TE OGH 2021/10/21 4Ob167/21v

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Veröffentlicht am 21.10.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J. ***** OG, *****, vertreten durch Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei H***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Wörgötter, Rechtsanwalt in St. Johann in Tirol, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. Juni 2021, GZ 22 R 138/21d-35, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

[1]            Die Beklagte mietete im Mai 2009 von einer GmbH (= Einzelrechtsvorgängerin der Klägerin) Liegenschaftsteile samt darauf befindlichen Baulichkeiten. Auf der gesamten Liegenschaft (Werksgelände) befinden sich insgesamt fünf Gebäude (Fertigungshallen und sonstige Baulichkeiten), die bereits beim Abschluss des Mietvertrags vorhanden waren. Die Parteien des Bestandvertrags schlossen im Jänner 2015 einen neuen Mietvertrag, der sich inhaltlich vom ersten Mietvertrag zu Gunsten des beklagten Mieters unterscheidet. Im Dezember 2015 schloss die GmbH mit einer (mit der Beklagten wirtschaftlich verbundenen) KG einen Kaufvertrag über den Bestandgegenstand. Aufgrund ihres im Jahr 2009 eingeräumten Vorkaufsrechts erwarb aber die Klägerin den Bestandgegenstand. Der Klägerin war zum Zeitpunkt des Kaufvertrags die Existenz und der Inhalt des aktuellen Mietvertrags bekannt. Es steht nicht fest, ob die GmbH und die Beklagte den Mietvertrag im Jänner 2015 abgeschlossen haben, um der Klägerin ihr Vorkaufsrecht zu verleiden.

[2]            Die Klägerin kündigte den Bestandgegenstand nach § 1120 ABGB auf. Der Mietgegenstand unterliege nicht dem MRG. Es liege aber auch ein Kündigungsgrund im Sinne der Generalklausel des § 30 Abs 1 MRG vor, weil die Beklagte mit dem Voreigentümer außergewöhnliche Bestimmungen im Mietvertrag vereinbart habe, um der vorkaufsberechtigten Klägerin das Vorkaufsrecht zu verleiden.

[3]            Die Vorinstanzen verneinten den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 5 MRG, gingen daher von der Anwendung der §§ 29 ff MRG aus, hoben die gerichtliche Aufkündigung auf und wiesen das Räumungsbegehren ab, weil kein wichtiger Grund nach § 30 Abs 1 MRG vorliege.

[4]            Die Klägerin vermag in ihrer außerordentlichen Revision keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

[5]            1. Fällt ein Rechtsverhältnis in den Geltungsbereich des § 1 Abs 1 MRG, so besteht eine Vermutung für die Anwendbarkeit des MRG, die nur durch den Nachweis eines konkreten Ausnahmetatbestands (§ 1 Abs 2 bis 4 MRG) widerlegt werden kann (RS0069235).

[6]            1.1 Ob ein „Gebäude mit nicht mehr als zwei selbständigen Wohnungen oder Geschäftsräumlichkeiten“ iSd § 1 Abs 2 Z 5 MRG vorliegt, entscheidet die Verkehrsauffassung (RS0112564). Maßgebend ist der objektive bauliche Zustand im Zeitpunkt der Vermietung (RS0112564 [T16]). Das betrifft auch die Frage, ob tatsächlich und wirtschaftlich voneinander getrennte selbständige Häuser vorliegen (RS0069823 [T4]); die Beurteilung hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (RS0079853). In Bezug auf sämtliche in Betracht kommenden Mietobjekte (hier: Geschäftsräume) kommt es auf die Zahl getrennt zugänglicher (abgeschlossener) Raumeinheiten an, die selbständig vermietbar sind, wobei typische Nebenräume des Bestandobjekts nicht zu berücksichtigen sind (RS0069389), außer der Charakter als Nebenraum wurde durch tatsächliche Vermietung aufgehoben (RS0112564 [T16]). Grundsätzlich ist auf die Liegenschaft, also auf den Grundbuchskörper abzustellen; die Identität von Haus und Liegenschaft ist der Regelfall, mehrere auf einem Grundbuchskörper befindliche Häuser sind in der Regel zusammenzuzählen (RS0069823 [insb T8, T13]; vgl RS0069376 [T5]).

[7]            1.2 Die Vorinstanzen haben aufgrund der sich auf der Liegenschaft befindlichen fünf Bauwerke (Hallen, sonstige Baulichkeiten) den von der Klägerin behaupteten Vollausnahmetatbestand nach § 1 Abs 2 Z 5 MRG verneint, weil sie davon ausgegangen sind, dass von den fünf baulich voneinander getrennten Gebäuden auf der 38.578 m² großen Liegenschaft jedenfalls drei Gebäude selbständig vermietbar sind. Dies hält sich im Rahmen des den Gerichten bei der Beurteilung von Einzelfällen eingeräumten Ermessensspielraums und entspricht den dargelegten Rechtsprechungsgrundsätzen.

