TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/15 W242 2164722-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.11.2021
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Entscheidungsdatum

15.11.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W242 2164722-2/2E

W242 2164724-2/3E

W242 2164726-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Heumayr als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX (BF1), geb. am XXXX , des mj. XXXX (BF2), geb. am XXXX sowie der mj. XXXX (BF3), geb. am XXXX , alle Staatsangehörigkeit Armenien, der BF2 und die BF3 gesetzlich vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin, alle vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU-GmbH), Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom XXXX , ZI. 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , zu Recht:

A)       Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer reisten 2015 illegal nach Österreich ein und stellten am XXXX 2015, die BF1 für den BF2 und die BF3 als gesetzliche Vertreterin, Anträge auf internationalen Schutz, welche am XXXX 2017 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abgewiesen wurden. Darüber hinaus wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass deren Abschiebung nach Armenien zulässig sei und schließlich die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidungen festgelegt.

Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das BVwG mit Erkenntnis vom XXXX 2020, GZ: 1.) XXXX , 2.) XXXX und 3.) XXXX als unbegründet ab.

Am XXXX 2020 stellten die Beschwerdeführer, die BF1 als gesetzliche Vertreterin für den BF2 und die BF3, unter anderem einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, welchen das BVwG mit Beschluss vom XXXX 2021, GZ: 1.) XXXX 2.) XXXX und 3.) XXXX , abwies.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2021, GZ: 1.) XXXX , 2.) XXXX und 3.) XXXX , wurde gegen die Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot, mit der Begründung, dass die Beschwerdeführer ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen seien, erlassen.

Am XXXX 2021 richtete der Mitgliedstaat Frankreich ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß der Dublin III-VO an Österreich, weil die Beschwerdeführer dort am XXXX 2021 jeweils einen Asylantrag gestellt haben. Mit Schreiben vom XXXX 2021 erfolgte eine Zustimmung zur Rückübernahme der Beschwerdeführer aus Frankreich.

Am XXXX 2021 stellten die Beschwerdeführer, die BF1 für die BF3 als gesetzliche Vertreterin, abermals einen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag). Die BF1 und der BF2 wurden am selben Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich befragt. Die BF1 gab neben ihren Fluchtgründen außerdem an, dass für die BF3 dieselben Fluchtgründe gelten, wie für die BF1. Die niederschriftliche Einvernahme der BF1 und des BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erfolgte am XXXX 2021.

Mit gegenständlichen Bescheid vom XXXX 2021 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Begründend führte die Behörde dazu im Wesentlich aus, dass keine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe. Daher stehe jeweils das in Rechtskraft erwachsene Erkenntnis vom XXXX 2020, ZI. 1.) XXXX , 2.) XXXX und 3.) XXXX , ihren neuerlichen Anträgen sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten entgegen, weswegen das Bundesamt zu seiner Zurückweisung verpflichtet sei.

Am XXXX 2021 wurde gegen den BF2 ein Straferkenntnis wegen der Verletzung fremdenpolizeilicher Bestimmungen erlassen.

Am XXXX 2021 erteilten die Beschwerdeführer der im Erkenntniskopf genannten GmbH Vollmacht.

Gegen die erlassenen Bescheide erhoben die Beschwerdeführer am XXXX 2021 fristgerecht Beschwerde.

Mit Schreiben vom XXXX 2021 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem BVwG die Beschwerde samt Verfahrensakt mit dem Antrag, das BVwG möge die Beschwerde als unbegründet abweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen.

Die Beschwerdeführer führen die im Erkenntniskopf genannten Namen und Geburtsdaten. Die Beschwerdeführer sind alle armenische Staatsangehörige. Die BF1 ist die Mutter des BF2 und der BF3. Die Beschwerdeführer halten sich seit ihrer Einreise im Jahr 2015, abgesehen von einem kurzen Aufenthalt in Frankreich, im Bundesgebiet auf. Die Identitäten der Beschwerdeführer stehen nicht fest.

Der BF2 und die BF3 traten in Österreich bis dato strafrechtlich nicht in Erscheinung. Die BF1 wurde am XXXX 2017 durch ein österreichisches Strafgericht zu einer Freiheitsstrafe, welche durch ein Rechtsmittelgericht in weiterer Folge angehoben wurde, verurteilt.

Die Beschwerdeführer haben in ihren gegenständlichen Folgeanträgen auf internationalen Schutz vom XXXX 2021 jeweils keine entscheidungsrelevanten neuen Fluchtgründe vorgebracht bzw. stellen die zur Begründung ihrer Folgeanträge behaupteten Bedrohungen auch keine neu entstandenen konkreten Tatsachen dar.

Asylrelevante Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. derartige Gründe, die eine Rückführung der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat unzulässig machen würden, liegen auch sonst nicht vor.

Abgesehen davon würden die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten und wäre ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage nicht entzogen. Eine maßgebliche Änderung der individuellen Lage der Beschwerdeführer oder der Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer ist diesbezüglich seit rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens über die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen nicht eingetreten.

Zur maßgeblichen Situation in Armenien:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom BVwG herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 06.10.2021 auszugsweise wiedergegeben:

„1. COVID-19

Letzte Änderung: 05.10.2021

Informationen zur COVID-19-Situation in Armenien werden hauptsächlich in diesem Kapitel ihren Eingang finden. Vereinzelte Informationen finden sich jedoch auch in den nachfolgenden Kapiteln.

Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Der Ausnahmezustand wurde seit März 2020 insgesamt fünf Mal verlängert und anschließend durch die Nationale Quarantäne ersetzt (vom 11. September 2020 bis 11. Juli 2021). Der Lockdown für armenische Unternehmen wurde bereits im Mai 2020 aufgehoben, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwehren. Kindergärten wurden im Mai 2020 und Schulen im September 2020 wieder geöffnet (WKO 14.7.2021).

Die Einreise nach Armenien ist mit einem im Ausland durchgeführten negativen PCR-Test erlaubt, der bei Einreise nicht älter als 72 Stunden sein darf. Das Ergebnis des ausländischen Tests muss auf Englisch, Russisch oder Armenisch vorliegen. Anstelle des PCR-Tests kann auch ein vollständiger Impfnachweis gegen COVID-19 vorgelegt werden, dessen zweite Impfung spätestens 14 Tage vor Einreise erfolgt ist. Für Kinder unter einem Jahr ist kein PCR-Test erforderlich. Ohne Nachweis eines solchen ausländischen Tests müssen sich Reisende einem kostenpflichtigen Test am Flughafen in Eriwan unterziehen und sich bis zur Vorlage eines negativen Testergebnisses in Selbstisolation begeben. Entsprechende Teststellen sind in der Ankunftshalle eingerichtet. Eine Einreise nach Armenien ohne Test ist nicht gestattet. Bei der Einreise müssen Reisende eine Erklärung zu ihrem Gesundheitsstatus vorlegen bzw. ausfüllen (AA 28.9.2021; vgl WKO 14.7.2021).

