX in Tschetschenien, seit 1984 verheiratet. Die Ehe sei XXXX eingetragen worden und seien beide zuvor noch nicht verheiratet gewesen. Der BF1 habe mit der BF2 einen Sohn und eine Tochter. Sein Sohn heiße XXXX und sei XXXX geboren. Seine Tochter heiße XXXX und sei XXXX geboren, ihren Nachnamen wisse der BF1 jedoch nicht, weil sie geheiratet habe. Der BF1 habe noch Freunde und Bekannte im Herkunftsstaat, mit welchen er ebenfalls in Kontakt stehe. Den Entschluss zur Ausreise habe er im Jahr 2015 getroffen, wobei er alle seine Tiere verkauft und so Geld gespart habe. Sein Schwager, ein Taxifahrer, habe die Flucht arrangiert und habe der BF1 das Ticket für die Ausreise in XXXX erhalten. Mit dem Taxi sei der BF1 nach XXXX gefahren, von dort nach XXXX und von dort nach XXXX geflogen. Dort habe sein Sohn ihn abgeholt. Finanziert habe der BF1 die Flucht durch den Verkauf seiner Tiere, wobei diese zwischen EUR 3.000,- und 4.000,- gekostet habe. Das Zielland des BF1 sei Österreich gewesen, weil sein Sohn hier lebe.

Hinsichtlich seiner Fluchtgründe führte der BF1 aus, dass Menschen, deren Familienmitglieder am Krieg teilgenommen hätten, bei jedem Anschlag verdächtigt und einvernommen worden seien. Sie seien für jede Sache beschuldigt worden und der BF1 wisse, dass die Behörden alles mit ihm machen könnten. „Man“ habe immer gehofft, dass nichts passiere. Das seien alle seine Fluchtgründe. Der BF1 habe dort (Anm.: im Herkunftsstaat) nicht ruhig leben können bzw. dürfen. Auf Vorhalt, dass er lediglich ein abstraktes Vorbringen erstattet habe, führte der BF1 aus, dass die Probleme begonnen hätten, als der Bruder seiner Frau gestorben sei. Das sei etwa im Jahr 2004 gewesen. Im selben Jahr sei der BF1 etwa zweimal und im Jahr 2005 einmal „besucht“ worden. Der Grund dafür sei der Bruder seiner Frau und, dass der BF1 mit diesem bekannt sei. Aufgefordert konkret und detailliert von den fluchtauslösenden Ereignissen zu erzählen, gab der BF1 an, dass es meistens 2 bis 3 Leute gewesen seien. Manchmal seien diese „Besuche“ in der Früh, manchmal abends gewesen. Der BF1 sei gefragt worden, ob bestimmte Leute bei ihm seien und warum sie bei ihm (gewesen) seien. Das sei alles, was den BF1 zum Verlassen seines Heimatlandes veranlasst habe. An einem anderen Ort in der Russischen Föderation zu leben und zu arbeiten, habe der BF1 nicht versucht und wolle es auch nicht, weil es dieselben Probleme wie in Tschetschenien gäbe. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat fürchte der BF1 umgebracht zu werden oder weiter so leben zu müssen. Damit er zurückkehren könnte, müsste sich die ganze Situation ändern. Wenn das geschehen würde, müsste der BF1 keine Angst haben. Seinen Angehörigen sei es möglich in der Russischen Föderation zu leben, weil diese nicht beteiligt gewesen seien. Der BF1 sei, trotz der erfolgten Besuche ab dem Jahr 2004, erst im Jahr 2015 ausgereist, weil er erst zu diesem Zeitpunkt die Mittel zur Ausreise gehabt habe. Anfangs habe der BF1 gehofft, dass es vorbeigehen würde.

Der BF1 habe in Österreich einen Deutschkurs besucht, könne jedoch nicht sprechen, jedoch lesen und schreiben. Die Kurse würden im Asylheim stattfinden und könne der BF1 eine Bestätigung erhalten. Er sei weder Mitglied in einem Verein oder einer Organisation, habe jedoch Freunde in Österreich. Im Bundesgebiet sei es gut und der BF1 helfe seinem Sohn. Der Sohn des BF1 habe ihm gesagt, dass er, der BF1, sobald sein Sohn seine Firma eröffne, eine gute Arbeit bekomme. Der BF1 helfe seinem Sohn auch jetzt schon und würde auch, sofern er besser Deutsch könne, als Fahrer arbeiten. Derzeit lebe der BF1 von staatlicher Unterstützung durch die Bundesbetreuung und würde jede Arbeitstätigkeit annehmen, die er bekommen würde. Der BF1 lebe im gemeinsamen Haushalt mit seiner Frau, der BF2.

3.2. Die BF2 gab bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 22.08.2017 an, dass sie XXXX heiße, am XXXX geboren sei, Tschetschenin, Muslima und russische Staatsangehörige sei. Sie spreche Tschetschenisch, sowie ein bisschen Russisch und jetzt gehe es ihr gesundheitlich gut, sonst sei sie in Behandlung. In Tschetschenien sei sie zwei bis drei Jahre wegen des Stresses in Behandlung gewesen. Jetzt habe sie Probleme mit dem Magen. Der Ehemann der BF2 und ihr Sohn, XXXX , würden in Österreich leben. Die BF legte ihren Inlandsreisepass vor, ihren Auslandsreisepass habe sie weggeschmissen. Zuletzt habe die BF2 in XXXX gelebt. Vor dem Krieg habe sie in XXXX gewohnt, an die Adresse könne sie sich jedoch nicht mehr erinnern. Zu ihren Familienangehörigen im Herkunftsstaat machte die BF2 dieselben Angaben wie in der Erstbefragung. Zu diesen habe sie telefonischen Kontakt. Die Schwestern der BF2 seien verheiratet. Eine Schwester lebe in XXXX , sie komme manchmal auf Besuch nach Tschetschenien. Eine weitere Schwester lebe in XXXX und eine weitere in XXXX , wo auch der Bruder der BF2 lebe. Die BF2 habe 8 Klassen die Schule besucht, die letzten beiden Klassen habe sie in der Abendschule besucht. Sie sei immer nur Hausfrau gewesen und habe sie vor ihrer Ausreise Stress gehabt aufgrund der Befragungen wegen ihres Bruders und ihres Sohnes. Befragt dazu, wovon sie in der Russischen Föderation gelebt hätten, gab die BF2 an, eine Pension bekommen und Vieh gehalten zu haben. Das Grundstück auf welchem sie zuvor im Herkunftsstaat gelebt hätten, sei in ihrem Besitz. Der Freund ihres Sohnes lebe derzeit dort. Der Ehemann der BF2 heiße XXXX und sei XXXX im Dorf XXXX geboren. Wann und wo sie ihren Ehemann, den BF1, geheiratet habe, wisse die BF2 nicht mehr. Mit ihrem Mann habe sie einen Sohn und eine Tochter. Ihr Sohn, XXXX sei XXXX geboren und ihre Tochter, XXXX , deren Nachnamen die BF2 aufgrund der Heirat ihrer Tochter nicht wisse, sei XXXX geboren. Freunde und Bekannte habe die BF2 in ihrer Heimat keine. Anfang September 2015 habe sie Tschetschenien verlassen und sei nach Österreich gekommen. Dabei sei sie mit dem Taxi nach XXXX gefahren, von dort mit dem Flugzeug nach XXXX und von dort nach XXXX geflogen, wo sie von ihrem Sohn abgeholt worden sei. Der Bruder der BF2 habe das Geld für die Schleppung an einen Busfahrer weitergegeben und die Dokumente seien in XXXX vorbereitet worden. In XXXX habe die BF2 die Dokumente bekommen. Insgesamt habe es etwas mehr als EUR 3.000,- gekostet, welches sie von Bekannten, den Schwestern der BF2 und dem Verkauf ihres Viehs erhalten hätten. Zwei bis drei Monate vor ihrer Ausreise hätten sie den Entschluss gefasst die Russische Föderation zu verlassen. Bereits zuvor hätten sie sich überlegt Tschetschenien zu verlassen. Sie seien nach Österreich gereist, weil ihr gemeinsamer Sohn hier sei.

Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe brachte die BF2 vor, dass sie es in Tschetschenien aufgrund der „Besuche“ und „Befragungen“ nicht mehr ausgehalten hätten. Keiner habe ihnen geglaubt und ständig seien sie in Stresssituationen gewesen. Wenn in XXXX etwas explodiere, würden sie aufgesucht und befragt, wo ihr Sohn sei. Aus diesem Grund seien sie gekommen. Darüber hinaus sei die Schwester der BF2, welche in Aserbaidschan wohne, auch immer ein Problem gewesen, wenn sie zu Besuch gekommen sei. Auf Vorhalt, dass die BF2 ein lediglich abstraktes Vorbringen erstattet habe, vermeinte diese, dass „sie“ immer wieder zu ihnen gekommen seien. Seit dem Jahr 2006, als ihr Sohn Tschetschenien verlassen habe, würden „sie“ regelmäßig zu unterschiedlichen Zeiten zu ihnen kommen, manchmal in der Früh, manchmal nachmittags. Es seien immer unterschiedlich viele Personen gewesen, manchmal zwei, manchmal mehr. Wenn es irgendwo eine Explosion gegeben habe, seien „sie“ sofort zu den BF1-BF2 gekommen. Das sei so gewesen, weil ihr Sohn verdächtigt worden wäre, irgendwohin gegangen zu sein. „Sie“ hätten immer wieder gefragt, wo der Sohn der BF1-BF2 sei. Die BF2 und ihr Mann hätten gesagt, dass ihr Sohn in Österreich sei, doch „sie“ hätten ihnen nicht geglaubt. Die Behörden hätten nach dem Sohn der BF1-BF2 gefragt, obwohl er jung gewesen und der Bruder der BF2 während des Krieges gestorben sei, weil „sie“ den Sohn ebenfalls verdächtigt hätten. Durch die Besuche hätten „sie“ den BF1-BF2 vermutlich Angst einjagen wollen. „Sie“ hätten sämtliche Zimmer durchsucht und durchwühlt, wahrscheinlich hätten „sie“ den BF1-BF2 Angst machen wollen. Das seien alle Gründe für ihre Ausreise gewesen. Die BF1-BF2 hätten das nicht ertragen. Dennoch seien BF1-BF2 trotz der Besuche ab dem Jahr 2006, erst im Jahr 2015 geflohen, weil sie es ertragen hätten, so lange es gegangen sei. Alles zu verlassen, was sie sich aufgebaut haben, sei nicht einfach (gewesen). Dass es einem in Tschetschenien gut gehe, stimme nicht. Es gehe manchen gut, aber nicht allen. Befragt dazu, ob sie an einem anderen Ort in der Russischen Föderation leben könnten, gab die BF2 an, dass sie nicht mehr so jung seien und sie gerne bei ihrem Sohn bleiben wolle. Der Sohn der BF2 sei österreichischer Staatsbürger, arbeite und beginne im September wieder seine Ausbildung. Bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat befürchte die BF2, alles würde von vorne beginnen. Davor habe sie Angst. Sie wolle nicht zurück, wenn sich die behördliche Lage nicht ändere. Die Tochter der BF2 habe eigene Kinder und heiße anders.

Die BF2 besuche einen Deutschkurs, putze im Asylheim und wolle bei ihrem Sohn bleiben. Wenn ihr Sohn mit der Ausbildung fertig sei, wolle er die BF2 und den BF1 in seiner Firma anstellen. Falls die BF2 woanders Arbeit finde, würde sie diese ebenfalls annehmen. Sie fühle sich gut, werde von niemandem gestresst und sei dankbar hier aufgenommen, sowie gut behandelt worden zu sein. Die BF2 putze im Asylheim, koche und besuche ihre Enkelkinder. Sie erhalte staatliche Unterstützung durch die Bundesbetreuung und könnte im Bundesgebiet weiterhin als Putzfrau oder Köchin arbeiten. Sie würde jede Arbeit annehmen, die sie bekommen könne. Im Bundesgebiet lebe die BF2 mit ihrem Mann zusammen.

4.1. Der BF1 machte bei seiner zweiten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 30.10.2018 dieselben Angaben zu seiner Person, sowie seinen Familienverhältnissen wie bisher und führte aus, dass es ihm gesundheitlich gut gehe. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe habe sich seit seiner Einvernahme am 22.08.2017 nichts geändert. Egal, wo in Russland man lebe, man werde gefunden. Bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat fürchte der BF1, dass Regierungsmitglieder mit ihm etwas machen würden. „Sie“ könnten jederzeit maskiert oder unmaskiert zum BF1 kommen, ihn fragen, wo sein Sohn sei, warum er das Haus, sowie die Gegend verlassen habe und wo der BF1 die ganze Zeit gewesen sei. Wenn irgendwo etwas passiere, lebe der BF1 in der Annahme, dass er befragt werden könne, ob er damit etwas zu tun habe. Der BF1 würde immer in diesem Zustand leben müssen. Wenn die Regierung in seinem Herkunftsstaat wechsle, könnte der BF1 zurückfahren. Er sei in Tschetschenien nicht arm gewesen, habe nicht hungern müssen und sei ein erwachsener Mann, der irgendwo alt werden müsse. Im Jahr 2004, als der Bruder seiner Frau getötet worden sei, sei der Sohn des BF1 entführt worden. Das genaue Datum wisse er nicht, aber der Bruder seiner Frau habe nicht mehr gelebt. Der BF1 glaube, dass sein Sohn 10 Tage weg gewesen sei, er sei von der Polizei verhaftet worden und damals etwa 17 oder 18 Jahre alt gewesen. Das zweite Mal sei im Jahr 2005 gewesen, wobei der Sohn des BF1 nicht entführt worden, sondern von der Polizei festgenommen worden sei.

