Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** G*****, vertreten durch die Schopf Zens, Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei F***** W*****, vertreten durch Dr. Wolf-Georg Schärf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Beseitigung und Unterlassung (Gesamtstreitwert 7.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 4. November 2020, GZ 21 R 169/20s-12, mit dem infolge der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 15. Juli 2020, GZ 6 C 791/19b-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 912,41 EUR (darin 152,07 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.341,52 EUR (darin 104,42 EUR USt und 715 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Dem Kläger steht als Eigentümer des herrschenden Grundstücks 345/1 (EZ ***** KG *****) gegenüber dem Beklagten als Eigentümer des dienenden Grundstücks 61/407 (EZ ***** KG *****) die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens sowie die Dienstbarkeit des Viehtriebs zu. Das Bestehen dieser ersessenen Dienstbarkeiten wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 8. 8. 2016 festgestellt. Auf dieser Grundlage wurden sie auch im Grundbuch eingetragen (unstrittig; Blg ./A und ./C).
[2] Der Kläger ist auch Eigentümer des an diese Grundstücke angrenzenden Grundstücks 61/503 (EZ ***** KG *****). In dem Bereich, in dem diese drei Grundstücke zusammentreffen, steht ein in der Natur sichtbarer Grenzstein. Auf dem Grundstück 61/503 des Klägers stand nahe dieses Grenzsteins ein Baum. Dieser Baum erschwerte dem Kläger die Zufahrt auf den auf dem Grundstück 345/1 gelegenen Mistplatz; er musste mit seinen landwirtschaftlichen Fahrzeugen mehrmals reversieren, um dorthin zu gelangen. Im Frühjahr 2019 schnitt der Kläger diesen Baum daher um. Dadurch wäre es dem Kläger nun möglich gewesen, sowohl das dienende Grundstück 61/407 als auch sein eigenes Grundstück für die Zufahrt zu seinem Mistplatz zu nutzen; er hätte daher mit seinen landwirtschaftlichen Fahrzeugen nicht mehr so oft reversieren müssen.
[3] Als Reaktion auf das Umschneiden des Baums schlug der Beklagte allerdings noch in derselben Nacht auf dem dienenden Grundstück 61/407 neben dem Grenzstein eine mehr als 1 m hohe Eisenstange ein. Konnte die Straße dort zunächst wegen des Baums nicht bis zum Grenzstein befahren werden, kann sie das nun wegen der eingeschlagenen Eisenstange nicht. Durch die eingeschlagene Eisenstange ist ein Befahren des Bereichs um den Grenzstein nicht möglich, sodass der Kläger nur entweder rechts oder links der Eisenstange auf sein Grundstück 61/503 zufahren kann. Das „Durchfahren“ zwischen Stange und Grünstreifen auf der rechten Seite der Schotterstraße ist aufgrund der Breite der Straße ungehindert möglich. Bei der Zufahrt zu seinem Mistplatz muss der Kläger allerdings weiterhin reversieren, weil die Eisenstange im Weg ist und das vollständige Befahren des dienenden Grundstücks 61/407, insbesondere mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen, verhindert. Für den Viehtrieb ist auf beiden Seiten der Stange genug Platz für die Tiere, um vorbeizulaufen. Die Pferde sind allerdings „zunächst“, als sie die Stange noch nicht kannten, wieder in den Stall zurückgelaufen.
[4] Der Kläger begehrte vom Beklagten die Beseitigung der Eisenstange sowie die Unterlassung derartiger Störungshandlungen. Die vom Beklagten eingeschlagene Eisenstange mache die Ausübung der Dienstbarkeiten im bisherigen Ausmaß unmöglich, zumindest erschwere sie diese erheblich. Die Eisenstange bewirke eine Gefahr für die Pferde und Reiter. Durch die Eisenstange sei es dem Kläger nicht mehr möglich, so wie bisher rückwärtsfahrend zu dem auf seinem Grundstück 345/1 gelegenen Mistplatz zu gelangen.
