Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers Dipl.-Ing. G* L*, vertreten durch den Verein Mieterfreunde Österreich, *, gegen die Antragsgegnerin E* M*, vertreten durch Mag. Ingrid Juliane Gaismayer, LL.M, Rechtsanwältin in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 iVm § 16 Abs 2 MRG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. Februar 2021, GZ 39 R 234/20f-32, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 31. August 2020, GZ 46 Msch 1/19v-28, abgeändert wurde, den
Sachbeschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Sachbeschluss wird dahin abgeändert, dass der erstinstanzliche Sachbeschluss einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 314,71 EUR (darin 52,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 623,50 EUR (darin 62,92 EUR USt und 246 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Der Antragsteller war Mieter, die Antragsgegnerin Vermieterin der Wohnung Top 16 im Haus Schönburgstraße *, 1040 Wien.
[2] Der Antragsteller mietete die 74,27 m² große Wohnung mit schriftlichem Mietvertrag vom 8. 1. 2008 beginnend mit 1. 1. 2008 zunächst befristet bis 31. 12. 2012 an. Im Mietvertrag wurde unter Berücksichtigung des 25%-igen Befristungsabschlags ein Hauptmietzins von monatlich 487,95 EUR vereinbart.
[3] Am 19. 12. 2012 schloss der Antragsteller einen weiteren schriftlichen Mietvertrag über die Wohnung ab, wonach er diese beginnend mit 1. 1. 2013 befristet bis 31. 12. 2017 mietete. In diesem Mietvertrag wurde unter Berücksichtigung des 25%-igen Befristungsabschlags ein Hauptmietzins von monatlich 589,28 EUR vereinbart.
[4] Beide Mietverträge enthielten folgende Klausel:
„Der Hauptmietzins gemäß § 16 Abs. 2 MRG errechnet sich aus dem Richtwert inklusive Zuschläge und Abstriche. Bei einem Lagezuschlag gemäß § 16 Abs. 2 Z 4, Abs. 3 und 4 MRG schriftlicher Hinweis: Als maßgebende Umstände wurden die überdurchschnittliche Lage (außerhalb eines Gründerzeitviertels) berücksichtigt, sowie weiters die gute Infrastruktur, die Lage, die Wohnumgebung des Hauses etc.“
[5] Am 21. 12./27. 12. 2017 verlängerten die Parteien das Mietverhältnis um weitere drei Jahre bis 31. 12. 2020. Tatsächlich wurde das Mietverhältnis zum 1. 6. 2018 beendet.
[6] Die Wohnung des Antragstellers befindet sich im zweiten Stock des fünfgeschoßigen Hauses Schönburgstraße *, 1040 Wien *.
[7] In fußläufiger Entfernung befinden sich Haltestellen der Autobuslinie 13A sowie der Straßenbahnlinien 18 und O sowie 1 und 62. Die Haltestellen „Hauptbahnhof“ der U-Bahn-Linie U 1 und diverser Schnellbahnlinien (S 1, S 2, S 3, S 4, S 60, S 80) sind ebenfalls fußläufig zu erreichen. Die Busstation der Linie 13A ist in rund 120 m zu erreichen, die U-Bahn-Station U 1 (Hauptbahnhof) in ca 415 m. In das Zentrum Wiens, konkret zu dem von der Wohnung ca 3,6 Straßenkilometer entfernten Stephansplatz, benötigt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln rund 15 Minuten. Der Karlsplatz ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in ca 20 Minuten erreichbar.
[8] Die Wohnung ist für den Individualverkehr gut erreichbar. Die Schönburgstraße wird als Einbahn geführt. Im Bereich des hier zu beurteilenden Hauses ist mit durchschnittlichem Verkehrsaufkommen zu rechnen. Eine Lärmbeeinträchtigung ist im Ausmaß von 65 bis 75 dB durch Straßenlärm gegeben. Die Parkplatzsituation ist schwierig. Der vierte Bezirk ist ein Parkraumbewirtschaftungsbezirk, das Parken ist daher kostenpflichtig. Das nächstgelegene Parkhaus befindet sich am Wiedner Gürtel 3A.
