Entscheidungsdatum
15.11.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W170 2000764-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über den Antrag von 1. XXXX (geb. XXXX , XXXX , 1010 Wien wh.), 2. XXXX (geb. XXXX , XXXX , 1180 Wien wh.), 3. XXXX (geb. XXXX , XXXX , 1020 Wien) und 4. XXXX (geb. XXXX , XXXX , 1010 Wien wh.), alle vertreten durch HULE, BACHMAYR-HEYDA, NORDBERG Rechtsanwälte GmbH, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2018, Zl. W170 2000764-1/80E,
abgeschlossenen denkmalschutzrechtlichen Verfahrens hinsichtlich des Hauses in Wien 1., XXXX , Ger. Bez. Innere Stadt Wien, XXXX , GB 01004 Innere Stadt (Unterschutzstellung hinsichtlich der Außenerscheinung mit Dach und aller Keller auf sämtlichen Niveaus des Objekts) zu Recht:
A)
Der Antrag wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum bisherigen Verfahren:
Mit Bescheid des Bundesdenkmalamtes vom 12.07.2011, Zl. 43.529/5/2011, wurde hinsichtlich des Hauses in Wien 1., XXXX , Ger. Bez. Innere Stadt Wien, XXXX , GB 01004 Innere Stadt (in Folge: Objekt) festgestellt, dass die Erhaltung des Objekts im Umfang von dessen Außenerscheinung mit Dach und aller Keller auf sämtlichen Niveaus des Objekts gemäß §§ 1, 3 DMSG im öffentlichen Interesse gelegen sei.
Der Bescheid vom 12.07.2011 wurde dem Vertreter der damaligen alleinigen Eigentümerin XXXX am 14.07.2011 zugestellt.
Gegen diesen Bescheid wurde mit am 28.07.2011 bei der Behörde eingebrachtem Schriftsatz das (damalige) Rechtsmittel der Berufung eingebracht.
Im Berufungsverfahren fanden keine aktenkundigen Ermittlungen seitens der damals zuständigen jeweiligen Bundesministerin für Unterricht, Kultur und Kunst statt.
Das Beschwerdeverfahren nahm – nach Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht am 01.01.2014 – folgenden Gang:
? Aktenvorlage an das Bundesverwaltungsgericht mit undatiertem Schreiben des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur, eingelangt am 03.02.2014;
? Befassung des Denkmalbeirates mit dem Ersuchen um Nennung einer oder eines Sachverständigen mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.07.2015, Gz. W170 20000764-1/2Z samt Antwort vom 30.08.2015;
? Bestellung eines Sachverständigen durch das Bundesverwaltungsgericht am 07.10.2015 und Abbestellung am 01.06.2017;
? Mitteilung des ehemaligen Vertreters der XXXX vom 18.11.2016, dass diese im September 2016 verstorben sei;
? dem ehemaligen Vertreter der XXXX wurde vom Bundesverwaltungsgericht am 06.04.2017 telefonisch mitgeteilt, dass mit der Erledigung des Verfahrens bis zur Einantwortung der Verlassenschaft zugewartet werde, was von diesem begrüßt wurde;
? Beiziehung der im weiteren Verfahren verwendeten Gerichtssachverständigen am 10.10.2017;
? Übermittlung des Gutachtens der Gerichtssachverständigen an das Bundesverwaltungsgericht am 07.12.2017 sowie Parteiengehör an die Parteien (auch die Antragsteller) mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.12.2017, den Antragstellern jeweils am 15.12.2017 bzw. am 18.12.2017 zugestellt;
? zwei Fristersteckungsersuchen, denen das Bundesverwaltungsgericht nachkam;
? Durchführung der mündlichen Verhandlung am 24.05.2018 nach Ladung zu dieser mit Ladungen vom 06.04.2018, in der das Ermittlungsverfahren (mangels damals nicht bestehender gesetzlicher Möglichkeit) nicht geschlossen und den Parteien ausdrücklich mitgeteilt wurde, dass diese bis zur Erlassung des Erkenntnisses noch Beweise vorlegen könnten;
? Vorlage eines Gutachtens des Privatsachverständigen vom 06.06.2018 durch die Antragsteller mit Schriftsatz vom 08.06.2018;
