Entscheidungsdatum
21.12.2021Norm
AlVG §16 Abs1Spruch
I407 2235151-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Vorsitzender und die fachkundige Laienrichter Florian TAUBER und Mag. Stefan WANNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch die Arbeiterkammer XXXX gegen den Bescheid des AMS, XXXX vom 21.07.2020, Zl. XXXX , in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerdevorentscheidung vom 07.09.2020 wird ersatzlos behoben.
II. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der Bescheid der belangten Behörde vom 21.07.2020 bestätigt. Dem BF wird keine Nachsicht vom Ruhen des Arbeitslosengeldes wegen Auslandsaufenthaltes gemäß § 16 Abs 1 lit. g und Abs 3 AlVG gewährt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer meldete sich am 16.03.2020 beim Arbeitsmarktservice XXXX (im Folgenden: belangte Behörde) telefonisch arbeitslos und erklärte er Sitze im Ausland fest. Am 18.03.2020 meldete er sich über eAMS arbeitslos.
2. Am 06.04.2020 fand ein Telefonat zwischen dem BF und der belangten Behörde statt. Der BF teile dabei mit, dass er sich vom 03.03.2020 bis 16.03.2020 in Urlaub in Bosnien befunden habe und nun nicht mehr ausreisen könne. Der BF wurde drauf hingewiesen, dass eine Antragstellung aus dem Ausland zwar möglich sei aber er unverzüglich einreisen müsse. Der BF brachte noch am selben Tag per E-Mail ein Nachsichtsansuchen gemäß § 16 Abs 3 AlVG ein, in welchem er erneut ausführte, dass er sich in Bosnien befinden würde und aufgrund der Corona-Situation nicht ausreisen könne. Er sei auf Urlaub gewesen.
3. Am 09.04.2020 übermittelte der BF einen Antrag auf Arbeitslosengeld per E-Mail.
4. Am 15.07.2020 stellte der BF in weiterer Folge ein neuerliches Nachsichtsansuchen in welchem er ausführte, er habe sich von 04.03.2020 bis 14.07.2020 in Bosnien aufgehalten. Grund für den Auslandsaufenthalt sei die Krankheit seiner Mutter gewesen. Aufgrund von Corona habe er dann nicht mehr nach Österreich zurückkehren können.
5. In der Folge sprach die belangte Behörde mit Bescheid vom 21.07.2020 aus, dass dem Antrag auf Nachsicht vom Ruhen des Arbeitslosengeldes wegen Auslandsaufenthaltes des Beschwerdeführers keine Folge gegeben wird. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Auslandsaufenthalt des BF keine Nachsicht vom Ruhen des Arbeitslosengeldes gemäß § 16 Abs 3 AlVG zulasse. Es liege nämlich kein konkreter Grund im Sinne dieser Bestimmung vor.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 12.08.2020 das Rechtsmittel der Beschwerde und führte dazu aus, dass der BF aus zwingenden familiären Gründen ausgereist sei, da seine Mutter in Bosnien ohnmächtig aufgefunden worden sei und in ein Spital eingeliefert worden sei. Der BF habe seine Mutter nach der Entlassung aus dem Spital weiter zu Hause betreut. Er sei dann wegen der durch Corona bedingten Schließungen gekündigt worden und hätte nicht wieder einreisen können, da auch die Grenzen aufgrund von Corona geschlossen gewesen wären. Erst Mitte Juni habe er dann eine anderweitige Pflege für seine Mutter organisieren können. Mitte Juli könne er erneut im Kleinwalsertal arbeiten.
