TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/15 W252 1418528-2

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Veröffentlicht am 15.11.2021
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Entscheidungsdatum

15.11.2021

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §55

Spruch


W252 1418528-2/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Kenia, vertreten durch Rast & Musliu Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2017 zur Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird hinsichtlich der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird teilweise stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG iVm Art 8 EMRK eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

III. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 58 Abs 2 iVm § 55 Abs 1 und § 54 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

IV. Der Spruchpunkt II. wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge: „BF“), ein männlicher Staatsangehöriger Kenias, stellte am 18.07.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.03.2011 wurde der Antrag nach §§ 3, 8 und 10 AsylG abgewiesen, sowie eine Ausweisung nach Kenia ausgesprochen. Dagegen erhob der BF am 23.03.2011 Beschwerde.

3. Mit Erkenntnis vom 09.05.2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde hinsichtlich §§ 3 und 8 AsylG ab. Hinsichtlich der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung wurde das Verfahren an das Bundesamt zurückverwiesen.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 30.10.2017 wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Kenia zulässig sei (Spruchpunkt I.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF keine relevanten familiären noch beruflichen Bindungen in Österreich habe. Er gehe keiner Beschäftigung nach und sei mehrfach strafrechtlich verurteilt.

5. Der BF erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass er sich seit 2008 durchgehend in Österreich aufhalte, Deutsch auf A2 spreche und aus seinen Fehlern gelernt habe. Er führe eine Beziehung zu einer slowakischen Staatsangehörigen und sei mit dieser verlobt. Nach Kenia habe er keinen Kontakt mehr. Ihm sei daher ein Aufenthaltstitel zu erteilen.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.09.2020 sowie am 28.09.2021 eine mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der Verhandlungen legte der BF diverse Empfehlungsschreiben und Integrationsunterlagen vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter I. beschriebene Verfahrensgang steht fest.

1.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX . Er ist kenianischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe XXXX . Er führt seit Oktober 2015 eine Beziehung mit einer slowakischen Staatsangehörigen, mit welcher er verlobt ist. Der BF hat mit seiner Verlobten eine Tochter, die am 30.11.2019 geboren ist. (AS 9; OZ 9, S 4f, 7; OZ 15, S 4f).

Der BF wurde in Kenia geboren, wuchs dort auf und absolvierte die Grundschule (AS 9, 229).

Der BF hat keine Familienangehörigen bzw Kontakte nach Kenia (AS 227ff).

Der BF ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und stellte am 18.07.2008 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (AS 11).

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er gehört keiner COVID-19 Hochrisikogruppe an (OZ 15, S 4).

1.2. Zum (Privat)Leben des BF in Österreich:

Der BF ist seit seiner Antragsstellung am 18.07.2008 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG in Österreich durchgehend aufhältig.

Der BF hat die ÖSD Integrationsprüfung (Sprachniveau A2) bestanden und hat von April 2018 bis Mai 2019 Vollzeit gearbeitet. Der BF war auch als freiwilliger Sportbetreuer der XXXX tätig, hat Freunde in Österreich und ist stets bemüht seine Integration zu verbessern. Die Verlobte des BF und sein Kind besuchen ihn regelmäßig jede Woche und bleiben oft auch länger bei ihm. Der BF unterstützt diese nicht nur finanziell, sondern kümmert sich bei den regelmäßigen Besuchen auch um das gemeinsame Kind und ist in dessen Erziehung eingebunden. Die Verlobte des BF sucht eine Arbeit in Wien und möchte mit dem BF zusammenleben (OZ 9, S 4f, 7f; OZ 10, S 14ff; OZ 11, S 2f; OZ 14, S 3ff; OZ 15, S 5f).

Der BF geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und erhält Sozialleistungen vom AMS (OZ 15, S 5).

Der BF ist mehrfach strafgerichtlich verurteilt und weist folgende Verurteilungen auf (Auszug aus dem Strafregister vom 27.09.2021):

Am 26.05.2010 wurde der BF durch das Landesgericht für Strafsachen Wien zu 163 Hv 59/2010g wegen § 27 Abs 1 1.Fall und Abs 3 SMG iVm § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon sechs Monate bedingt, verurteilt.

Am 27.08.2013 wurde der BF durch das Landesgericht für Strafsachen Wien zu 152 Hv 107/2013i wegen §§ 28a Abs 1 5.Fall, 28a Abs 2 Z 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe zum Urteil vom 26.05.2010 wurde widerrufen.