Die Ergebnisse dieser PCR-Tests werden im ARMED-System registriert und der getesteten Person innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung gestellt. Für Reisende, die im ARMED-System registriert sind, kann das Impfzertifikat über die App „ArmedeHealth“ bereitgestellt werden. Es gibt keine Einreiseerleichterungen Genesene. Erleichterungen gibt es für Geimpfte und Getestete (WKO 14.7.2021).

Die internationalen regulären Flugverbindungen nach/von Jerewan sind wieder möglich (WKO 14.7.2021; vgl AA 28.9.2021).

Am 19. März 2020 haben die armenischen Behörden ein vorübergehendes Ausfuhr-Verbot für bestimmte medizinische Waren erlassen, um die Versorgung des Landes sicherzustellen. Das betrifft solche Güter wie medizinische Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte, COVID-19-Test Kits, Atemschutzmasken, medizinische Masken, Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis und andere Artikel (WKO 14.7.2021).

Anfang Mai 2020 wurden die Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen innerhalb Armeniens aufgehoben. Home-Office-Empfehlung und die obligatorische Maskenpflicht wurden am 1. Juli 2021 aufgehoben. Wer möchte, kann natürlich auch weiterhin eine Maske tragen. Das Versammlungsverbot wurde aufgehoben. Erlaubt sind nun öffentliche und private Versammlungen bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern (WKO 14.7.2021).

Die Regierung hat verschiedene finanzielle Hilfspakete für sozial gefährdete Haushalte und Privatpersonen und wirtschaftlich betroffene KMUs, Freizeit- und Tourismusunternehmen, landwirtschaftliche Betriebe, etc. bereitgestellt. Dazu zählen zinsfreie Kredite und staatliche Garantien, Stundungen für Kreditrückzahlungen, Subventionen für Gas- und Stromkosten (WKO 14.7.2021).

Es bestehen aufgrund der Pandemie keine besonderen Beschränkungen innerhalb des Landes (AA 28.9.2021).

2. Politische Lage

Letzte Änderung: 05.10.2021

Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 findet in Armenien ein umfangreicher Reformprozess auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene hin zu einem demokratisch und marktwirtschaftlich strukturierten Staat statt. Die im Dezember 2015 per Referendum gebilligte Verfassungsreform zielte auf den Umbau von einer semi-präsidialen in eine parlamentarische Demokratie ab (USDOS 30.3.201; vgl. FH 3.3.2021, AA 20.6.2021). Die Änderungen betreffen u.a. eine Ausweitung des Grundrechtekatalogs sowie die weitere Stärkung des Parlaments (auch der Opposition). Das Amt des Staatspräsidenten wurde im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben reduziert, gleichzeitig die Rolle des Premierministers und des Parlaments gestärkt (AA 20.6.2021). Der Premierminister und der Präsident werden vom Parlament gewählt. Der Premierminister steht an der Spitze der Regierung, während der Präsident vorwiegend repräsentative Funktionen ausübt (USDOS 30.3.2021).

Die Nationalversammlung besteht aus mindestens 101 Mitgliedern, die für eine fünfjährige Amtszeit durch eine Kombination aus nationalem und bezirksbezogenem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert. Weitere Sitze können hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten (FH 3.3.2021).

Neue Rahmenbedingungen haben sich zunächst durch die friedlich verlaufende sog. „Samtene Revolution“ im April/Mai 2018 ergeben, die von einer autokratischen Regierung unter dem ehemaligen Staatspräsidenten Serzh Sargsyan zu einer demokratisch legitimierten Regierung unter Premierminister Nikol Pashinyan führte. Die Niederlage im Berg-Karabach-Krieg (27. September –9. November 2020) und eine für Armenien schmerzhafte Waffenstillstandsvereinbarung werden in weiten Teilen der armenischen Bevölkerung Pashinyan angelastet. Obwohl seine Popularität in der Bevölkerung stark abgenommen hat, konnte die Opposition im Lande ihre Forderung nach Rücktritt von PM Pashinyan zunächst nicht durchsetzen. Ende März 2021 hat PM Pashinyan dann aber doch vorgezogene Neuwahlen für den 20. Juni 2021 angekündigt und am 25. April seinen Rücktritt eingereicht, um Neuwahlen zu ermöglichen (AA 20.6.2021).

Die internationalen Beobachter der OSZE haben die vorgezogene Parlamentswahl in Armenien am 20.06.21 als demokratisch, fair und frei eingestuft. Den Wählern seien eine breite Palette von Möglichkeiten geboten, die freiheitlichen Grundrechte seien respektiert worden und die Kandidaten konnten einen freien Wahlkampf führen. Die Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan hatte die Parlamentswahl mit rund 54 Prozent der Stimmen gewonnen (BAMF 28.6.2021; vgl EurasiaNet 21.6.2021). Nach dem vorläufigen Wahlergebnis könnten daneben nur die Parteienbündnisse von Ex-Präsident Robert Kotscharjan mit rund 21 Prozent und des früheren Präsidenten Sersch Sargsjan und des ehemaligen Geheimdienstchefs Artur Wanezjan mit 5,2 Prozent der Stimmen in das Parlament einziehen (BAMF 28.6.2021).

Sechs Wochen nach der Parlamentswahl in Armenien ist Nikol Paschinjan am 02.08.21 für eine neue Amtszeit zum Ministerpräsidenten der Südkaukasus-Republik ernannt worden. Paschinjans Partei Bürgervertrag war bei der vorgezogenen Parlamentswahl am 20.06.21 auf knapp 54 Prozent der Stimmen gekommen BMAF 16.8.2021).

Die Republikanische Partei (HHK) und ihre Verbündeten nutzten in der Vergangenheit Stimmenkauf, Wählereinschüchterung und den Missbrauch von Verwaltungsressourcen, um den Volkswillen zu verzerren, aber das Parlament verabschiedete 2018 ein Gesetz, das verschiedene Handlungen im Zusammenhang mit dem Stimmenkauf unter Strafe stellte. Bei den vorgezogenen Wahlen und den Kommunalwahlen 2018 und 2019 gingen diese Praktiken zurück (FH 3.3.2021).

Armenien befindet sich nach den Massenprotesten gegen die Regierung und den Wahlen im Jahr 2018, die eine etablierte politische Elite vertrieben, inmitten eines bedeutenden Übergangs. Die neue Regierung hat versprochen, sich mit langjährigen Problemen wie systemischer Korruption, undurchsichtiger Politikgestaltung, einem fehlerhaften Wahlsystem und schwacher Rechtsstaatlichkeit zu befassen. Die Politik des Landes wurde ernsthaft destabilisiert und mehr als 2.400 Soldaten wurden 2020 getötet, als Kämpfe mit Aserbaidschan über die Kontrolle des Territoriums von Berg-Karabach ausbrachen (FH 3.3.2021).

Seit Paschinjans Machtübernahme hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert und dessen Regierung geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an, auch wenn immer noch Defizite bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze bestehen (AA 20.6.2021).