7. Mit Schreiben vom 27.08.2020 verständigte die belangte Behörde den BF vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens und führte zusammengefasst aus, dass die Zuständigkeit der belangten Behörde in Frage zu stellen sei, da der BF den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen immer noch bzw. wieder in Bosnien habe. Zudem sei er während dem aufrechten Arbeitsverhältnis ausgereist. Es liege daher allenfalls die Zuständigkeit der bosnischen Arbeitsmarktverwaltung vor. Weiter sei fraglich, ob der BF dem Arbeitsmarkt überhaupt zur Verfügung gestanden habe, soweit seine Mutter zwingend auf Betreuung und Pflege iS eines zwingenden familiären Grundes angewiesen war. Sei die Mutter jedoch nicht zwingend auf Pflege angewiesen gewesen und der BF habe sie nur im alltäglichen Leben unterstützt, so liege kein Nachsichtsgrund vor.
8. Mit Bescheid vom 07.09.2020 änderte die belangte Behörde den Bescheid vom 21.07.2020 dahingehend ab, dass mangels Zuständigkeit der belangten Behörde kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe und dass aufgrund des fehlenden Anspruches auf Arbeitslosengeld auch keine Nachsicht vom Ruhen des Anspruches in Frage komme.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Akteninhaltes werden folgende Feststellungen getroffen und der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt:
Der BF ist bosnischer Staatsangehöriger. Er war zuletzt vom 10.12.2019 bis 16.03.2020 arbeitslosenversicherungspflichtig in Österreich beschäftigt. Ab 03.03.2020 hatte der BF Urlaub von seiner Tätigkeit genommen und war in weiterer Folge nach Bosnien gereist.
Im Zuge der Covid-19 Pandemie verhängte Österreich Mitte März einen strengen Lockdown und schränkte auch den Reiseverkehr weitgehend ein. Dem BF war eine Rückkehr nach Österreich in weiterer Folge nicht möglich.
Der Beschwerdeführer meldete sich telefonisch am 16.03.2020 bei der belangten Behörde arbeitslos. Am 09.04.2020 stellte er per E-Mail einen Antrag auf Arbeitslosengeld.
Am 26.04.2020 legte der BF eine Einstellungszusage vom 22.04.2020 der XXXX vor, wonach er ab 01.06.2020 wieder eingestellt werde, sofern die Pandemie eine Öffnung des Betriebes zulasse.
Während seines Aufenthaltes in Bosnien kümmerte der BF ich um seine Mutter. Diese war zunächst ohnmächtig in ihrer Wohnung aufgefunden, in weiterer Folge stationär in einem Spital behandelt worden. Nach ihrer Entlassung war die Mutter des BF gehunfähig und daher auf umfassende Unterstützung angewiesen. Ab Mitte Juni konnte der BF eine Pflegekraft für seine Mutter organisieren. Aufgrund des für die Pflege notwendigen Zeitaufwandes wäre dem BF die Annahme einer Tätigkeit mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von mindestens 20 Stunden nicht möglich gewesen.
Der Dienstgeber des BF konnte ab Juli den Betrieb erneut aufnehmen und den BF daher ab 16.07.2020 wiedereinstellen.
Der BF ist seit 19.12.2015 mit Unterbrechungen für die XXXX tätig. Der BF stand in diesem Zeitraum auch wiederholt im Bezug von Arbeitslosengeld. Seit 25.11.2015 ist der BF durchgängig mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet.
Ab Mitte Juni war dem BF die Einreise nach Österreich prinzipiell wieder möglich. Am 14.07.2020 reiste der BF wieder nach Österreich ein und nahm am 16.07.2020 seine Tätigkeit für seinen bisherigen Dienstgeber wieder auf.
Der BF hält sich gewöhnlich in Österreich auf. Der BF begründete während seines Aufenthaltes in Bosnien keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Bosnien.
2. Beweiswürdigung:
Der unter I. angeführte Verfahrensgang und der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verfahrensakten der belangten Behörde.
Die Kommunikation zwischen dem BF und der belangten Behörde ist im Akt belegt. Hinsichtlich der vom BF an die belangte Behörde getätigten Meldungen und Unterlagenvorlagen kann daher auf den Akteninhalt verwiesen werden. Diese Tatsachen sind im Wesentlichen unstrittig.
