TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/19 W171 2187130-1

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Veröffentlicht am 19.10.2021
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Entscheidungsdatum

19.10.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W171 2187130-1/18E


IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.01.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.09.2021 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 27.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist nach eigenen Angaben sunnitischer Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen.

1.2. In seiner Erstbefragung am 28.08.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, mit Frau XXXX traditionell verheiratet zu sein. Als Fluchtgrund nannte er, zu seiner in Österreich asylberechtigten Frau zu wollen.

1.3. Bei seiner Einvernahme am 11.01.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) gab der Beschwerdeführer an, gelernter Automechaniker zu sein und 8 oder 9 Jahre bei seinem Vater gearbeitet zu haben. Er habe etwa zweimal wöchentlich über das Internet Kontakt zu seiner Mutter, Schwester und deren Ehemann. Neben diesen würde in Afghanistan noch sein Vater, sein Bruder sowie Tanten und Onkeln leben.

Weiters führte der Beschwerdeführer aus, dass er nach dem Tod seines Onkels eine sexuelle Beziehung mit dessen Frau geführt habe, woraufhin diese von ihm schwanger geworden sei. Das habe er seiner Schwester erzählt, die es wiederum ihrem Ehemann erzählte. In weiterer Folge habe ihn sein Schwager massiv geschlagen und ihm gesagt, er solle das Land verlassen, sonst werde er ermordet. Anschließend habe der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen und sei in die Türkei gereist. Dort habe ihn sein Vater bei einem Telefonat mit dem Tod bedroht. Weiters habe er erfahren, dass die Ehefrau seines verstorbenen Onkels gesteinigt worden sei und dass ihre Familienangehörigen nun nach dem Beschwerdeführer suchen würden, um ihn zu töten. Aus diesen Gründen sei er schließlich von der Türkei weiter nach Europa gereist.

In Österreich habe er eine Tante väterlicherseits, mit deren Tochter er verheiratet werden sollte und verlobt gewesen sei. Diese habe von dem Vorfall erfahren und wolle ihn jetzt nicht mehr heiraten. Die vorgelegte Urkunde sei keine Heiratsurkunde, sondern hätten sie in einer pakistanischen Moschee unterschrieben als Versprechen für eine zukünftige Heirat. Dabei sei seine nicht anwesende Ex-Verlobte von ihrem Vater vertreten worden.

Der Beschwerdeführer legte in seiner Einvernahme Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen und ein Deutschzertifikat A1 vor.

1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 19.01.2018 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt II.). Weiters erteilte das BFA dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.) und legte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats, zur Situation im Fall seiner Rückkehr, zu seinem Privat- und Familienleben sowie zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt (gewesen) sei oder pro futuro ausgesetzt sein werde.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der Beschwerdeführer bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Familienstand, Staatsangehörigkeit, Glaubens- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie seinem schulischen und beruflichen Werdegang glaubwürdig wäre. Sein Fluchtvorbringen sei hingegen höchst abstrakt, unkonkret, im Vergleich zur Erstbefragung massiv gesteigert sowie eine bloße gedankliche Konstruktion und daher unglaubhaft.

In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer aktuell keine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe. Es sei nicht feststellbar, dass der Beschwerdeführer im Fall der Abschiebung in eine aussichtslose Situation geraten würde. Seine Heimatstadt Kabul sei zudem eine innerstaatliche Fluchtalternative. Die öffentlichen Interessen an seiner Aufenthaltsbeendigung würden seine privaten Interessen am weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegen.

1.13. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21.02.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften, mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung ein. Im Wesentlichen brachte er vor, die Feststellungen zum Herkunftsstaat seien unvollständig und in der Beweiswürdigung werde nicht dargelegt, wie die belangte Behörde zu ihrem Ergebnis gelange. Außerdem seien unterschiedliche Anforderungen an das Fluchtvorbringen in der Erstbefragung und in der Einvernahme zu stellen. Der Beschwerdeführer werde laut Aussage seiner Mutter weiterhin gesucht und von seinem Vater mit dem Tod bedroht. Weiters sei eine Niederlassung in Kabul oder in einem anderen Teil Afghanistans für den Beschwerdeführer aufgrund der Sicherheitslage ausgeschlossen.