3. Sicherheitslage

Letzte Änderung: 06.10.2021

Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es, unter Vermittlung Russlands, einen Waffenstillstand zu erreichen. Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-Punkte-Erklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Friedensmission etabliert, die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten. Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in der Region hin. Demzufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).

In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Russlands Präsident Wladimir Putin, sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew und der armenische Regierungschef Nikol Paschinian auf eine neue Grenzziehung und die Stationierung eines russischen Militärkontingents zur Sicherung des neuen Status quo im Konflikt um Berg-Karabach geeinigt. Aserbaidschan übernimmt rund die Hälfte des abtrünnigen Gebiets, darunter die zweitgrößte Stadt Schuscha, die strategisch von immenser Bedeutung ist (DerStandard 10.11.2020).

Unter Vermittlung von Russlands Präsident Wladimir Putin haben die verfeindeten Nachbarn Aserbaidschan und Armenien bei einem ersten gemeinsamen Treffen in Moskau am 11.01.21 neue Schritte für einen Wiederaufbau der umkämpften Südkaukasusregion Berg-Karabach vereinbart. Rund zwei Monate nach dem Ende der Kampfhandlungen um Berg-Karabach betonten die drei Spitzenpolitiker im Kreml, dass das Waffenstillstandsabkommen weitgehend eingehalten werde. Es seien aber noch nicht alle Punkte umgesetzt, so Paschinian. Zugleich betonte er, dass der Konflikt um Berg-Karabach nicht endgültig beigelegt sei. Insbesondere sei der politische Status ungeklärt. Die nun getroffenen Vereinbarungen für eine Entwicklung der Wirtschaft und Infrastruktur Berg-Karabachs sollen zu noch verlässlicheren Sicherheitsgarantien für beide Seiten führen. Die Vize-Regierungschefs von Aserbaidschan und Armenien sowie Russlands würden nun eine Arbeitsgruppe bilden, um konkrete Projekte bei der Wiederherstellung der Wirtschafts- und Verkehrsverbindungen umzusetzen (BAMF 18.1.2021).

Die militärische Niederlage löste eine scharfe politische Krise in Armenien aus, in der die Opposition gegen Premierminister Nikol Pashinian seinen Rücktritt forderte (HRW 13.1.2021; vgl. DerStandard 10.11.2020). Tausende Menschen demonstrierten in Jerewan gegen die Waffenruhe. Sie beschimpften Paschinian als „Verräter“ und forderten seinen Rücktritt. Hunderte der Demonstranten stürmten den Regierungssitz und das Parlamentsgebäude (Krone 10.11.2020). Die Polizei ging mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Es gab dutzende Festnahmen. Unter den Festgenommenen waren auch mehrere Parlamentsabgeordnete (DerStandard 11.11.2020; vgl. ZeitOnline 11.11.2020).

Bei Zusammenstößen mit aserbaidschanischen Streitkräften sind drei armenische Soldaten an der Grenze zwischen den beiden Ländern getötet worden. Wie das armenische Verteidigungsministerium am Mittwoch mitteilte, habe Jerewan nach einem aserbaidschanischen "Angriff" eine "bewaffnete Aktion" eingeleitet. Zwei weitere Menschen wurden demnach bei den Zusammenstößen im nordöstlichen Grenzgebiet verletzt. Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Verantwortung für die Eskalation (DerStandard 28.7.2021).

4. Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 06.10.2021

Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter ist in Art. 162 und 164 der Verfassung verankert. Die Verfassung von 2015 hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Das Vertrauen in das Justizsystem ist allerdings weiterhin schwach, da die Mehrzahl der Richter ihre Ämter unter der Vorgängerregierung erlangt hat. Die im Oktober 2019 verabschiedete Reform zur Justizstrategie zielt auf einen personellen Wechsel im Justizapparat ab. Verfahrensgrundrechte, wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es in den letzten Jahren bereits Fortschritte, die Zahl der Pflichtverteidiger wurde erhöht und kostenlose Rechtshilfe kommt einer breiteren Bevölkerung zugute. Die Einflussnahme durch Machthaber auf laufende Verfahren war in der Vergangenheit in politisch heiklen Fällen verbreitet. Die derzeitige Regierung unter Premierminister Paschinjan hat sich von solchen Praktiken distanziert (AA 20.6.2021; vgl. USDOS 30.3.2021).

Das zivil- und strafrechtliche Gerichtssystem besteht aus drei Instanzen; daneben existieren eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Verfassungsgericht. Die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis hat sich seit Mitte 2018 verbessert. Die Regierung treibt eine Justizreform mit dem Ziel größerer Effizienz der Justiz voran, die allerdings seit 2020 ins Stocken geraten ist (AA 20.6.2021).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sehen das Recht jeder Person vor, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme oder Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Nach Angaben von Rechtsexperten hatten Verdächtige keine praktischen Möglichkeiten, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme anzufechten (USDOS 30.3.2021).

Nach dem Gesetz muss eine Ermittlungsbehörde Personen innerhalb von drei Stunden nach der Ingewahrsamnahme entweder festnehmen oder freilassen. Innerhalb von 72 Stunden muss die Ermittlungsbehörde die festgenommene Person freilassen oder Anklage erheben und einen Haftbefehl von einem Richter einholen. Das Gesetz schreibt vor, dass die Polizei die Festgenommenen über die Gründe für ihre Festnahme oder Inhaftierung sowie über ihre Rechte zu schweigen, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen und ein Telefonat zu führen, informieren muss. Nach Angaben von Menschenrechtsbeobachtern waren sich nur wenige Inhaftierte ihres Rechts auf rechtliche Vertretung bewusst. Beobachter wiesen darauf hin, dass die Polizei es manchmal vermied, Personen ihr Recht auf ein ordentliches Verfahren zu gewähren, indem sie sie unter dem Vorwand, sie seien keine Verdächtigen, sondern wichtige Zeugen, vorlud und festhielt, anstatt sie formell zu verhaften. Auf diese Weise war die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne ihnen einen Verteidiger zur Seite zu stellen (USDOS 30.3.2021).

Langwierige Untersuchungshaft blieb ein Problem (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Einige Beobachter sahen in der exzessiven Untersuchungshaft ein Mittel der Ermittler, um Angeklagte zu Geständnissen oder zur Offenlegung von selbstbelastenden Beweisen zu bewegen. Obwohl das Gesetz von den Staatsanwälten verlangt, alle zwei Monate eine gut begründete Begründung für die Verlängerung der Untersuchungshaft vorzulegen, verlängerten Richter routinemäßig die Haft aus unklaren Gründen. Die Behörden hielten sich in der Regel an die Sechs-Monats-Grenze in gewöhnlichen Fällen und eine 12-Monats-Grenze für schwere Verbrechen als Gesamtdauer der Untersuchungshaft. (USDOS 30.3.2021).

Die Gerichte sind einer systemischen politischen Einflussnahme ausgesetzt, und die gerichtlichen Institutionen werden durch Korruption unterminiert. Richter fühlen sich Berichten zufolge unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig. Die Behörden wenden das Gesetz selektiv an, und ein ordnungsgemäßes Verfahren ist weder in Zivil- noch in Strafsachen garantiert (FH 3.3.2021).

