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Sozialversicherung - ASVG - AlVGNorm
ASVG §412 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Loebenstein und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Iro, Öhler und Dr. Pichler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rat im Verwaltungsgerichtshof Dr. Feitzinger, über die Beschwerde der PS in Jerusalem, vertreten durch Dr. Alexander Kubicek, Rechtsanwalt in Wien I, Spiegelgasse 19, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 15. Februar 1977, Zl. MA 14- S 44/76, betreffend Zurückweisung eines Rechtsmittels, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Dr. Alexander Kubicek, und des Vertreters der belangten Behörde, Magistratsrat Dr. JC (mitbeteiligte Partei:
Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in Wien V, Blechturmgasse 12), zu
Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 6.750,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten erließ den nachstehenden, an die Beschwerdeführerin zu Handen ihres auch nunmehr einschreitenden Rechtsvertreters gerichteten Bescheid vom 19. Juli 1976: "Die von Ihnen gemäß §§ 500 ff ASVG (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) BG vom 9. 9. 1955, BGBl. Nr. 189/55, in der derzeit geltenden Fassung für die Zeit vom 1. 9. 1933 - 31. 3. 1959 wird abgelehnt." In der diesem Spruch folgenden Begründung führte die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten nach der Zitierung des maßbebenden Gesetzestextes an, dass die Beschwerdeführerin laut ihren Angaben Österreich im September 1933 aus politischen Gründen verlassen habe. Diesen Tatbestand habe die Beschwerdeführerin nicht nachweisen können, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
Am 29. Juli 1976 langte bei der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten ein vom auch nunmehr einschreitenden Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin verfasster Schriftsatz ein, auf dessen erster Seite die "Vers.Nr. nnnn 31 12 03" angeführt sowie die Beschwerdeführerin als "klagende Partei" und die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten als "beklagte Partei" bezeichnet wurde. Ferner findet sich auf der ersten Seite dieses Schriftsatzes auch das Wort "Einwendungen". Die Anführung eines Bescheides dem Datum und der Zahl nach fehlt aber.
Die zweite Seite dieses am 29. Juli 1976 bei der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten eingelangten Schriftsatzes lautet: "Gegen den umseits bezeichneten Bescheid erhebe ich innerhalb offener Frist folgende Einwendungen:
Es ist unrichtig, dass ich nicht nachweisen kann, aus politischen Gründen Österreich 1933 verlassen zu haben. Ich verweise auf die beiliegende Kopie der Bescheinigung des österreichischen Konsulates in Jerusalem. Außerdem hat die MA 12 erklärt, die verhinderte Rückkehr im Jahre 1938 bescheinigen zu können. Ich stelle daher den Antrag auf Zuerkennung der beantragten Begünstigung. "
Im Vorlagebericht der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 11. August 1976 an die belangte Behörde wird erklärt, dass die Eingabe des Herrn Rechtsanwaltes Dr. Alexander Kubicek vom 23. Juli 1976, zur Post gegeben am 28. Juli 1976, in welcher (zweifach) Einwendungen "gegen den umseits bezeichneten Bescheid innerhalb offener Frist" gemacht worden seien, zur allfälligen Behandlung als Einspruch gemäß § 412 ASVG in Vorlage gebracht und unter Anschluss des Pensionsaktes dazu Stellung genommen werde.
Daraufhin erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, mit dem die Einwendungen der Beschwerdeführerin, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 412 Abs. 1 ASVG als unzulässig zurückgewiesen wurden. Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides sei in der Eingabe vom 23. Juli 1976 der bekämpfte Bescheid nicht bezeichnet und es sei in keiner Weise ersichtlich, gegen welche Entscheidung der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten sich die "Einwendungen" richten sollten, wobei die Angabe der Versicherungsnummer deswegen nicht hinreiche, weil diese seitens der mitbeteiligten Anstalt für die gesamte Korrespondenz mit der jeweiligen Partei verwendet werde und dadurch allein nicht festgelegt sei, welche Absprache der mitbeteiligten Anstalt angefochten werde. In Ermangelung einer Konkretisierung der bekämpften Entscheidung könne dem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 23. Juli 1976 nicht der Charakter eines dem Gesetz entsprechenden Rechtsmittels zukommen. Der Umstand, dass sich aus den Pensionsakten selbst "folgern lasse", gegen welchen Bescheid sich die gegenständliche Eingabe richten solle, sei in diesem Zusammenhang ohne rechtliche Bedeutung, da es sich, wie auch der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung bereits wiederholt dargelegt habe, beim Fehlen der Bezeichnung des bekämpften Bescheides nicht nur um ein bloßes Formgebrechen; sondern um einen Mangel des vom Gesetzgeber geforderten materiellen Inhaltes des Rechtsmittels handle und in einem solchen Fall ein dem Gesetz entsprechendes Rechtsmittel von vornherein nicht vorliege. Die belangte Behörde habe daher mit Zurückweisung vorzugehen gehabt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darüber sowie über die von der belangten Behörde und der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten erstatteten Gegenschriften hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, dass aus dem Einspruch nicht hervorgehe, gegen welchen Bescheid sich dieser gerichtet habe. Diese Schlussfolgerung sei "denkunmöglich". Richtig sei lediglich, dass im Einspruch übersehen worden sei, das Datum des Bescheides der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten anzuführen. Aber selbst im Zivilprozess könne das Fehlen des Datums des Urteiles in der Berufung nicht zur Zurückweisung derselben führen. Die belangte Behörde habe nicht beachtet, dass die formalen Erfordernisse im Verwaltungsverfahren für die Parteien günstiger seien. Aus dem Akt der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten gehe eindeutig hervor, gegen welchen Bescheid sich der Einspruch gerichtet habe, da sich in diesem Akt nur ein einziger Bescheid befinde und auch der Inhalt des Einspruches keine Fragen offen gelassen habe. Ein Irrtum sei daher nicht möglich gewesen. Daher könne aus der Unterlassung, das Datum des bekämpften Bescheides anzuführen, keine nachteilige Folge, insbesondere kein Anspruchsverlust, verbunden sein.