[5] Der Beklagte wandte zusammengefasst ein, dass sich beim Grenzstein seit jeher auch eine Eisenstange als Markierung sowie in unmittelbarer Nachbarschaft zum Grenzstein bislang ein Baum befunden habe. Die Dienstbarkeit sei durch das Wiederherstellen bzw Aufrechterhalten des ursprünglichen Zustands nicht gestört. Deren Ausübung sei nach wie vor im bisherigen Umfang und Ausmaß gewährleistet. Eine völlig grenzenlose Verwendung des Grundstücks des Beklagten sei nicht vom Recht des Klägers umfasst. Die Grenzmarkierung und die Eisenstange befänden sich auf einer Grünfläche neben dem Weg. Diese Grünfläche sei auch schon bisher nicht befahren worden und daher von der Servitut nicht umfasst. Die Breite des Weges reiche für das Befahren mit allen möglichen Fahrzeugen und für den Viehtrieb, sodass es keinerlei berechtigte Interessen zur Ausweitung der Servitut gebe.
[6] Das Erstgericht gab der Klage statt und verpflichtete den Beklagten zur Beseitigung der Eisenstange sowie zur Unterlassung derartiger Störungshandlungen.
[7] Der Eigentümer der mit einer Dientsbarkeit belasteten Sache habe alles zu unterlassen, was deren Bestand gefährde. Der Nachweis, dass sich die Dientsbarkeit des Klägers nicht auf jene Stelle erstrecke, an der er die Eisenstange eingeschlagen habe, sei dem Beklagten nicht gelungen. Diese Eisenstange verhindere die Ausübung der Dienstbarkeit im bisherigen Ausmaß, insbesondere erschwere sie dem Kläger rückwärtsfahrend zu seinem Mistplatz zu gelangen. Der Beklagte habe daher die Dienstbarkeit des Klägers unzulässigerweise beeinträchtigt und rechtswidrig gehandelt.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten schon aus rechtlichen Gründen Folge und wies die Klage ab. Der Vollständigkeit halber erledigte es aber auch die Beweisrüge des Beklagten.
[9] Der Dienstbarkeitsberechtigte müsse sich Einschränkungen, die die Ausübung der Dienstbarkeit nicht ernstlich erschweren oder gefährden, gemäß § 484 ABGB gefallen lassen. Daher sei zu prüfen, ob das Aufstellen der Eisenstange das Fahrtrecht des Klägers beeinträchtige, und wenn ja, ob dies eine ernstliche Erschwerung des Fahrtrechts bedinge.
[10] Sei ein gerichtliches Urteil Grundlage für die Eintragung einer ersessenen Servitut, bestimme dieses die Art, das Ausmaß und den Umfang der dem Berechtigten daraus zustehenden Befugnisse. Die (Rechts-)Frage, welchen rechtlich erheblichen Inhalt eine gerichtliche Entscheidung habe, müsse aufgrund des Wortlauts des Spruchs und der Gründe der Entscheidung in Verbindung mit dem dadurch angewendeten Gesetz gelöst werden. Soweit das Erstgericht im Rahmen des Sachverhalts ausgeführt habe, dass die Servitut des Klägers das gesamte dienende Grundstück 61/407 umfasse und der in der „Natur vorhandene Weg“ auf diesem Grundstück auf der dem Grundstück 61/503 des Klägers zugewandten Seite nicht von einem „Grünstreifen“ begrenzt sei, sondern bis zur Grundstücksgrenze reiche, handle es sich daher um eine rechtliche Beurteilung. Laut den Entscheidungsgründen der Vorentscheidung diene dieser Weg als Zufahrt für Fahrzeuge und zum Viehtrieb zu der vorhandenen Koppel, wobei keine Feststellungen dazu getroffen worden seien, in welchem Bereich des Weges der Kläger vom Grundstück 61/407 auf sein herrschendes Grundstück 345/1 zufahre bzw die Pferde treibe. Daher sei wie schon der Spruch der Entscheidung nahe lege, von einer ungemessenen Servitut auszugehen.