Das Gesetz sieht vor, dass Angeklagte Zeugen konfrontieren, Beweise vorlegen und den Behördenakt im Vorfeld eines Prozesses einsehen können, aber Angeklagte und ihre Anwälte hatten nur sehr wenige Möglichkeiten, Behördenzeugen oder die Polizei anzufechten, während die Gerichte dazu neigten, das Beweismaterial der Staatsanwaltschaft routinemäßig zu akzeptieren. Insbesondere verbietet das Gesetz Polizeibeamten, in ihrer offiziellen Funktion auszusagen, es sei denn, sie waren Zeugen oder Opfer in einem Fall. Angeklagte, Staatsanwälte und Geschädigte haben das Recht, gegen ein Gerichtsurteil Berufung einzulegen. Die Organe der Strafjustiz verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die bei Vernehmungen erlangt wurden, um Verurteilungen zu erreichen (USDOS 30.3.2021).

Obwohl die Bürger Zugang zu Gerichten hatten, um Schadensersatz für angebliche Menschenrechtsverletzungen einzuklagen, wurden die Gerichte weithin als korrupt wahrgenommen. Die Bürger hatten auch die Möglichkeit, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Rechtsakten, die ihre Grundrechte und -freiheiten verletzten, vor dem Verfassungsgericht anzufechten. Bürger, die den innerstaatlichen Rechtsweg ausgeschöpft haben, können bei angeblichen Verstößen der Regierung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention den EGMR anrufen. Die Regierung hielt sich im Allgemeinen an die vom EGMR ausgesprochenen Entschädigungszahlungen (USDOS 30.3.2021).

5. Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 06.10.2021

Die nationale Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst für die nationale Sicherheit, nachrichtendienstliche Aktivitäten und den Grenzschutz verantwortlich ist. Der Special Investigative Service (SIS) ist eine separate Behörde, die sich auf die Voruntersuchung von Fällen spezialisiert hat, in denen es um mutmaßliche Missbräuche von Amtsträgern geht. Das Untersuchungskomitee ist für die Durchführung von Voruntersuchungen in allgemeinen zivilen und militärischen Strafsachen zuständig und umfasst die Ermittlungsdienste. Der Nationale Sicherheitsdienst und die Polizeichefs sind direkt dem Premierminister unterstellt und werden vom Präsidenten auf Vorschlag des Premierministers ernannt. Das Kabinett ernennt die Leiter des Sonderermittlungsdienstes und des Ermittlungsausschusses auf Empfehlung des Premierministers. Die zivilen Behörden hatten eine effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 30.3.2021, vgl. AA 27.4.2020).

Ein eigenes Innenministerium gibt es nicht. Die Beamten des NSD (Nationaler Sicherheitsdienst) dürfen auch Verhaftungen durchführen. Hin und wieder treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 20.6.2021).

Im April verabschiedete die Regierung eine Strategie und einen Aktionsplan zur Polizeireform für 2020-2022. Der Plan beinhaltet die Wiedereinführung eines Innenministeriums und die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle über die Polizei. Die Reformen sehen auch die Schaffung einer neuen Patrouillenpolizei und die Gewährung von Ermittlungsbefugnissen für die Polizei vor (HRW 13.1.2021).

Es gab Berichte über Misshandlungen in Polizeistationen, die im Gegensatz zu Gefängnissen und polizeilichen Gewahrsamseinrichtungen keiner öffentlichen Überwachung unterlagen. Die Organe der Strafjustiz verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die bei Vernehmungen erlangt wurden, um Verurteilungen zu erreichen. Nach Angaben von Menschenrechtsanwälten waren die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie die Unzulässigkeit von durch Gewalt oder Verfahrensverstöße erlangten Beweisen, unzureichend. Laut Menschenrechtsanwälten war die Videoaufzeichnung in den Polizeistationen kein wirksamer Schutz gegen Missbrauch, da dieselben Polizeistationen die Kontrolle über die Server hatten, auf denen die Aufnahmen gespeichert waren, und diese manipulieren konnten. Die Polizei vermeidet es oft, betroffene Personen über ihre Rechte aufzuklären. Statt Personen formell zu verhaften, werden diese vorgeladen und unter dem Vorwand festgehalten, eher wichtige Zeugen denn Verdächtige zu sein. Hierdurch ist die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne das das Recht auf einen Anwalt eingeräumt wird (USDOS 11.3.2020).

6. Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 06.10.2021

Die Verfassung und das Gesetz verbieten solche Praktiken. Dennoch gab es Berichte, dass Mitglieder der Sicherheitskräfte weiterhin Personen in ihrem Gewahrsam folterten oder anderweitig misshandelten. Nach Angaben von Menschenrechtsanwälten definiert und kriminalisiert das Strafgesetzbuch zwar Folter, nicht aber andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung (USDOS 30.3.2021). Menschenrechtsorganisationen haben bis zur „Samtenen Revolution“ immer wieder glaubwürdig von Fällen berichtet, in denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gekommen sein soll. Auch nach der „Samtenen Revolution“ sollen körperliche Misshandlungen vereinzelt vorkommen. Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 20.6.2021). Laut Menschenrechtsaktivisten trug die Straffreiheit für frühere Fälle von Missbrauch durch die Strafverfolgungsbehörden weiterhin zum Fortbestehen des Problems bei (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 20.6.2021).

Es gab Berichte über Misshandlungen in Polizeistationen, die im Gegensatz zu Gefängnissen und polizeilichen Gewahrsamseinrichtungen keiner öffentlichen Überwachung unterlagen. Die Organe der Strafjustiz verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die bei Vernehmungen erlangt wurden, um Verurteilungen zu erreichen. Nach Angaben von Menschenrechtsanwälten waren die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie die Unzulässigkeit von durch Gewalt oder Verfahrensverstöße erlangten Beweisen, unzureichend (USDOS 30.3.2021). In einem Antwortschreiben an das Helsinki Komitee Armeniens bezifferte der Special Investigation Service (SIS) die Anzahl der strafrechtlichen Untersuchungen bezüglich des Vorwurfes von Folter im Zeitraum zwischen dem 1.1. und dem 23.12.2019 auf 4 (HCA 25.2.2020).

7. NGOs und Menschrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 06.10.2021

Es gab keine starke Unterstützung der Regierung für die Rolle von Menschenrechtsverteidigern und der Zivilgesellschaft im weiteren Sinne, aber es gab gelegentliche Bemühungen der Regierung, sich gegen Angriffe auf die Zivilgesellschaft zu wehren. Im Dezember stellte der Ombudsmann die Zunahme von "Beleidigungen" gegen die Zivilgesellschaft insgesamt fest und forderte die Regierung auf, sie zu schützen. Aktivisten und NGOs, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzten, waren häufig Ziel von Hassreden (USDOS 30.3.2021).