Am 05.04.2016 wurde der BF durch das BG Innere Stadt Wien zu 013 U 70/2016b wegen § 223 Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je EUR 4,- (EUR 400,-) im Nichterbringungsfall 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.

Am 04.12.2020 wurde der BF durch das BG Hernals zu 010 U 150/2020i wegen § 231 Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je EUR 4,- (EUR 400,-) im Nichterbringungsfall 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person und zum Leben des BF:

Die Feststellungen zum Namen des BF ergeben sich aus den dahingehend übereinstimmenden und stringenten Angaben des BF im gesamten gegenständlichen Verfahren. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF (Namen und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich zur Identifizierung des BF im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und Familienstand des BF gründen sich auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben vor dem Bundesamt und in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (AS 9; OZ 9, S 4f, 7; OZ 15, S 4f).

Die Angaben des BF zu seinem Aufwachsen in Kenia und seiner Schulausbildung resultieren auf seinen diesbezüglichen Aussagen vor dem Bundesamt (AS 9, 229).

Die Feststellungen zu seinen Familienangehörigen in seinem Heimatland, resultieren aus seinen vor dem Bundesamt getätigten Angaben (AS 227ff).

Das Datum der gegenständlichen Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt (AS 11).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen sich auf seinen diesbezüglich glaubhaften Aussagen in der mündlichen Verhandlung (OZ 15, S 4).

Die Feststellungen zum Leben des BF im Bundesgebiet, seinen bisherigen Integrationsbemühungen, seiner Familie und seinen sozialen Kontakten beruhen auf seinen diesbezüglichen Aussagen in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie auf den im Laufe des Verfahrens vorgelegten integrationsbezeugenden Unterlagen und Gehaltsabrechnungen. Die Feststellung zur Integrationsprüfung (Sprachniveau A2) ergibt sich aus dem vorgelegten Zeugnis. Dass der BF auch weiterhin bemüht ist sich besser zu integrieren, ergibt sich aus dem vorgelegten (negativen) Prüfungsergebnis der Sprachprüfung B1, welche er erneut versuchen wird. Insbesondere seine Beziehung zu seiner Verlobten, sowie der regelmäßige Kontakt zu seinem Kind wurde in beiden mündlichen Verhandlungen ausführlich erläutert und deckt sich mit den Aussagen der Verlobten. (OZ 9, S 4f, 7f; OZ 10, S 14ff; OZ 11, S 2f; OZ 14, S 3ff; OZ 15, S 5f).

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister. Die Angaben zum Bezug von Leistungen des AMS ergeben sich aus seinen dahingehenden Angaben (OZ 15, S 5).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zum Vorliegen der Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005:

Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 wurde vom BF nicht behauptet und ergeben sich aus dem Verwaltungs- bzw Gerichtsakt keinerlei Hinweise, die nahe legen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.

Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides diesbezüglich gemäß § 28 Abs 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Rückkehrentscheidung:

3.2.1. Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG 2005) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

3.2.2. Angewendet auf den gegenständlichen Fall bedeutet das:

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist (VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249, mwN). Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. zuletzt VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325; auch VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249; 30.08.2011, 2008/21/0605; 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; 30.06.2016, Ra 2016/21/0165).

Der BF hält sich seit etwas mehr als 13 Jahren in Österreich auf (Antrag auf Asyl im Juli 2008), jedoch sind die Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe – wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24.03.2015, Ro 2014/21/0079, mwN, ausführte – grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes im Sinn des Art 28 Abs 3 lit a der Freizügigkeitsrichtlinie zu unterbrechen. Damit überschreitet der BF die zu beachtende Zehn-Jahres-Grenze nicht sehr deutlich.

Der Verwaltungsgerichtshof führte auch aus, dass das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes zunimmt. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422, mwN).

Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den konkreten Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegenüber einem Elternteil auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (vgl. VfGH 11.06.2018, E343/2018 ua; vom selben Tag, E435/2018; vgl. VwGH 07.03.2019, Ra 2018/21/0141; 26.06.2019, Ra 2019/21/0034, jeweils mwN). Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof betonen, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel mit einem Kleinkind kaum möglich ist und dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zukommt (VfGH 11.06.2018, E343/2018 ua; VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0128, mwN).

Im Sinne dieser Rechtsprechung ist es notwendig, sich mit dem Kindeswohl und mit den Auswirkungen der Trennung des BF von seiner im November 2019 geborenen Tochter auseinanderzusetzen. Als wichtiges Kriterium bei der Beurteilung des Kindeswohls ist gemäß § 138 Z 9 ABGB der „verlässliche Kontakte des Kindes zu beiden Elternteilen und wichtigen Bezugspersonen sowie sichere Bindungen des Kindes zu diesen Personen“ zu berücksichtigen.

