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Polizeirecht - WaffGNorm
AVG §68 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Loebenstein und die Hofräte Dr. Draxler, Dr. Großmann, Dr. Hoffmann und Dr. Herberth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rat im Verwaltungsgerichtshof Dr. Feitzinger, über die Beschwerde des OV in S, vertreten durch Dr. Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien I, Seilerstätte 22, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien I, Rosenbursenstraße 1, vom 6. April 1978, Zl. Wa 72-11/78, betreffend Ausstellung eines Waffenpasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 3.320,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bezirkshauptmannschaft G. hat dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 19. Februar 1974 den ihm am 25. Mai 1970 ausgestellten Waffenpaß gemäß § 20 Abs. 1 des Waffengesetzes 1967, BGBl. Nr. 121 (WaffG), entzogen, weil eine fachärztliche Untersuchung ergeben hätte, daß der Beschwerdeführer als "hyperthymer Psychopath mit Affektlabilität und verminderter Hemmungsfähigkeit" auf Grund dieses Geisteszustandes zum Führen und Besitz einer Schußwaffe nicht geeignet sei. Die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid blieb ebenso erfolglos wie die von ihm zur Zahl 1910/74 erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Mit Antrag vom 12. August 1976 begehrte der Beschwerdeführer, ihm wieder einen Waffenpaß auszustellen. Er brachte vor, er sei in der Lage, ein fachärztliches Gutachten vorzulegen, wonach er nicht geisteskrank sei und sein durch eine gewisse Skurrilität gekennzeichnetes Gesamtverhalten niemals zu Befürchtungen drohender Selbst- oder Gemeingefährlichkeit Anlaß geben könne. Er benötige eine Waffe aus beruflichen Gründen. Auf Grund einer Aufforderung der Behörde legte der Beschwerdeführer ein fachärztliches Gutachten des Dr. Georg H. vom 11. Mai 1975 vor, in dem bestätigt wird, der Beschwerdeführer sei nicht geisteskrank. Eine gewisse, vor allem im psychologischen Test signifikant gewordene und dem Untersuchten eigene affektive Irritierbarkeit habe in der Art eines vorübergehenden Kontrollverlustes zu dem seinerzeitigen Fehlverhalten bestimmend mitgewirkt. Es dürfe angenommen werden, daß das akut auslösende Moment für die damals inkriminierte Verhaltensweise der willkommene Anlaß gewesen sei, eine vielleicht schon seit längerem bestandene Aggressionsstauung zu entladen. Nach Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens, das auf ein Gutachten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 11. Februar 1977 Bezug nahm, wies die Bezirkshauptmannschaft G. mit Bescheid vom 28. Juli 1977 den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Waffenpasses gemäß § 17 Abs. 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z. 1 WaffG ab und begründete diesen Bescheid damit, der Beschwerdeführer sei als nicht verläßliche Person im Sinne des Waffengesetzes anzusehen. Er habe am 8. April 1973 in S bei einem Spaziergang eine geladene Pistole unbegründet gegen Passanten bzw. gegen deren Hund gerichtet, weshalb ihm der Waffenpaß entzogen worden sei. Die inzwischen erstellten Gutachten hätten keine Änderung in der Persönlichkeit des Antragstellers erkennen lassen.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, das fachärztliche Untersuchungsergebnis vom 10. Oktober 1973 bzw. das Gutachten vom 8. Februar 1974 entspreche nicht dem gegenwärtigen Sachverhalt, während das Gutachten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit keinen Bezug auf die Zuverlässigkeit im Sinne des Waffengesetzes nehme. Das letztgenannte Gutachten komme auch zu keiner endgültigen Beurteilung. Es müßte vielmehr ein Gutachten der psychiatrischen Universitätsklinik eingeholt werden.
Im Zuge des Berufungsverfahrens wurden ein nervenärztlicher Befund und Gutachten des Vorstandes der Neurologischen Abteilung des Krankenhauses der Stadt W., Prof. Dr. K. J., vom 16. Jänner 1978 eingeholt, das zu dem Schluß kommt, auf Grund der nervenärztlichen und testpsychologischen Untersuchung ergeben sich derzeit keine nervenärztlichen Hinweise für die Annahme, daß der Beschwerdeführer die im § 6 WaffG geforderte Verläßlichkeit nicht besitze. In Anbetracht der Vorgeschichte sowie der Vorgutachten werde eine nervenärztliche und psychologische Kontrolluntersuchung nach Ablauf eines Jahres vorgeschlagen.
