TE OGH 2021/9/22 18OCg4/21v

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Veith, die Hofräte Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und Mag. Painsi sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Schiedsrechtssache der Antragstellerin (schiedsbeklagte Partei) M***** GmbH, *****, gegen die Antragsgegnerin (schiedsklagende Partei) N***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Horst Pechar, Rechtsanwalt in Weiz, wegen Aufhebung eines Schiedsspruchs über die Zuständigkeit (Verfahrenshilfe), in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang wird abgewiesen.

Text

Begründung:

[1]            Zwischen den Streitteilen ist seit Juni 2019 ein Schiedsverfahren anhängig. Das Schiedsgericht besteht aus drei Schiedsrichtern (vgl zuletzt 18 ONc 2/21w und 18 ONc 3/21t).

[2]            Die Antragstellerin ist nicht anwaltlich vertreten. Mit ihrer Eingabe vom 19. 8. 2021 („Verfahrenshilfeantrag / Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs betreffend der Zuständigkeit des Schiedsgerichtes vom 10. 5. 2021 / Urkundenvorlage“) beantragte sie die Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang zur Einbringung einer Klage gemäß § 611 ZPO zur Aufhebung des Schiedsspruchs, mit welchem das Schiedsgericht über seine Zuständigkeit abgesprochen habe.

[3]            Die Antragstellerin bestreite die Zulässigkeit des Schiedsverfahrens und die Gültigkeit der diesem zugrunde liegenden Schiedsklausel. Der Schiedsspruch über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts sei mit der Prozessleitenden Verfügung Nr 8 vom 10. 5. 2021 erlassen und der Antragstellerin am 20. 5. 2021 (oder 19. 5. 2021) durch Hinterlegung zugestellt worden.

[4]            In Punkt 2.1. der Prozessleitenden Verfügung Nr. 8 werde festgehalten: „Das Schiedsgericht ist für die Entscheidung in der Sache zuständig. Die Begründung wird dem Schiedsspruch vorbehalten.“ Dieser Schiedsspruch sei allein aufgrund der Tatsache, dass er keine Begründung enthalte, nichtig und daher aufzuheben. Dieser verletze grundlegende Verfahrensvorschriften und verstoße gegen § 611 Abs 2 Z 8 ZPO, weil die drei befangenen Schiedsrichter die unvertretene Antragstellerin nicht oder nicht ausreichend angeleitet, sie in ein kompliziertes schriftliches Verfahren hineingezwungen und ihre Beweisanträge nicht fair behandelt hätten.

[5]            Die genannten Aufhebungsgründe seien aber nicht vollständig und nur laienhaft dargestellt. Es bleibe dem Verfahrenshelfer vorbehalten, eine taugliche Aufhebungsklage einzubringen.

[6]       Der Verfahrenshilfeantrag ist abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[7]            1. Über den Verfahrenshilfeantrag der Antragstellerin ist auf der Grundlage ihres Vorbringens zu entscheiden. Dabei kann dahinstehen, ob sie die vermögensbezogenen Voraussetzungen für die Gewährung der Verfahrenshilfe erfüllt. Aus ihrem Vorbringen und den von ihr vorgelegten Urkunden ergibt sich nämlich die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung iSv § 63 Abs 2 ZPO.

[8]            2. Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten ist die besondere Gestaltung des Verfahrens über die von der Antragstellerin angestrebte Aufhebungsklage nach § 611 ZPO zu beachten: Der Oberste Gerichtshof entscheidet über diese Klage in erster und letzter Instanz, und das Geltendmachen weiterer Aufhebungsgründe ist nach Ablauf der Klagefrist unzulässig. Damit ist Aussichtslosigkeit iSv § 63 Abs 2 ZPO schon dann anzunehmen, wenn die geltend gemachten Aufhebungsgründe nach Auffassung des Senats zu keiner stattgebenden Entscheidung führen werden (18 OCg 7/19g).

