Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Februar 1995, Zl. 4.320.921/8-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, der am 19. August 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, stellte am 21. August 1991 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner am 26. August 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung gab er an, er habe 1982 in Bagdad den Schulabschluß mit der Matura gemacht und sei in der Folge von 1982 bis zum Jahre 1988 in der damaligen CSFR (Brünn) zum Luftwaffentechniker des Militärs ausgebildet worden, wo er sein Studium mit dem "Master of Science" abgeschlossen habe. Dabei handle es sich um einen akademischen Grad. Er sei dann in sein Heimatland zurückgekehrt, wo er nach einer weiteren Ausbildungszeit als Leutnant der Luftwaffe in Habanieh gedient habe. Dabei sei er auch zu Kriegshandlungen im Kuwaitkrieg eingesetzt gewesen. Wie viele seiner Offizierskameraden sei er selbst mit diesem Feldzug jedoch nicht einverstanden gewesen. Sie hätten darüber auch öffentlich ihre Meinung geäußert, weshalb sie "schlecht beleumundet" gewesen seien. Als sich der Irak nach der Niederlage durch die Amerikaner (gemeint: in Kuwait) langsam wieder zu erholen begonnen habe, sei auch innerhalb der Armee mit einer "Säuberungsaktion" begonnen worden, auf Grund derer viele seiner Kameraden verhaftet und hingerichtet worden seien. Da er das gleiche Schicksal auch für sich befürchtet habe, habe er sich entschlossen, seine Heimat zu verlassen und aus der Armee zu desertieren. Allein auf Grund dieser Tatsache halte er es für erwiesen, daß er bei einer eventuellen Rückkehr in den Irak die Todesstrafe zu erwarten habe, da er einerseits als Regimegegner und andererseits als Deserteur doppelt unter Strafandrohung stünde.
Mit dem auf die Spezifika der Ergebnisse der Ersteinvernahme des Beschwerdeführers nicht eingehenden Formularbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. Oktober 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.
In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten fristgerechten Berufung machte der Beschwerdeführer insbesondere Begründungsmängel im Sinn des § 60 AVG geltend, verwies auf sein Vorbringen anläßlich seines "Erstinterviews", das er unter gleichzeitiger Rüge des Protokolls als ungenau und zum Teil unrichtig dahingehend korrigierte bzw. ergänzte, es habe sich schon vor dem Ausbruch des Golfkrieges und nach dem Einmarsch des Irak in Kuwait innerhalb der Luftwaffe der irakischen Armee eine Opposition gegen Saddam Hussein und gegen eine eventuelle Kriegführung, getragen vor allem von jungen Offizieren, die im Ausland ausgebildet worden waren, gebildet. Dies sei im Oktober (gemeint: 1990) gewesen. Die Aktivitäten dieser Gruppierung (der der Beschwerdeführer zugehörte) seien streng geheim gewesen, es habe keine Rede davon sein können, daß sie (gemeint: die an diesen Aktivitäten beteiligten Offiziere) ihre Opposition öffentlich geäußert hätten, wie dies protokolliert worden sei. Ihr Plan sei es gewesen, zu einem günstigen Zeitpunkt das Regime Saddam Husseins zu stürzen. Dann hätten die Alliierten am 17. Jänner 1991 den Krieg begonnen. Nach Kriegsende (28. Februar 1991) habe Saddam Hussein in der Luftwaffe eine groß angelegte Säuberungsaktion durchgeführt, da der Geheimdienst inzwischen von den Oppositionsbestrebungen "Wind bekommen" habe. Viele (gemeint offenbar: seiner an der Opposition beteiligten Offizierskollegen) seien verhaftet und hingerichtet worden. Sogar der Chef der Luftwaffe sei abgesetzt worden, wobei er (der Beschwerdeführer) nicht wisse, ob dieser noch am Leben sei. Da er selbst in Lebensgefahr gewesen sei, sei er zusammen mit drei anderen Kollegen, die wie er selbst Luftwaffenoffiziere gewesen seien, die in der Tschechoslowakei ausgebildet worden waren und an dieser oppositionellen Gruppe innerhalb der Luftwaffe ebenfalls beteiligt gewesen seien, desertiert. Nach dem irakischen Militärstrafgesetz
- unentschuldigtes Fernbleiben von der Einheit für mehr als 72 Stunden - stehe für ihre Handlungen der Tod, vor allem, weil für Saddam Hussein nach wie vor Krieg herrsche. Aus all diesen Ausführungen ergebe sich, daß er selbst entgegen der im erstinstanzlichen Bescheid vertretenen Ansicht aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befinde und daher die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft erfülle. Seiner Berufung schloß er die Bestätigung seines an der Militärakademie in Brünn, CSFR, errungenen akademischen Grades "Master of Science" bei.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 6. Juli 1993 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Infolge der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0731-6, den bekämpften Bescheid der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig wurde.