[9] Es gibt eine gute überregionale Anbindung. Die Anbindung an die Autobahnen (A 23, A 4, S 1, A 2, A 1) ist einerseits über den Straßenzug Gürtel und die rasch erreichbare Auffahrt Gürtel zur A 23 Süd-Ost-Tangente bestens gegeben. Andererseits ist vom Gürtel auch die Linke Wienzeile in wenigen Minuten erreichbar. Diese verläuft stadtauswärts bis zum Schloss Schönbrunn, von wo man über die Hadikgasse als Westausfahrt eine direkte Anbindung an die Auffahrt Auhof der A1 Westautobahn hat, oder über die Grünbergstraße zur Auffahrt Altmannsdorf der A23 Süd-Ost-Tangente gelangt.
[10] Einkaufsmöglichkeiten zur Deckung des täglichen Bedarfs sowie für sonstige Konsumgüter sind in der Johann-Strauß-Gasse, in der Favoritenstraße und in der Wiedner Hauptstraße zu finden. Für die Nahversorgung gibt es in der Nähe einen Billa, Hofer, Denn's Bio-Markt, Anker, Trafik und in fußläufiger Umgebung das Einkaufszentrum Hauptbahnhof. Es gibt eine Post/Bank in der Favoritenstraße in 345 m Entfernung, eine Erste Bank in ca 425 m, Geschäfte und Gasthäuser in der Wiedner Hauptstraße in rund 360 m Entfernung sowie in der Favoritenstraße in rund 350 m Entfernung. Die nächste Apotheke befindet sich in der Johann-Strauß-Gasse 32. Das Hartmannspital in der Nikolsdorfergasse 26–36 liegt rund 850 m entfernt.
[11] Eine Volksschule befindet sich in ca 580 m Entfernung, ebenso gibt es mehrere Gymnasien und Kindergärten in der näheren Umgebung. Die kulturellen Einrichtungen der innerstädtischen Bezirke sind mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen.
[12] In der Umgebung gibt es mehrere kleine Parkanlagen (PA Schelleingasse, GA Südtiroler Platz, Alois-Drasche-Park, Klieberpark). Der Alois-Drasche-Park ist ca 180 m entfernt. Auch noch in der näheren Umgebung ist der Schweizergarten.
[13] Die Kaufkraft ist durchschnittlich bis leicht überdurchschnittlich. Das Image der Adresse ist bürgerlich und wegen der überregionalen Anbindung und zentralen Lage handelt es sich um eine bevorzugte studentische Lage.
[14] Die Antragstellerin begehrte die Überprüfung der Zulässigkeit des vereinbarten Hauptmietzinses. Im Revisionsrekursverfahren ist noch strittig, ob bei der Ermittlung des höchstzulässigen Richtwertmietzinses ein Lagezuschlag (§ 16 Abs 2 Z 3 MRG) zu berücksichtigen ist.
[15] Das Erstgericht stellte die Höhe des gesetzlich zulässigen Hauptmietzinses zu den relevanten Stichtagen, die Tatsache und Höhe der Überschreitung dieses gesetzlich zulässigen Zinsausmaßes durch die jeweilige Hauptmietzinsvereinbarung und deren Unwirksamkeit im Ausmaß der Überschreitung fest. Es verpflichtete die Antragsgegnerin zudem zur Rückzahlung der Überschreitungsbeträge samt 4 % Verzugszinsen gestaffelt für den Zeitraum 9/2008 bis 5/2018. Den Antrag auf Feststellung einer sich aus der Anhebung des Hauptmietzinses iSd § 16 Abs 9 MRG ergebenden Teilunwirksamkeit des erhöhten Hauptmietzinses wies es ab.