Die Tätigkeit von Menschenrechtsorganisationen ist nach der „Samtenen Revolution“ 2018 wirksamer geworden. Die Regierung Pashinyan bezieht die NROs in die Entscheidungsprozesse mit ein, auch wenn sich einige NROs, z. B. im Umweltbereich, eine noch stärkere Wahrnehmung wünschen. Angehörige von NROs wurden bei den Wahlen im Dezember 2018 erstmals in größerer Zahl zu Abgeordneten gewählt (AA 20.6.2021).

Die Zivilgesellschaft ist in Armenien aktiv und weitgehend in der Lage, frei zu agieren. Das Gesetz über öffentliche Unternehmen und das Stiftungsrecht wurden kürzlich mit einer Reihe positiver Änderungen verabschiedet, darunter die Möglichkeit, direkt einkommensschaffende oder unternehmerische Aktivitäten durchzuführen; weiters die Möglichkeit von Freiwilligenarbeit sowie die Möglichkeit für Umweltorganisationen, die Interessen ihrer Mitglieder in Umweltfragen vor Gerichten zu vertreten. Es gibt jedoch noch eine Reihe von Herausforderungen. Zum Beispiel die gesetzlichen Bestimmungen in Bezug auf Steuerverpflichtungen im Zusammenhang mit der Erzielung von Einnahmen, das Fehlen klarer Regeln für den Zugang zu öffentlichen Mitteln sowie klarer Regelung für die Verwendung privater Daten. Einschränkungen gibt es für zivilgesellschaftliche Organisationen, die mit sensiblen Themen wie den Rechten von Minderheiten und einigen Gender-spezifischen Fragen arbeiten (OHCHR 16.11.2018). Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fehlen lokale Mittel und sind weitgehend auf ausländische Geber angewiesen (FH 4.3.2020).

Trotz der Einschränkungen war die Zivilgesellschaft bei den Protesten im Jahr 2018 aktiv und wurde im Jahr 2019 aktive Teilnehmerin an den von der Regierung geführten Reformbemühungen, insbesondere im Bereich der Wahlreform. Armenische NGOs machen seither bedeutende Fortschritte bei der Stärkung ihrer organisatorischen Kapazitäten und operieren mit weniger Einmischung der Behörden (FH 4.3.2020).

8. Wehrdienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung: 06.10.2021

Männer armenischer Staatsangehörigkeit unterliegen vom 18. bis zum 27. Lebensjahr der allgemeinen Wehrpflicht (24 Monate). Auf Antrag besteht die Möglichkeit der Befreiung oder Zurückstellung vom Wehrdienst sowie der Ableistung eines militärischen oder zivilen Ersatzdienstes. Bei der Zurückstellung vom Militärdienst aus sozialen Gründen (z.B. pflegebedürftige Eltern, zwei oder mehr Kinder) muss bei Wegfall der Gründe der Betreffende bis zum 27. Lebensjahr noch einrücken. Wenn die Gründe nach dem 27. Lebensjahr noch bestehen, ist eine Einrückung in Friedenszeiten nicht mehr vorgesehen. Derjenige muss sich allerdings als Reservist zur Verfügung stellen. Eine Zurückstellung aus Gesundheitsgründen ist ebenfalls möglich (AA 20.6.2021).

Armenische Rekruten werden auch an der Waffenstillstandslinie um Bergkarabach eingesetzt. Nach dem verlorenen Krieg von 2020 werden sie auch an der Grenze zu Aserbaidschan eingesetzt. Männliche Armenier ab 16 Jahren sind zur Wehrregistrierung verpflichtet. Sofern sie sich im Ausland aufhalten und sich nicht vor dem Erreichen des 16. Lebensjahres aus Armenien abgemeldet haben, müssen sie zur Musterung nach Armenien zurückkehren; andernfalls darf ihnen kein Reisepass ausgestellt werden. Nach der Musterung kann die Rückkehr ins Ausland erfolgen (AA 20.6.2021).

Mit der Ende 2017 erfolgten Novellierung des Wehrpflichtgesetzes bietet das armenische Verteidigungsministerium im Rahmen des Konzepts „Armee-Nation“ zwei neue Optionen für den Wehrdienst. Das Programm „Jawohl“ ermöglicht den Rekruten einen flexiblen Wehrdienst von insgesamt drei Jahren mit mehrmonatigen Unterbrechungen. Man wird u.a. auch an der Frontlinie eingesetzt. Im Anschluss erhalten die Rekruten ca. 9.000 Euro für eine Existenzgründung sowie einen Wohnungskredit. Diese Regelung ist seit Dezember 2017 in Kraft. Das Programm „Es ist mir eine Ehre“ erlaubt Hochschulstudenten das Studium abzuschließen und erst dann als Offizier ihren Wehrdienst abzuleisten. Im Laufe des Studiums werden für diese Studenten Pflichtveranstaltungen im Militärinstitut organisiert. Diese Regelung trat im Mai 2018 in Kraft (AA 20.6.2021).

Laut Auskunft eines lokalen Anwaltes verleiht ein Aufenthaltsstatus im Ausland der betroffenen Person keine Privilegien in Bezug auf die Befreiung vom Militärdienst (VP 6.2.2020).

Es besteht ein komplexes System von gesetzlichen Garantien und Schutzmechanismen sowie interne wie externe Mechanismen, damit die Rechte des Personals, inklusive der Rekruten, in den Streitkräften geschützt werden. Auch bestehen externe und alternative Mechanismen zum Schutz der Rechte des Militärpersonals, so etwa der Rechtsschutz oder Beschwerden, die sowohl an den armenischen Ombudsmann als auch den „Public Council“ des Verteidigungsministeriums gerichtet werden können, welcher aus Vertretern von lokalen NGOs besteht, und sich mit Beschwerden zu Menschenrechtsverletzungen, speziell während der Einberufung, auseinandersetzt (OSCE 13.4.2018).

Es gab keine Berichte über das Ausmaß der militärischen Schikanen in der Armee und darüber, ob es sich dabei um Folter handelt. Laut der NGO Peace Dialogue ermöglichte die fehlende gesetzliche Klarheit bezüglich der Funktionen und Befugnisse der Militärpolizei sowie das Fehlen ziviler Aufsichtsmechanismen der Militärpolizei, Folter und andere Formen der Misshandlung sowohl gegen Zeugen als auch gegen Verdächtige in Strafverfahren anzuwenden (USDOS 30.3.2021).

Misshandlungen unter Soldaten oder durch Vorgesetzte kommen weiterhin vor (AA 20.6.2021).

8.1. Wehrersatzdienst, Wehrdienstverweigerung / Desertion

Letzte Änderung: 06.10.2021

Auf Antrag besteht die Möglichkeit der Befreiung oder Zurückstellung vom Wehrdienst sowie der Ableistung eines militärischen oder zivilen Ersatzdienstes. Wehrpflichtige, die sich ihrer Wehrpflicht entzogen haben, werden strafrechtlich belangt. Nach der Vollendung des 27. Lebensjahres wurde früher ein faktischer Freikauf vom Wehrdienst über eine Ersatzzahlung durch das sogenannte „Freikaufsgesetz“ der Republik Armenien vom 17.12.2003 ermöglicht. Dieses Gesetz trat am 31.12.2019 außer Kraft (AA 20.6.2021).