Der Sohn des BF1 habe nunmehr die österreichische Staatsbürgerschaft. Der BF1 versuche so gut es gehe die deutsche Sprache zu lernen und, wenn möglich, beispielsweise bei Veranstaltungen zu arbeiten, wo er dann aushelfe. Er sei von Beruf Mechaniker und habe diesen Beruf 16, 17 Jahre lang ausgeübt. Ihm sei bewusst, dass er diesen Beruf hier nicht ausüben könne. Der BF1 würde jede Arbeit annehmen, die ihm angeboten würde, doch müsse er zuerst die Sprache beherrschen. Derzeit erhalte er staatliche Unterstützung durch die Bundesbetreuung und könnte sich vorstellen in Zukunft auf Baustellen oder in der Landwirtschaft zu arbeiten. Der BF1 lebe im Bundesgebiet mit seiner Frau zusammen.

4.2. Die BF2 machte bei ihrer zweiten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 30.10.2018 dieselben Angaben zu ihrer Person, sowie ihren Familienverhältnissen wie bisher und führte aus, dass es ihr gesundheitlich normal, dem Alter entsprechend, gehe. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe führte sie aus, dass der Freund ihres Sohnes in ihrem Haus wohne und Leute in Militäruniform in ihr Haus gekommen seien. Der Bruder der BF2 habe aktiv am Krieg teilgenommen und sei als Partisane zu ihnen gekommen um zu essen, sich umzuziehen und frische Kleidung zu holen. Der Bruder der BF2 sei während des Krieges getötet worden. Dann hätten ihre Probleme begonnen. Der Sohn der BF2 sei damals etwa 17 Jahre alt, noch nicht volljährig, gewesen und sei trotzdem festgenommen worden. Sie hätten damals Geld gesammelt, um ihn freikaufen zu können. Die Leute in Militäruniform hätten nach den BF1-BF2 und ihrem Sohn gefragt. Im Winter 2018 sei die BF2 von der Polizei angerufen worden und hätten diese die Telefonnummer ihres Sohnes haben wollen. Der Polizist habe gefragt, wo sie seien, wo ihr Sohn sei und wo sie nun leben würden. Die BF1-BF2 hätten in der Folge ein Foto von ihrem Sohn mit einer österreichischen Zeitung in der Hand gemacht und dem Polizisten als Beweis dafür, dass sie in Österreich leben würden, geschickt. Zwei männliche Verwandte des BF1 seien ebenfalls vorgeladen und nach den BF1-BF2 befragt worden. Die Bedrohung für sie im Herkunftsstaat sei nach wie vor aufrecht. Der Sohn der Schwester der BF2 lebe auch in Österreich und sei seinetwegen auch der Sohn der BF2 festgenommen worden. Aus Angst um ihren Sohn, hätten die BF1-BF2 alles unternommen, damit dieser die Heimat verlasse. Der Sohn der BF2 sei zum ersten Mal wegen des Bruders der BF2 festgenommen worden. Die BF2 wisse nicht mehr, wann es genau gewesen sei. Ihr Sohn sei damals noch ein Teenager, vermutlich Schüler, gewesen. Das zweite Mal sei ihr Sohn wegen des Neffen der BF2 festgenommen worden und sei auch das Haus ihres Neffen in Brand gesetzt worden. Später habe die Familie der BF2 ihren Neffen zu ihnen geschickt und die BF1-BF2 hätten ihn dann weitergeschickt. Deshalb habe der Sohn der BF1-BF2 in der Folge Probleme bekommen, weshalb sie beschlossen hätten, ihren Sohn zu retten. Der Onkel dieses Neffen sei General im zweiten Tschetschenienkrieg gewesen. Der BF1 habe im ersten Tschetschenienkrieg gekämpft, deshalb würden ihre Probleme nie aufhören. An einem anderen Ort im Herkunftsstaat könnten sie nicht wohnen. Es sei egal, wo in Russland man wohne, es sei immer noch Russland und drohe ihnen überall dieselbe Gefahr. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation müsste die BF2 wieder im Stress leben, dass sie von Soldaten bzw. der Polizei aufgesucht und mit dem umbringen bedroht zu werden, wenn sie nicht verrate, wo ihr Sohn derzeit lebe. Die Schwester der BF2 und deren Mann würden bis heute in XXXX leben. Jedes Mal, wenn ihre Schwester sie besucht habe, hätte die Polizei davon erfahren. Die Todesangst, dass der BF2 wegen ihres Neffen und wegen ihres Bruders, obwohl dieser getötet worden sei, etwas passiere, bestünde nach wie vor. Damit die BF2 zurückkehren könnte, müsste sich die Regierung, sowohl in Tschetschenien, als auch in Russland ändern, weil beide Regierungen zusammenhalten würden. Sogar in Österreich fänden sie Leute, die sie suchen würden. Sie hätten normal gelebt und ein Haus mit einem großen Garten gehabt. Die BF2 habe am Markt Gemüse verkauft und der BF1 habe gearbeitet. Ihnen sei es gut gegangen.

Die BF2 besuche einen Deutschkurs, habe jedoch noch keine Kursbesuchsbestätigung erhalten. Sie werde diese nachreichen, sobald sie eine habe. Sie würden keine Freunde oder Bekannte in Österreich haben, weil sie in einer Pension leben und daher begrenzte Möglichkeiten hätten Kontakte zu knüpfen. Sie würden sich bemühen die Sprache zu erlernen und jede Arbeit annehmen. Die BF2 habe immer gearbeitet und sei es ohne Beschäftigung kaum auszuhalten, deshalb habe sie die Arbeit in der Pension angenommen. Ihr fehle die Beschäftigung, weil sie in Tschetschenien ein großes Haus mit Garten und Tieren gehabt hätten. Derzeit beziehe die BF2 staatliche Unterstützung durch die Bundesbetreuung und verdiene sich ein wenig Geld, etwa EUR 180,- pro Monat, indem sie in der Pension putze. Die BF2 könne sich vorstellen nach dem Deutschkurs weiterhin als Putzfrau oder Köchin zu arbeiten, sie würde jede Arbeit annehmen, die sie bekommen könne. Im Bundesgebiet lebe sie mit ihrem Ehemann zusammen. Die BF2 sei sehr dankbar, dass sie hier wohnen könne. Sie wolle hierbleiben, weil ihr Sohn hier lebe und wolle nicht mehr nach Tschetschenien zurück, weil sie sich an das Leben in Österreich gewöhnt habe. In Tschetschenien werde sie nach wie vor bedroht.