[16] Von ausschlaggebender Bedeutung für das vom Erstgericht gefundene Ergebnis ist der Umstand, dass nach dessen Auffassung bei der Ermittlung des höchstzulässigen Richtwertmietzinses ein Lagezuschlag nach § 16 Abs 2 Z 3 MRG zu berücksichtigen sei.
[17] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers Folge und stellte den gesetzlich zulässigen Hauptmietzins ohne Berücksichtigung eines Lagezuschlags fest.
[18] Die den Lagezuschlag begründenden Umstände seien im Mietvertrag iSd § 16 Abs 4 MRG nicht ausreichend bekannt gegeben worden. Die Anforderungen an die dort geforderte Umschreibung der die Überdurchschnittlichkeit der Lage bestimmenden Faktoren seien zwar nicht allzu groß. Die Rechtsprechung habe bisher sehr großzügig auch bloß schlagwortartige Hinweise als ausreichend angesehen. Diese geringen Anforderungen dürften aber nicht dazu führen, dass der Normzweck des § 16 Abs 4 MRG, eine schriftlich dokumentierte, gehaltvolle Information über die wertbestimmenden Faktoren der Wohnumgebung zu erhalten, etwa durch standardisierte, Textbausteinen ähnliche, floskelhafte Formulierungen ohne Bezugnahme auf die konkreten Verhältnisse umgangen werde. Daher genüge etwa der bloße Hinweis auf eine Lage „außerhalb eines Gründerzeitviertels“ nicht, weil damit noch keine Aussage zur Überdurchschnittlichkeit der Lage getroffen werde; ebenso wenig ein Hinweis auf die „überdurchschnittliche Lage“ mit einem prozentuell ausgewiesenen Lagezuschlag der Höhe nach. In diesem Sinn lasse sich mit den hier in den Mietverträgen aufgenommenen Hinweisen „überdurchschnittliche Lage (außerhalb eines Gründerzeitviertels)“, „die Lage“, „die Wohnumgebung“ keine Überdurchschnittlichkeit begründen.
[19] Zu prüfen bleibe noch der Hinweis auf die „gute Infrastruktur“. Dem Begriff „Infrastruktur“ könne kein konkreter Informationswert zugeordnet werden, weil es sich dabei um einen Sammelbegriff handle, der verschiedenste Einrichtungen der Versorgung, wie die Versorgung mit Energie und Wasser, die Anbindung an den öffentlichen und privaten Verkehr, die Befriedigung des täglichen Bedarfs, Institutionen des Gesundheits- und Bildungswesens umfasse. Welche der in Frage kommenden Funktionen die Überdurchschnittlichkeit im konkreten Fall begründeten, sei nicht zu erkennen; ob damit Nahversorgung, Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz oder beides gemeint sei, bleibe unklar. Abgesehen davon träfen Merkmale wie „gute Verkehrsanbindung“ oder „gute Nahversorgung“ auf mindestens 70 % aller Wiener Wohnlagen zu, sodass mit diesen keine Überdurchschnittlichkeit verbunden wäre. Nach jüngerer Rechtsprechung seien im dicht verbauten Stadtgebiet die Anbindung an eine U-Bahn bzw öffentliche Verkehrsmittel oder Geschäfte des täglichen Bedarfs in unmittelbarer Umgebung zu erwarten. Diese Merkmale könnten deshalb keine Überdurchschnittlichkeit der Lage begründen. Der vom Erstgericht aus dem Begriff Infrastruktur abgeleitete Umstand einer guten Verkehrsanbindung sei nur eine von mehreren Möglichkeiten. Der Hinweis des Erstgerichts, es sei gerichtsnotorisch, dass es im 4. Wiener Gemeindebezirk auch Wohnungen ohne gute Infrastruktur oder gute Anbindung an das Verkehrsnetz gäbe, sei weder nachvollziehbar noch zulässig, weil sich das Referenzgebiet für den Lagezuschlag nicht mit den Bezirksgrenzen decken müsse und letztlich nur die allgemeine Verkehrsauffassung und nicht Gerichtsnotorietät ausschlaggebend sei.