[11] Die Pferde seien nur vorübergehend nicht weiter gelaufen, weil sie die Stange nicht gekannt haben. Das Erstgericht sei daher zu Recht von keiner dauerhaften Einschränkung des Viehtriebs durch die Eisenstange ausgegangen. Soweit sich der Kläger auf die mit der eingeschlagenen Eisenstange verbundene Erschwerung seines Fahrtrechts berufe, sei ihm zuzugestehen, dass ihm ein Befahren des Bereichs „um den Grenzstein“ mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen durch die Stange nicht möglich sei. Aufgrund der Breite der Schotterstraße könne der Kläger mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen allerdings weiterhin rechts der Stange (und damit auf dem dienenden Grundstück) auf sein Grundstück 61/503 zufahren. Auch darin, dass es dem Kläger ohne mehrmaliges Reversieren nicht möglich sei, rückwärtsfahrend zu dem auf seinem Grundstück 345/1 befindlichen Mistplatz zu gelangen, liege keine Erschwerung seines Fahrtrechts. Nach den Feststellungen habe der Kläger nämlich aufgrund des (auf seinem Grundstück vorhandenen) Baumes schon bisher mehrmals reversieren müssen, um zu seinem Mistplatz zu gelangen. Da der Kläger also schon bisher nicht ungehindert, sondern nur durch mehrfaches Reversieren zu seinem Mistplatz zufahren habe können, habe das Aufstellen der Eisenstange keine relevante Beeinträchtigung der Ausübung seiner ersessenen Servitut zur Folge. Abgesehen davon, sei der Nahebereich um den Grenzstein schon aufgrund des Umstands, dass der dort vorhandene Grasbewuchs daraus resultiere, dass die Straße zunächst aufgrund des dort befindlichen Baumes und dann aufgrund der eingeschlagenen Eisenstange nicht bis zum Grenzstein befahren werden könne, ohnehin nicht Teil der ersessenen Wegeservitut gewesen. Zudem lasse sich den Entscheidungsgründen der Vorentscheidung nicht entnehmen, dass die Servitut (auch) der besseren Erreichbarkeit des auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Mistplatzes gedient habe. Er müsse darüber hinaus offenkundig hauptsächlich auf seinem Grundstück reversieren. Dies wäre auch nach Entfernung des Baumes nicht zur Gänze entfallen, sondern nur nicht mehr so oft erforderlich. Dass der Kläger aufgrund der Eisenstange weiterhin reversieren müsse, bewirke daher, auch wenn diese keinen erkennbaren Zweck für den Beklagten habe, insgesamt gesehen keine ernstliche Erschwerung der Ausübung der Dienstbarkeit im bisherigen Umfang. Das Einschlagen der Eisenstange sei somit keine Beeinträchtigung des Servitutsrechts des Klägers.
[12] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil es die Frage einer zulässigen Erweiterung der bisherigen Dienstbarkeit nicht geprüft habe. Mit dem Aspekt, dass das Befahren des dienenden Grundstücks im Nahbereich des Grenzsteins – ohne Vorhandensein der Eisenstange – dem Kläger eine bessere Erreichbarkeit seines Mistplatzes, für den Beklagten aber keine zusätzliche Belastung mit sich bringe, habe sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt.
[13] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Er beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und das Ersturteil wiederherzustellen. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
[14] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben. Hilfsweise stellt auch er einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
[15] Die Revision ist zulässig und berechtigt.
[16] 1.1. Das Ausmaß der Dienstbarkeit richtet sich nach dem Inhalt des Titels, auf dem sie beruht (RIS-Justiz RS0011720 [T5]). Ist – wie hier – ein gerichtliches Urteil Grundlage für die Eintragung einer ersessenen Dienstbarkeit, bestimmt dieses deren Ausmaß, also die Art und den Umfang der dem Berechtigten zustehenden Befugnisse (RS0123635 [T3]). Dabei ist die Frage, welchen rechtlich erheblichen Inhalt die gerichtliche Entscheidung hat, eine Rechtsfrage, die aufgrund des Wortlauts des Spruchs und der Gründe der Entscheidung in Verbindung mit dem dadurch angewendeten Gesetz gelöst werden muss (5 Ob 181/17d; RS0008802 [T3]).