1.14. Am 07.09.2021 langte ein Schriftsatz des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin brachte der Beschwerdeführer ergänzend vor, er habe einen westlichen Lebensstil angenommen, bekenne sich seit Anfang 2021 offen zu seiner Homosexualität und lebe seine sexuelle Orientierung mit seinem Lebensgefährten außenwirksam aus. In Afghanistan sei aufgrund der derzeitigen Lage ein Ausleben der sexuellen Orientierung unmöglich und würde zur Verhängung der Todesstrafe führen. Außerdem habe sich die Sicherheitslage infolge des Einzugs der Taliban in Kabul weiter verschlechtert. Weiters legte der Beschwerdeführer diverse Schriftstücke sowie Fotos zu seiner Integration und seinem Fluchtvorbringen vor.

1.15. Das BVwG führte am 08.09.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer sowie zwei Zeugen vernommen wurden. Im Zuge der Verhandlung legte der Beschwerdeführer weitere Unterlagen zu seinen vorgebrachten Fluchtgründen sowie zur Sicherheitslage in Afghanistan vor.

Der Beschwerdeführer gab im Wesentlichen an, dass er im März 2021 seinen nunmehrigen Lebensgefährten kennengelernt habe, seitdem wisse er, dass er homosexuell sei. Es sei schwierig für ihn gewesen; in Afghanistan sei es unüblich, wenn Männern mit Männern „etwas haben“. Der Beschwerdeführer habe seinen jetzigen Partner bei einem Essen mit Freunden kennengelernt. Sie hätten sich dann einmal in der Werkstatt des Beschwerdeführers getroffen und seien danach essen gegangen. Nachdem sie das erste Mal miteinander geschlafen hätten, sei der nunmehrige Lebensgefährte sauer auf den Beschwerdeführer gewesen und habe für drei Tage die Nummer auf seinem Handy blockiert. Der Beschwerdeführer sei dann zu ihm nach Hause gegangen und sie hätten miteinander gesprochen. Seitdem würden sie sich jeden Tag kontaktieren. Abends besuche der Beschwerdeführer seinen Freund, der bei seiner „Patenfamilie“ lebe. Am Wochenende würden sie Tagesausflüge unternehmen. Der Beschwerdeführer trete mit seinem Freund auch in der Öffentlichkeit als Paar auf. Dabei würden sie manchmal aggressiv angesehen werden.

Der Zeuge XXXX , der Lebensgefährte des Beschwerdeführers, sagte zusammengefasst aus, er habe den Beschwerdeführer das erste Mal bei einem Freund gesehen und sei dort mit ihm ins Gespräch gekommen. Danach habe ihn der Beschwerdeführer angerufen und ihn in seine Werkstatt eingeladen. Sie seien dann öfter Mittagessen gewesen und hätten sich auch am Abend getroffen. Nachdem sie das erste Mal miteinander geschlafen hätten, sei der Zeuge schockiert gewesen und habe sich drei bis vier Tage nicht gemeldet. Dann habe er geantwortet und der Beschwerdeführer sei zu ihm gekommen. Sie hätten sich ausgesprochen und beschlossen, eine gemeinsame Beziehung zu führen. Der Zeuge lebe mit dem Beschwerdeführer nicht zusammen. Sie würden aber die meiste Zeit gemeinsam verbringen und planen, sich eine gemeinsame Wohnung zu nehmen. In der Öffentlichkeit würden sie immer wieder Hand in Hand gehen oder sich küssen. Wenn sie „blöd“ angeschaut würden, würden sie auch manchmal die Hände wieder loslassen.