Die Beschwerde ist begründet. Die Gesetzmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist davon abhängig, ob die "Einwendungen" der Beschwerdeführerin vom 23. Juli 1976 als Einspruch gegen den nicht bezeichneten Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten von 19. Juli 1976 zu werten sind.
Gemäß dem zweiten Satz des § 412 Abs. 1 ASVG hat der Einspruch den Bescheid zu bezeichnen, gegen den er sich richtet, und einen begründeten Einspruchsantrag zu enthalten. Diese Bestimmung entspricht dem 63 Abs. 3 AVG 1950, weshalb die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser zuletzt genannten Gesetzesstelle herangezogen werden kann. Nach der Judikatur ist in der völlig unrichtigen Bezeichnung der bekämpften Entscheidung ebenso wenig wie in dem Fehlen eines begründeten Berufungsantrages ein bloßes Formgebrechen zu erblicken, das ähnlich wie das Fehlen einer Unterschrift die Behörde zur amtswegigen Behebung des von ihr erkannten Mangels zu veranlassen hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. April 1961, Zl. 290/60, auf das unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird). Jedoch ist der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung einer rein formalistischen Auslegung des § 63 Abs. 3 AVG 1950 entgegengetreten (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 22. Juni 1950, Zl. 2107/49, Slg. N.F. Nr. 1564/A, und vom 9. November 1956, Zl. 699/55, Slg. N.F. Nr. 4192/A).
Nach § 63 Abs. 3 AVG 1950 sowie nach § 412 Abs. 1 ASVG ist es erforderlich, dass das Rechtsmittel die "Bezeichnung" desjenigen Bescheides enthält, gegen den es sich richtet. In den §§ 6 und 7 ABGB werden für die Auslegung einer Norm die eigentümliche Bedeutung der Worte eines Gesetzes in ihrem Zusammenhang und die klare Absicht des Gesetzgebers in den Vordergrund gestellt. Unter Berücksichtigung dieser Auslegungsgrundsätze muss ein Rechtsmittel im Sinne des § 63 Abs. 3 AVG 1950 sowie des § 412 Abs. 1 ASVG in einer Weise bezeichnet werden, die eine Unterscheidung zulässt und die Möglichkeit einer Verwechslung darüber ausschließt, gegen welchen Bescheid es sich richtet. Entsprechend dieser Auffassung hat der Verwaltungsgerichtshof in der Rechtsprechung die in einschlägigen Gesetzen gebrauchten Worte hinsichtlich der Bezeichnung des Rechtsmittels ausgelegt. Darnach ist eine richtige, ja überhaupt die Bezeichnung des Rechtsmittels dann entbehrlich, wenn nicht zweifelhaft ist, dass und welches Rechtsmittel erhoben wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1974, Zl. 1398/74, Slg.N.F. Nr. 8727/A). Das gilt entsprechend für die Bezeichnung des bekämpften Bescheides.
In der gegenständlichen Angelegenheit enthält das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin vom 23. Juli 1976 eine genügende Bezeichnung des damit bekämpften Bescheides der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 19. Juli 1976. Im Hinblick auf die Tatsache, dass nach der Aktenlage - zumindest bis dahin - in dieser Angelegenheit der Beschwerdeführerin noch kein anderer Bescheid, insbesondere kein solcher, mit dem über die Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG abgesprochen worden ist, erlassen wurde, und im Hinblick auf den vom Beschwerdeführer in diesem Rechtsmittel gestellten Antrag auf Zuerkennung der begehrten Begünstigung bestand für die belangte Behörde kein Zweifel über das angefochtene Substrat.
Diese sich durch die richtige Auslegung des § 412 Abs. 1 ASVG ergebende Rechtsansicht verkannte aber die belangte Behörde, weshalb sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastete. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 im Zusammenhalt mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 31. Oktober 1977, BGBl. Nr. 542/1977, die entsprechend ihrem Art. III Abs. 2 auf die gegenständliche Angelegenheit anzuwenden war. Das Kostenmehrbegehren musste abgewiesen werden, weil in den Pauschalbeträgen dieser Verordnung die Auslagen für die Umsatzsteuer bereits berücksichtigt sind.
Wien, am 16. März 1978
Schlagworte
Auslegung Allgemein authentische Interpretation VwRallg3/1 Verbesserungsauftrag Ausschluß Berufungsverfahren Fehlen des begründeten RechtsmittelantragesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1978:1977000926.X00Im RIS seit
11.01.2022Zuletzt aktualisiert am
11.01.2022