Entscheidungsdatum
21.12.2021Norm
AlVG §10Spruch
I407 2245348-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Vorsitzender und die fachkundigen Laienrichter Florian TAUBER und Mag. Stefan WANNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des AMS, XXXX vom 24.06.2021, Zl. XXXX beschlossen:
A)
Der Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Arbeitsmarktservice zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Frau XXXX (im Folgenden: BF) stand zuletzt im Bezug der Notstandshilfe.
2. In der Betreuungsvereinbarung vom 03.02.2021 (gültig bis 02.08.2021) wurde vereinbart, dass das Arbeitsmarktservice XXXX , Regionale Geschäftsstelle (im Folgenden: belangte Behörde) die BF bei der Suche nach einer Stelle als Kassiererin bzw. Verkaufshelferin unterstützt. Das gewünschte Arbeitsausmaß seien 20 Wochenstunden und der gewünschte Arbeitsort seien die Bezirke XXXX , XXXX und XXXX . Bei der BF lägen Betreuungspflichten vor. Die gewünschten Arbeitszeiten seien 8:00 bis 12:00 Uhr. In dieser Zeit sei die Betreuung geregelt. Der Arbeitsplatz müsse mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein.
3. Am 02.03.2021 übermittelte die BF der belangten Behörde eine ärztliche Bestätigung von Dr. Reichsöllner vom 01.03.2021, wonach sie an einer chronischen Darmerkrankung leide und daher Arbeiten im direkten Kundenbereich deutlich erschwert seien. Es werde ein alternativer Einsatz empfohlen.
4. Am 21.05.2021 wies die belangte Behörde der BF ein Stellenangebot als Lagerarbeiterin bei dem XXXX (im Folgenden: Dienstgeber A) zu.
5. In weiterer Folge fand am 31.05.2021 ein Bewerbungsgespräch bei dem Dienstgeber A statt.
6. Am 14.06.2021 wurde der belangten Behörde die Rückmeldung des Dienstgebers A übermittelt, wonach dieser der BF keine Absage zur Vorlage an die belangte Behörde erteilen würde, da er kein Verständnis dafür habe, dass manche Personen das Sozialnetz ausnützen und sich so ihren Lebensunterhalt finanzieren würden. Läge bei der BF tatsächlich eine Erkrankung vor, so sei dies nach Meinung des Dienstgebers sicher auch gegenüber dem AMS kein Problem.
7. Mit Schreiben vom 14.06.2021 verständigte die belangte Behörde die BF vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens, wonach die BF die Aufnahme einer zumutbaren Beschäftigung vereitelt habe, und gab ihr die Möglichkeit zur Stellungnahem bis zum 28.06.2021.
8. Mit Stellungnahme vom 18.06.2021 erklärte die BF, es entspräche nicht der Wahrheit, dass sie die Arbeitsaufnahme beim Dienstgeber A vereitelt habe. Sie sei bereit dort zu arbeiten, aber der Dienstgeber wolle sie offenbar nicht einstellen. Sie habe lediglich im Bewerbungsgespräch wahrheitsgemäß ihre Erkrankung erwähnt, da sie nicht gewollt habe, dass es später zu Problemen kommt. Sie könne sich nicht erklären, wie der Dienstgeber zum Schluss gekommen sei, dass sie die Stelle nicht wolle.
9. Mit Bescheid vom 24.06.2021 sprach die belangte Behörde aus, dass die BF den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß §10 AlVG iVm § 38 AlVG für den Zeitraum 14.06.2021 bis 25.07.2021 verloren habe.
10. Die BF erhob mit Schreiben vom 28.06.2021 Beschwerde gegen diesen Bescheid und führte erneut aus, dass sie die Stelle nicht verweigert habe, sondern lediglich angegeben habe, dass sie aufgrund ihrer chronischen Darmerkrankung oft die Toilette aufsuchen müsse. Der Dienstgeber habe dann erklärt, er könne sie in diesem Fall nicht einstellen. Erst daraufhin habe die BF erklärt, sie brauche in diesem Fall eine Absage für das AMS. Sie gehöre zudem seit dem 15.03.2021 dem Kreis der begünstigt Behinderten an. Hätte sie die Stelle tatsächlich nicht gewollt, hätte sei auch einfach ihren Behindertenpass und den besonderen Kündigungsschutz erwähnen können. Der Beschwerde war zusätzlich ein Bescheid des BASB vom 20.04.2021 betreffend die Zugehörigkeit der BF zum Kreis der begünstigt Behinderten beigelegt.
11. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 09.07.2021 wurde die Beschwerdeführerin über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde informiert.
12. Im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung vom 19.07.2021 wies die belangte Behörde die Beschwerde vom 28.07.2021 ab und bestätigte den Bescheid vom 28.06.2021. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die zugewiesene Beschäftigung der BF zumutbar gewesen sei. Das vorgelegte ärztliche Attest hätte nur einen Einsatz abseits des direkten Kundenkontakts empfohlen. Dem sei die belangte Behörde nachgekommen. Sollte die gegenständlich zugewiesene Beschäftigung der BF nicht zumutbar sein, so müsse allenfalls davon ausgegangen werden, dass die BF grundsätzlich nicht vermittelbar sei. Durch ihr Verhalten habe die BF die Beschäftigung vereitelt, da sie erwähnte, dass sie aufgrund ihrer Darmerkrankung sehr viel Zeit auf der Toilette verbringen müsse und dadurch die Sinnhaftigkeit der Beschäftigungsaufnahme in Frage stellte.
13. Mit Schreiben vom 26.07.2021 beantragte die BF die Vorlage ihrer Beschwerde an das BVwG.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die BF stand zuletzt im Bezug der Notstandshilfe.
1.2. Am 15.10.2020 wurde ihr von der belangten Behörde das folgende Stellenangebot bei dem Dienstgeber A zugewiesen (Anonymisierungen und Kürzung durch das Bundesverwaltungsgericht):
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1.3. Der Arbeitsort der zugewiesenen Beschäftigung wäre in XXXX gewesen. Die BF ist in XXXX wohnhaft und somit ca. 3 Kilometer vom Dienstgeber entfernt. Der Beschäftigungsort wäre für sie zu Fuß in ca. 30 bis 40 Minuten erreichbar.
1.4. Die BF hat sich auf die oben angeführte Stelle beworben und es fand ein Bewerbungsgespräch am 31.05.2021 statt. In diesem Bewerbungsgespräch erklärte die BF dem Dienstgeber, dass sie aufgrund ihrer chronischen Darmerkrankung häufig die Toilette aufsuchen müsse.
1.5. In dem von der belangten Behörde geführten Verfahren wurde der Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und festgestellt. Insbesondere führte die belangte Behörde vor Erlassung des gegenständlichen Bescheides keinerlei Ermittlungen dahingehend durch, ob die zugewiesene Beschäftigung bei des Dienstgebers A der BF iSd § 9 AlVG körperlich zumutbar gewesen wäre.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsakts. Der Umstand des Bezuges der Notstandshilfe wird durch den unbedenklichen Akteninhalt bescheinigt.
2.2. Die Feststellungen zum Inhalt des zugewiesenen Inserates wurden dem im Akt einliegenden Stellenangebot entnommen.
2.3. Die Feststellungen zur Entfernung des Arbeitsortes und dessen Erreichbarkeit basiert auf einer Abfrage in „Google-Maps“ vom 13.12.2021 sowie auf den Angaben im gegenständlichen Stellenangebot.
2.4. Dass sich die BF auf das zugewiesene Stellenangebot beworben hat und es in weiterer Folge zu einem Bewerbungsgespräch kam, konnte ebenfalls dem vorliegenden Akt entnommen werden. Die Feststellungen zum Inhalt des Gespräches beruhen zum einen auf den Äußerungen der BF selbst, zum anderen auf der Zeugenaussage des Geschäftsführers des Dienstgebers. Die BF gab diesbezüglich sowohl in der Stellungnahme vom 18.06.2021 als auch in der Beschwerde vom 28.06.2021 an sie habe ihre Erkrankung im Bewerbungsgespräch angesprochen hatte und erklärte, dass sie häufig auf die Toilette müsse, damit es später diesbezüglich zu keinen Problemen komme. Auch der Geschäftsführer des Dienstgebers A erklärte im Rahmen seiner Zeugeneinvernahme, die BF habe direkt erklärt, dass sie ein großes Darmproblem und daher sehr viel Zeit auf der Toilette verbringen müsse. Es ist daher unstrittig, dass die Bf ihre Erkrankung im Rahmen des Gespräches angesprochen hat.