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2018, Zl. W170 2000764-1/80E, wurde das (inzwischen zur Beschwerde mutierte) Rechtsmittel abgewiesen, dies im wesentlichen mit der Begründung, dass angesichts der langen und lückenlosen Besitzergeschichte des Gebäudes seit 1368, der Dokumentation des Wiederaufbaus der Wiener Innenstadt nach den Schäden des zweiten Weltkriegs, des mehrgeschoßigen mittelalterlichen Kellersystems sowie einer in einer Kartusche an einer Fassade vorhandenen Madonnenfigur (Relief) eine geschichtliche, künstlerische und kulturelle Bedeutung des Bauwerks gegeben sei und durch die Erhaltung des Objekts im beschriebenen Umfang der Einfluss des Apothekers August Moll auf die physische Konfiguration des Objekts im Rahmen des Umbaus eines mittelalterlichen Gewerbebürgerhauses mit barocker Fassade zu einem neuzeitlichen Apothekerhaus im Stil der Neorenaissance, der Typus eines mittelalterlichen Gewerbebürgerhauses samt einem gotischen Wohnturm, die Volumetrie samt Dachform und Dacherker eines im 17. Jahrhundert umgebauten mittelalterlichen Wohnhauses, die entsprechende Mauerwerks- und Steinbautechnik im Dachraum, der Wiederaufbau historischer Objekte nach den Schäden des zweiten Weltkriegs und die Veränderung eines Objekts in der Innenstadt von Wien im Laufe der Zeit dokumentiert werde; weiters dokumentiere das Haus auch die für die Innere Stadt Wien typische Anpassung an verschiedene Baustile, zuletzt an die Neorenaissance.
Das Erkenntnis wurde Rechtsanwalt Dr. Martin DRAHOS als damaligen Vertreter der nunmehrigen Beschwerdeführer XXXX (alle als Rechtsnachfolger der verstorbenen XXXX ), im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs am 19.06.2018 übermittelt.
Die dagegen erhobene Revision – in dieser brachten die nunmehrigen Revisionswerber vor, dass die Rechtsfrage zu lösen sei, ob und unter welchen Voraussetzungen einem Sachverständigengutachten „in jedem Fall“ auf gleicher fachlicher oder wissenschaftlicher Ebene entgegenzutreten sei und dass das Verwaltungsgericht das Vorbringen der Zweitrevisionswerberin und das von den Revisionswerbern vorgelegte Gutachten eines Sachverständigen zu berücksichtigen oder zumindest dahingehend zu prüfen gehabt hätte, ob dadurch eine Unschlüssigkeit des Gutachtens der vom Gericht beigezogenen Sachverständigen dargetan worden wäre – wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25.10.2018, Ra 2018/09/0117 bis 0120-3 zurückgewiesen; dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen der Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts das Gutachten eines Sachverständigen auf seine Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit hin zu prüfen und sich im Rahmen der Begründung des Erkenntnisses mit dem Gutachten auseinander zu setzen und es entsprechend zu würdigen habe, weiters die Parteien die Möglichkeit gehabt hätten, die Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten des Gutachtens der Gerichtssachverständigen im Rahmen des Verfahrens des Verwaltungsgerichts aufzuzeigen oder einem Gutachten (durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten, da das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren das gegen den Inhalt des Gutachtens und dessen Schlüssigkeit gerichtete Vorbringen in Anwesenheit der Sachverständigen in einer mündlichen Verhandlung erörtert und sich in seinem Erkenntnis im Einzelnen mit den erhobenen Einwänden befasst habe. Vor dem Hintergrund des Umfangs der Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Beweiswürdigung liege eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der in einem Einzelfall erfolgten Beweiswürdigung aber nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer grob fehlerhaften, unvertretbaren Weise vorgenommen habe, sodass dadurch die Rechtssicherheit beeinträchtigt sei, davon könne – so der Verwaltungsgerichtshof weiter – im vorliegenden Fall, auch im Hinblick auf die detaillierte Befassung mit den von den revisionswerbenden Parteien im Verfahren gegen das Gutachten der Gerichtssachverständigen erhobenen Einwänden durch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis jedoch nicht die Rede sein.
1.2. Zum nunmehrigen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2018, Zl. W170 2000764-1/80E, abgeschlossenen denkmalschutzrechtlichen Verfahrens:
Am 18.06.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht der verfahrensgegenständliche Antrag ein.