[9]            3.1. Über seine Zuständigkeit und Entscheidungsbefugnis entscheidet das Schiedsgericht selbst. Die Entscheidung kann mit der Entscheidung in der Sache getroffen werden, aber auch gesondert in einem eigenen Schiedsspruch (§ 592 Abs 1 ZPO). Gegen einen Schiedsspruch, mit welchen das Schiedsgericht über seine Zuständigkeit abgesprochen hat, kann nur eine Klage auf gerichtliche Aufhebung erhoben werden (§ 611 Abs 1 ZPO).

[10]           3.2. Voraussetzung für den Erfolg einer Anfechtungsklage ist, dass überhaupt ein Schiedsspruch iSd § 606 ZPO vorliegt. Erklärungen, denen die Mindesterfordernisse für die Einstufung als Schiedsspruch fehlen, sind ipso iure wirkungslos, ohne dass es einer Aufhebung nach § 611 ZPO bedürfte. Liegt ein solcher Nichtschiedsspruch vor, ist die Aufhebungsklage meritorisch abzuweisen (Hausmaninger in Fasching/Konecny3 IV/2 § 611 ZPO Rz 73). Wenn sich die Klage schon nach ihrem Vorbringen gegen einen Nichtschiedsspruch richtet und daher von vornherein unschlüssig ist, ist die Klage schon im Vorprüfungsverfahren in Analogie zu § 538 ZPO zurückzuweisen (18 OCg 2/19x).

[11]           3.3. Die von der Antragstellerin als Schiedsspruch über die Zuständigkeit verstandene Erklärung des Schiedsgerichts in der Prozessleitenden Verfügung Nr 8 vom 10. 5. 2021 ist weder nach dem objektiven Erklärungswert ihres Inhalts als Schiedsspruch zu verstehen noch erfüllt sie die formellen Voraussetzungen hierfür (vgl § 606 Abs 1 ZPO; RIS-Justiz RS0045065).

[12]           Das Schiedsgericht, das das bisherige Verfahren auf die Themen Zuständigkeit des Schiedsgerichts, Prozessfähigkeit/Vertretung der Schiedsbeklagten und Unterbrechung des Schiedsverfahrens beschränkt hatte, gab mit dieser Prozessleitenden Verfügung Nr 8 den weiteren Verfahrensgang bekannt. Es hält einleitend zwar fest, dass es für die Entscheidung in der Sache zuständig ist. Diese Information dient aber offenbar nur dazu, den nachfolgenden Auftrag eines Schriftsatzwechsels zur inhaltlichen Frage und die Bekanntgabe des Termins für die Verhandlung zur inhaltlichen Frage zu erklären. Das Schiedsgericht hat erkennbar keinen Willen, damit über die Frage der Zuständigkeit förmlich gesondert zu entscheiden. Eine solche Entscheidungsfindung nach dem entsprechenden Abstimmungsprozess (§ 604 ZPO) bringt das Schiedsgericht nicht zum Ausdruck. Im Gegenteil, behält es die Begründung seiner Rechtsauffassung doch ausdrücklich „dem Schiedsspruch“ vor.

[13]           Die Prozessleitende Verfügung Nr 8 vom 10. 5. 2021 ist nur vom Vorsitzenden unterfertigt, weist also nicht die nach § 606 Abs 1 ZPO gebotenen Unterschriften zumindest der Mehrheit aller Mitglieder des Schiedsgerichts auf. Solange nicht eine ordnungsgemäß unterfertigte Entscheidung in Schriftform vorliegt, liegt ein Nichtschiedsspruch vor (Hausmaninger in Fasching/Konecny3 IV/2 § 606 ZPO Rz 46; Weber in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht Rz 14.121 mwN), der nicht Gegenstand einer Aufhebungsklage nach § 611 ZPO sein kann.

[14]           3.4. Die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung ist schon aus diesem Grund iSd § 63 Abs 2 ZPO als aussichtslos zu qualifizieren. Die Schlüssigkeit der Klage in Bezug auf die behaupteten Aufhebungsgründe ist daher nicht mehr zu prüfen (zum Begründungsmangel und dessen Präklusion siehe RS0131053).

Textnummer

E133467

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:018OCG00004.21V.0922.000

Im RIS seit

12.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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