RS Vfgh 2021/12/15 V229/2021 (V229/2021-11)

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z1
COVID-19-MaßnahmenG §2
COVID-19-MaßnahmenV des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 03.04.2020 §1
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Aufhebung der Wortfolge einer COVID-19-Maßnahmenverordnung betreffend die Untersagung des Betretens von Kinderspielplätzen in Graz mangels Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen; keine Heilung der mangelhaften Dokumentation durch Einbringung von Begründungen nach Verordnungserlassung

Rechtssatz

Gesetzwidrigkeit der Wortfolge "Kinderspielplätze und" in §1 Abs1 der Verordnung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 03.04.2020 betreffend die Untersagung des Betretens von Kinderspielplätzen und Sportplätzen in Graz zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, ZPräs 027888/2020/0002.

Im Verordnungsakt liegen ein Erlass des BMSGPK vom 13.03.2020 betreffend Maßnahmen in Bezug auf Kindergärten, der jedoch keine Aussage zu Kinderspielplätzen im öffentlichen Raum trifft, mehrere Verordnungsentwürfe samt "Erläuterungen", die ihrerseits auf die durch das COVID-19-MG geschaffene Möglichkeit verweisen, auch das Betreten von Kinderspielplätzen zu verbieten, sowie die elektronisch gefertigte Verordnung vom 16.03.2020 samt der Dokumentation ihrer Kundmachung ein. Auch finden sich Medienberichte vom 19.03.2020 und vom 28.04.2020 sowie Newsletter des Österreichischen Städtebundes vom 20. und vom 23.03.2020, denen auf das Wesentliche zusammengefasst zu entnehmen ist, dass auch andere Städte das Betreten von Kinderspielplätzen untersagt hätten. Aktenvermerke vom 23. und 28.07.2021 - also von mehr als ein Jahr nach der Erlassung der Verordnung liegenden Zeitpunkten - legen jene Überlegungen dar, die die Entscheidungsträger zur Erlassung des Verbotes, Kinderspielplätze zu betreten, geleitet hätten.

Betrachtet man die Dokumentation zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung, ergibt sich, dass die verordnungserlassende Behörde nicht hinreichend dokumentiert hat, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände, nämlich das Auftreten von COVID-19 und die Erforderlichkeit von Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung dieser Krankheit, ihre Verordnungsentscheidung fußte. Der Umstand, dass durch §2 COVID-19-MG ausdrücklich eine gesetzliche Grundlage geschaffen wurde, durch Verordnung das Betreten bestimmter Orte - so auch von Kinderspielplätzen - zu verbieten, ersetzt eine Dokumentation mit dem Ziel der Nachvollziehbarkeit der Erforderlichkeit des Verbotes gerade nicht; auch der Hinweis, dass auch andere Städte das Betreten von Kinderspielplätzen untersagt hätten, gibt noch keinen Aufschluss über die Verbreitung der Krankheit zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung in der Landeshauptstadt Graz. In diesem Zusammenhang ist weiters darauf zu verweisen, dass der aktenmäßigen Dokumentation nicht durch die Sammlung und Übermittlung von jeglichen zur Verfügung stehenden Informationen entsprochen wird. Auch kann der Versuch einer nachträglichen Begründung - wie durch die Aktenvermerke vom 23. und 28.07.2021 (!) - den Mangel der Dokumentation zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung nicht heilen, ist doch für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung durch den VfGH nur die im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung am 03.04.2020 aktenmäßige Dokumentation maßgeblich.

Entscheidungstexte

Schlagworte

COVID (Corona), Verordnungserlassung, Bindung (des Verordnungsgebers), Grundlagenforschung, Determinierungsgebot, Legalitätsprinzip, Kinder, VfGH / Gerichtsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:V229.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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