Mit Manuduktionsschreiben vom 18. Jänner 1995 wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Berufungsergänzung, insbesondere aber der Geltendmachung einfacher Verfahrensmängel des Verfahrens erster Instanz und sich etwa daraus ergebender Sachverhaltsmängel eingeräumt, die der Beschwerdeführer dahingehend nutzte, über die seiner Behauptung nach nicht ausreichende Sachverhaltsgrundlage hinaus darzulegen, daß die Opposition gegen Saddam Hussein innerhalb der Armee aus mehreren Gruppen zu je etwa 20 Offizieren bestanden habe, deren gemeinsame Auffassung es gewesen sei, daß sich das gegenwärtige Regime nicht mehr lange würde halten können, sodaß es notwendig gewesen wäre, etwas zu dessen Sturz zu unternehmen und so den Golfkrieg zu beenden. Der Optimismus der Beteiligten sei so groß gewesen, daß sie ihre Ansichten auch offen kundgetan hätten. Nach Beendigung des Krieges seien wenigstens 10 Offiziere dieser Widerstandsgruppe festgenommen worden und seien seither verschwunden. Einige Tage später seien sie davon unterrichtet worden, daß diese Männer hingerichtet worden seien. Diese Vorgangsweise, Regimegegner rasch festzunehmen und ohne Gerichtsverfahren zu liquidieren, sei im Irak unter dem gegenwärtigen Regime üblich und auch in der internationalen Presse wiederholt berichtet und angeprangert worden. Aus diesem Grunde sei es auch klar gewesen, daß einzig der Weg der Flucht für den Beschwerdeführer und seine Kameraden offengestanden sei. Die Darstellung (gemeint offenbar: im aufgehobenen Bescheid der belangten Behörde vom 6. Juli 1993), er (der Beschwerdeführer) sei bloß als "Wehrdienstverweigerer verfolgt" worden, sei sohin unrichtig. Vielmehr handle es sich in seinem individuellen Fall sehr wohl um eine Verfolgung auf Grund seiner persönlichen politischen Überzeugungen und auf Grund der Tatsache, daß er diese offen geäußert habe. Auch wäre er nicht aus seiner Stellung als Luftwaffenoffizier desertiert und hätte auch in dieser durchaus vorteilhaften finanziellen und sozialen Position dazu keinen Grund gehabt, wenn nicht die persönliche Bedrohung durch das gegenwärtige Regime, die sich auf seine offene politische Kritik gestützt habe, begründet gewesen wäre. Er sei nicht aus Angst vor den kriegerischen Auseinandersetzungen geflohen - was für einen Armeeangehörigen seines Ranges auch absurd gewesen wäre -, sondern aus Angst, auf Grund der von ihm geäußerten politischen Überzeugung mit dem sicheren Tod rechnen zu müssen.
Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers samt deren Ergänzung wiederum gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab, übernahm die Begründung ihres Bescheides vom 6. Juni 1993 im wesentlichen wörtlich, fügte dieser lediglich im Rahmen der Darstellung des bisherigen Verfahrensganges Tatsache und Inhalt des Ergänzungsverfahrens sowie im Erwägungsteil folgendes hinzu:
"Bezüglich der von Ihnen behaupteten Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion muß festgestellt werden, daß die im Irak in Aussicht gestellte Strafe wegen dieser Delikte allein noch nicht die Annahme eines asylrelevanten Aspektes Ihrer behaupteten Furcht rechtfertigt. Desertion und Wehrdienstverweigerung sind auch in klassisch demokratischen und rechtsstaatlichen Ländern mit Strafe bedroht. Die Strenge und Art der angedrohten Strafe ist nicht maßgeblich."