[17] 1.2. Die mit dem Urteil des Bezirksgerichts Purkersdorf festgestellten Dienstbarkeiten des Gehens und Fahrens und des Viehtriebs beziehen sich auf in der Natur vorhandene Wege auf der dienenden Liegenschaft, wobei der für deren Ausübung erforderliche Wegeverlauf trotz des Verweises auf – integrierte Bestandteile des Urteilsspruchs bildende – Pläne räumlich nicht exakt festgelegt wurde. Mangels einer konkreten Festlegung des Ausmaßes und Umfangs der dem Berechtigten zustehenden Befugnisse gingen die Vorinstanzen daher von einer ungemessenen Dienstbarkeit aus (vgl RS0011752). Diese Beurteilung haben die Parteien in den Rechtsmittelverfahren auch nicht beanstandet.
[18] 2.1. Für den Inhalt, also den Umfang und die Art der Ausübung einer ungemessenen Dienstbarkeit ist nicht das Bedürfnis des herrschenden Guts im Zeitpunkt der Entstehung der Dienstbarkeit, sondern die jeweiligen (aktuellen) Bedürfnisse des Berechtigten innerhalb der Schranken aufgrund des ursprünglichen Bestands und der ursprünglichen oder der vorhersehbaren Bewirtschaftungsart maßgebend (3 Ob 18/21z mwN; RS0016368; RS0011741).
[19] 2.2. Nach § 484 ABGB kann der Besitzer des herrschenden Guts zwar sein Recht auf die ihm gefällige Art ausüben. Servituten dürfen aber nicht erweitert, sondern müssen vielmehr, insoweit es ihre Natur und der Zweck der Bestellung gestatten, eingeschränkt werden. Eine die Belastung des dienenden Guts erheblich erschwerende Änderung der Benützungsart des herrschenden Guts wäre eine unzulässige „Erweiterung der Dienstbarkeit“ (1 Ob 231/19f; RS0016370; RS0097856 [T9, T12]). Der Umfang der ungemessenen Dienstbarkeit orientiert sich also zwar an den jeweiligen Bedürfnissen des herrschenden Guts, sie sind aber dennoch auf den Zweck ihrer Bestellung einzuschränken (RS0011691 [T8]); die ursprüngliche Bewirtschaftungsart und die damals vorhersehbare Nutzung bestimmen weiterhin die Beurteilung, ob eine Dienstbarkeit unzulässig erweitert worden ist oder nicht (RS0097856; RS0016370 [T3]). Solange eine ungemessene Dienstbarkeit auf die ursprüngliche oder vorhersehbare Art innerhalb der durch die jeweiligen Bedürfnisse des Berechtigten vorgegebenen Grenzen ausgeübt wird, ist keine unzulässige eigenmächtige Erweiterung anzunehmen (1 Ob 2419/96h). Dieser Widerstreit zwischen den Interessen des Berechtigten und jenen des Belasteten einer Dienstbarkeit erfordert eine Interessenabwägung (RS0011733). Ziel dieser Interessenabwägung ist es stets, dem Dienstbarkeitsberechtigten den angestrebten Vorteil zu ermöglichen, dem Verpflichteten aber so wenig wie möglich zu schaden (RS0011733 [T23]). Erhebliche oder gar unzumutbare Erschwernisse muss der Eigentümer des dienenden Grundstücks nicht hinnehmen (1 Ob 231/19f; RS0011733 [T2, T5, T21]).