Die Lebensgefährtin des BF und die gemeinsame Tochter sind als slowakische Staatsangehörige und Unionsbürgerinnen in Österreich aufenthaltsberechtigt (AS 703). Daher wäre es zum gegebenen Zeitpunkt für die Lebensgefährtin bzw. Mutter des gemeinsamen Kindes aufgrund ihrer Obsorge für die bald zweijährige Tochter nicht zumutbar, mit dem BF samt Kind nach Kenia zu ziehen. Eine gegen den BF ausgesprochene Rückkehrentscheidung würde dazu führen, dass seine Tochter vom Vater getrennt wäre und der „verlässliche Kontakt“ (§ 138 Z 9 ABGB) zu ihm nicht mehr fortgesetzt werden könnte.

Zudem ist bei einer Abschiebung des BF nach Kenia auch nicht von der Möglichkeit wechselseitiger, regelmäßiger und längerfristiger Besuche (VwGH 05.03.2020, Ra 2019/19/0524, wo eine Trennung von ihrer Tochter für eine aus der Ukraine stammende Beschwerdeführerin für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens aufgrund der Besuchsmöglichkeiten für verhältnismäßig erachtet worden war) auszugehen.

Allerdings können schwerwiegende kriminelle Handlungen – etwa nach dem SMG –, aus denen sich eine vom Fremden ausgehende Gefährdung ergibt, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auch dann tragen, wenn diese zu einer Trennung von Familienangehörigen führt (VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0034, mwN). Im vorliegenden Fall ist daher bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der BF mehrfach strafbare Handlungen gesetzt hat, die ein kriminelles, die Rechtsordnung Österreichs missachtendes Verhalten dokumentieren. So wurde er wegen eines Vergehens und eines Verbrechens nach dem SMG zu Freiheitsstrafen von insgesamt zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt, wobei das Datum der diesbezüglich letzten Tat im April 2013 liegt. Zusätzlich wurde er ebenfalls zwei Mal wegen Urkundendelikten zu je 100 Tagessätzen bzw je 50 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt, wobei die erste Tat im Jahr 2015 und die Zweite im Jahr 2020 stattgefunden hat.

Dem BF ist aber insoweit ein positiver Gesinnungswandel zu attestieren, dass er sich seit mittlerweile über achteinhalb Jahren erfolgreich vom Drogenhandel und seinem damaligen Freundeskreis abwandte (OZ 6, S 3) und sich seither keine weiteren Suchtmitteldelikte zu Schulden kommen hat lassen. Zwar dürfen die beiden Urkundendelikte keinesfalls außer Acht gelassen werden, jedoch war das Unrecht bei diesen Taten jedenfalls geringer zumal diese – trotz seiner Vorgeschichte – (nur) mit Geldstrafen endeten. In der Strafhaft bildete sich der BF beruflich fort, indem er ein Seminar zum Führen von Hubstaplern absolvierte (OZ 9, Beilagenkonvolut). Er eignete sich auch Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 an, wobei er in der mündlichen Verhandlung seine Deutschkenntnisse unter Beweis stellte und diese auf Deutsch geführt wurde (OZ 9, S 2). Ebenso konnte er den Eindruck vermitteln, nicht mehr straffällig zu werden und sich – sobald er über einen Aufenthaltstitel verfügt – um eine erlaubte Beschäftigung bemühen zu wollen, zumal er sich bereits bisher am Arbeitsmarkt bewährte und von April 2018 bis Mai 2019 durchgehend Vollzeit beschäftigt war (OZ 10, S 14ff).