Der Beschwerdeführer erklärte sich in einer Stellungnahme zu diesem Gutachten bereit, sich ein Jahr nach Erteilung des Waffenpasses einer neuerlichen ärztlichen Untersuchung unterziehen zu lassen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dem Beschwerdeführer mangle, ungeachtet des nervenfachärztlichen Befundes und Gutachtens des Vorstandes der Neurologischen Abteilung des Krankenhauses der Stadt W., die erforderliche Verläßlichkeit gemäß § 6 Abs. 1 WaffG, da diese Begutachtung als für den medizinischen Teil eingeschränkt angesehen werden müsse und selbst in diesem Rahmen nur für die Dauer eines Jahres befristet Gültigkeit besitze. Sie könne den Auswirkungen im Sinne des § 6 WaffG im juristischen Sinn keineswegs zur Gänze Rechnung tragen. Es sei zwar richtig, daß das vom Beschwerdeführer angestrebte Gutachten der Psychiatrischen Universitätsklinik erst durch das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Landessanitätsdirektion, veranlaßt worden sei. Es erscheine zweifelhaft, daß dem Beschwerdeführer das Gutachten vom 10. März 1977 nicht zur Kenntnis gebracht worden sei, zumal er den gleichen Vorwurf auch der Berufungsbehörde in seiner Stellungnahme vom 13. März 1978 gemacht hätte. Die Zurkenntnisbringung gerade dieses Gutachtens sei der Behörde erster Instanz mit Erlaß der belangten Behörde vom 2. Februar 1978 ausdrücklich aufgetragen worden und auch "glaublich" erfolgt. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz sei nur insoweit gegeben, als das Gutachten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 11. Februar 1977, das dem amtsärztlichen Gutachten vom 10. März 1977 zugrunde liege und zur Bescheidbegründung herangezogen worden sei, ausdrücklich auf den Vorbehalt einer Differenzialdiagnose eines psychiatrischen Gutachtens verweise. Auch könne im Fall des Beschwerdeführers der Bedarf im Sinne des Gesetzes nicht angenommen werden, da die Gefahren, denen er ausgesetzt sei, das Normalmaß nicht überschreiten. Die Berufsausübung als Angestellter der "E. Wach- und Schließgesellschaft mbH" könne für sich allein keine Rechtfertigung für das Recht zum Führen von Faustfeuerwaffen darstellen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Als Beschwerdepunkt wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei in seinem Recht auf Ausstellung eines Waffenpasses gemäß § 17 Abs. 2 WaffG durch unrichtige Anwendung dieser Norm sowie der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Bescheid der belangten Behörde vom 28. August 1974, mit dem diese als Rechtsmittelinstanz die Entziehung des von der Bezirkshauptmannschaft G. am 25. Mai 1970 ausgestellten Waffenpasses bestätigt hat, steht der Antragstellung des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Waffenpasses nicht entgegen. Nach Lehre und Rechtsprechung besteht die Rechtskraft eines Bescheides darin, daß die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden soll. Die Rechtskraft hat zur Voraussetzung, daß Inhalt und Entscheidungsgründe des rechtskräftig festgestellten Rechtsverhältnisses mit dem Inhalt und Entscheidungsgrund des Rechtsverhältnisses, das der Behörde zur neuerlichen Entscheidung vorgetragen wird, übereinstimmen. Die Rechtskraft eines Bescheides verliert aber dann ihre Bedeutung, wenn für den Anspruch nach der rechtskräftigen Entscheidung ein neuer Rechtsgrund entstanden ist (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Oktober 1970, Slg. N.F. Nr. 9139/A, und die dort zitierte Rechtsprechung). Geht man von diesen Grundsätzen aus, so zeigt sich, daß der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Waffenpasses auch den Antrag auf Überprüfung, ob die Voraussetzungen für die seinerzeitige Entziehung des Waffenpasses vorgelegen sind, enthält.