2.5. Das Unterlassen notwendiger Ermittlungen des Sachverhaltes durch die belangte Behörde ergibt sich aus dem Akteninhalt.
Die BF teilte am 01.03.2021 mit, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht im direkten Kundenbereich arbeiten könne und legte diesbezüglich am 02.03.2021 ein ärztliches Attest vor. Nähre Informationen zum Gesundheitszustand der BF und ihrer Arbeitsfähigkeit sind dem besagten ärztlichen Attest nicht zu entnehmen. Im Zuge der schriftlichen Stellungnahme legte die BF weiter einen Bescheid hinsichtlich ihrer Behinderung im Ausmaß von 50% vor.
Entsprechende Ermittlungen inwieweit der BF verschiedene Tätigkeiten zumutbar sind, wurde weder in Folge des von ihr vorgelegten Attest noch im Zuge des hier gegenständlichen Beschwerdeverfahrens aufgenommen. Es wurde lediglich im Zuge der Zeugeneinvernahme erfragt, ob der BF am Arbeitsplatz eine Toilette zur Verfügung gestanden hätte, ob Mitarbeiter diese auch stündlich aufsuchen könnten und ob es einen direkten Kundenverkehr gäbe.
Im Bescheid vom 24.06.2021 sowie im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung vom 19.07.2021 wurden keine genaueren Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF, den sich aus der Behinderung ergebenden gesundheitlichen Einschränkungen oder dem Anforderungsprofil der in Aussicht genommen Beschäftigung getroffen. In weiterer Folge erfolgte auch keinerlei Subsumtion hinsichtlich der Frage, ob der BF im Hinblick auf ihre Behinderung die gegenständliche Stelle ausüben hätte können.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung fachkundiger Laienrichter ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 56 Abs. 2 AlVG.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu A) Zur Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1) wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3. zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.
Das Modell der Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11).
Zielsetzung des § 28 VwGVG ist, dass angesichts des in dieser Bestimmung insgesamt verankerten Systems die Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt § 28 VwGVG, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch Ro 2014/03/0063, Ra 2014/03/0054 und Ra 2016/04/0007).
Aus der Judikatur des VwGH zur vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung, d.h. im Tatsachenbereich, zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen und dass die verfahrensrechtliche Möglichkeit einer Rückverweisung eben nur ausnahmsweise möglich sein soll und hinsichtlich der Voraussetzungen der Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG streng zu prüfen ist (vgl. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0168; VwGH vom 26.01.2011, 2009/07/0094).
Gemäß des Erkenntnisses des VwGH vom 28.03.2008, 2005/12/01878, zu § 66 Abs. 2 AVG ist eine Zurückverweisung nach dieser Norm nur dann zulässig, wenn die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne dieser zitierten Norm kann sich dabei immer nur im Tatsachenbereich stellen, wobei es allerdings nicht maßgebend ist, ob eine Verhandlung im kontradiktorischen Sinn oder nur eine Vernehmung der Partei erforderlich ist. Die Voraussetzung für eine Kassation nach § 66 Abs. 2 AVG ist daher auch dann erfüllt, wenn zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes nur die Vernehmung einer Partei erforderlich ist.
In seinem Erkenntnis vom 20.02.2014, 2013/09/0166-10, zu einem Sachverhalt nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz stellte der VwGH zum Umfang der Ermittlungspflicht der belangten Behörde Folgendes fest:
„Gemäß § 60 AVG (...) sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (§§ 37 ff AVG), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (...). Die genannte Zusammenfassung wird in Bezug auf die Beweiswürdigung kurz ausfallen können, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und Angaben der Verfahrensparteien und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es aber einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung der Behörde auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. 05.2005, 2002/08/0106). Nicht oder unzureichend begründete Bescheide hindern den Verwaltungsgerichtshof seiner Rechtskontrollaufgabe, wie sie in § 41 Abs. 1 VwGG zum Ausdruck kommt, insoweit zu entsprechen, als derartige Bescheide inhaltlich auch keine Überprüfung „auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zulassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26.02.2009, 2007/09/0088, mwN).