Die Zeugin XXXX führte kurzgefasst aus, dass sie den Beschwerdeführer etwa seit April 2021 als einen Freund ihres „Patenkindes“, dem Zeugen XXXX , kenne. Stärker wahrgenommen habe sie den Beschwerdeführer im Juni 2021 bei einer Überraschungsfeier. Kurz danach habe sich ihr „Patenkind“ ihr anvertraut und der Kontakt habe sich ein bisschen intensiviert. Vor allem in den letzten drei bis vier Wochen habe der Beschwerdeführer fast jeden Tag bei ihnen übernachtet. Unter der Woche würden der Beschwerdeführer und ihr „Patenkind“ gemeinsam essen gehen und am Wochenende Ausflüge machen. Etwa seit März 2021 habe sich die Gemütslage ihres „Patenkindes“ geändert. Er habe ihr auf Nachfragen einmal erzählt, dass er verliebt sei, aber in ein Mädchen. Es gestalte sich schwierig und er könne nicht mehr erzählen. Sie habe gemerkt, dass es ihn zwei bis drei Monate belaste, und ihn immer wieder darauf angesprochen, bis er sich ihr schließlich anvertraut habe. Sie habe ihm dann geraten gemeinsam mit dem Beschwerdeführer zur Beratung bei XXXX zu gehen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers

Der volljährige Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und wurde an dem im Spruch angeführten Datum geboren. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Moslem. Er spricht Dari, Paschtu und etwas Deutsch.

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 27.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seitdem hält er sich durchgehend in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist homosexuell. Seine Homosexualität wurde ihm erst in Österreich durch die Bekanntschaft mit seinem nunmehrigen Lebensgefährten bewusst.

Der Beschwerdeführer hat seinen jetzigen Partner im März 2021 bei einem Essen mit gemeinsamen Freunden kennengelernt. Daraufhin kontaktierte der Beschwerdeführer seinen nunmehrigen Lebensgefährten und lud ihn in seine Werkstatt ein. Nach diesem Treffen begannen sie sich häufiger zu sehen und beschlossen schließlich eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu führen.

Der Beschwerdeführer sieht seinen Lebensgefährten regelmäßig und übernachtet meistens gemeinsam mit ihm bei dessen „Patenfamilie“ oder in der Wohnung des Beschwerdeführers. In Zukunft wollen sie in einem gemeinsamen Haushalt leben.

Der Beschwerdeführer akzeptiert seine Homosexualität und lebt diese in der Öffentlichkeit aus. Die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers ist in Österreich der „Patenfamilie“ seines Lebensgefährten sowie zwei weiteren Freunden bekannt.

Dem Beschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr in seinem Herkunftsstaat Afghanistan psychische und physische Bedrohungen von erheblicher Intensität aufgrund seiner sexuellen Orientierung.

Zur Lage im Herkunftsstaat

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan (Version 5 vom 16.09.2021):

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 16.09.2021

Jüngste Entwicklungen - Machtübernahme der Taliban

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu (RFE/RL 12.5.2021; vgl. SIGAR 30.4.2021, BAMF 31.5.2021, UNGASC 2.9.2021), aber auch schon zuvor galt die Sicherheitslage in Afghanistan als volatil (UNGASC 17.3.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Laut Berichten war der Juni 2021 der bis dahin tödlichste Monat mit den meisten militärischen und zivilen Opfern seit 20 Jahren in Afghanistan (TN 1.7.2021; vgl. AJ 2.7.2021). Gemäß einer Quelle veränderte sich die Lage seit der Einnahme der ersten Provinzhauptstadt durch die Taliban - Zaranj in Nimruz - am 6.8.2021 in "halsbrecherischer Geschwindigkeit" (AAN 15.8.2021), innerhalb von zehn Tagen eroberten sie 33 der 34 afghanischen Provinzhauptstädte (UNGASC 2.9.2021). Auch eroberten die Taliban mehrere Grenzübergänge und Kontrollpunkte, was der finanziell eingeschränkten Regierung dringend benötigte Zolleinnahmen entzog (BBC 13.8.2021). Am 15.8.2021 floh Präsident Ashraf Ghani ins Ausland und die Taliban zogen kampflos in Kabul ein (ORF 16.8.2021; vgl. TAG 15.8.2021). Zuvor waren schon Jalalabad im Osten an der Grenze zu Pakistan gefallen, ebenso wie die nordafghanische Metropole Mazar-e Scharif (TAG 15.8.2021; vgl. BBC 15.8.2021). Ein Bericht führt den Vormarsch der Taliban in erster Linie auf die Schwächung der Moral und des Zusammenhalts der Sicherheitskräfte und der politischen Führung der Regierung zurück (ICG 14.8.2021; vgl. BBC 13.8.2021, AAN 15.8.2021). Die Kapitulation so vieler Distrikte und städtischer Zentren ist nicht unbedingt ein Zeichen für die Unterstützung der Taliban durch die Bevölkerung, sondern unterstreicht vielmehr die tiefe Entfremdung vieler lokaler Gemeinschaften von einer stark zentralisierten Regierung, die häufig von den Prioritäten ihrer ausländischen Geber beeinflusst wird (ICG 14.8.2021), auch wurde die weit verbreitete Korruption, beispielsweise unter den Sicherheitskräften, als ein Problem genannt (BBC 13.8.2021).