Der im angefochtenen Bescheid festgestellte Sachverhalt reicht aber nach Ansicht des Gerichtshofes nicht aus, um beurteilen zu können, ob die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Waffenpasses gemäß § 17 Abs. 2 des Waffengesetzes, insbesondere die waffenrechtliche Verläßlichkeit im Sinne des § 6 dieses Gesetzes auf seiten des Beschwerdeführers nicht vorlagen. Gemäß § 17 Abs. 2 WaffG hat die Behörde einer verläßlichen großjährigen Person, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und einen Bedarf zum Führen von Faustfeuerwaffen nachweist, einen Waffenpaß auszustellen. Die Ausstellung eines Waffenpasses an andere verläßliche großjährige Personen liegt im Ermessen der Behörde; ebenso die Ausstellung an Personen, die über 18 Jahre alt sind, soweit diese den Nachweis des beruflichen Bedarfes erbringen. Gemäß § 6 Abs. 1 WaffG ist eine Person als verläßlich im Sinne dieses Gesetzes anzusehen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sie 1) Waffen nicht mißbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird; 2) mit Waffen vorsichtig und sachgemäß umgehen und diese sorgfältig verwahren wird; 3) Waffen nicht an Personen überlassen wird, die zum Besitz von Waffen nicht berechtigt sind.
Die belangte Behörde hat nun im angefochtenen Bescheid nicht ausgeführt, welche Tatsachen die Annahme rechtfertigen könnten, daß der Beschwerdeführer als nicht verläßlich im Sinne des Gesetzes anzusehen sei. Damit hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel belastet, weil weder die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens noch die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen aus der Bescheidbegründung zu entnehmen sind (vgl. §§ 67 und 60 AVG 1950). Der Bescheidbegründung ist nämlich nicht zu entnehmen, warum die Behörde dem Beschwerdeführer die Verläßlichkeit abgesprochen hat, ohne sich mit dem von ihr selbst eingeholten und offenbar für die Entscheidung als wesentlich erachteten Gutachten des Vorstandes der Neurologischen Abteilung des Krankenhauses der Stadt W. auseinanderzusetzen.
Ohne Bedeutung für die Entscheidung im Beschwerdefall ist es nach Meinung des Gerichtshofes, ob das sogenannte "Gutachten" vom 10. März 1977 dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht wurde, da diese schriftliche Äußerung des Amtsarztes an den Referenten einerseits keine Befundaufnahme enthält, andererseits aber nur auf psychologische und fachärztliche Gutachten verweist. Die aus dem psychologischen Gutachten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 11. Februar 1977 übernommenen wesentlichen Teile sind aber schon deshalb ohne eigene Aussagekraft, weil, wie die belangte Behörde selbst erkannt hat, dieses Gutachten ausdrücklich unter dem Vorbehalt einer Differenzialdiagnose durch ein psychiatrisches Gutachten erstellt wurde. Die Mangelhaftigkeit der Begründung des Bescheides erster Instanz, den die belangte Behörde darin erblickte, daß dieses Gutachten zur Bescheidbegründung herangezogen wurde, haftet dem angefochtenen Bescheid im gleichen Maße an, soweit dieser das sogenannte Gutachten vom 10. März 1977 als Beweismittel wertet, weil diesem amtsärztlichen "Gutachten" das psychologische Gutachten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 11. Februar 1977 zugrunde liegt.
Bei dieser Rechtslage hatte sich der Gerichtshof nicht mehr mit der Frage, ob ein Bedarf vorliegt, auseinanderzusetzen, ebensowenig damit, ob der Antrag dahin zu verstehen war, daß der Beschwerdeführer eine anspruchsmäßige oder auch eine ermessende Entscheidung erreichen wollte.
Da somit der angefochtene Bescheid die aufgezeigten wesentlichen Begründungsmängel aufweist, mußte er gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1965 aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 lit. a und b VwGG 1965 im Zusammenhalt mit Art. 1 A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 31. Oktober 1977, BGBl. Nr. 542.
Wien, am 3. April 1979
Schlagworte
Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde res iudicata ne bis in idem Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1979:1978001295.X00Im RIS seit
11.01.2022Zuletzt aktualisiert am
11.01.2022