Damit stellt der Verwaltungsgerichtshof den Umfang der Ermittlungspflicht der belangten Behörde ausführlich dar.
Im gegenständlichen Fall erscheint für den erkennenden Senat des Bundesverwaltungsgerichts die Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung zumindest fraglich. Die belangte Behörde hat es aber unterlassen, im Zuge der Bescheiderlassung hinreichende Ermittlungen bezüglich der Zumutbarkeit des Stellenangebots durchzuführen.
Macht die arbeitslose Person gesundheitliche Einschränkungen geltend, die sie für die zugewiesene Beschäftigung unter Umständen als nicht geeignet erscheinen lassen könnten, besteht die Verpflichtung der regionalen Geschäftsstelle, dies durch die Veranlassung entsprechender Untersuchungen und durch die Einholung von Gutachten zu klären (vgl. Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz, 15. Lfg (März 2018), § 9, Rz 225). Die belangte Behörde hätte daher ermitteln müssen, ob die zugewiesene Stelle in Hinblick auf die körperlichen Fähigkeiten der BF zumutbar ist.
Es ist in erster Linie die Aufgabe der belangten Behörde, zum Zeitpunkt seiner Entscheidung den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und diese Aufgabe nicht etwa an die Rechtsmittelinstanz auszulagern.
Konkret teilte die BF am 02.03.2021 mit, dass sie aufgrund ihrer chronischen Darmerkrankung nicht im direkten Kundenbereich arbeiten könne. Im Zuge ihrer Beschwerde erklärte die BF dem Kreis der begünstig Behinderten anzugehören. Trotz dieser Mitteilungen wurde von der Behörde am 24.06.2021 der verfahrensgegenständliche Bescheid erlassen, ohne dass nähere Ermittlungen zur gesundheitlichen Situation der BF durchgeführt wurden. Auch das genaue Tätigkeitsprofil der avisierten Stelle wurde nicht ermittelt. Die Begründung der Beschwerdevorentscheidung beschränkt sich diesbezüglich auf eine kurze Zusammenfassung der zugrundeliegenden Vorschriften des AlVG und die Feststellung, dass die Stelle keinen direkten Kundenkontakt erfordere und dass bei Unzumutbarkeit dieser Stelle wohl zu prüfen wäre, ob die Beschwerdeführerin überhaupt vermittelbar sei.
Hinsichtlich der Verfügbarkeit einer Toilette am Arbeitsplatz wurde der Dienstgeber erst nach Erlassung des Bescheides vom 24.06.2021 befragt. Eine nähere Befragung zum Tätigkeitsprofil fand nicht statt.
Insgesamt ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen. Sie hat keine konkreten Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF, ihrer verbleibenden Arbeitsfähigkeit sowie zur infrage stehenden Zumutbarkeit der Beschäftigung getroffen und dementsprechend auch keine Beweiswürdigung oder rechtlichen Erwägungen diesbezüglich dargelegt.
Da weder zu den körperlichen Fähigkeiten bzw. Einschränkungen der BF noch zum Tätigkeitsprofil nähere Feststellungen getroffen wurden kann nicht festgestellt werden, dass der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.
Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das BVwG wäre jedenfalls die Einholung eines entsprechenden Gutachtens sowie in weiterer Folge die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unter Ladung des Senats, aller Parteien und allenfalls des Sachverständigen sowie des von der belangten Behörde bereits befragten Zeugen notwendig.
Es war daher der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides - nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens betreffend die Zumutbarkeit der gegenständlichen Beschäftigung - an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren konkret zu prüfen haben, ob die Beschäftigung im Hinblick auf die körperlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers angemessen gewesen wäre und ob dadurch seine Gesundheit gefährdet worden wäre.
4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls-und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.
Weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Beschäftigung Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Kassation körperliche Eignung mangelnde Sachverhaltsfeststellung Notstandshilfe ZumutbarkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I407.2245348.1.00Im RIS seit
11.01.2022Zuletzt aktualisiert am
11.01.2022