[20] Der Hinweis „(gute) Infrastruktur“ genüge daher nicht, um eine Überdurchschnittlichkeit der Wohnumgebung zu begründen. Die Anforderungen des § 16 Abs 4 MRG seien nicht erfüllt. Der Sachbeschluss des Erstgerichts sei daher dahin abzuändern, dass bei der Feststellung des jeweils gesetzlich zulässigen Zinsausmaßes und der sich hieraus ergebenden Überschreitungen ein Lagezuschlag nicht zu berücksichtigen gewesen sei. Darüber hinaus sei die Antragsgegnerin gemäß § 37 Abs 4 MRG zur Rückzahlung der Überschreitungsbeträge zu verpflichten gewesen. Die Rückforderung der Mietzinse für die Monate Jänner bis August 2008 sei allerdings verjährt. Den Zuspruch von Zinsen erst ab dem 5. eines jeden Monats auch für Zeiträume vor dem 16. 3. 2013 (Inkrafttreten des Zahlungsverzugsgesetzes BGBl I 2013/50) habe der Rekurswerber nicht gerügt.
[21] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionrekurs zu, weil es insofern von der bisher großzügigen Rechtsprechung abgewichen sei, als es pauschale und in der Praxis regelmäßig verwendete Hinweise wie „(gute) Infrastruktur“ als nicht ausreichend konkrete Bekanntgabe und Begründung der Überdurchschnittlichkeit der Lage angesehen habe.
[22] Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin. Sie beantragt, den Beschluss des Rekursgerichts abzuändern und den Sachbeschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.
[23] Der Antragsteller beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zum Teil als unzulässig zurückzuweisen und diesem im Übrigen nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[24] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil dem Rekursgericht bei der Beurteilung der Anforderungen an die Bekanntgabe der für den Lagezuschlag maßgebenden Umstände nach § 16 Abs 4 MRG eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Er ist auch berechtigt.
[25] 1.1. Gemäß § 16 Abs 4 MRG ist ein Lagezuschlag nur dann zulässig, wenn die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage (§ 2 Abs 3 RichtWG), und wenn die für den Lagezuschlag maßgebenden Umstände dem Mieter in Schriftform bis spätestens bei Zustandekommen des Mietvertrags ausdrücklich bekanntgegeben worden sind.
[26] Dies ist eine zwingende Schutzbestimmung zu Gunsten des Mieters mit dem Zweck, den Mieter durch die verbale Umschreibung mit ausreichender Klarheit darüber zu informieren, warum die Wohnung iSd § 16 Abs 4 erster Halbsatz MRG eine überdurchschnittliche Lage aufweist, und ihm damit die Überprüfung der Berechtigung dieses Zuschlags zu ermöglichen (5 Ob 128/20i; RIS-Justiz RS0111820 [T1, T2]; RS0111201 [T1]). Werden die für den Lagezuschlag maßgeblichen Umstände ausreichend deutlich angegeben, genügt die Berufung des Vermieters auf den Lagezuschlag im Mietzinsüberprüfungsverfahren, um ihn zu ermitteln und zu berücksichtigen (RS0114796).
[27] 1.2. Der Fachsenat sprach bereits mehrfach aus, dass an die Bekanntgabeobliegenheit nach § 16 Abs 4 MRG kein allzu strenger Maßstab anzulegen ist, sodass die schlagwortartige Umschreibung der die Lage beeinflussenden Faktoren genügt. Es reicht aus, wenn im Mietvertrag schlagwortartig entsprechende, den Wohnwert des Hauses beeinflussende Kriterien angeführt werden (5 Ob 128/20i; RS0111820 [T3], RS0111201 [T2], RS0111202).