Im Wesentlichen wurde begründend ausgeführt, dass die Antragsteller am 08.06.2021 ein neues Gutachten des von den Antragstellern (schon im Unterschutzstellungsverfahren) beauftragten allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen XXXX (in Folge. Privatsachverständiger) erhalten hätten, dass die Unrichtigkeit des vom Bundesverwaltungsgericht verwendeten Amtssachverständigengutachten beweisen würde.
Das nunmehr vorgelegte Gutachten des Privatsachverständigen basiere auf neuen Beweismitteln, nämlich (laut dem Gutachten)
? Regulierungsplan für den I. Bezirk von E. Fassbender, 1893, gültig bis 1953;
? Vogelschauplan Matthias Merian d.Ä. 1649;
? Stadtplan von Suttinger, 1684;
? Vogelschauplan von Bernhard Georg Andermüller 1703 und Transformation 2018;
? Stadtplan von Steinhäuser 1710;
? Plan von Joseph Nagl 1770-1773;
? Kriegsschädenplan von Fred Hennings 1945;
? Entwurf zum Einreichplan für den Wiederaufbau 1949;
? Einreichplan zur Fassadesanierung 1997; Subventionsansuchen bei MA 7;
? Historische Ansichten, nämlich
o Rundblick von der Laterne der Peterskirche 1830;
o Rundblick vom Stephansturm 1860;
o Flugbild von Gabriele D’Annunzio 1918;
o Luftbild von 1938 und
o Luftbild von 1956;
? Historische Ansichten aus dem Historischen Wien-Museum; Stadtlandesarchiv, Österreichische Nationalbibliothek, nämlich
o HMW_079000_14268-001; Portal Apotheke zur XXXX , um 1900;
o CL2853A, Fred Hennings um 1940; Dach des ggst. Objekts;
o HMW_079000_07527-001; Fassade XXXX , um 1940 und
o ÖNB-Inv. 129.135B_1960584; Photo von Kriegszerstörung 18.11.1945;
? Wien 1945; „Ein Sammelwerk aus dem zerstörten Stadtbild Wiens mit 168 Original-Aufnahmen“ von Lotte Benz-Casson; Verlag Paul Kaltschmid Wien, 1946;
? Wiener Diözesanblatt vom 15.10.1945; Materialbedarf für den Wiederaufbau;
? Arch. Dipl.-Ing. Fritz Weber, März 1947, genehmigt vom Ministerium für Unterricht ZI. 4225-1/1-47; Baubehördliche Bestimmungen aus der Bauordnung für Wien (Gesetz vom 25. November 1929) einschließlich der vom Wiener Landtag am 20.11.1947 beschlossenen Sonderbestimmungen für den Wiederaufbau Wiens;
? Österreichische Zeitschrift für Denkmalpflege, ÖZD; I. Jahrgang 1947, Heft 1/3, „Städtebauliche Probleme des Wiederaufbaues von Wien – Denkmalpflegerische Betrachtungen“ von Dagobert Frey;
? Österreichische Zeitschrift für Denkmalpflege, ÖZD; II. Jahrgang 1948 Heft 3/4, „Städtebauliche Probleme des Wiederaufbaues von Wien – Denkmalpflegerische Betrachtungen Teil 2“ von Dagobert Frey;
? Österreichische Zeitschrift für Denkmalpflege, ÖZD, IV. Jahrgang 1950, Heft 3/4, „Die Zukunft der Wiener Altstadt“ von Gertrude Tripp;
? Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, ÖZKD; XVIII. Jahrgang 1964, Heft 3/4: „Planung Städtebau und Denkmalpflege; „Änderungen im Wiener Stadtbild“ von Walter Frodl;
? Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, ÖZKD; XXVII. Jahrgang 1973, Heft 3/4, „Die Virgil- und Maria-Magdalena-Kapelle auf dem Stephansplatz in Wien“ von Gertrud Mossler;
? Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege ÖZKD, LVIII. Jahrgang 2004; Heft 3/4 „Aus Trümmern wiedererstanden - Denkmalpflege 1945 - 1955“, „Feindbild Geschichte - Wiederaufbau in Westdeutschland zwischen Tabula Rasa und Rekonstruktion“ von Winfried Nerdinger, „Die Österreichische Denkmalpflege 1945- 1947: ,Resurrectio‘ oder ,Reanimatio‘?“ von Theodor Brückler, „Der Anglo-Amerikanische Luftkrieg...“ von Richard Hufschmied, „Aus Trümmern wiedererstanden... Denkmalschicksale 1945- 1955“ von Friedrich Dahm;
? Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, ÖZKD; LX. Jahrgang 2006, Heft 3/4, „Klassizistische Tendenzen in der Wiener Miethausarchitektur des Strengen und Späten Historismus“ Günther Buchinger;
? Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege; ÖZKD; LXXII. Jahrgang 2018, Heft 1/2, „Dächer Quelle zur Bauforschung. Die Datierung von Wiener Dachwerken“ Hanna Liebich;
? Dr. Peter Pötschner: Katalog zur Informationsschau des Bundesdenkmalamts 1970: „Denkmalpflege in Österreich 1945-1970“
? Bundesdenkmalamt; „Denkmalpflege in Österreich“ Informationsschrift, Selbstverlag des Bundesdenkmalamts, 1989;
? Mittelalterliche Dachkonstruktionen, Hrsg. Hermann Fuchsberger, 2020;
? 150 Jahre Wiener Stadtbauamt, 1835-1985;
? Werkstattberichte der Stadt Wien; Nr. 85: „Farbgestaltung historischer Fassaden in Wien“; Friedmund Hueber, 2008;
? Werkstattberichte der Stadt Wien, Nr. 133, „Dekorative Fassadenelemente in der Gründerzeit zwischen 1840 und 1918“ Magistratsabteilung 18, 2013;
? Der Stadtentwicklungsplan für Wien, MA 18; Wien 2000;
? Wiener Bauordnung und Planungsinstrumente im 19. Jahrhundert, Anna Hagan, TU Wien 2014;
? Die Transformation des Wiener Stadtbilds um 1700, Ferdinand Opll, Martin Scheutz, Böhlau Verlag 2018;
? „Gebäude versus Paragraf“, Diplomarbeit Anna Enzersdorfer 2018, TU Wien;
? „Die Wiener Altstadt - Von der mittelalterlichen Bürgerstadt zur City“, Elisabeth Lichtenberger, 1977;
? Friedrich Achleitner; „Nieder mit Fischer von Erlach – Architekturkritik“; Residenzverlag 1986;
? Dieter Klein, Martin Kupf, Robert Schediwy „Stadtbildverluste Wien – Ein Rückblick auf fünf Jahrzehnte“, LIT-Verlag, 2004;
? wohnfonds-wien „Sanieren von Althäusern – der Weg zu mehr Wohnqualität“, 2009 sowie
? Erfahrungen des Privatsachverständigen bei Sanierungen denkmalgeschützter Bausubstanz im Zuge der Tätigkeit als Baudirektor der Erzdiözese Wien in über fünfundzwanzig Jahren.
Bei diesen Beweismitteln handelt es sich fast durchgehend um historische Pläne, Bilder und sonstige Ansichten. Sie stammen aus dem 17. bis 20. Jahrhundert
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu 1.1. ergeben sich aus dem Verwaltungs- und Gerichtsakt, der dem Verfahren über die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesdenkmalamtes vom 12.07.2011, Zl. 43.529/5/2011, zu Grunde gelegen ist, aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2018, Zl. W170 2000764-1/80E, und aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25.10.2018, Ra 2018/09/0117 bis 0120-3, die Feststellungen zu 1.2. aus dem gegenständlichen Verwaltungsakt, vor allem aus dem verfahrensgegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2018, Zl. W170 2000764-1/80E, abgeschlossenen Verfahrens.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.
Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen also neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" – d.h. nicht ebenfalls erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene – Tatsachen beziehen. Hingegen ist bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Entscheidungen nicht entgegensteht (VwGH 25.02.2019, Ra 2018/19/0611; VwGH 20.03.2019, Ra 2019/20/0096).