Die Feststellungen zur Berufstätigkeit des BF und seinem Bezug von Arbeitslosengeld ergeben sich aus dem Datenauszug aus dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 23.11.2021.
Die Feststellungen zu seiner Ausreise und seinem weiteren Aufenthalt in Bosnien sowie der Widereinreise nach Österreich ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Schilderungen des BF. Diese wurden durch die im Pass ersichtlichen Visastempel gestützt.
Dass der BF während seines Aufenthaltes im Bosnien die Pflege seiner Mutter übernahm und auch die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Mutter, ergeben sich aus den glaubwürdigen und im wesentlichen stimmigen Aussagen des BF. Soweit die belangte Behörde ausführt, der BF hätte auch Urlaub in seiner Heimat gemacht, ist darauf hinzuweisen, dass es der Pflegetätigkeit an sich nicht im Wege steht, wenn der BF zunächst seinen Urlaubsanspruch für die Reise verwendete. Dass die Pflege seiner Mutter die Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt ausschloss, ergibt sich ebenfalls aus den Schilderungen des BF. Seine Mutter sei demnach nicht in der Lage gewesen zu gehen. Er habe auch alltägliche Tätigkeiten, wie etwa Einkaufen, Wäsche waschen etc. für sie übernehmen müssen. Es liegt dabei im Bereich der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Personen, welche ihre Fähigkeit zu gehen verlieren, insbesondere in der anfänglichen Phase der Umgewöhnung, intensiver Betreuung bedürfen und praktisch bei allen Tätigkeiten des alltäglichen Lebens unterstützt werden müssen. Zudem spricht auch die Schilderung des BF, wonach er Mitte Juni die Pflege seiner Mutter anderweitig organisierte, sie also weiterhin auf Unterstützung angewiesen war, für einen entsprechend hohen Pflegebedarf. Laut Aussagen des BF seien ansonsten keine Verwandten in Bosnien gewesen, welche ihn bei der Pflege der Mutter unterstützt hätten. Auch eine externe Pflegekraft stand dem BF zunächst eben nicht zur Verfügung. Da die gesamte Pflege, der erst kürzlich erkrankten und in weiterer Folge gehunfähigen, Mutter dem BF oblag, kann nicht von einer Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt ausgegangen werden.
Dass der BF seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat, ergibt sich aus dem Akt. Der BF ist, wie bereits festgestellt, seit 25.11.2015 durchgängig in Österreich gemeldet. Soweit die belangte Behörde in der Beschwerdevorentscheidung vom 07.09.2020 anführt, der Beschwerdeführer verfüge über keinen Wohnsitz in Österreich und scheine im zentralen Melderegister nicht mit Wohnsitz in Österreich auf (vgl. Beschwerdevorentscheidung Seite 3), ist diese Aussage nicht nachvollziehbar. Der vom erkennenden Gericht eingeholte Auszug des Zentralen Melderegisters vom 23.11.2021 zeigt, dass der BF seit 1997 wiederholt Wohnsitze in Österreich angemeldet hatte und seit 25.11.2015 durchgängig in Österreich gemeldet ist. Zudem führt die Behörde in weiterer Folge an, der BF wohne während seiner Tätigkeit für den Dienstgeber im betreffenden Hotel. Der BF war seit dem Jahr 2016 jeweils mehr als sechs Monate im Jahr bei dem betreffenden Dienstgeber beschäftigt. Seit 2018 belief sich die Beschäftigungsdauer jeweils auf ca. neun Monate im Jahr. Der BF lebt und arbeitet damit erwiesenermaßen den Großteil des Jahres in Österreich. Der BF brachte zudem vor, dass seine Mutter alleine in Bosnien wohne, sein Vater sei verstorben und sein Bruder lebe in Deutschland. Diese Familienkonstellation spricht daher nicht per se gegen einen Lebensmittelpunkt in Österreich. Auch ansonsten finden sich weder im Akt noch in den Vorbringen der Partien Hinweise, welche gegen die Annahme sprechen, dass der BF in Österreich seinen gewöhnlichen Aufenthalt genommen hat.