5.1. Der BF1 machte bei seiner dritten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 06.03.2019 dieselben Angaben zu seiner Person wie bisher und führte auf Nachfrage aus, dass die Befragungen im Herkunftsstaat zwischen 2004 und 2006 stattgefunden hätten. Der BF1 wisse nicht, von wem er befragt worden sei, die Personen hätten sich nicht ausgewiesen. Einmal sei der BF1 auch von der Polizei befragt worden. Jedes Mal, wenn etwas in der Gegend passiert sei, wie beispielsweise ein Anschlag oder eine Schießerei, seien der BF1, sowie seine Verwandten befragt worden. Die Befragungen hätten stattgefunden, weil der BF1 im ersten Tschetschenienkrieg 1996 teilgenommen habe.

Die Ehefrau des BF1 habe im Herkunftsstaat eine Pension erhalten, der BF1 habe von der eigenen Landwirtschaft gelebt. Er habe nicht hungern müssen. Wegen seiner politischen Gesinnung oder seiner Religion sei der BF1 von staatlicher Seite nicht verfolgt worden, aber er sei ständig befragt worden und unter Aufsicht der Behörden gestanden. Vom BFA gefragt, ob er aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist sei, gab der BF1 an, dass er wirtschaftlich in Tschetschenien gut gelebt habe, jedoch ausgereist sei, weil er nicht mehr befragt werden wollte. Seit seiner Einreise nach Österreich sei der BF1 keiner legalen Beschäftigung nachgegangen. Er befinde sich in Grundversorgung und würden er, sowie seine Frau, von ihrem Sohn auch finanziell unterstützt. Sie seien nach Österreich gekommen, weil ihr Sohn hier lebe und sie sich woanders nicht verständigen könnten. Mit seinem Sohn würde der BF1 Tschetschenisch sprechen. Eine Unterhaltung mit dem BF1 auf Deutsch vor der belangten Behörde war nicht möglich. Einkaufen gehen könne der BF1 selbst, sonst benötige er einen Übersetzer und besuche er derzeit einen Deutschkurs auf Sprachniveau A1+. Der BF1 habe in Österreich tschetschenische Bekannte und sei in einer Pension untergebracht. Dort helfe er, wenn er könne. Auch beim Vorbereiten von Festen helfen er. Mit seinem Sohn lebe der BF1 nicht zusammen.

5.2. Die BF2 machte bei ihrer dritten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 06.03.2019 dieselben Angaben zu ihrer Person wie bisher und gab an, derzeit nicht in ärztlicher Behandlung zu sein, jedoch seit kurzem Probleme mit hohem Blutdruck zu haben, weshalb sie in Zukunft einige Untersuchungen machen lassen werde.

Nachgefragt, ob die BF2 auch persönlich befragt worden sei, führte sie aus, dass sie und ihr Mann zu Hause gewesen seien, ihr Mann jedoch die größeren Probleme gehabt habe. Der BF2 seien jedoch auch ein paar Fragen gestellt worden. Wann diese Befragungen stattgefunden hätten, wisse die BF nicht mehr, weil sie alles vergesse. Vor ihrer Ausreise habe die BF2 eine staatliche Pension bezogen. Befragt dazu, ob die BF2 aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist sei, um bei ihrem Sohn zu leben, vermeinte sie, dass es ihnen wirtschaftlich gut gegangen sei. Die Befragungen seien nervlich nicht mehr auszuhalten gewesen. Es sei sehr stressig gewesen, deshalb habe ihr Sohn auch das Land verlassen. Die BF2 putze in der Pension, in welcher sie lebe und befinde sich in Grundversorgung. Sie bekomme ein wenig Geld für ihre Putztätigkeiten. Außerdem würden die BF1-BF2 von ihrem Sohn finanziell unterstützt. Sie hätten einen Asylantrag in Österreich gestellt, um bei ihrem Sohn zu leben. Die BF2 habe einen A1 Deutschkurs besucht und habe einen guten österreichischen Bekannten namens XXXX . Sonst habe die BF2 viele tschetschenische Bekanntschaften. XXXX komme den Sohn der BF2 besuchen, der dann für sie alles übersetze. Am Samstag würden sie wieder ihren Sohn besuchen. Der Alltag der BF2 sehe so aus, dass sie in der Früh putze, einen Deutschkurs besuche und danach entspanne oder den Haushalt erledige.

Die Beschwerdeführer (BF1-BF2) brachten erstinstanzlich folgende Unterlagen in Vorlage:

?        Russische Inlandsreisepässe des BF1 (ausgestellt am 16.12.2014) und der BF2 (ausgestellt am 27.04.2007);

?        Heiratsurkunde in russischer Sprache;

?        Schreiben vom 26.10.2018 in russischer Sprache samt Übersetzung ins Deutsche von XXXX ;

?        Anmeldebestätigung zum Kurs VHS.1.20.3.02 Alphabetisierung von 05.11.2018 bis 14.12.2018 betreffend die BF2;

?        Bestätigung des XXXX über den Deutschkursbesuch des BF1 von 04.10.2016 bis 26.01.2017;

?        Deutschkursbestätigung (freitags) des XXXX hinsichtlich des BF1 und der BF2;

?        Zertifikat über die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme „Alphabetisierung“ vom 18.12.2018 hinsichtlich des BF1 und der BF2;

?        Anmeldebestätigung zum Deutschkurs VHS.2.20.09 Sprachniveau A1 von 07.01.2019 bis 29.03.2019 hinsichtlich des BF1 und der BF2;

?        Zwei Schreiben von XXXX betreffend die Schwester der BF2;

Aufwandsentschädigung Juni und Juli 2017 des XXXX hinsichtlich der BF2;

?        Empfehlungsschreiben des XXXX vom 25.09.2017 hinsichtlich der Reinigungstätigkeiten der BF2;

?        Gastroskopiebefund vom 14.03.2017 und vom 09.11.2016 von Dr. XXXX betreffend die BF2;

?        Befund vom 14.11.2016 von Dr. XXXX ;

?        Empfehlungsschreiben des XXXX vom 25.08.2017 und vom 29.10.2018 betreffend die BF2;

?        Handschriftliche Bestätigung vom 05.01.2018 über den regelmäßigen Besuch des BF1 und der BF2 am Deutschkurs;

?        Deutschkursbestätigung des XXXX von 13.02.2018 bis 14.05.2018 hinsichtlich der BF2;

?        Handschriftliches Unterstützungsschreiben von XXXX vom 21.11.2018;

6.1. Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde (BFA) vom 21.03.2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

6.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat und führte rechtlich aus, dass die Ausführungen zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft gewesen seien bzw. diese keine Asylrelevanz hätten. Es hätte keine Verfolgung im Konventionssinn glaubhaft gemacht werden können. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr eine Verfolgung drohen würde.