Im Panjshir-Tal, rund 55 km von Kabul entfernt (TD 20.8.2021), formierte sich nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August 2021 Widerstand in Form der National Resistance Front (NRF), welche von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security [Anm.: NDS, afghan. Geheimdienst], sowie Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt wird. Ihr schlossen sich Mitglieder der inzwischen aufgelösten Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) an, um im Panjshir-Tal und umliegenden Distrikten in Parwan und Baghlan Widerstand gegen die Taliban zu leisten (LWJ 6.9.2021; vgl. ANI 6.9.2021). Sowohl die Taliban, als auch die NRF betonten zu Beginn, ihre Differenzen mittels Dialog überwinden zu wollen (TN 30.8.2021; vgl. WZ 22.8.2021). Nachdem die US-Streitkräfte ihren Truppenabzug aus Afghanistan am 30.8.2021 abgeschlossen hatten, griffen die Taliban das Pansjhir-Tal jedoch an. Es kam zu schweren Kämpfen und nach sieben Tagen nahmen die Taliban das Tal nach eigenen Angaben ein (LWJ 6.9.2021; vgl. ANI 6.9.2021), während die NRF am 6.9.2021 bestritt, dass dies geschehen sei (ANI 6.9.2021). Mit Stand 6.9.2021 war der Aufenthaltsort von Saleh und Massoud unklar, jedoch verkündete Massoud, in Sicherheit zu sein (AJ 6.9.2021) sowie nach Absprachen mit anderen Politikern eine Parallelregierung zu der von ihm als illegitim bezeichneten Talibanregierung bilden zu wollen (IT 8.9.2021).

Weitere Kampfhandlungen gab es im August 2021 beispielsweise im Distrikt Behsud in der Provinz Maidan Wardak (AAN 1.9.2021; vgl. AWM 22.8.2021, ALM 15.8.2021) und in Khedir in Daikundi, wo es zu Scharmützeln kam, als die Taliban versuchten, lokale oder ehemalige Regierungskräfte zu entwaffnen (AAN 1.9.2021). [Anm.: zum Widerstand im Distrikt Behsud s. auch Abschnitt 6.5]

Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer deutlich zurückgegangen (PAJ 15.8.2021; vgl PAJ 21.8.2021).

[…]

Taliban

Letzte Änderung: 14.09.2021

Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. Die Taliban-Führung regierte Afghanistan zwischen 1996 und 2001, als sie von US-amerikanischen/internationalen Streitkräften entmachtet wurde. Nach ihrer Entmachtung hat sie weiterhin einen Aufstand geführt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020). 2018 begannen die USA Verhandlungen mit einer Taliban-Delegation in Doha (NYT 26.5.2020), im Februar 2020 wurde der Vertrag, in welchem sich die US-amerikanische Regierung zum Truppenabzug verpflichtete, unterschrieben (NYT 29.2.2020), wobei die US-Truppen bis Ende August 2021 aus Afghanistan abzogen (DP 31.8.2021). Nachdem der bisherige Präsident Ashraf Ghani am 15.8.2021 aus Afghanistan geflohen war, nahmen die Taliban die Hauptstadt Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein (TAG 15.8.2021). Die Taliban-Führung kehrte daraufhin aus Doha zurück, wo sie erstmals 2013 ein politisches Büro eröffnet hatte (DW 31.8.2021). Im September 2021 kündigten sie die Bildung einer "Übergangsregierung" an. Entgegen früherer Aussagen handelt es sich dabei nicht um eine "inklusive" Regierung unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure, sondern um eine reine Talibanregierung (NZZ 7.9.2021).

Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten (EASO 8.2020c; vgl. RFE/RL 27.4.2020). Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen "Werte" betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab (Ruttig 3.2021). Aufgrund der schnellen und umfangreichen militärischen Siege der Taliban im Sommer 2021 hat die Gruppierung nun jedoch wenig Grund, die Macht mit anderen Akteuren zu teilen (FA 23.8.2021).

[…]

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 14.09.2021

Es gibt Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021 (HRW 23.8.2021). Die Gruppe soll Tür-zu-Tür-Durchsuchungen durchführen, und auch an einigen Kontrollpunkten der Taliban wurden gewalttätige Szenen gemeldet (BBC 20.8.2021; vgl. AP 3.9.2021). Diejenigen, die für die Regierung oder andere ausländische Mächte gearbeitet haben, sowie Journalisten und Aktivisten sagen, sie hätten Angst vor Repressalien (BBC 20.8.2021).

Die Europäische Union hat erklärt, dass die von ihr zugesagte Entwicklungshilfe in Höhe von mehreren Milliarden Dollar von Bedingungen wie der Achtung der Menschenrechte durch die Taliban abhängt (MPI 2.9.2021; vgl. REU 3.9.2021).

[…]

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan (Version 4 vom 11.06.2021, Schreibfehler teilweise korrigiert):

20.3 Sexuelle Orientierung und Genderidentität

Letzte Änderung: 11.06.2021

Das afghanische Strafgesetzbuch verbietet einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen zwei Angehörigen desselben Geschlechtes (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 4.3.2020, MoJ 15.5.2017: Art. 645, 649). Der Geschlechtsverkehr zwischen Männern ist eine Straftat, die – laut afghanischem Strafgesetzbuch, Artikel 646 - mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren, Geschlechtsverkehr zwischen Frauen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr, geahndet wird (USDOS 30.3.2021; vgl. SFH 30.4.2020).

Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung (AA 16.7.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review (UPR)-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück. Beim UPR Afghanistans im Januar 2019 standen LGBTI nicht auf der Agenda. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der breiten Gesellschaft abgelehnt und können daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden (AA 16.7.2020).

Laut Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Organisationen, die sich für den Schutz der sexuellen Orientierung einsetzen, arbeiten im Untergrund (AA 16.7.2020).

Die LGBTI-Gemeinschaft in Afghanistan ist weiterhin erheblicher Gewalt von Seiten des Staates und der Gesellschaft insgesamt ausgesetzt (USCIRF 3.2021). Homosexualität wird weithin tabuisiert (USDOS 30.3.2021; vgl. SFH 30.4.2020) und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren. LGBTI-Personen berichten, dass sie weiterhin mit Verhaftungen durch Sicherheitskräfte und Diskriminierung sowie Übergriffen und Vergewaltigungen in der Gesellschaft im Allgemeinen konfrontiert sind (USDOS 30.3.2021).

Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern (AA 16.7.2020; vgl SFH 30.4.2020).

Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds, etwa durch Kleidung, an das andere Geschlecht verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen (AA 16.7.2020). Es gibt nur wenige spezifische Informationen über Transgender oder Intersex-Personen in Afghanistan (DFAT 27.6.2019; vgl. SFH 30.4.2020).

Sexualität, sexuelle Bedürfnisse und sexuelle Probleme sind in der afghanischen Gesellschaft kein akzeptiertes Gesprächsthema (EASO 12.2017; vgl. Bamik 7.2018) und dieses Thema wird geheim gehalten. Zwischen Ehepartnern wird ein solches Gespräch als negativ, beschämend und böse betrachtet. Afghanische Eltern schämen sich, mit ihrem Nachwuchs über Sexualität zu sprechen und an afghanischen Schulen wird keine Sexualkunde unterrichtet (Bamik 7.2018).