Auch im Jahr 2020 war der BF knapp sechs Monate in Österreich beschäftigt und damit auch in Österreich mindestens sechs Monate hier aufhältig.
In weiterer Folge war auch festzustellen, dass der BF auch während seines Aufenthaltes in Bosnien keinen gewöhnlichen Aufenthalt dort begründete. Der BF reiste nach eigener Aussage nach Bosnien, da seine Mutter überraschend erkrankte und in einem Spital behandelt werden musste. In weiterer Folge konnte der BF aufgrund der Corona-Maßnahmen nicht mehr ausreisen. Der BF hielt sich daher etwas mehr als vier Monate in Bosnien auf und reiste in weiterer Folge wieder in Österreich ein. Der Aufenthalt des BF in Bosnien beruhte daher auf nicht auf dauerhaften Umständen und eine Beendigung des Aufenthaltes lag den Großteil der Zeit nicht in seiner Macht. Aus den Gesamtumständen ist nicht ersichtlich, dass der BF Bosnien zum Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehungen gemacht hätte. Zudem geht aus dem Verhalten des BF zweifelsfrei hervor, dass er nicht vorhatte, dauerhaft in Bosnien zu verbleiben. So kommunizierte der BF von Anfang an, er sitze fest und könne nicht ausreisen. Zudem legte er während seines Aufenthalts in Bosnien eine Wiedereinstellungszusage vor.
3. Rechtliche Beurteilung:
§ 6 BVwGG lautet wie folgt:
Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
§ 56 Abs. 2 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) in der geltenden Fassung lautet wie folgt:
Über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch die Geschäftsstelle beträgt zehn Wochen.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
3.1. Zur Zuständigkeit der belangten Behörde:
Gemäß § 44 Abs 1 AlVG richtet sich die Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice und der Landesgeschäftsstellen in den Angelegenheiten des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe, soweit Rechte und Pflichten des Arbeitgebers betroffen sind, nach dem Sitz des Betriebes, soweit Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers betroffen sind, nach dessen Wohnsitz, mangels eines solchen nach dessen gewöhnlichem Aufenthaltsort.
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist vom Arbeitslosen gemäß § 46 Abs. 1 AlVG persönlich bei dem nach seinem Wohnsitz, mangels eines solchen bei der nach seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort zuständigen regionalen Geschäftsstelle geltend zu machen.
Beim gewöhnlichen Aufenthalt handelt es sich dabei nach der Rechtsprechung des VwGH zu § 44 AlVG um einen räumlich-personalen Bezug, für den einerseits der Wille, seine Lebensbeziehungen bis auf weiteres mit einem bestimmten Ort zu verbinden und andererseits der Umstand charakteristisch ist, dass diese Beziehungen auch tatsächlich mit dem Aufenthaltsort verknüpft werden.
Währenddessen bestimmt sich der gewöhnliche Aufenthalt nach § 66 JN rein nach tatsächlichen Verhältnissen. Es kommt demnach darauf an, ob jemand sich während einer längeren Zeit tatsächlich einen Ort aufhält und diesen zum Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehungen macht. Als Richtschnur gilt dabei eine Aufenthaltsdauer von ca. sechs Monaten (Braun in Höllwerth/Ziehensack (Hrsg), ZPO Praxiskommentar (2019) § 66 JN Rz. 7 ff).
Der gewöhnliche Aufenthalt des BF liegt wie bereits festgestellt in Österreich. Der BF verbringt seit 2017 nachweislich den Großteil des Jahres in Österreich und ist hier berufstätig und besteht daher jedenfalls der geforderte räumlich-personale Bezug. Zudem ist der BF seit 2015 immer wieder für den selben Dienstgeber in Österreich tätig und hat in Österreich einen Hauptwohnsitz angemeldet. Aus dem Verhalten des BF geht daher insgesamt der Wille des BF, sich in Österreich aufzuhalten und Österreich zum Mittelpunkt seines Lebens und insbesondere seiner wirtschaftlichen Existenz zu machen, klar hervor.