[8]            1.3 Die Revision zeigt dagegen keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung auf. Mit ihrer Argumentation, dass die Hallen 1 und 2 Bestandteil einer einheitlichen Betriebsanlage seien, weil über ein fix installiertes Förderband der in der Halle 2 erzeugte Beton in die Halle 1 für die Erzeugung von Schachtringen transportiert werde, verstößt die Klägerin gegen das Neuerungsverbot. Im Verfahren erster Instanz erstattete die Klägerin kein substantiiertes Vorbringen zu einer allfälligen (wirtschaftlichen) Einheit der einzelnen Baulichkeiten. Sie brachte diesbezüglich nur vor, dass sich in den beiden Hallen jeweils nur eine selbständige Geschäftsräumlichkeit befinden würde. Auch hinsichtlich der anderen drei Gebäude hob die Klägerin in erster Instanz nur hervor, dass sich auch dort nicht mehr als zwei selbständige Geschäftsräumlichkeiten befinden würden.

[9]            2. Die Klägerin stützte ihre Aufkündigung hilfsweise auf § 30 Abs 1 MRG.

[10]           2.1 Die Generalklausel des § 30 Abs 1 MRG hat nicht die Aufgabe, fehlende Merkmale der Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 MRG zu ersetzen, sondern dient dazu, vom Gesetz sonst nicht erfasste, aber an Gewicht den Kündigungsgründen des § 30 Abs 2 MRG gleichwertige Sachverhalte diesen gleichzusetzen. Eine Aufkündigung nach § 30 Abs 1 MRG ist daher nur zulässig, wenn an Stelle der fehlenden Voraussetzungen eines Tatbestands nach § 30 Abs 2 MRG solche zusätzlichen Umstände vorliegen, dass der gesamte Sachverhalt an Wichtigkeit den im § 30 Abs 2 MRG aufgezählten Kündigungsgründen gleichkommt. Der Richter muss aufgrund der Prüfung der gesamten Sach- und Rechtslage zum Schluss kommen, dass im Einzelfall Gründe vorliegen, die an Gewicht nicht hinter den im zweiten Absatz angeführten Kündigungsgründen zurückstehen (RS0070192).

[11]           2.2 Die Klägerin erachtet ihr Rechtsmittel deshalb als zulässig, weil noch ungeklärt sei, ob die im Zusammenwirken der Beklagten mit der GmbH bewirkte „Devastation des Vorkaufsgegenstands“ jenen Fällen gleichkomme, bei denen die Rechtsprechung den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG wegen unzulässiger Ausdehnung der Bestandrechte durch den Mieter bejaht.

[12]           2.2.1 Der ständigen Rechtsprechung, wonach unleidliches Verhalten auch in laufenden Versuchen des Mieters liegen kann, sein Benutzungsrecht auf nicht in Bestand genommene Räume oder Gegenstände in vorwerfbarer Weise auszudehnen (RS0070417), liegt ein unvertretbares und vertragswidriges Verhalten des Mieters zugrunde. Eine vertretbare Rechtsansicht des Mieters (4 Ob 51/18f) bzw eine strittige Rechtslage steht diesem Kündigungsgrund aber entgegen (3 Ob 108/19g).

[13]           2.2.2 Im Anlassfall steht nicht fest, dass der neue Mietvertrag deshalb abgeschlossen wurde, um der Klägerin ihr Vorkaufsrecht zu verleiden. Auch ein vertragswidriges Verhalten der Beklagten, die die Änderungen des Mietvertrags im Einvernehmen mit dem damaligen Bestandgeber vorgenommen hat (an die der Erwerber schon wegen seiner Kenntnis gebunden ist, vgl § 2 Abs 1 MRG), liegt nicht vor.

[14]           2.2.3 Wenn die Vorinstanzen im Ergebnis daher davon ausgegangen sind, dass der gesamte Sachverhalt schon mangels vorwerfbarem rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten einem in § 30 Abs 2 MRG aufgezählten Kündigungsgrund nicht gleichkommt, bedarf dies keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung. Es kann damit auch dahinstehen, ob ein in den Bestandvertrag eingetretener Erwerber einer Bestandsache eine Kündigung nach § 30 MRG überhaupt darauf stützen kann, dass der Mietvertrag vor seinem Erwerb zwischen den damaligen Vertragspartnern modifiziert wurde.

[15]           3. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Kläger daher zurückzuweisen.

Textnummer

E133451

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00167.21V.1021.000

Im RIS seit

10.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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