Weiters ist darauf hinzuweisen, dass nach der rezenten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheids (hier: Erkenntnisses) eingeholt wurden, nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden sind und damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein können. Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheids „feststellt“, können diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (VwGH 09.09.2020, Ra 2020/07/0063). Weder ein einem Sachverständigen in seinem Gutachten unterlaufener Irrtum noch neue Schlussfolgerungen eines dem Verwaltungsverfahren nicht beigezogenen Sachverständigen bildet einen Wiederaufnahmegrund. Sollte hingegen ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden haben, erst nach Rechtskraft des Bescheides feststellen oder sollten solche Tatsachen einem Sachverständigen erst später zur Kenntnis kommen, so könnten solche neuen Befundergebnisse – die sich ja auf seinerzeit bestandene Tatsachen beziehen müssen – einen Wiederaufnahmegrund darstellen, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG gegeben sind (VwGH 27.7.2001, 2001/07/0017). Ein Sachverständigengutachten kann nur insofern neues Beweismittel sein, als es selbst neue Befundtatsachen feststellt oder solche sonst wie hervorgekommenen neuen Tatsachen verwertet. Bloß andere als im Hauptverfahren gezogene sachverständige Schlüsse sind kein Wiederaufnahmegrund (VwGH 22.2.1989, 88/03/0187).
Nur die sachverständige Tatsachenfeststellung (Befundaufnahme), nicht aber die sachverständige Schlussfolgerung (Gutachten im engeren Sinne) können einen Wiederaufnahmegrund darstellen. Im Gutachten im engeren Sinne stellen weder ein Irrtum des oder der Sachverständigen noch neue Schlussfolgerungen, die auf denselben Tatsachen beruhen, einen Wiederaufnahmegrund dar (VwGH 29.02.1988, 86/12/0196; VwGH 11.11.2016, Ra 2016/12/0096). Mit anderen Worten: Es können nur neue Befundergebnisse (die konkreten sachverständigen Tatsachenfeststellungen) in einem Gutachten und nicht auch die sachverständigen Schlussfolgerungen (das Gutachten im engeren Sinn) einen Wiederaufnahmegrund bilden (vgl. insbesondere VwGH 18.05.1994, Zl. 93/09/0226).
3.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Wiederaufnahmewerber zudem den Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, in seinem Antrag aus eigenem Antrieb konkretisiert und schlüssig darzulegen. Sein Antrag kann nur dann zur Wiederaufnahme führen, wenn er Tatsachen vorbringt, auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, dass sie im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einem anderen Bescheid geführt hätten (VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0403; VwGH 04.03.2020, Ra 2020/18/0069) und wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere, dass das Beweismittel „ohne Verschulden“ der Partei nachträglich geltend gemacht wurde (VwGH 25.05.2000, 99/16/0217), erfüllt sind.
Wurde aber in einem Verfahren trotz gegebener Möglichkeit ein Gutachten nicht eingeholt, dann kann das später eingeholte Gutachten mangels des Tatbestandsmerkmales „ohne Verschulden der Partei“ keinen Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs 1 Z 2 AVG bilden (VwGH 22.03.1983, 83/05/0038, VwSlg 11013 A/1983).
3.3. Hiezu führen die Antragsteller im verfahrensgegenständlichen Antrag aus (siehe S. 23 f), dass ihnen die Geltendmachung der neuen Tatsachen und Beweismittel selbst bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit nicht möglich gewesen wären. Die Antragsteller treffe jedenfalls kein Verschulden, da sie objektiv keine Möglichkeit gehabt hätten, die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel bereits während des Verfahrens geltend zu machen. „Zum besseren Verständnis“ wurde die subjektive Seite zuerst dargestellt, um insbesondere die Situation zu beleuchten, in welcher sich die Antragsteller zum Zeitpunkt des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht wiedergefunden hätten: Nachdem die Mutter der Antragsteller, XXXX , am 28.07.2011 Berufung gegen den Bescheid des Bundesdenkmalamts vom 12.07.2011 erhoben habe, seien für lange Zeit keine weiteren Verfahrensschritte gesetzt worden, die Berufung sei über Jahre hinweg unbehandelt geblieben. Es habe keinerlei Anzeichen gegeben, dass das Verfahren zeitnah fortgesetzt werden würde. Im September 2016 sei die Mutter der Antragsteller verstorben und seien diese von einem Tag auf den anderen gezwungen gewesen, in die Rechtsposition ihrer Mutter einzutreten. Ganz abgesehen von der Trauer über das Ableben der eigenen Mutter seien die Antragsteller mit großen organisatorischen