Auch konnte festgestellt werden, dass der BF durch den hier gegenständlichen Aufenthalt in Bosnien keinen gewöhnlichen Aufenthaltsort dort begründet hat. Nach herrschender Lehre zu § 44 AlVG sagt der Auslandsaufenthalt eines Arbeitslosen (ungeachtet dessen, dass er zum Ruhen des Arbeitslosengeldes gem § 16 Abs 1 lit g AlVG führen kann), noch nichts darüber aus, wo jemand seinen ordentlichen Wohnsitz bzw seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat (VwGH 11. 2. 1997, 96/08/0303). Der gewöhnliche Aufenthaltsort im Inland kann durchaus auch dann weiterbestehen, wenn sich der Arbeitslose im Ausland aufhält (zB wegen Pflege der kranken Mutter; VwGH 12. 12. 1995, 95/08/0155)
Der BF beabsichtigte schon bei der Ausreise aus Österreich, wieder an seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zurück zu kehren. Dies wurde durch das Verhalten des BF, insbesondere durch seine Aussagen gegenüber der belangten Behörde, wonach er in Bosnien festsitze und der Vorlage einer wieder Einstellungszusage deutlich. Die Rückkehr des BF lag aber für den Großteil seines Aufenthaltes nicht sin seiner Macht. Auch, dass der BF nach Öffnung der Grenzen nicht sofort nach Österreich reiste vermag, mangels relevanter Dauer, nicht die Annahme zu rechtfertigen, dass der BF Bosnien in dieser Zeit zu seinem Lebensmittelpunkt und gewöhnlichen Aufenthalt gemacht hat. Der Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Existenz lag weiterhin in Österreich, was durch die bereits erteilte Wiedereinstellungszusage belegt wurde.
Es fehlt daher hinsichtlich eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes in Bosnien, jedenfalls an dem nach VwGH Rechtsprechung geforderten Willenselement sowie an den tatsächlichen Verhältnissen, da keine Rückverlagerung der Lebensinteressen, insbesondere der wirtschaftlichen Interessen nach Bosnien stattfand.
3.2. Zum Antrag auf Nachsicht vom Ruhen des Arbeitslosengeldes:
Die hier relevanten Bestimmungen lauten auszugsweise wie folgt:
§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer
1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,
[…]
(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.
(3) Eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf eine Person,
1. die sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält,
[…]
(7) Als auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotene, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Voraussetzungen entsprechende Beschäftigung gilt ein Arbeitsverhältnis mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von mindestens 20 Stunden. Personen mit Betreuungsverpflichtungen für Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr oder behinderte Kinder, für die nachweislich keine längere Betreuungsmöglichkeit besteht, erfüllen die Voraussetzung des Abs. 3 Z 1 auch dann, wenn sie sich für ein Arbeitsverhältnis mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von mindestens 16 Stunden bereithalten.
§ 16. (1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht während
[…]
g) des Aufenthaltes im Ausland, soweit nicht Abs. 3 oder Regelungen auf Grund internationaler Verträge anzuwenden sind,
[…]
(3) Auf Antrag des Arbeitslosen ist das Ruhen des Arbeitslosengeldes gemäß Abs. 1 lit. g bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände nach Anhörung des Regionalbeirates bis zu drei Monate während eines Leistungsanspruches (§ 18) nachzusehen. Berücksichtigungswürdige Umstände sind Umstände, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen sind, insbesondere wenn sich der Arbeitslose ins Ausland begibt, um nachweislich einen Arbeitsplatz zu suchen oder um sich nachweislich beim Arbeitgeber vorzustellen oder um sich einer Ausbildung zu unterziehen, oder Umstände, die auf zwingenden familiären Gründen beruhen.