Es gibt einen Ersatzdienst, der sich in einen innerhalb der Streitkräfte zu leistenden alternativen Wehrdienst und einen außerhalb der Streitkräfte zu leistenden alternativen Arbeitsdienst gliedert. Man ist berechtigt, einen alternativen Dienst zu leisten, wenn die Leistung des obligatorischen Militärdienstes in militärischen Einheiten sowie das Tragen, Halten, Aufbewahrung und die Benutzung von Waffen der Konfession oder den religiösen Überzeugungen des Wehrdienstpflichtigen widersprechen. Der alternative Wehrdienst dauert 30 Monate, der alternative Arbeitsdienst 36 Monate. Die Anzahl derjenigen, die den Ersatzdienst beantragen, ist sehr gering (AA 20.6.2021; vgl. USDOS 12.5.2021).

Das armenische Parlament beschloss am 28. Oktober 2020 eine drastische Erhöhung der Haftstrafen bei Militärdienstentziehung oder Desertion im Kriegsfall. Bei Nichtbefolgung der Einberufung oder Mobilisierung in Kriegszeiten ist nun eine Haftstrafe von sechs bis zwölf Jahren möglich. Zuvor war diese Straftat mit vier bis acht Jahren Haft bewehrt. Militärdienstentziehung unter Kriegsrecht oder Nichtzahlung der Steuer während eines Krieges kann mit einer Haftstrafe von eins bis fünf Jahren verfolgt werden. Zuvor waren es bis zu vier Jahre. Desertion unter Kriegsrecht oder aus dem Kampfgebiet soll nun mit acht bis 15 Jahren Haft verfolgt werden, statt sechs bis zwölf Jahren (Connection e.V. 1.11.2020).

Zu Fällen von Misshandlung von Ersatzdienstleistenden durch Vorgesetzte liegen keine Erkenntnisse vor (AA 20.6.2021).

Offen homosexuelle Männer fürchten um ihre körperliche Sicherheit beim Militär und einige versuchen, sich von der Wehrpflicht befreien zu lassen (HRW 13.1.2021).

9. Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 06.10.2021

Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte können im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und –freiheiten unantastbar. Extralegale Tötungen, Fälle von Verschwindenlassen, unmenschliche, erniedrigende oder extrem unverhältnismäßige Strafen, übermäßig lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil bzw. Verurteilungen wegen konstruierter oder vorgeschobener Straftaten sind nicht bekannt (AA 20.6.2021; vgl. USDOS 30.3.2021).

Die Regierung Pashinyan geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an. Die Menschenrechtslage hat sich insgesamt verbessert. Mängel bestehen jedoch nach wie vor bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze. Vor allem im Kampf gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität und beim Aufbrechen der alten verkrusteten Strukturen hat Premierminister Pashinyan sichtbare Erfolge erzielt (AA 20.6.2021).

Zu den bedeutenden Menschenrechtsproblemen gehörten: Folter, willkürliche Inhaftierung, wenn auch mit weniger Berichten als 2019, harte und potenziell lebensbedrohliche Haftbedingungen, ernsthafte Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre, Menschenhandel, Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen Personen der Zivilgesellschaft und sexueller Minderheiten sowie Kinderarbeit. Die Regierung unternahm Schritte zur Untersuchung und Bestrafung mutmaßlicher Verstöße durch ehemalige und aktuelle Regierungsbeamte und Strafverfolgungsbehörden (USDOS 30.3.2021).

Die Verfassung verbieten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion, der politischen Meinung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögensstatus, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder anderer persönlicher oder sozialer Umstände. Andere Gesetze und Vorschriften verbieten ausdrücklich die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf aufgrund des Geschlechts. Die Regierung setzte die geltenden Gesetze nicht effektiv durch, und es gab keine wirksamen rechtlichen Mechanismen zur Umsetzung der geltenden Vorschriften (USDOS 30.3.2021).

Laut Menschenrechtsaktivisten trug die Straflosigkeit für frühere Fälle von Missbrauch durch die Strafverfolgungsbehörden weiterhin zum Fortbestehen des Problems bei. Darüber hinaus behaupteten Beobachter, dass das Versäumnis, vergangene Fälle strafrechtlich zu verfolgen, mit der mangelnden Veränderung in der Zusammensetzung der Strafverfolgungsbehörden seit dem politischen Übergang 2018 zusammenhängt (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung Armeniens erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt aber erhebliche Anstrengungen, um dies zu erreichen. Sie nahm Gesetzesänderungen und Verordnungen zur Stärkung der Gesundheits- und Arbeitsaufsichtsbehörde vor und führte Schulungen für Strafverfolgungsbeamte durch. Die Behörden erhöhten die Zahl der Ermittlungen und Strafverfolgungen, und die Kommission zur Identifizierung von Opfern funktionierte weiterhin gut. Die Regierung hat seit 2014 keine Verurteilung wegen Zwangsarbeit mehr erhalten. Es fehlt an proaktiven Identifizierungsbemühungen, wie z.B. Standardindikatoren zur Überprüfung gefährdeter Bevölkerungsgruppen. Die Opfer von Menschenhandel sahen sich, wie die Opfer anderer Verbrechen, mit einem eingeschränkten Zugang zur Justiz konfrontiert, u.a. aufgrund fehlender opferorientierter Verfahren und formeller Maßnahmen zum Schutz der Opfer und Zeugen (USDOS 25.6.2020).

10. Meinungs- und Pressefreiheit

Letzte Änderung: 06.10.2021

Verfassung und Gesetz sehen Meinungsfreiheit vor, auch für die Presse; während die Regierung dieses Recht im Allgemeinen respektierte, schränkte sie es durch den COVID-19-bedingten Ausnahmezustand und die kriegsbedingte Ausrufung des Kriegsrechts ein (USDOS 30.3.2021; vgl. AI 7.4.2021). Einzelpersonen durften die Regierung kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen (USDOS 30.3.2021).

Die private Diskussion ist relativ frei und lebendig. Das Gesetz verbietet das Abhören oder andere elektronische Überwachungen ohne richterliche Genehmigung, obwohl es der Justiz an Unabhängigkeit mangelt und ihr vorgeworfen wurde, Strafverfolgungsbehörden, die um Zustimmung bitten, übermäßig zu bevorzugen (FH 3.3.2021).

Den Medien fehlte es im Allgemeinen an politischer Meinungsvielfalt und objektiver Berichterstattung. Privatpersonen oder Gruppen, von denen die meisten Berichten zufolge mit den früheren Behörden oder der größten parlamentarischen Oppositionspartei verbunden waren, besaßen die meisten Rundfunkmedien und Zeitungen, die tendenziell die politischen Neigungen und finanziellen Interessen ihrer Eigentümer widerspiegelten. Die Rundfunkmedien, insbesondere das öffentliche Fernsehen, blieben für die Mehrheit der Bevölkerung eine der wichtigsten Quellen für Nachrichten und Informationen. Das öffentliche Fernsehen war weitgehend ausgewogen und offen und zugänglich für oppositionelle Stimmen und berichtete weiterhin über vielfältigere Themen von öffentlichem Interesse als vor der Revolution 2018 (USDOS 30.3.2021).

