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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz betreffen einen Staatsangehörigen von Bangladesch mangels Auseinandersetzung mit den Länderberichten zur Situation HomosexuellerSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein 1998 geborener Staatsangehöriger von Bangladesch. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte er am 6. September 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er auf Grund seiner politischen Einstellung und Parteizugehörigkeit verfolgt worden sei.
2. Mit Bescheid vom 12. Oktober 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist. Ferner setzte es eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen.
3. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid zunächst Beschwerde und führte sodann in einer "Beschwerdeergänzung" vom 1. März 2021 unter anderem aus, dass er in seinem Herkunftsstaat nicht nur auf Grund seiner politischen Aktivität, sondern auch auf Grund der Tatsache, dass er homosexuell sei, verfolgt worden sei und dass die Angriffe gegen seine Person homophob motiviert gewesen seien.
4. Diese Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 6. April 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten [Spruchpunkt A) I.] gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 als unbegründet ab. Gemäß §8 Abs1 und 4 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer allerdings der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von einem Jahr erteilt [Spruchpunkte A) II. und III.]. Die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides wurden ersatzlos aufgehoben [Spruchpunkt A) IV.].
4.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seiner Entscheidung zunächst fest, dass der Beschwerdeführer keine konkrete politische Verfolgung in Bangladesch glaubhaft machen habe können und dass er nach der behördlichen Entscheidung sein Fluchtvorbringen komplett geändert habe – "von ursprünglich politischen Gründen zu nunmehr homosexuellen Gründen." Weiters stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, "dass dem BF auf Grund seiner behaupteten sexuellen Orientierung im Fall der Rückkehr nach Bangladesch eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung droht."
4.2. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht sodann nach Wiedergabe allgemeiner Ausführungen zur Gewährung des Status des Asylberechtigten wie folgt aus:
5. "Der BF hat im Verfahren nicht glaubhaft gemacht, dass er weder durch politische Verfolgung oder durch das Bekanntwerden seiner Homosexualität in seinem Herkunftsland Diskriminierungshandlungen von Privatpersonen ausgesetzt war. Vielmehr gab er an, dass er seine Homosexualität in Bangladesch offen ausleben konnte. Erst als er in der Öffentlichkeit gemeinsam mit seinem Freund auf offenem Feld erwischt worden sei, habe man ihn zum Verlassen des Dorfes aufgefordert." Gegen Spruchpunkt A) I. dieser Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Spruchpunktes A) I. des Erkenntnisses beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht und die belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht haben die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungs-verfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht verneint zunächst im Rahmen seiner Feststellungen eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers auf Grund seiner politischen Gesinnung, stellt aber sodann fest, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch auf Grund seiner behaupteten sexuellen Orientierung eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung drohe. Beweiswürdigend führt das Bundesverwaltungsgericht zur Verfolgung wegen der Homosexualität im Wesentlichen aus, dass sich aus den Länderberichten ergebe, dass Homosexualität in Bangladesch unter Strafe stehe und dass jedes Jahr über dutzende Angriffe auf Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft berichtet werde, weshalb auch dem Beschwerdeführer eine gegen seine Person gerichtete Verfolgung drohe.
2.2. Wenn das Bundesverwaltungsgericht sodann aber in seiner rechtlichen Begründung zu dem Schluss kommt, dass der Asylantrag abzuweisen sei, weil der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht habe, dass er bereits verfolgt worden sei, so verkennt es dabei, dass eine bereits in der Vergangenheit gesetzte Verfolgungshandlung nicht Voraussetzung der Asylgewährung ist (vgl VfGH 9.6.2017, E832/2017). Für die Asylgewährung ist lediglich bedeutsam, ob auf Grund der in der Person des Antragstellers gelegenen Merkmale vor dem Hintergrund der aktuellen Lage im Herkunftsstaat Verfolgungsgefahr angenommen werden kann (vgl Schrefler-König, §3 AsylG 2005, in: Schrefler-König/Szymanski [Hrsg.], Fremdenpolizei- und Asylrecht, rdb.at, Stand 1.6.2016, Anm. 17 f.).
2.3. Vor dem Hintergrund der vom Bundesverwaltungsgericht selbst getroffenen Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr auf Grund seiner Homosexualität verfolgt werden würde, ist somit nicht nachvollziehbar, weshalb das Bundesverwaltungsgericht die Bescheidbeschwerde hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Entscheidung daher mit Willkür belastet.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E1961.2021Zuletzt aktualisiert am
12.01.2022