Es wird auch über „Ehrenmorde“ an tatsächlichen oder vermeintlichen LGBTQI-Personen durch Familienmitglieder berichtet. Oftmals reicht das Gerücht oder die Beschuldigung, um Betroffene in Gefahr zu bringen (SFH 30.4.2020; vgl. AI 5.2.2018).

Es existieren zahlreiche traditionelle Praktiken, die zwar nicht offiziell anerkannt sind, jedoch teilweise im Stillen geduldet werden. Beispiele dafür sind die Bacha Push und Bacha Bazi. Bacha Push sind junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um eine bestimmte Bildung genießen zu können, alleine außer Haus zu gehen oder Geld für die sohn- oder vaterlose Familie zu verdienen (AA 16.7.2020). Bacha Bazi sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653).

Bei den Bacha Push handelt es sich i. d. R. nicht um eine transsexuelle, sondern eine indirekt gesellschaftlich bedingte Lebensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt hat (AA 16.7.2020; vgl. Corboz 17.6.2019, NG 2.3.2018). Meist erfolgt das Ausgeben der Mädchen als Buben mit der Unterstützung der Familie, beispielsweise weil es in der Familie keinen Sohn gibt (Corbez 17.6.2019). Mit Erreichen der Pubertät kehren die meisten Bacha Push zurück zu ihrem Leben als Mädchen (NG 2.3.2018).

Anmerkung: Informationen zum gesellschaftlichen und strafrechtlichen Umgang mit Bacha Bazi finden sich im Unterkapitel ’Kinder’. […]

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers sowie des Zeugen XXXX , dem Lebensgefährten des Beschwerdeführers, und der Zeugin XXXX , der „Patenmutter“ des Lebensgefährten, in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.09.2021.

Zur Person des Beschwerdeführers

Mangels vorgelegter unbedenklicher Urkunden konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Die diesbezüglichen Feststellungen beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers und dienen ausschließlich seiner Identifizierung im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu Sprachkenntnissen basieren auf den in diesem Zusammenhang im gesamten Verfahren konsistenten, nachvollziehbaren und damit glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

Einreise, Antragstellung und Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ergeben sich aus der Aktenlage und sind unbestritten.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (vgl. Strafregisterauszug vom 12.07.2021).

Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer gab mit Schreiben vom 07.09.2021 erstmals gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht bekannt, dass er homosexuell sei und er einen gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten habe. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 08.09.2021 sagte der Beschwerdeführer aus, dass er homosexuell sei. Auch die in der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen bestätigten die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers. Insgesamt vermittelten sowohl der Beschwerdeführer als auch sein Lebensgefährte und dessen „Patenmutter“ in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht einen überaus glaubhaften persönlichen Eindruck in Bezug auf die Thematik der homosexuellen Orientierung des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft vor, dass er sich seiner Homosexualität erst durch die Bekanntschaft mit seinem nunmehrigen Partner bewusst wurde. Angesichts des noch jungen Alters des Beschwerdeführers und der aus den Länderberichten hervorgehenden Tabuisierung von Homosexualität in der afghanischen Gesellschaft ist plausibel, dass dem Beschwerdeführer seine sexuelle Orientierung jahrelang nicht bewusst gewesen oder verdrängt worden ist.