......
"Aus Ihrem Vorbringen ist jedenfalls nicht glaubwürdig ableitbar, daß Sie auf Grund eines in der Genfer Konvention bzw. in § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 genannten Grundes im Falle Ihrer Aufgreifung und Verurteilung eine differenzierte Bestrafung im Vergleich zu anderen irakischen Staatsangehörigen zu erwarten hätten (siehe VwGH vom 29. Juni 1994, 93/91/0377 (richtig zitiert wäre gewesen: 93/01/0377) und die dort zitierte Vorjudikatur).
Zu den angeblichen Vorfällen gegen Ihre Offizierskameraden ist festzuhalten, daß der Verwaltungsgerichtshof wiederholt erkannt hat, daß in diesem Verfahren nur solche Umstände Berücksichtigung finden können, die eine Person unmittelbar betreffen und daher Ereignisse gegen andere Personen nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirken können (VwGH 20. 02. 1985, 85/01/0052; 17. 09. 1986, 85/01/0150; 16. 12. 1987, 87/01/0230).
Wenn Sie angeben, daß der Grund ihrer Ausreise vielmehr ausschließlich in Ihrer persönlichen Bedrohung wegen Ihrer Kritik am Regime gelegen sei, so stellt die erkennende Behörde dazu fest, daß Sie keine konkreten, Sie selbst betreffende, Umstände behauptet und glaubhaft gemacht haben, aus denen die in der Genfer Konvention geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist (vgl VwGH vom 5. 12. 1990, 90/01/0202, vom 16. 12. 1992, 92/01/0897)."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde ist berechtigt. Es ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, daß die belangte Behörde auch auf der Basis des Ermittlungsergebnisses des Verfahrens erster Instanz im Sinne des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 - wiewohl entgegen der von der belangten Behörde gewählten Vorgangsweise nicht von vornherein begründungslos davon ausgegangen werden kann, keiner der Fälle des § 20 Abs. 2 leg. cit. läge vor - dem Beschwerdeführer jene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entgegenhielt, die sich mit den Begriffen der "Dersertion" und "Wehrdienstverweigerung" im Rahmen der "allgemeinen Wehrpflicht" befaßt, ohne in der gebotenen und auch vom Verwaltungsgerichtshof mehrfach geforderten Gesamtschau darauf einzugehen, daß die Darstellung des Beschwerdeführers ganz unübersehbare und durchaus konkrete Hinweise darauf enthielt, da ihm als Angehörigen der oberen militärischen Dienstgrade auf Grund seiner bekannt gewordenen politischen Meinung und regimekritischen Äußerungen und Absichten im Rahmen der von ihm geschilderten "Säuberungsaktion" konkrete Gefahr drohte, die unter die Bestimmungen der Genfer Konvention zu subsumieren ist. Die Schilderung des Beschwerdeführers über Verschwinden und Hinrichtung seiner Offizierskameraden ist lediglich als Verdeutlichung der auch ihn betreffenden Gefahr zu verstehen. Ihm darauf mit dem Argument zu entgegnen, in seinem Asylverfahren könnten nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die seine Person unmittelbar beträfen, es könnten daher Ereignisse gegen andere Personen nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirken, erweist sich daher als nicht zielführend. Der weitere Begründungsteil mit seiner floskelhaften Formulierung, die erkennende Behörde stelle zur Behauptung des Beschwerdeführers, der Grund für seine Ausreise sei "ausschließlich in Ihrer persönlichen Bedrohung wegen Ihrer Kritik am Regime gelegen" fest, "daß Sie keine konkreten, Sie selbst betreffende, Umstände behauptet und glaubhaft gemacht haben, aus denen die in der Genfer Konvention geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist", enthält in Wahrheit keine Begründung, auf die einzugehen möglich gewesen wäre. In Ermangelung der für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerdesache notwendigen Gesamtschau vor dem Hintergrund der herrschenden politischen Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers und infolge der unrichtigen Lösung der sich daraus ergebenden Rechtsfrage belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200492.X00Im RIS seit
20.11.2000