[28] Ausgehend davon beurteilte der Fachsenat die Hinweise „zentrale Verkehrslage einer Wohnung in Wien 1, Wollzeile“ (5 Ob 180/00g), „verkehrsgünstige Lage und den Blick ins Grüne“ (5 Ob 216/00a), „ruhige zentrumsnahe Lage in Innsbruck“ (5 Ob 241/00b), „Lage des Hauses im Cottage-Viertel, Nähe zum Prater und die günstige Verkehrsanbindung“ (5 Ob 99/15t), „gute Wohnlage, sehr gute Infrastruktur sowie Einkaufsmöglichkeiten und öffentliche Verkehrsmittel in unmittelbarer Nähe“ (5 Ob 71/16a), „besondere Infrastruktur, exzellente Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Gebrauch und die zentrale Erreichbarkeit durch öffentliche Verkehrsmittel“ (5 Ob 128/20i) sowie jüngst „die gute Lage (Nähe zum 7. Bezirk/zur Innenstadt), gute Verkehrsanbindung sowie Infrastruktur“ (5 Ob 115/21d) als ausreichend. Nicht ausreichend war hingegen der bloße Hinweis „außerhalb eines Gründerzeitviertels“ (5 Ob 199/98w), weil damit kein für den Lagezuschlag maßgebender Umstand bekanntgegeben wird (RS0111202). Gleiches galt für den Hinweis auf die „überdurchschnittliche Lage“ samt prozentuell ausgewiesener Höhe des konkreten Lagezuschlags (5 Ob 18/17h).
[29] 2.1. Die Beurteilung des Rekursgerichts, die hier in den jeweiligen Mietvertragsklauseln enthaltenen Hinweise erfüllten die Anforderungen an die Bekanntgabe nach § 16 Abs 4 MRG nicht, hält sich nicht an diesen von der Rechtsprechung vorgegebenen Rahmen. Die Hinweise auf die „überdurchschnittliche Lage (außerhalb eines Gründerzeitviertels)“ und „die Lage, die Wohnumgebung des Hauses“ sind zwar für sich allein tatsächlich nicht ausreichend, weil damit kein für die Berechtigung eines Lagezuschlags maßgebender Umstand bekanntgegeben wird. In den jeweiligen Mietvertragsklauseln ist aber zusätzlich die „gute Infrastruktur“ genannt.
[30] 2.2. Der weite Begriff „Infrastruktur“ umfasst im gegebenen Zusammenhang und nach allgemeinem Verständnis nicht nur die Verkehrsanbindung (öffentlicher Verkehr und Individualverkehr) und die Versorgung mit Geschäften des täglichen Bedarfs, sondern auch Bildungs- und Fürsorgeeinrichtungen, Gesundheitsversorgung, kulturelles Angebot, Sport- und Freizeitanlagen, Parks, Grünflächen und Gewässer (vgl https://de.wikipedia.org/wiki/Infrastruktur). Mit dem – in der Praxis häufig verwendeten – Hinweis auf die gute Infrastruktur verweist der Mietvertrag auf alle diese den Wohnwert des Hauses beeinflussenden Lagefaktoren. Die Verwendung eines Sammelbegriffs dafür schadet nach der dargestellten Rechtsprechung nicht. Dem durchschnittlichen Mieter muss vielmehr mangels Einschränkung klar sein, dass der Vermieter die Berechtigung des Lagezuschlags aus all jenen Kriterien ableiten möchte, die nach allgemeinem Verständnis von diesem Überbegriff umfasst sind. Zu 5 Ob 128/20i hat der Fachsenat daher die dort vom Rekursgericht vertretene Auffassung, der Hinweis auf die besondere Infrastruktur umfasse neben den gesondert genannten Einkaufsmöglichkeiten und öffentlichen Verkehrsmitteln auch kulturelle Einrichtungen, Bildungsstätten, Lokale und die Möglichkeit zur Gesundheitsversorgung im unmittelbaren Nahebereich der Liegenschaft, nicht beanstandet.