§ 17. (1) Sind sämtliche Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt und ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht gemäß § 16, gebührt das Arbeitslosengeld ab dem Tag der Geltendmachung, frühestens ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit. Der Anspruch gilt rückwirkend ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit
1. wenn diese ab einem Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag besteht und die Geltendmachung am ersten darauf folgenden Werktag erfolgt oder
2. wenn die Arbeitslosmeldung bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eingelangt ist und die Geltendmachung sowie eine gemäß § 46 Abs. 1 erforderliche persönliche Vorsprache binnen 10 Tagen nach Eintritt der Arbeitslosigkeit erfolgt, soweit das Arbeitsmarktservice nicht hinsichtlich der persönlichen Vorsprache Abweichendes verfügt hat.
[…]
(3) Die Arbeitslosmeldung hat zumindest den Namen, die Sozialversicherungsnummer, die Anschrift, den erlernten Beruf, die zuletzt ausgeübte Beschäftigung und den Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses sowie die Angabe, auf welchem Weg eine rasche Kontaktaufnahme durch das Arbeitsmarktservice möglich ist (e-mail-Adresse, Faxnummer, Telefonnummer) zu enthalten. Für die Arbeitslosmeldung ist das bundeseinheitliche Meldeformular zu verwenden. Die Meldung gilt erst dann als erstattet, wenn das ausgefüllte Meldeformular bei der regionalen Geschäftsstelle eingelangt ist. Ist die Meldung aus Gründen, die nicht in der Verantwortung der Meldung erstattenden Person liegen, unvollständig, verspätet oder gar nicht eingelangt, so gilt die Meldung mit dem Zeitpunkt der nachweislichen Abgabe (Absendung) der Meldung als erstattet. Das Einlangen der Meldung ist zu bestätigen.
§ 38. Soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist, sind auf die Notstandshilfe die Bestimmungen des Abschnittes 1 sinngemäß anzuwenden.
Im hier vorliegenden Fall wurden sowohl die Arbeitslosmeldungen des BF sowie sein per E-Mail übermittelter Antrag auf Arbeitslosengeld als formal zulässig und geeignet erachtet. Dieses Vorgehen entsprach den im Zuge der Pandemie erlassenen COVID-19-Maßnahmengesetztes und der dazu ergangenen Verordnungen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19.
Gemäß § 16 Abs. 1 lit. g AlVG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während des Aufenthalts im Ausland grundsätzlich schon von Gesetzes wegen, soweit nicht Abs. 3 oder Regelungen auf Grund internationaler Verträge anzuwenden sind. Nach § 16 Abs. 3 AlVG ist das Ruhen, wenn ein Auslandsaufenthalt vorliegt, bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände auf Antrag bis zu drei Monate während eines Leistungsanspruches nachzusehen. Solche Umstände sind neben jenen, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit liegen, auch Umstände, die auf zwingenden familiären Gründen beruhen.
Soweit daher familiäre Gründe als vorliegend festgestellt wurden, sei es auch nur für einen Teil des Auslandsaufenthalts, ist demnach zu klären, ob sie zwingend im Sinne des § 16 Abs. 3 AlVG waren.
Zur Vermeidung von dem Gesetzgeber nicht zuzusinnenden und unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes bedenklichen Wertungswidersprüchen ist nach der Rechtsprechung davon auszugehen, dass unter „zwingenden familiären Gründen“ nur solche anerkannt werden können, die von einer ihnen und einer notwendigen Reisezeit angemessenen, in der Regel aber relativ kurzen Dauer sind. Es ist nämlich bei Umständen, die nicht der Beseitigung der Arbeitslosigkeit dienen, sondern als zwingende familiäre Gründe ins Treffen geführt werden, damit vom Ruhen wegen Auslandsaufenthalt dispensiert werden kann, zu berücksichtigen, dass bei einem Auslandsaufenthalt – mag er nach dem Gesetz auch nur zum Ruhen und nicht zum Verlust des Anspruchs führen – die Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung fehlt, weil die abwesende Person sich nicht zur Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung im Sinn des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG bereithält. (VwGH 21.01.2009, 2007/08/0152 mwN).