6.3. Beweiswürdigend führte das BFA in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen aus, dass es dem BF1 und der BF2 nicht gelungen sei eine individuelle und konkrete Bedrohungssituation zu schildern. Sie hätten kein fundiertes und substantiiertes Vorbringen darlegen können, sondern ein vages, abstraktes Vorbringen erstattet. Der BF1 habe bei seiner Erstbefragung lediglich angegeben den Herkunftsstaat verlassen zu haben, weil seine gesamte Familie in Österreich lebe. Die Vorbereitungen für die Ausreise hätten so lange gedauert, weil die BF1-BF2 noch Geld zusammensparen hätten müssen. Demnach habe der BF1 bei seiner Erstbefragung keine Verfolgung geltend gemacht. In der Folge habe der BF1 geltend gemacht im Jahr 2004 zweimal und im Jahr 2005 einmal von Unbekannten befragt worden zu sein. Diese Befragungen hätten nach Angabe des BF1 alle Personen betroffen, die sich an einen der beiden Tschetschenienkriege betätigt hätten. Die BF2 habe ausgeführt, die Befragungen hätten für sie eine Stresssituation dargestellt, weshalb sie sich zur Ausreise entschieden hätten. Hinsichtlich der zeitlichen Angaben, habe sie außerdem ihrem Mann widersprochen, da sie ausgeführt habe, die Befragungen hätten erst im Jahr 2006 stattgefunden. Bei ihrer letzten Einvernahme vor dem BFA habe die BF2 keine genauen zeitlichen Angaben machen können, weil alles bereits zu lange her gewesen sei und hauptsächlich der BF1 befragt worden sei. Diese Befragungen würden nach Ansicht der belangten Behörde keine Bedrohung iSd GFK darstellen und andere russische Staatsangehörige genauso betreffen. Trotz der Befragungen sei es den BF1-BF2 möglich gewesen ein normales Leben im Herkunftsstaat zu führen und hätten sie angegeben, die Russische Föderation verlassen zu haben, weil sie nicht mehr befragt werden wollten. Die Besuche hätten nach den Angaben des BF1 in den Jahren 2004 und 2005 stattgefunden. Der BF1 habe auch nicht gewusst, von wem er befragt worden sei, weil sich die Personen nicht ausgewiesen hätten. Einmal sei der BF1 von der Polizei befragt worden. Danach (Anm.: nach 2005) sei der BF1 nicht mehr aufgesucht worden und hätten die BF1-BF2 erst im Jahr 2015 ihren Herkunftsstaat verlassen. Es sei anzunehmen, dass es bei tatsächlicher Verfolgungshandlungen nicht möglich gewesen wäre, eine Ausreise zu planen. Auch der Umstand, dass die BF1-BF2 nicht unmittelbar nach ihrer Einreise in Tschechien einen Asylantrag gestellt haben, sondern den weiteren Weg nach Österreich auf sich genommen hätten, spreche dafür, dass die BF1-BF2 die Russische Föderation lediglich zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation verlassen hätten und, um bei ihrem Sohn in Österreich zu leben.

Die BF2 habe darüber hinaus auf Frage der Behörde, ob es ihr möglich wäre in anderen Landesteilen der Russischen Föderation zu leben ausgeführt, dass sie lieber bei ihrem Sohn in Österreich leben wolle. BF1 und BF2 hätten außerdem verneint im Herkunftsstaat vorbestraft zu sein oder Probleme mit Sicherheitsbehörden/Gerichten oder dem Militär gehabt zu haben.

Insgesamt könne nicht davon ausgegangen werden, dass der BF1 und die BF2 begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht hätten bzw. eine solche Verfolgung künftig zu erwarten hätten. Sämtliche Erläuterungen würden daraufhin deuten, dass die BF1-BF2 ihren Herkunftsstaat nicht aufgrund von Verfolgungshandlungen, sondern aufgrund des Wunsches ihre Lebens- und Verdienstmöglichkeiten zu verbessern, verlassen hätten. Das finde insbesondere darin Bestätigung, dass der BF1 Befragungen aus dem Jahr 2004 und 2005 geschildert habe, die Ausreise der BF1-BF2 jedoch erst im Jahr 2015 erfolgt sei. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Bedrohung, die von der GFK verlangt werde, habe das Vorbringen der BF1-BF2 nicht erreicht, weshalb von keiner Verfolgung bzw. Bedrohungssituation zu sprechen gewesen sei. Den BF1-BF2 sei es auch nicht gelungen glaubwürdig in Erscheinung zu treten und sei für die belangte Behörde ersichtlich, dass diese den Herkunftsstaat nicht aus asylrelevanten Gründen verlassen hätten, sondern die Antragstellung in Österreich nur dazu gedient habe, ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu erlangen.

6.4. Die belangte Behörde kam zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat geltend gemacht hätten. Es ergebe sich auch keine Gefährdungslage nach § 8 AsylG und erscheint eine Rückkehr in die Russische Föderation zumutbar.

6.5. Demnach – so die belangte Behörde – könnten die von den Beschwerdeführern behaupteten Fluchtgründe nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und in weiterer Folge zur Gewährung des Asylstatus führen. Aus deren Vorbringen sei nichts ersichtlich, das im Falle ihrer Rückkehr eine unmenschliche Behandlung oder sonst extreme Gefährdungslage erkennen lassen würde. Es seien im Verfahren keine Ansatzpunkte einer besonderen Integration der Beschwerdeführer in Österreich hervorgekommen, zumal diese nicht selbsterhaltungsfähig seien, weder Mitglied in einem Verein, noch einer Organisation seien und es dem BF1 nicht möglich gewesen sei, ein Gespräch in deutscher Sprache zu führen. BF1-BF2 hätten Deutschkurse auf Sprachniveau A1 besucht und sei ein einfaches Gespräch mit der BF2 auf Deutsch möglich gewesen. Die BF2 verdiene sich auch nebenbei etwas Geld durch Reinigungstätigkeiten und würden die BF1-BF2 finanziell durch ihren in Österreich lebenden Sohn unterstützt, welcher österreichischer Staatsbürger sei. Ein gemeinsamer Haushalt mit ihrem Sohn bestünde jedoch nicht, weshalb die BF1-BF2 ihren Sohn im Bundesgebiet in Zukunft unter Einhaltung der fremdenrechtlichen Bestimmungen besuchen könnten und durch diesen auch im Herkunftsstaat unterstützt werden könnten. In einer Gesamtbetrachtung überwiege demnach das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und sei eine Rückkehrentscheidung zulässig.