[31] 2.3. Entgegen der Auffassung des Rekursgerichts ist hier daher das Formalerfordernis der Bekanntgabe der für den Lagezuschlag maßgebenden Umstände nach § 16 Abs 4 MRG erfüllt. Ob die von der Vermieterin als zuschlagsbegründend angesehenen Kriterien auch tatsächlich vorliegen und einen Lagezuschlag rechtfertigen, ist eine Frage der materiellen Berechtigung des Lagezuschlags und erst im weiteren Mietzinsüberprüfungsverfahren zu klären.
[32] 3.1. Die durchschnittliche Lage ist nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen (RS0111204 [T2]). Zur Beurteilung, ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, bedarf es des wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen). In Wien ist als Referenzgebiet für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage eines Hauses nicht regelhaft maximal der jeweilige Gemeindebezirk heranzuziehen, sondern es ist auf jene Teile des Wiener Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und (daher) ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden (RS0131812). Zur Beurteilung der Lage von Häusern, die im 5. Bezirk (5 Ob 74/17v; 5 Ob 150/19y; 5 Ob 214/20m), im 8. Bezirk (5 Ob 242/18a; 5 Ob 128/20i; 5 Ob 104/21m), im 3. Bezirk (5 Ob 140/20d) und im 7. Bezirk (5 Ob 146/20m) Wiens gelegen sind, waren dies die innerstädtischen Gebiete mit der dafür typischen geschlossenen mehrgeschossigen Verbauung. Dieses Referenzgebiet ist auch für die hier zu beurteilende Liegenschaft im 4. Bezirk heranzuziehen.
[33] 3.2. Maßgeblich für die Beurteilung „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“ sind unterschiedliche Faktoren, so etwa die Standorteigenschaften wie die Erschließung der Wohnumgebung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Nahversorgungsmöglichkeiten (5 Ob 74/17v).
[34] Der Fachsenat sprach dazu aber bereits aus (5 Ob 214/20m; 5 Ob 146/20m), dass Geschäfte des täglichen Bedarfs in unmittelbarer Umgebung und die Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz durch U-Bahn sowie Straßenbahnstationen in erreichbarer Nähe im dicht verbauten Stadtgebiet zu erwarten sind und für sich alleine eine überdurchschnittliche Lage nicht zwangsläufig rechtfertigen können. Demgemäß knüpfte die Beurteilung zu 5 Ob 242/18a, die Lage der dortigen Liegenschaft im 8. Bezirk sei überdurchschnittlich, nicht nur an die fußläufige Erreichbarkeit von Stationen einer U-Bahnlinie und von drei Straßenbahnlinien an, sondern an in unmittelbarer Nähe befindliche Theater und Palais mit entsprechendem kulturellen Angebot, die gute Erreichbarkeit der Wohnung für den Individualverkehr, das umfassende Angebot an Geschäften für den täglichen Bedarf, Markt, Ärzte und Apotheken sowie Bildungseinrichtungen in der Nähe, sowie an den Umstand, dass das Haus an eine Grünanlage anschließt, fußläufig mehrere Parkanlagen erreichbar sind und trotz des innerstädtischen Charakters keine Lärmbeeinträchtigung der Liegenschaft besteht. Zu 5 Ob 150/19y waren neben der fußläufigen Erreichbarkeit einer U-Bahnstation und mehrerer Haltestellen für Autobuslinien, die Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf, die Apotheke und das Krankenhaus in Gehdistanz insbesondere die Lage des Objekts im Zentrum des 5. Bezirks und die Zentrumsnähe maßgeblich für die Beurteilung der Überdurchschnittlichkeit der Lage durch das Rekursgericht, das damit den ihm eingeräumten Wertungs- und Ermessensspielraum nicht verlassen hatte. Die Entscheidung 5 Ob 128/20i betraf eine Liegenschaft im Zentrum des 8. Bezirks, die in fußläufiger Entfernung über nahezu jegliche denkbare Infrastruktur verfügte. Auch dort wurde die Beurteilung des Rekursgerichts, eine derartige Lage sei überdurchschnittlich als nicht korrekturbedürftig angesehen.