[20] 2.3. Nach den Feststellungen im Urteil des Bezirksgerichts Purkersdorf, das der Entscheidung ohne weiteres zugrunde zu legen ist (RS0121557 [T3]), diente die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens unter anderem auch der Bewirtschaftung der Koppel des Klägers. Der Kläger und seine Rechtsvorgänger fuhren zu diesem Zweck mit Traktoren und anderen landwirtschaftlichen Fahrzeugen über das dienende Grundstück zur Koppel zu. Dabei mussten sie in dem Bereich des dienenden Grundstücks, in dem die Eisenstange eingeschlagen wurde, seit jeher reversieren. Dieses Reversieren steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bewirtschaftung der Koppel und ist daher grundsätzlich von der Dienstbarkeit umfasst. Der unmittelbare Nahebereich zum Grenzstein mag dabei wegen des nahegelegenen Baums auf der Liegenschaft des Klägers zunächst nicht befahren worden sein. Das Befahren auch dieses Bereichs zum Zweck der besseren Zufahrt bedeutet aber jedenfalls keine unzulässige Erweiterung der bestehenden Dienstbarkeit. Das Geh- und Fahrrecht wird auch insoweit im Rahmen der ursprünglichen bzw vorgesehenen Benützungsart ausgeübt. Damit ist nach den Feststellungen auch keine relevante Mehrbelastung des dienenden Guts verbunden. Die Beschaffenheit des Wegs etwa blieb unverändert. Mangels einer die Belastung des dienenden Guts erheblich erschwerenden Änderung hat der Beklagte daher keinen Anspruch darauf, dass die in der Vergangenheit bestehende und auf ein Hindernis auf dem Grundstück des Klägers zurückgehende Einschränkung in der Ausübung der Dienstbarkeit trotz Wegfalls des Hindernisses aufrecht bleibt.
[21] 3.1. Aus § 484 ABGB folgt (aber auch), dass sich der Dienstbarkeitsberechtigte jene Einschränkungen des Belasteten gefallen lassen muss, welche die Ausübung der Dienstbarkeit nicht ernstlich erschweren oder gefährden. Eigenmächtige Maßnahmen, die die Ausübung der Dienstbarkeit ernstlich erschweren, muss der Berechtigte nicht auf sich nehmen (RS0011740). Bei der Beurteilung, ob dem Dienstbarkeitsberechtigten Erschwernisse zuzumuten sind, sind Natur und Zweck der Dienstbarkeit zu berücksichtigen (5 Ob 121/20k; 5 Ob 194/20w; RS0106411).
[22] 3.2. Der Grundsatz, dass der Widerstreit zwischen den Interessen des Berechtigten und jenen des Belasteten einer Dienstbarkeit in ein billiges Verhältnis zu setzen ist, ist auch auf die Beschränkung der Rechtsausübung durch den Belasteten anzuwenden (1 Ob 129/20g, 5 Ob 121/20k 5 Ob 194/20w; RS0011740 [T1]; RS0011733).
[23] 3.3. Nach den Feststellungen konnte die Straße im Bereich unmittelbar beim Grenzstein zunächst wegen des Baums nicht bis zum Grenzstein befahren werden, nun kann sie das wegen der eingeschlagenen Eisenstange nicht. Das Berufungsgericht zog daraus den Schluss, dass allein das Aufstellen der Eisenstange keine relevante Beeinträchtigung der Ausübung des Fahrrechts sei, weil der Kläger schon bisher nicht ungehindert zu seinem Mistplatz zufahren habe können. Ohne die Eisenstange wäre es dem Kläger allerdings seit der Fällung des auf seinem Grundstück befindlichen Baums möglich, das dienende Grundstück auch im besagten Bereich für die Zufahrt zum Mistplatz auszunutzen, sodass er mit seinen landwirtschaftlichen Fahrzeugen nicht mehr so oft reversieren müsste. Durch das Einschlagen der Eisenstange ist ihm die Zufahrt nun wiederum nur mit oftmaligem Reversieren möglich. Die mit der Eisenstange verbundene Beschränkung der Rechtsausübung bedeutet damit für den Kläger eine erhebliche Beeinträchtigung des Zufahrens. Demgegenüber hat die Eisenstange keinen erkennbaren Zweck und zwar weder für den Kläger noch für den Beklagten. Die nach der Rechtsprechung zu § 484 ABGB vorzunehmende Interessenabwägung schlägt daher zugunsten des Klägers aus. Der Beklagte hat durch das Einschlagen der Eisenstange auf dem dienenden Grundstück keinen (objektiven) Vorteil, während dem Kläger daraus erhebliche Nachteile erwachsen.
[24] 4.1. Aus diesen Erwägungen war der Revision Folge zu geben und das Ersturteil samt seiner Kostenentscheidung wiederherzustellen.
[25] 4.2. Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E133459European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00081.21D.1104.000Im RIS seit
12.01.2022Zuletzt aktualisiert am
12.01.2022