7. Mit Verfahrensanordnung vom 21.03.2019 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

8. Mit für beide Beschwerdeführer gleichlautendem fristgerecht eingebrachten Schriftsatz vom 18.04.2019 wurde durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter für die BF1-BF2 Beschwerde gegen die gegenständlichen Bescheide des BFA, zugestellt am 27.03.2019, in vollem Umfang, wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhalts, erhoben. Begründend wurde von der Beschwerdeseite zunächst erneut der Sachverhalt dargestellt und in der Folge zusammenfassend ausgeführt, dass das Verfahren mangelhaft geführt worden sei, zumal der Bescheid nicht den Anforderungen einer ordnungsgemäß begründeten behördlichen Entscheidung entspreche. Die Begründung der angefochtenen Bescheide falle sehr oberflächlich aus, über weite Teile werde das Fluchtvorbringen der BF1-BF2 nicht in die Begründung einbezogen und rechtlich falsch beurteilt. Nicht beachtet geblieben sei, dass Sippenhaftung in Tschetschenien eine große Rolle spiele und hätte die belangte Behörde den Sohn der BF1-BF2 zeugenschaftlich einvernehmen müssen, um festzustellen, dass die BF1-BF2 aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit zu ihrem Sohn Repressalien erleiden hätten müssen. Aus diesem Grund sei der Bescheid mit gravierender Rechtswidrigkeit belastet und würde der Antrag gestellt den Sohn der BF1-BF2, XXXX , geb. am XXXX , zeugenschaftlich einzuvernehmen. Die belangte Behörde hätte zudem den Asylakt des Sohnes der BF1-BF2 heranziehen müssen und einen Abgleich ihrer Vorbringen durchführen können. Außerdem habe es die belangte Behörde unterlassen das Vorbringen des BF1, wonach er im ersten Tschetschenienkrieg gekämpft und im zweiten Tschetschenienkrieg Rebellen mit Lebensmitteln unterstützt habe, entsprechend zu würdigen und weitere Länderinformationen heranzuziehen. Im Anschluss werden Länderinformationen der Schweizer Flüchtlingshilfe, sowie mehrere ACCORD Anfragebeantwortungen zur Russischen Föderation auszugsweise zitiert. Festgehalten wurde daran anschließend, dass die belangte Behörde zur Feststellung hätte gelangen müssen, dass Angehörige von ehemaligen Widerstandskämpfern von massiver Verfolgung bedroht seien. Die Ausführungen der belangten Behörde, wonach es nicht nachvollziehbar sei, dass die Probleme welche auf Grundlage der Flucht des Sohnes bzw. der Tötung des Bruders der BF2 im Jahr 2004 beruhen, erst im Jahr 2015 zur Flucht geführt hätten, seien verfehlt und würden nicht mit den Länderfeststellungen übereinstimmen. Sicherheitskräfte würden ohne Muster und Logik handeln. Demnach sei nach einer ACCORD Anfragebeantwortung auch eine Verfolgung nach 15 Jahren möglich und die Begründung der BF1-BF2 nachvollziehbar, denn die Sicherheitskräfte würden Fälle konstruieren, um mehrere Ziele zu erreichen. Aus den zitierten Länderinformationen ergäbe sich die Beharrlichkeit der russischen Sicherheitsbehörden um mutmaßliche Unterstützer und Angehörige von ehemaligen Widerstandskämpfern unter Druck zu setzen und willkürlich zu verhaften, sowie zu foltern. Auch vor diesem Hintergrund sei das Fluchtvorbringen des BF1 wahrscheinlich und als glaubwürdig zu klassifizieren. Hätte die belangte Behörde ein mangelfreies Ermittlungsverfahren und eine schlüssige Beweiswürdigung durchgeführt, hätte sie zu dem Schluss kommen müssen, dass die BF1-BF2 aufgrund ihrer politischen Gesinnung und ihrer Angehörigeneigenschaft verfolgt werden. Die belangte Behörde habe darüber hinaus die Situation von Rückkehrern nur unzureichend gewürdigt und befasse sich nicht mit einschlägigen Länderberichten. Dazu werden erneut auszugsweise Ausschnitte aus einer ACCORD Anfragebeantwortung zitiert.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative habe die belangte Behörde überdies nicht ins Treffen geführt und gehe diese wohl davon aus, dass die BF1-BF2 nach Tschetschenien zurückkehren könnten. Dem würden die obzitierten Länderberichte, sowie die bereits erfolgten Verhöre jedoch widersprechen. Teile des Nordkaukasus würden außerdem als Schwerpunkte der Menschenrechtsverletzungen in Russland gelten, wo Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen gemeldet worden seien. Daher erweise sich das Verfahren als mangelhaft und hätte den BF1-BF2 der Status der Asylberechtigten zuerkannt werden müssen.

Rechtlich beruhe die Beschwerdeabweisung hinsichtlich Spruchpunkt I. auf einem mangelhaften Verfahren, insbesondere einer mangelhaften Beweiswürdigung. Bei ordnungsgemäßer Verfahrensführung hätte das Vorbringen der BF1-BF2 der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden müssen. Die belangte Behörde habe sich nicht mit einschlägigem Berichtsmaterial und den zur Verfügung stehenden Beweismitteln beschäftigt. Sie beziehe sich vielmehr auf Vermutungen bezüglich des Verhaltens Dritter und führe eine unrichtige Plausibilitätsprüfung durch. Weiters lasse sie außer Acht, dass dem Sohn der BF1-BF2 in Einklang mit deren Vorbringen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Spruchpunkt I. sei daher unzulässig. Hinsichtlich Spruchpunkt II. seien die BF1-BF2 einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK ausgesetzt. Wie aus den angeführten Länderberichten und den Aussagen des BF1 hervorgehe, drohe den BF1-BF2 aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie und ihrer politischen Gesinnung ein erhöhtes Risiko Opfer von Art. 3 ERMK Verletzungen zu werden. Zudem sei nicht ersichtlich, ob sich die belangte Behörde auf eine innerstaatliche Fluchtalternative stütze. Die rechtliche Beurteilung beruhe vielmehr auf Textbausteinen und setze sich nicht mit den konkreten Tatsachen auseinander. Wenn die belangte Behörde davon ausgehe, dass die BF1-BF2 keiner innerstaatlichen Fluchtalternative bedürften, verkenne sie die Lage in Tschetschenien und alle Gefahrenmomente, welche die BF1-BF2 vorgebracht hätten. Die belangte Behörde hätte daher zum Schluss kommen müssen, dass den BF1-BF2 subsidiärer Schutz zu gewähren sei, weshalb Spruchpunkt II. ebenfalls unzulässig sei.

In Hinblick auf die bereits erfolgte fortgeschrittene Integration der BF1-BF2 in Österreich und dem Umstand, dass sich deren Sohn, sowie dessen Familie hier aufhalte, hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass die Rückkehrentscheidungen gegenüber den BF1-BF2 auf Dauer unzulässig seien. Die belangte Behörde gehe offenbar davon aus, dass allein aufgrund der Kürze des Aufenthalts das private Interesse am Verbleib in Österreich nicht überwiegen könne. Diese Ansicht sei verfehlt, weil nach der aktuellen höchstgerichtlichen Rechtsprechung an die Aufenthaltsdauer keine fixen Zeiten geknüpft werden könnten. Der VfGH habe in einer aktuellen Entscheidung ausgesprochen, dass eine der gebotenen Gesamtabwägung vorgelagerte zusätzliche Schwächung oder Verstärkung einzelner Gründe nicht dem Abwägungskonzept entspreche, wobei sich auch der VwGH dieser Entscheidung angeschlossen habe. Es könne nicht allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen ausgegangen werden. Insgesamt seien die Feststellungen zum Privat- und Familienleben nicht ausreichend, um eine einwandfreie rechtliche Beurteilung vornehmen zu können. Die BF1-BF2 hätten überdurchschnittliche Anstrengungen für eine gelungene Integration in die österreichische Gesellschaft unternommen und seien sehr bemüht sich in der Gemeinschaft einzufinden.