[35] Wie aus diesen Entscheidungen hervorgeht und zu 5 Ob 158/18y ausdrücklich ausgesprochen wurde, bedarf es bei der Beurteilung der (Über-)Durchschnittlichkeit der Lage daher immer einer Gesamtschau und Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika (5 Ob 104/21m mwN). Bei der Beurteilung der Qualität einer Wohnumgebung ist eine Gesamtschau und Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geboten. Vorzunehmen ist eine Gesamtschau, weil die Lagequalität nur insgesamt erfasst werden kann (5 Ob 158/18y).
[36] 3.3. Der erkennende Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass die hier festgestellten – eingangs zum Teil etwas gerafft wiedergegebenen – Lageeigenschaften es in der gebotenen Gesamtschau und bei Gewichtung der einzelnen Merkmale rechtfertigen, die Lage (Wohnumgebung) im Vergleich zu den relevanten Lagen Wiens als überdurchschnittlich iSd § 16 Abs 2 Z 3 MRG zu qualifizieren.
[37] Der Antragsteller hat die Richtigkeit dieser Rechtsansicht in seinem Rekurs zwar bestritten, seine Kritik bezog sich aber primär darauf, dass das Erstgericht den Ausführungen des Sachverständigen gefolgt und keine eigenen Überlegungen angestellt habe. Vor allem habe das Erstgericht aus dem Umstand, dass der vom Sachverständigen errechnete Wert im Spektrum sämtlicher Umgebungskriterien 2,46 beträgt, zu Unrecht den Schluss gezogen, dieser führe zu einer Einstufung als überdurchschnittliche Lage, weil ein Wert von 3 eine durchschnittliche Lage wäre und das Objekt hier nach dem Schulnotensystem aber besser als 3 sei. Die Durchschnittlichkeit einer Lage könne aber nicht am arithmetischen Mittel festgemacht werden, sondern müsse anhand einer Bandbreite beurteilt werden. Ergebnis einer entsprechend gewichteten Wertung sei, dass nur bei einer Einschätzung der Lage von 1,00 bis 2,33 eine überdurchschnittliche Lage gegeben sei. Wie der Antragsteller in seinem Rekurs ohnedies selbst erkennt, macht es das Gebot der Beurteilung nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens aber notwendig, sich bei dieser Beurteilung von einem gleichsam mathematischen Verständnis des Wortes „durchschnittlich“, als dem Mittelwert aus einer gegebenen Grundgesamtheit (annähernd) entsprechend, zu lösen (5 Ob 74/17v; 5 Ob 158/18y). Die Lage ist in einer Gesamtschau und durch Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika zu beurteilen, nicht aus der Auflistung und Bewertung einzelner Lagefaktoren zu berechnen. Letzteres kann nur ein Kontrollinstrument sein (5 Ob 158/18y).
[38] Dieses Gebot einer Gesamtbeurteilung übersieht der Antragsteller in seinem Rekurs auch, wenn er im Zusammenhang mit der behaupteten Unzulänglichkeit der Bekanntgabe nach § 16 Abs 4 MRG argumentiert, eine gute Verkehrsanbindung oder eine gute Nahversorgung reiche für die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage nicht aus, weil dies Merkmale der Durchschnittslage im Referenzgebiet und in Wien überhaupt seien. Darüber hinaus enthält der Rekurs des Antragstellers im Zusammenhang mit der Beurteilung der Lagequalität im Wesentlichen nur noch inhaltsleere Verweise auf im erstgerichtlichen Verfahren erstattetes Vorbringen; dies ist auch in einem wohnrechtlichen Außerstreitverfahren unzulässig und unbeachtlich (vgl RS0007029; RS0043616; RS0043579).
[39] 4.1. Der Lagezuschlag steht daher zu.