JournalistInnen sind, außer in Fällen schwerer Straftaten, nicht verpflichtet, vertrauliche Quellen offen zu legen. Das Fernsehen ist nach wie vor das am weitesten verbreitete Informationsmedium. Zahlreiche TV-Medien werden von alten Einflussgruppen kontrolliert und versuchen gezielt, die öffentliche Meinung zu manipulieren bzw. Stimmung gegen die Regierung zu machen. Die Vergabe der (befristeten) Sendelizenzen ist weiterhin problematisch. Die Printmedien genießen große Unabhängigkeit, haben jedoch – insbesondere außerhalb der Hauptstadt – ein wesentlich kleineres Publikum als die elektronischen Medien. Internetseiten, sind frei zugänglich (AA 20.6.2021).

Das lokale NGO-Komitee zum Schutz der Meinungsfreiheit berichtete von zwei Fällen von Gewalt gegen Reporter in den ersten neun Monaten des Jahres. Es gab Fälle, in denen Beamte oder ehemalige Beamte die Arbeit von Journalisten behinderten oder dies versuchten. Es gab auch Berichte über die Einschüchterung von Journalisten durch Strafverfolgungsbehörden (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021).

Die Gewalt gegen Journalisten ist seit 2018 zurückgegangen, kommt aber immer noch vor (FH 3.3.2021). Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2020 befindet sich Armenien auf Platz 61 von 180 gelisteten Ländern (RSF 21.4.2020).

Unabhängige und investigative Medien arbeiten in Armenien relativ frei. Ihre Produkte sind in der Regel online zu finden. Kleine unabhängige Zeitungen und Zeitschriften lieferten eine solide Berichterstattung über die Proteste im Jahr 2018 und stellten die Erzählungen der staatlichen Sender und anderer etablierter Medien in Frage (FH 3.3.2021).

Im März 2020 nutzte die Regierung die COVID-19-Notstandsbefugnisse, um die Medien daran zu hindern, über Informationen aus inoffiziellen Quellen zu berichten, und mehrere Medien und Journalisten wurden in diesem Monat gezwungen, Artikel und Beiträge in sozialen Medien zu bearbeiten (FH 3.3.2021).

11. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Letzte Änderung: 06.10.2021

Die Verfassung und das Gesetz sehen die Freiheit der friedlichen Versammlung und der Vereinigung vor. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, schränkte aber die Versammlungsfreiheit unter dem mit COVID-19 verbundenen Ausnahmezustand und der konfliktbedingten Verhängung des Kriegsrechts ein (USDOS 30.3.2021; vgl. AI 7.4.2021, FH 3.3.2021). Die Verfassung (Art. 44) garantiert das Recht auf Organisation von und Teilnahme an „friedlichenund nicht bewaffneten“ Versammlungen. Das Versammlungsgesetz entspricht EU-und anderen internationalen Standards. Die Versammlungsfreiheit wird durch die Polizei respektiert. Die Massendemonstrationen im April/Mai 2018 (sog. „Samtene Revolutiuon“) verliefen friedlich. Beide Seiten –Demonstranten wie Sicherheitskräfte –zeigten große Zurückhaltung und Verantwortungsbewusstsein, damit die Lage nicht eskaliere. Nur in wenigen Fällen wurde der Polizei von den Demonstranten vorgeworfen, in unangemessener Weise gegen sie vorgegangen zu sein (AA 20.6.2021).

Vom 11. November bis zum Jahresende hielt die Opposition in ganz Eriwan Kundgebungen und andere Protestaktionen ab und forderte den Rücktritt von Premierminister Pashinyan. Vor der Aufhebung des Versammlungsverbots am 2. Dezember nahm die Polizei gelegentlich Oppositionsführer und Kundgebungsteilnehmer wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen des Kriegsrechts fest. Während einige behaupteten, die Verhaftungen seien politisch motiviert, wiesen Menschenrechtsorganisationen diese Behauptungen weitgehend zurück (USDOS 30.3.2021).

Der Schutz und die Zugänglichkeit des Rechts auf Versammlungsfreiheit haben sich durch die politischen Veränderungen der im April 2018 abgehaltenen Versammlungen erheblich verbessert (HCA 1.2019). Die 194 im Jahr 2019 durchgeführten Versammlungen in Jerewan waren ihrer Natur nach extrem divers, jedoch wurde die Versammlungsfreiheit durch Polizeiinterventionen öfters gestört (HCA 25.2.2020).

Versammlungen können ohne vorherige Genehmigung, aber nach Benachrichtigung der Behörden abgehalten werden. Darüber hinaus sieht dieses Gesetz vor, dass die Polizei unabhängig von der Art der Versammlung verpflichtet ist, für Sicherheit zu sorgen und Demonstrationen zu ermöglichen, solange sie friedlich sind. Einige problematische Gesetzesbestimmungen schränken die Versammlungsfreiheit jedoch ein. So erlaubt das Gesetz beispielsweise nicht, dass sich Menschen vor dem Eingang bestimmter öffentlicher Gebäude versammeln (OHCHR 16.11.2018).

Die Vereinigungsfreiheit hat Verfassungsrang. Die Gesetzgebung entspricht im Wesentlichen internationalen Standards, weist aber in der Umsetzung Defizite auf (AA 20.6.2021). Das Gesetz schützt das Recht der Arbeitnehmer, unabhängige Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten, zu streiken und Tarifverhandlungen zu führen. Dieser Schutz wird jedoch nicht gut durchgesetzt, und die Arbeitgeber sind in der Regel in der Lage, Gewerkschaftsaktivitäten in der Praxis zu blockieren (FH 3.3.2021).

Kleine politische Parteien waren besonders aktiv in ihrem öffentlichen Widerstand gegen das Waffenstillstandsabkommen vom November 2020, das den Konflikt in Berg-Karabach beendete. Ende Dezember 2020 wurden Änderungen des Parteiengesetzes im Parlament verabschiedet. Die Änderungen binden die öffentliche Finanzierung politischer Parteien an die weibliche und landesweite Repräsentation und begrenzen individuelle Spenden (FH 3.3.2021).

Das Gesetz schränkt weder die Registrierung noch die Tätigkeit von politischen Parteien ein (USDOS 30.3.2021).

Es gibt keine Berichte darüber, dass Personen, die im Ausland politisch aktiv waren, nach ihrer Rückkehr nach Armenien Repressionen erfahren hätten (AA 20.6.2021).