In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung inklusive der nochmaligen Einvernahme der BF1-BF2 durchführen, 2.) die angefochtenen Bescheide zur Gänze beheben und den BF1-BF2 den Status der Asylberechtigten zuerkennen, 3.) in eventu die angefochtenen Bescheide im Umfang der Spruchpunkte II. bis VI. beheben und den BF1-B2 den Status subsidiär Schutzberechtigter zuerkennen, 4.) in eventu die angefochtenen Bescheide im Umfang der Spruchpunkte III. bis VI. beheben und dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt werden und ihnen ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG erteilt wird, 5.) die angefochtenen Bescheide ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.

Im Zuge der Beschwerde brachten die Beschwerdeführer folgende Unterlagen in Vorlage:

?        Zwei Deutschkursbestätigung des XXXX XXXX hinsichtlich des BF1;

?        Empfehlungsschreiben des XXXX XXXX vom 29.10.2018 hinsichtlich der BF2;

?        Anmeldebestätigung zum VHS.2.20.09 Deutschkurs A1 des BF1;

?        Handschriftliche Deutschkursbestätigung des XXXX hinsichtlich des BF1;

?        Handschriftliches Unterstützungsschreiben von Hrn. XXXX ;

9. Die Beschwerdevorlage vom 19.04.2019 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsbericht (BVwG) am 24.04.2019 ein.

10. Mit Schriftsatz vom 11.12.2020 legte die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, die vormalige Rechtsberatungsagentur der BF1-BF2, die im Rahmen der Rechtsberatung erteilten Vollmachten in allen anhängigen Verfahren vor dem BVwG mit 31.12.2020 zurück.

11. Mit Schriftsatz vom 12.08.2021 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführern aktuelle Feststellungen zur Situation in ihrem Herkunftsstaat (Beweismittelliste zur Lage in der Russischen Föderation, insbesondere Länderinformationsblatt Version 3 vom 10.06.2021) und wurde ihnen Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 10 Tagen hg. einlangend Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde den Beschwerdeführern die Ladung für die mündliche Verhandlung am 03.09.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

12. Mit Schriftsatz der beschwerdeführenden Parteien vom 27.08.2021, hg. eingelangt am 30.08.2021, wurde beschwerdeseitig durch die (nunmehr ebenso vormals) bevollmächtigte Rechtsberatungsagentur BBU GmbH zu den Länderberichten Stellung genommen. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass die aktuellen Länderinformationen nach wie vor die von den BF1-BF2 vorgebrachten Vorgehensweisen der tschetschenischen Regierung bestätigen würden und bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen seien. Die einschlägigen Kapitel zu Tschetschenien seien maßgeblich und würden die bisherigen Ausführungen der BF1-BF2 insbesondere im Kapitel zur Menschenrechtslage bestätigt, wobei beschwerdeseitig Auszüge aus dem Länderinformationsblatt zitiert werden. Außerdem sei in Bezug auf das Fluchtvorbringen wiederholt auf die in der Beschwerde zitierten Anfragebeantwortungen zur Russischen Föderation zu verweisen. Die darin enthaltenen Angaben, nämlich, dass Familienangehörige von Aufständischen generell unter starkem Verdacht stünden, Unterstützende der Aufständischen zu sein und in ernster Gefahr seien verfolgt zu werden, würden auch in einer aktuellen Anfragebeantwortung zur Lage ehemaliger tschetschenischer Widerstandskämpfer und von TschetschenInnen in der Russischen Föderation vom 31.01.2020 bestätigt. In der Folge werden Auszüge aus jener Anfragebeantwortung zitiert und ausgeführt, dass darin zahlreiche Fälle von Festnahmen, Folter, sowie psychischen und physischen Misshandlungen von Personen, denen eine Teilnahme an den Tschetschenienkriegen oder eine Teilnahme an einer aufständischen Bewegung gegen XXXX unterstellt werde, aufgelistet seien. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde den BF1-BF2 nicht offen, da sich die Situation für sie im ganzen Land gleich darstelle. Die Verfolgung gehe von staatlichen Akteuren aus, welche Macht und Einfluss hätten die BF1-BF2 im gesamten Staatsgebiet ausfindig zu machen. Ergänzend werde ein Beitrag der schweizerischen Flüchtlingshilfe vorgebracht, wonach die tschetschenischen Behörden im Falle der Rückkehr von abgewiesenen Asylsuchenden umgehend über die Rückkehr informiert würden und Betroffene in der Regel vom FSB verhört, sowie unter dessen Kontrolle gestellt würden. Einer weiteren ACCORD-Anfragebeantwortung zur Lage von Personen, die nach negativem Asylbescheid nach Tschetschenien zurückgekehrt seien, sei zu entnehmen, dass es regelmäßig dokumentierte Fälle von Entführungen, Folter und Ermordungen gäbe. Dazu werden weitere Berichte der schweizerischen Flüchtlingshilfe zitiert.

In diesem Kontext werde auch auf eine Entscheidung des BVwG vom 17.10.2016, XXXX verwiesen. Den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Länderberichten sei zu entnehmen, dass nach einem Bericht des Menschenrechtszentrums Memorial Komitee Bürgerbeteiligung, in Tschetschenien alle gefährdet seien, die nach einer langen Abwesenheit nach Tschetschenien zurückkehren würden. Außerdem würden Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe darstellen, weil sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf seien. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, würden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits könnten Rückkehrer ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet werde, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien gehabt hätten. Manchmal würden Rückkehrer auch gezwungen für staatliche Behörden zu spionieren. Aus der ständigen Rechtsprechung des BVwG sei abzuleiten, dass Personen, die bereits ins Blickfeld der russischen, insbesondere der tschetschenischen Behörden geraten seien und verdächtigt würden mit Widerstandskämpfern in Kontakt zu stehen, Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in die Russische Föderation bestünde und keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stünde. Dazu werden beispielhaft Auszüge aus Erkenntnissen des BVwG zitiert. Auch der EGMR habe in seiner Entscheidung vom 07.07.2016 zu XXXX ausgesprochen, dass im Nordkaukasus ein besonderes Misshandlungsrisiko für bestimmte Personengruppen bestehe, weshalb von einer Art. 3 EMRK Verletzung bei einer Rückführung von Betroffenen auszugehen sei; bestimmte Personengruppen in Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan seien einem besonderen Risiko der Misshandlung ausgesetzt; dazu würden Personen gehören, die im Verdacht stünden, sich am tschetschenischen Widerstand zu beteiligen oder mit ihnen zusammenzuarbeiten. Bei den BF1-BF2 ergäben sich aus den Feststellungen zu ihrer persönlichen Situation konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses der Rückverbringung in ihren Herkunftsstaat. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestünde nicht.