[40] Die Berechnungsmethode für die Höhe eines Lagezuschlags regelt § 16 Abs 3 MRG. Diese Bestimmung enthält genaue Anweisungen über die Ermittlung der Lagezuschläge, weshalb ein solcher nicht unter Anwendung des § 273 ZPO nach Ermessen des Gerichts festgesetzt werden darf. Zu deren Ermittlung ist nach gesetzlicher Anordnung zunächst der der Lage des Hauses entsprechende Grundkostenanteil je m2 Nutzfläche zu berechnen. Dazu bedarf es der Feststellung der in dieser Gegend üblichen Grundpreise für unbebaute, aber für Wohnbauten geeignete Grundstücke (idS ist § 16 Abs 3 MRG berichtigend auszulegen) und der Umlegung dieser Preise auf die unter Berücksichtigung der Bauvorschriften erzielbaren Wohnnutzflächen. Von der Differenz zwischen dem auf diese Weise errechneten und dem der Richtwertfestsetzung zugrunde gelegten Grundkostenanteil (§ 3 Abs 2 und Abs 5 RichtWG), der aus dem gemäß § 4 Abs 1 RichtWG mit dem Richtwert kundgemachten Prozentanteil rückgerechnet werden kann, bilden 0,33 % den zulässigen Lagezuschlag (5 Ob 242/18a; RS0114795).
[41] Ein Lagezuschlag setzt demnach voraus, dass das lagetypische Grundpreisniveau höher liegt als jenes, das dem jeweiligen Richtwert zugrunde liegt.
[42] 4.2. Der Antragsteller beanstandete in seinem Rekurs die Höhe des vom Erstgericht ermittelten Lagezuschlags, weil das Erstgericht den Grundkostenanteil mit 239,05 EUR pro m² Nutzfläche zum Stichtag feststellte. Davon sei der Grundkostenanteil gemäß Richtwert iHv 239,05 EUR/m² abzuziehen. Daraus folge ein Lagezuschlag pro m² und Monat von 0 EUR.
[43] Es ist dem Antragsteller zwar zuzugestehen, dass das Erstgericht nur einen nicht näher spezifizierten Grundkostenanteil in Höhe des der Richtwertfestsetzung zugrunde gelegten Grundkostenanteil ausdrücklich festgestellt hat. Es verwies in seiner rechtlichen Beurteilung aber darauf, dass der Sachverständige in seinem Gutachten (auf den „S. 39 ff“) im Detail ausgeführt hat, wie er seine Berechnung des Lagezuschlags vorgenommen hat. Diese vom Antragsteller in erster Instanz nicht bestrittene Berechnung geht von einem Grundkostenanteil der Lage von 950 EUR und einem Grundkostenanteil gemäß Richtwert von 239,05 EUR aus, sodass sich ein Lagezuschlag von 2,35 EUR errechnete. Es ist prozessual unbedenklich, diese unstrittigen Ergebnisse des Sachverständigenbeweises der Entscheidung zugrunde zu legen (vgl RS0121557). Abgesehen davon, stellte das Erstgericht – disloziert in seiner rechtlichen Beurteilung – ohnedies das Ergebnis der Berechnung, nämlich den betraglich bestimmten Lagezuschlag ausdrücklich fest. Ein sekundärer Feststellungsmangel liegt daher nicht vor.
[44] 5.1. Im Revisionsrekursverfahren ist nur noch der Lagezuschlag strittig. Auf die anderen, von den Vorinstanzen behandelten Rechtsfragen, insbesondere die weiteren vom Erstgericht berücksichtigten Zu- und Abschläge vom Richtwertmietzins, ist daher nicht mehr einzugehen.
[45] 5.2. Dem Revisionsrekurs ist somit Folge zu geben und der Sachbeschluss des Erstgerichts zur Gänze wiederherzustellen.
[46] 5.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Es entspricht der Billigkeit, der in den Rechtsmittelverfahren obsiegenden Antragsgegnerin Kostenersatz zuzuerkennen. Die Bemessungsgrundlage dafür beträgt gemäß § 10 Z 3 lit a) sublit bb) RATG (nur) 1.500 EUR.
Textnummer
E133251European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:E133251Im RIS seit
12.01.2022Zuletzt aktualisiert am
16.02.2022