Besonders hervorzuheben ist, dass er sich um die Beziehung zu seiner Verlobten und dem gemeinsamen Kind bemüht und seinen familiären Fürsorgepflichten bestmöglich nachzukommen versucht. Er äußerte in den mündlichen Verhandlungen glaubhaft, dass die bestehende Beziehung und seine Tochter für ihn das Wichtigste seien, er seine Fehler in der Vergangenheit bereue und sich für seine Familie täglich zu bessern versuche. Die Lebensgefährtin bestätigte in der mündlichen Verhandlung die Angaben des BF, dass er sich sehr gut um das gemeinsame Kind kümmere und sie regelmäßig gemeinsam Zeit verbringen. Sie wolle eine gemeinsame Zukunft mit dem BF, mit ihm zusammenleben und dass die gemeinsame Tochter mit ihrem Vater aufwachsen könne. Übereinstimmend erklärten der BF und seine Lebensgefährtin zudem, dass er auch Haushaltsaufgaben und die Kinderbetreuung wahrnimmt. Er hat eine enge Bindung zu seiner leiblichen Tochter und ist in die tägliche Betreuung und Erziehung bei den regelmäßigen Besuchen, welche zum Teil auch länger dauern, mit eingebunden. Hinzu kommt, dass die Lebensgefährtin und die Tochter des BF von diesem finanziell abhängig sind, da sie von ihm bestmöglich finanziell unterstützt werden. Er trägt im Rahmen seiner Möglichkeiten auch zum Einkommen der Familie bei, indem er dieser einen Teil seiner Sozialleistungen überlässt und so zu deren Lebensunterhalt beiträgt. Im Fall einer Abschiebung des BF wäre die Lebensgefährtin mit der Versorgung der zweijährigen Tochter auf sich alleine gestellt und würde nicht nur die monetäre Unterstützung des BF wegfallen, sondern auch seine Mitwirkung und Hilfe bei der Erziehung und Betreuung des Kindes.

Sein durchgehender Aufenthalt im Bundesgebiet (die Zeiten der Strafhaft bleiben unberücksichtigt) von nicht ganz elf Jahren würde für sich betrachtet – ebenso wenig wie seine während seines unsicheren Aufenthaltes begonnene Beziehung zu seiner Lebensgefährtin und seine Deutschkenntnisse – angesichts seines die österreichische Rechtsordnung missachtenden Fehlverhaltens keineswegs ausreichen, um von einer Rückkehrentscheidung Abstand nehmen zu können.

Aufgrund des Umstandes, dass es Anhaltspunkte für ein zukünftiges Wohlverhalten des BF gibt und seine Abschiebung nach Kenia seiner minderjährigen Tochter wohl die Möglichkeit nehmen würde, mit ihrem Vater weiter aufzuwachsen bzw. diesen richtig kennenzulernen, überwiegen unter Berücksichtigung des Kindeswohls dennoch gegenständlich die Interessen an einem weiteren Verbleib des BF im Bundesgebiet den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung. Sollte es in naher Zukunft zu einer weiteren strafrechtlichen Verurteilung (insbesondere nach dem SMG) kommen, könnte die Interessensabwägung wohl zu einem anderen Ergebnis führen.

Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen einer Interessensabwägung gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf Dauer unzulässig ist. Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das private Interesse an der – nicht nur vorübergehenden – Fortführung des Familien- und Privatlebens des BF in Österreich dennoch höher zu bewerten, als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt. Da die maßgeblichen Umstände ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind, ist die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären

3.3. Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels:

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass das Bundesverwaltungsgericht im Fall der Feststellung, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, im Spruch seines Erkenntnisses zum Ausdruck bringen müsse, dass es den Aufenthaltstitel selbst in konstitutiver Weise erteile (VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0203, mwN).

Gemäß § 58 Abs 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

§ 55 AsylG 2005 lautet:

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ müssen die Voraussetzungen nach Z 1 und Z 2 des § 55 Abs 1 AsylG 2005 kumulativ vorliegen und ist daher nicht nur zu prüfen, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels für den BF zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens im Sinn des Art 8 EMRK geboten ist, sondern auch, ob der BF das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 IntG unter anderem dann erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt (§ 9 Abs 4 Z 1 IntG).

Der BF bestand – nachgewiesen durch das „Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau A2“ des ÖSD vom 18.05.2021 – die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf dem Sprachniveau A2 und zu Werte- und Orientierungswissen. Gemäß den Übergangsbestimmungen des § 28 IntG ist das Zeugnis des ÖSD vom 18.05.2021 ebenso zum Nachweis der Erfüllung der Integrationsprüfung geeignet.

Damit erfüllt er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung, weshalb ihm gemäß § 55 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen war.

Das Bundesamt hat den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs 7 AsylG 2005 auszufolgen und der BF hat hierbei gemäß § 58 Abs 11 AsylG 2005 mitzuwirken.

Gemäß § 54 Abs 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten, beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Der Beschwerde war daher in Hinblick auf Spruchpunkt I. und den darauf aufbauenden Spruchpunkt II. (Frist für die freiwillige Ausreise) stattzugeben und diese zu beheben.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Kindeswohl Lebensgemeinschaft Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig strafrechtliche Verurteilung Zukunftsprognose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W252.1418528.2.00

Im RIS seit

12.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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