Außerdem sei darauf hinzuweisen, dass sich die BF1-BF2 nunmehr seit bald 6 Jahren in Österreich aufhalten würden, weshalb sie sich ein schützenswertes Privat- und Familienleben iSd Art. 8 EMRK aufgebaut hätten. Insbesondere hätten sie ein sehr enges Interesse zu ihrem Sohn und ihren Enkelkindern, welche auch in XXXX leben würden. Hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes sei anzuführen, dass die Situation der BF1-BF2 für diese sehr schwierig sei und der unsichere Aufenthaltsstatus, sowie die Angst vor einer Rückkehr sich negativ auf ihr psychisches Wohlbefinden auswirke. Die BF2 leide an Bluthochdruck und nehme das Medikament XXXX ein.

Im Zuge der Stellungnahme wurde ein Schreiben des Generales XXXX vom 26.10.2018 vorgelegt, welcher vor Jahren ebenfalls nach Österreich geflüchtet sei und in XXXX lebe. Im Schreiben stünde sinngemäß, dass der General den BF1 aus Tschetschenien kenne und mit ihm auch verwandt sei. Der BF1 sei aktiver Helfer im ersten Tschetschenienkrieg gewesen und habe dem General das Leben gerettet. Außerdem bestätige er, dass es für den BF1 aufgrund seiner Aktivitäten in den beiden Tschetschenienkriegen, insbesondere durch die Unterstützung von Freiheitskämpfern sehr gefährlich sei und er deshalb um Schutzgewährung bitte. Dem erstatteten Vorbringen stünde das Neuerungsverbot nicht entgegen. Dem BF1 sei es nicht leicht gefallen im Verfahren über die Geschehnisse in Tschetschenien und seine Involvierung zu sprechen. Insbesondere habe er Angst, dass, sollten die tschetschenischen Behörden Informationen aus seinem laufenden Asylverfahren in Österreich erhalten, seine Verwandten und Bekannten im Herkunftsstaat weiteren Repressalien ausgesetzt seien. Durch Aufklärung seitens der Rechtsberatung und das Einwirken seines Sohnes, habe der BF1 nun den Mut zusammengenommen, um über die Geschehnisse zu reden und das Schreiben aus dem Jahr 2018 vorzulegen.

13. Mit Schriftsatz vom 31.08.2021 wurden die Vertretungsvollmachten hinsichtlich der beschwerdeführenden Parteien seitens der BBU GmbH zurückgelegt.

14. Am 01.09.2021 wurde die Vollmachtsbekanntgabe des nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertreters der BF1-BF2, XXXX , bekanntgegeben.

15. Am 03.09.2021 fand vor dem BVwG unter der Beiziehung einer Dolmetscherin für die tschetschenische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt:

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

„Befragung des BF1:

RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in der Russischen Föderation an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.

BF1: Der Vorname ist XXXX , der Nachname ist XXXX , der Vatername ist XXXX . Das Geburtsdatum ist der XXXX . Ich habe die russische Staatsbürgerschaft. Meine letzte Adresse in der Russischen Föderation vor der Ausreise war XXXX . Ich bin auf der Reise von Kasachstan nach Tschetschenien geboren worden. Als Geburtsort wurde eingetragen XXXX in Dagestan.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF1: Ich bin Tschetschene, die Muttersprache ist Tschetschene. Meine Eltern sind Tschetschenen.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?

BF1: Ich bin sunnitischer Moslem.

RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Russischen Föderation, welche Ihre Identität beweisen?

BF1: Ich habe sie gehabt, aber ich musste sie abgeben.

RI: Hatten Sie jemals einen russischen Pass (Inlands- oder Auslandspass)? Wenn ja, was ist damit passiert?

BF1: Ich habe einen Inlandsreisepass gehabt, den habe ich abgegeben und ich hatte einen Auslandspass, den habe ich in XXXX weggeschmissen.

RI: Warum haben Sie Ihren russischen Auslandsreisepass in XXXX weggeschmissen?

BF1: Wir haben die Reisepässe durch eine Frau bekommen. Sie hat uns gesagt bei der Übergabe, dass wir die Reisepässe wegzuschmeißen haben, sobald wir angekommen sind.

RI: War dieser russische Auslandspass, den Sie in XXXX weggeschmissen haben, ein echtes Dokument oder eine Fälschung?

BF1: Es war ein echter, aber ich bin mir nicht sicher, ob es ein falscher war, weil die Frau gemeint hat, wir sollten ihn nach Ankunft wegschmeißen.

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt? Ich ersuche um eine chronologische Auflistung Ihrer bisherigen Berufstätigkeit? Gemeint ist, sowohl im Herkunftsstaat als auch im Bundesgebiet.

BF1: Ich bin in die Schule gegangen, im Jahr 1964. 1974 habe ich die Schule abgeschlossen. Dazwischen habe ich ein oder zwei Jahre Pause gehabt während der Schule. Deshalb ist die Schulzeit länger gewesen. Im Jahr 1976 bin ich zum Bundesheer gegangen und 1978 bin ich zurück vom Bundesheer. Danach habe ich auf Baustellen gearbeitet. Dann habe ich in XXXX in der Sommerzeit auf der Baustelle gearbeitet. Im Winter bin ich zurückgekehrt. In Tschetschenien war die Arbeitslosigkeit zu hoch und deshalb mussten wir woanders arbeiten. 1984 habe ich geheiratet. So haben wir gelebt wie alle anderen.

RI: Welche Berufstätigkeiten haben Sie bis vor Ihrer Ausreise ausgeübt?

BF1: Ich habe 1998 angefangen, in der Landwirtschaft zu arbeiten. Zwischen 1998 und 2000 habe ich dort gearbeitet und dann wieder nach dem Krieg seit 2002 und dann bis Ende 2014 oder noch im Jahr 2015 – genau weiß ich es nicht. Ich habe dort vieles gemacht, es war ein großer, staatlicher landwirtschaftlicher Betrieb.

RI: Sie haben bei der Ersteinvernahme angegeben, dass Sie Berufserfahrung als Schlosser und Mechaniker haben. Wo haben Sie als Schlosser und Mechaniker gearbeitet und wie lange?

BF1: Als Mechaniker habe ich gearbeitet, hauptsächlich dort in XXXX im landwirtschaftlichen Betrieb.

RI: Wovon haben Sie und Ihre Frau vor Ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation Ihren Lebensunterhalt bestritten?

BF1: Meine Frau war privat im Handel beschäftigt – Gewand und Textilien.

RI: Hat Ihre

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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