12. Haftbedingungen

Letzte Änderung: 06.10.2021

Die Haftbedingungen waren geprägt von schlechten sanitären Verhältnissen, unzureichender medizinischer Versorgung, Ausbeutung durch hierarchische kriminelle Strukturen und waren in einigen Fällen hart und potenziell lebensbedrohlich. Insbesondere traf dies bei Angehörigen sexueller Minderheiten zu. Überbelegung war grundsätzlich kein Problem mehr. In den meisten Gefängnissen fehlte es weiterhin an Unterbringungsmöglichkeiten für Insassen mit Behinderungen (USDOS 30.3.2021).

Laut dem Ombudsmann und der PMG (Prison Monitoring Group) waren die Straflosigkeit im Zusammenhang mit dem Tod von Insassen und das Fehlen eines systemischen Ansatzes zu deren Verhinderung weiterhin eines der größten Menschenrechtsprobleme im Gefängnis. Es gab keine Untersuchungen über die Umstände von Todesfällen aufgrund von Krankheiten. Das Büro des Ombudsmanns und die PMG wiesen weiterhin auf die Notwendigkeit einer besseren psychologischen Betreuung in den Gefängnissen hin (USDOS 30.3.2021).

Es existieren in Armenien 12 Haftanstalten, darunter ein Krankenhausgefängnis. Drei Haftanstalten befinden sich in Jerewan, die übrigen in den Provinzen. Die Haftanstalt Abovyan ist für die Unterbringung von Frauen und Jugendlichen vorgesehen. Der bauliche Zustand der Haftanstalten unterscheidet sich erheblich. Am besten sind die Haftbedingungen in der Anstalt Armavir. Häftlinge aus anderen Anstalten, insbesondere zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte, werden vermehrt nach Armavir verlegt. Die Zellen sind ausreichend groß und beleuchtet. Ausreichende Belüftung ist zum Teil, Heizung stets sichergestellt. Die hygienischen Verhältnisse sind insgesamt zufriedenstellend. Die Sicherstellung einer regelmäßigen Versorgung mit Nahrung ist aufgrund bestehender Regulierungen des staatlichen Beschaffungswesens zum Teil problematisch. Spezielle Angebote für Sport/Freizeitaktivitäten existieren in der Regel nicht. Fälle von willkürlicher Gewalt durch Gefängnispersonal stellen die Ausnahme dar. Allerdings ist der Schutz vor Gewalt von Insassen untereinander nicht immer gewährleistet. Probleme bereitet die gesundheitliche Versorgung. So gibt es zu wenig medizinisches Personal in den Krankenstationen. Ein Projekt des Europarats hat durch die Bereitstellung medizinischer Geräte sowie entsprechende Schulung des Gefängnispersonals zur deutlichen Verbesserung der Bedingungen in elf Gefängnissen geführt. Die Situation der Überbelegung hat sich, mit Ausnahme der Haftanstalt Nurbarashen, verbessert (AA 20.6.2021).

Die Regierung bekräftigte ihre Null-Toleranz-Politik gegenüber Korruption in den Gefängnissen und drückte ihre Entschlossenheit aus, die organisierte hierarchische kriminelle Struktur, die das Gefängnisleben beherrschte, aufzulösen, in der ausgewählte Insassen (sogenannte "Beobachter") an der Spitze der informellen Gefängnishierarchie die Insassenpopulation und das Gefängnisleben kontrollierten. Um der Korruption sowie dem Personalmangel in den Gefängnissen zu begegnen, erhöhte die Regierung im Januar die Gehälter der Strafvollzugsbeamten um 30 Prozent (USDOS 30.3.2021).

Die Behörden führten keine zeitnahen Untersuchungen zu glaubwürdigen Misshandlungsvorwürfen durch. Verurteilte und Inhaftierte hatten nicht immer angemessenen Zugang zu Besuchern, da es an geeigneten Räumlichkeiten für Besuche fehlte. Besuche waren im Laufe des Jahres auch wegen der COVID-19-Pandemie eingeschränkt. Die Regierung erlaubte in der Regel inländischen und internationalen Menschenrechtsgruppen, einschließlich des Komitees zur Verhütung von Folter des Europarats, die Bedingungen in Gefängnissen und Haftanstalten zu überwachen, und sie taten dies regelmäßig. Die Behörden erlaubten den Beobachtern, privat mit Gefangenen zu sprechen, und erlaubten dem IKRK, Gefängnisse und Untersuchungshaftanstalten zu besuchen (USDOS 30.3.2021).

Im Laufe des Jahres wurde das Pilotprogramm zur Gefängnisverpflegung, das zunächst in zwei Justizvollzugsanstalten gestartet wurde, auf alle 12 Justizvollzugsanstalten des Landes ausgeweitet. Nach Angaben der PMG verbesserte sich die Qualität der Verpflegung der Gefangenen. Beobachter berichteten über signifikante Verbesserungen während des Jahres bei der vorzeitigen Entlassung und Entlassung auf Bewährung von Gefangenen, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurden (USDOS 30.3.2021).

13. Todesstrafe

Letzte Änderung: 06.10.2021

Armenien hat im September 2003 die Todesstrafe abgeschafft; dies ist in Artikel 24 der Verfassung verankert (AA 20.6.2021 vgl. AI 21.4.2020, Standard 19.4.2003).

14. Relevante Bevölkerungsgruppen

14.1. Frauen

Letzte Änderung: 06.10.2021

Männer und Frauen sind rechtlich gleichgestellt, aber Diskriminierung aufgrund des Geschlechts war sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor ein anhaltendes Problem. Sozioökonomische Faktoren, die Verantwortung von Frauen im Haushalt sowie fehlende Möglichkeiten für Frauen, Führungsqualitäten zu erwerben, spielten eine Rolle bei der Begrenzung der politischen Beteiligung von Frauen, ebenso wie ihr fehlender Zugang zu den informellen, von Männern dominierten Kommunikationsnetzwerken, die die Grundlage der Politik des Landes bilden. Auch fehlten den Frauen die notwendigen Förderungen und Mittel, um eine politische Karriere aufzubauen (USDOS 30.3.2021).

Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Frauen und Angehörigen von Minderheitengruppen am politischen Prozess einschränken, aber der patriarchalische Charakter der Gesellschaft verhinderte eine umfassende Beteiligung von Frauen am politischen und wirtschaftlichen Leben und an Entscheidungspositionen im öffentlichen Sektor. Weibliche Parlamentarier und andere weibliche Funktionäre sahen sich oft eher geschlechtsbezogenen Beleidigungen als inhaltlicher Kritik ausgesetzt (USDOS 30.3.2021).

Frauen sind in der Politik und der Regierung nach wie vor unterrepräsentiert und die meisten Parteien tun wenig, um die Interessen von Frauen zu berücksichtigen, abgesehen von der Erfüllung der Geschlechterquote auf den Kandidatenlisten. Berichten zufolge werden Frauen in der Arbeitswelt und im Bildungswesen diskriminiert, obwohl sie gesetzlich geschützt sind (FH 3.3.2021).

Glaubhafte Berichte über Zwangsheiraten liegen nicht vor (AA 20.6.2021).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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