Herausforderungen bei der Abwicklung der Verlassenschaft, bei der Verwaltung des Objekts oder der Übernahme der Agenden im Zusammenhang der Verpachtung der im Objekt geführten Apotheke konfrontiert gewesen, die sie noch dazu allesamt neben ihren Studien zu bewältigen gehabt hätten. Dass die Antragsteller auch mit erheblichen finanziellen Belastungen im Zusammenhang mit der Abwicklung der Verlassenschaft konfrontiert gewesen seien, verkomplizierte die Situation weiter. In dieser Ausnahmesituation sei auch noch völlig unerwartet das gegenständliche Verfahren – nach Jahren des „Ruhens“ – „wiederaufgenommen“ worden, sodass die Antragsteller kurzfristig gezwungen gewesen seien, ihre Parteirechte wahrzunehmen. Ein etwaiges objektives Verschulden wäre den Antragstellern daher im konkreten Fall subjektiv nicht einmal vorwerfbar. Das nunmehr vorliegende Gutachten sei den Antragstellern am 08.06.2021 übermittelt worden, es habe im Verfahren sohin nicht geltend gemacht werden können, da es zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen sei. Beim nunmehr vorliegenden Gutachten handle es sich um Befund und Gutachten eines im Bereich des Denkmalschutzes hochspezialisierten Sachverständigen, die darin festgestellten neuen Tatsachen hätten den Antragstellern – allein schon mangels dafür erforderlicher Fachkenntnis – vor Übergabe des Gutachtens nicht bekannt sein können. Auch treffe die Antragsteller kein Verschulden, kein Gutachten während des aufrechten Verfahrens in Auftrag gegeben zu haben, da die Existenz der Beweismittel, die Grundlage für die neuen Befundergebnisse und Tatsachenfeststellungen sind, zu diesem Zeitpunkt (sogar der gerichtlich bestellten Sachverständigen) nicht bekannt gewesen seien. Dass eine derartige Fülle an Beweismitteln noch nicht aufgefunden bzw. von gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht berücksichtigt worden sei und auch diverse verfahrensrelevante Feststellungen noch „ausständig“ gewesen seien, hätten die Antragsteller nicht ahnen können. Die Beauftragung eines umfassenden Gutachtens sei den Antragstellern aber auch aus zeitlichen und finanziellen Gründen unmöglich gewesen. Die dafür nach der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeräumte (und trotz entsprechendem Antrag nicht verlängerte) Frist, habe nur für eine kurze gutachterliche Stellungnahme gereicht. Darüber hinaus hätten sich die Antragsteller ein umfassendes Gutachten aufgrund der hohen finanziellen Belastung im Zusammenhang der Abwicklung der Verlassenschaft gar nicht leisten können. Dass keine weitergehende, über das Verfahren hinaus gegangene Beauftragung des Privatsachverständigen erfolgt sei, könne den Antragstellern daher nicht als Verschulden angelastet werden. Der Privatsachverständige habe auftragsgemäß eine schriftliche Stellungnahme zum Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen abgegeben; diese sei jedoch vom Gericht mangels erforderlichen Tiefgangs nicht berücksichtigt worden. Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass auch ein umfassendes Gutachten mangels Kenntnis der Existenz der relevanten Beweismittel damals (noch) zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte.
3.4. Gegenständlich hat das Berufungs- bzw. (ab 01.01.2014) Beschwerdeverfahren fast sieben Jahre gedauert, allerdings ist einzugestehen, dass das entscheidungsrelevante Gutachten vom 07.12.2017 den Parteien erst am 15.12.2017 bzw. am 18.12.2017 zugegangen ist und „bereits“ am 24.05.2018 – mehr als fünf Monate später – eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde. Erst am 19.06.2018 – also sechs Monate nach Übermittlung des Gutachtens – wurde das gegenständliche Erkenntnis erlassen. Während der gesamten Zeit waren die Parteien anwaltlich vertreten.
Zwar mögen die dem nunmehr vorliegenden Gutachten zu Grunde liegenden Beweismittel den Antragstellern nicht persönlich bekannt gewesen sein, ihnen war aber (jedenfalls deren rechtlicher Vertretung) bekannt, dass diese einem Gerichtsgutachten im Wesentlichen nur mit einem Privatgutachten entgegentreten können. Wie oben dargestellt, steht aber die – hier vorliegende Tatsache, dass im Verfahren trotz gegebener Möglichkeit ein Privatgutachten nicht eingeholt wurde, der Verwendung des nunmehr eingeholten Gutachtens mangels des Tatbestandsmerkmales „ohne Verschulden der Partei“ als Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs 1 Z 2 AVG entgegen (VwGH 22.03.1983, 83/05/0038, VwSlg 11013 A/1983). § 32 VwGVG entspricht inhaltlich weitgehend § 69 AVG, demnach kann auf das bisherige Verständnis des § 69 AVG zurückgegriffen werden (VwGH 27.02.2019, Ra 2018/10/0095).