Deshalb können jedenfalls solche familiären Umstände nicht zur Nachsicht gemäß § 16 Abs. 3 AlVG führen, die - träten sie im Inland ein - für sich allein auf Grund ihrer Eigenart und Dauer zum Fehlen dieser Verfügbarkeit führen müssten. Es kann nämlich dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er in § 16 Abs. 3 AlVG Dispens auf Grund von Umständen zulassen wollte, die im Inland eingetreten zum Bezugsausschluss wegen § 7 Abs. 1 Z. 1 AlVG führen würden.
Ein Arbeitsloser erfüllt die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit nur dann, wenn er bereit und in der Lage ist, jederzeit eine sich bietende Arbeitsmöglichkeit zumindest im Umfang der Verfügbarkeitsgrenze tatsächlich aufzunehmen und nicht z. B. durch eine anderweitige zeitliche Inanspruchnahme (Erwerbstätigkeit, umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeit; hier durch die Pflege seiner Mutter) oder allenfalls bestehende rechtliche Hindernisse daran gehindert ist. Verfügbarkeit iSd § 7 Abs. 3 Z 1 AlVG ist dann gegeben, wenn keine Bindung rechtlicher oder faktischer Art vorliegt, die erst beseitigt werden müsste, um eine die Arbeitslosigkeit beendende Beschäftigung aufzunehmen. Die erforderliche Pflege naher Angehöriger kann, bei entsprechendem zeitlichem Aufwand, die Verfügbarkeit ausschließen, wenn eine andere Pflegeperson nicht zur Verfügung steht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2011, Zl. 2008/08/0164, mwN). Dahingegen ist laut Rsp des VwGH bei kurzfristigen Einschränkungen, welche jederzeit kurzfristig beendet werden können, nicht von vornherein von der fehlenden Verfügbarkeit des Arbeitslosen auszugehen.
Im hier vorliegenden Fall reiste der BF nach Bosnien, um seiner Mutter im Zuge ihrer Erkrankung und ihres Spitalsaufenthaltes beizustehen. Die Mutter des BF war laut Vorbringen des BF und entsprechenden Feststellungen auf umfangreiche Pflegemaßnahmen angewiesen. Sie war nach ihrem Aufenthalt im Spital nicht in der Lage zu gehen. Weiter Familienangehörige waren nicht zu gegen. Aufgrund der Pandemie war der BF weiter nicht in der Lage eine andere Pflegekraft für seine Mutter zu organisieren. Der BF unterstützte seine Mutter daher in allen Angelegenheiten ihres täglichen Lebens.
Ausgehend von den Angaben des BF muss daher davon ausgegangen werden, dass die Pflege der Mutter infolge ihrer Gehunfähigkeit einen derartigen zeitlichen Aufwand bedeutete, dass auch bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit im Inland keine ausreichende Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt gegeben gewesen wäre.
Eine Nachsicht vom Ruhen des Arbeitslosengeldes nach § 16 Abs 3 AlVG kommt daher nicht in Frage.
4. Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. Gemäß Abs. 4 kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Gemäß Abs. 5 kann das Verwaltungsgericht von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Der für diesen Fall maßgebliche Sachverhalt konnte als durch die Aktenlage hinreichend geklärt erachtet werden.
Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Arbeitslosengeld Auslandsaufenthalt Beschwerdevorentscheidung ersatzlose Behebung familiäre Situation gewöhnlicher Aufenthalt Pandemie Ruhen des Anspruchs Verfügbarkeit am ArbeitsmarktEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I407.2235151.1.00Im RIS seit
11.01.2022Zuletzt aktualisiert am
11.01.2022