Anhaltspunkte für die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Angaben in Bezug auf seine sexuelle Orientierung sind im Zuge der mündlichen Verhandlung nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer sowie insbesondere sein als Zeuge befragter Lebenspartner schilderten nachvollziehbar und in inhaltlicher Übereinstimmung die Umstände ihres Kennenlernens, des sich schließlich entwickelnden sexuellen Kontakts und der in der Folge entstandenen Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers und des Zeugen. Sie konnten ferner widerspruchsfrei und lebensnah deren gemeinsame Gestaltung ihrer Beziehung und Freizeit erläutern. Zwar leben der Beschwerdeführer und sein Partner noch in keinem gemeinsamen Haushalt, sie konnten aber in Anbetracht der bisherigen Dauer ihrer Beziehung und ihrer Lebensumstände nachvollziehbar darlegen, die Nächte gemeinsam zu verbringen und auf der Suche nach einer geeigneten gemeinsamen Wohnung zu sein. Weiters fällt auf, dass relativ wenige Personen von der Homosexualität des Beschwerdeführers und seines Partners wissen. Dies konnte der vernommene Zeuge vor dem Hintergrund der glaubhaft vermittelten Schwierigkeiten, die eigene sexuelle Orientierung zu akzeptieren, jedoch überzeugend damit erklären, dass sie erst am Anfang ihrer Beziehung stehen und „das jetzt einmal akzeptiert“ haben.

Darüber hinaus stehen die Aussagen des Beschwerdeführers und seines Lebensgefährten mit den Angaben der vernommenen Zeugin in Einklang und vermitteln ein in sich schlüssiges Gesamtbild. Sie beschrieb insbesondere anschaulich, wie sich ihr „Patenkind“ ihr nur zögerlich anvertraute. Weiters bestätigte sie, die Übernachtungen des Beschwerdeführers in ihrem Haus.

Im Übrigen wirken die Darstellungen des Beschwerdeführers sowie der vernommenen Zeugen weder prozesstaktische übertrieben noch konstruiert und werden durch die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Fotos, Chatverläufe sowie dem Schreiben des Vereins XXXX untermauert.

Aus diesen Gründen sowie angesichts des persönlichen Eindrucks, den das erkennende Gericht im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnen hat, konnte das Vorbringen des Beschwerdeführers als glaubhaft qualifiziert und den Feststellungen zugrunde gelegt werden.

Auch ist das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers mit den vorliegenden Länderberichten aus der Zeit vor der Machtübernahme der Taliban vereinbar. Aus diesen geht insbesondere hervor, dass der Geschlechtsverkehr zwischen Männern eine Straftat war, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet wurde. Gemäß dem afghanischen Strafgesetzbuch wurden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Die afghanische Verfassung kannte kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Lebens wurden von der breiten Gesellschaft abgelehnt und konnten daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärkten Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Homosexualität wurde weitverbreitet tabuisiert und als unanständig betrachtet. Insbesondere im Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen betreffend die Machtergreifung der Taliban in Afghanistan ist mit einer weiteren Verschlechterung der Lage für homosexuelle Personen zu rechnen, zumal die Taliban seit 2001 einige Schlüsselprinzipien beibehielten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten.

Wegen der Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens, wonach dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung wegen dessen offenen und öffentlich ausgelebten Homosexualität, war eine weitere Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer im Verfahren weiter vorgebrachten Gründen zum Verlassen seines Herkunftsstaats nicht erforderlich.

Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Es muss objektiv nachvollziehbar sein, dass der Beschwerdeführer im Lichte seiner speziellen Situation und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Herkunftsstaat Furcht vor besagter Verfolgung hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 idgF kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Weiters muss sie sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hiefür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11 AsylG) offen steht (Z.1) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat (Z. 2).

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist – wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert, deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/-20/0539).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH vom 11.06.1997, 95/01/0617; 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 30.06.2005, 2002/20/0205; VwGH vom 23.11.2006, 2005/20/0551-6, VwGH-Beschluss vom 29.06.2006, 2002/20/0167-7).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 1991 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, Zl. 92/01/0560). So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (vgl. VwGH 08.07.1993, Zl. 92/01/1000; VwGH 30.11.1992, Zl. 92/01/0832; VwGH 20.05.1992, Zl. 92/01/0407; VwGH 19.09.1990, Zl. 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, Zl. 92/01/0181). Auch unbestrittenen Divergenzen zwischen den Angaben eines Asylwerbers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung und dem Inhalt seines schriftlichen Asylantrages sind bei schlüssigen Argumenten der Behörde, gegen die in der Beschwerde nichts Entscheidendes vorgebracht wird, geeignet, dem Vorbringen des Asylwerbers die Glaubwürdigkeit zu versagen (Vgl. VwGH 21.06.1994, Zl. 94/20/0140). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, Zl. 2001/20/0006, zum Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH vom 23.01.1997, Zl. 95/20/0303 zu Widersprüchen bei einer mehr als vier Jahre nach der Flucht erfolgten Einvernahme hinsichtlich der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in seinem Heimatdorf nach seiner Haftentlassung) können für sich allein nicht ausreichen, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. dazu auch VwGH 26.11.2003, Zl. 2001/20/0457).