Wenn die Antragsteller einwenden, dass sie mit dem Tod der Mutter im September 2016 von einem Tag auf den anderen gezwungen gewesen seien, in die Rechtsposition ihrer Mutter einzutreten, ist darauf hinzuweisen, dass vom September 2016 bis zum Dezember 2017 (Übermittlung des Gutachtens) mehr als ein Jahr und bis Mai bzw. Juni 2018 (Verhandlung, Erkenntnis) mehr als eineinhalb Jahre vergangen sind, sodass die nachvollziehbare Trauer über das Ableben der eigenen Mutter sowie die im Antrag nicht näher dargestellten großen organisatorischen Herausforderungen bei der Abwicklung der Verlassenschaft, bei der Verwaltung des Objekts oder der Übernahme der Agenden im Zusammenhang der Verpachtung der im Objekt geführten Apotheke keinen Grund darstellen können, warum diese unverschuldet kein Gegengutachten eingeholt haben. Ebenso ist die Bewältigung von Studien – auch zusätzlich zur Verwaltung eines Hauses – keine außergewöhnliche Belastung, die für das gegenständliche Verfahren relevant war, zumal die Parteien anwaltlich vertreten waren. Die die Antragsteller mit der Abwicklung der Verlassenschaft treffenden „erheblichen finanziellen Belastungen“ wurden ebenfalls nicht näher dargestellt. Auf Grund des dargestellten Verfahrensgangs waren die Antragsteller auch nicht kurzfristig gezwungen gewesen, ihre Parteirechte wahrzunehmen, zumal sie auch auf die bereits zuvor mit dem Verfahren beschäftigte anwaltliche Vertretung zurückgreifen konnten.
Wenn die Antragsteller rügen, dass eine derartige Fülle an Beweismitteln noch nicht aufgefunden bzw. von gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht berücksichtigt worden sei, so sind sie auf die oben dargestellte Rechtsprechung zu verweisen, nach der Fehler eines Sachverständigen nicht im Wiederaufnahmeverfahren gerügt werden können. Dass die Beauftragung eines umfassenden Gutachtens den Antragstellern aber auch aus zeitlichen und finanziellen Gründen unmöglich gewesen sei, wird lediglich behauptet, aber nicht näher bzw. nicht nachvollziehbar dargetan.
Alle von Privatsachverständigen nunmehr aufgefundenen Beweismittel waren entweder im Besitz der Antragsteller oder von deren Rechtsvorgängerin oder in öffentlich zugänglichen Museen und Archiven vorhanden; dass diese erst nach Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2018, Zl. W170 2000764-1/80E zugänglich gemacht wurden, haben die Antragsteller nicht einmal behauptet. Daher wäre der Privatsachverständige, so er rechtzeitig mit einem Gutachten beauftragt worden wäre und die von den Antragstellern offenbar inne gehabten Informationen mitgeteilt bekommen hätte, die zur Auffindung einiger der Beweismittel geführt haben, bereits im Grundverfahren in der Lage gewesen, das nunmehr erstattete Gutachten zu erstatten. Lediglich drei Beweismittel sind aus dem Jahr 2018, diese sind aber für das nunmehr erstattete Privatgutachten nicht von relevanter Bedeutung.
Daher liegt unter Zugrundelegung der oben zitierten Rechtsprechung der in § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG geforderte Tatbestand, dass die neuen Tatsachen oder Beweismittel im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, nicht vor und ist der Antrag abzuweisen.
3.5. Die antragstellenden Parteien werden auf die Möglichkeit eines Antrags nach §§ 5 Abs. 7, 26 Abs. 1 DMSG hingewiesen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht hat unter A) die relevante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zitiert und diese seiner Entscheidung zu Grunde gelegt, daher ist die Revision nicht zulässig.
Schlagworte
Beweismittel Denkmalschutz Sachverständigengutachten Unterschutzstellung Voraussetzungen WiederaufnahmeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W170.2000764.2.00Im RIS seit
11.01.2022Zuletzt aktualisiert am
11.01.2022