Das Bundesverwaltungsgericht geht auf Grund des diesbezüglich glaubhaften Vorbringens des Beschwerdeführers sowie insbesondere der in der mündlichen Verhandlung befragten Zeugen in Zusammenschau mit der vorliegenden Berichtslage zum Herkunftsstaat davon aus, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seiner sexuellen Orientierung (Homosexualität) im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen maßgeblicher Intensität drohen würden.

Die den Beschwerdeführer treffende Verfolgungsgefahr findet schon deshalb ihre Deckung in einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe, weil ihm eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmtem sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der Personen mit einer (von der Heterosexualität) abweichenden sexuellen Orientierung, welche den in Afghanistan gepflegten Wertvorstellungen zuwiderläuft, droht. Es kann vom Beschwerdeführer nicht erwartet werden, die einen Teil seiner Identität darstellende sexuelle Orientierung zu verbergen (vgl. VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0043 mit Bezugnahme auf EuGH 07.11.2013, C-199/12 bis C-201/12, X, Y, Z; vgl. auch UNHCR, Kapitel 3.A.12 sowie EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 2.14).

Auf Grund der vorliegenden Länderberichte ist auch nicht davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer ausreichender staatlicher Schutz vor einer Verfolgung durch Privatpersonen zukommen würde. Daraus geht vielmehr hervor, dass die Verfolgung von homosexuellen Männern bereits vor der Machtübernahme der Taliban auch von staatlichen Stellen ausgehen konnte und die Behörden somit nicht als schutzwillig anzusehen waren. Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt, ist infolge der jüngsten Entwicklungen in Afghanistan mit einer weiteren Verschlechterung der Situation für Homosexuelle zu rechnen. Daher kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat ausreichenden Schutz vor einer Verfolgung aufgrund seiner sexuellen Orientierung erhalten würde.

Die dem Beschwerdeführer drohende Verfolgung ist auch nicht etwa auf einen bestimmten Landesteil beschränkt, weil ihm die Entdeckung seiner sexuellen Orientierung überall drohen würde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt daher für den Beschwerdeführer nicht in Betracht.

Im Verfahren hat sich sohin gezeigt, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der sexuellen Orientierung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen (Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK).

Vor diesem Hintergrund erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer ursprünglich behaupteten Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates.

Ein Abweisungsgrund gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 liegt im konkreten Fall nicht vor, da dem Beschwerdeführer - wie gezeigt - keine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht und dieser keinen Asylausschlussgrund gesetzt hat. Im konkreten Fall haben sich auch keine Anzeichen ergeben, dass der Beschwerdeführer mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und/oder Verletzungen des humanitären Völkerrechts in Verbindung steht.

Dafür, dass der Beschwerdeführer in Österreich straffällig geworden wäre, existieren keine Anhaltspunkte; Stand 12.07.2021 scheint im Strafregister der Republik Österreich keine Verurteilung auf.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der gegenständlichen Beschwerde stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 27.08.2015 und damit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde. Daher sind die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 in der Fassung des BGBl. I Nr. 24/2016 gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im vorliegenden Fall nicht anzuwenden und § 2 Abs. 1 Z 15 leg cit. in der Fassung vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2016 gilt weiter.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft geschlechtsspezifische Diskriminierung geschlechtsspezifische Verfolgung Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Homosexualität inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung sexuelle Orientierung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W171.2187130.1.00

Im RIS seit

10.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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