TE OGH 2021/11/16 1Ob202/21v

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Veröffentlicht am 16.11.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers T***** P*****, vertreten durch Mag. Herbert Nigl, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die Antragsgegnerin G***** P*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Vinatzer, Rechtsanwalt in Wien, weitere Beteiligte 1. A***** F***** und 2. I***** F*****, vertreten durch die ABEL Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 18. Mai 2021, GZ 20 R 94/21w-44, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Korneuburg vom 4. Februar 2021, GZ 21 Fam 40/19k-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1]       1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und die gerügte Aktenwidrigkeit liegen nicht vor, was keiner weiteren Begründung bedarf (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[2]       Der Oberste Gerichtshof ist auch im Verfahren außer Streitsachen nicht Tatsacheninstanz (RIS-Justiz RS0007236 [T2]), weshalb die von der Frau in diesem Zusammenhang erörterten Fragen der Beweiswürdigung (RS0007236 [T4]) an den Obersten Gerichtshof nicht herangetragen werden können. Ein Eingehen auf jedes einzelne Detailargument eines Rekurswerbers ist nicht erforderlich; vielmehr reicht es aus, wenn sich das Rekursgericht – was es tat – mit den wesentlichen Argumenten auseinandergesetzt und den Vorwurf einer unrichtigen Beweiswürdigung in nachvollziehbarer Weise behandelt hat (vgl RS0043162; RS0043371 [T18]).

[3]       Selbst wenn das Rekursgericht der Tatsachenrüge zur Frage der Verwendung des Verkaufspreises der Liegenschaft gefolgt wäre, wäre der (späteren) Aussage des Mannes, auf die die Revisionsrekurswerberin Bezug nimmt, nur zu entnehmen, dass er vom mit ca 40.000 EUR bis 45.000 EUR in der KG verbliebenen Verkaufserlös, dem weitaus höhere Schulden dieser Gesellschaft gegenüberstanden, einen Teil entnommen und dafür verwendet hätte, um das Studium der jüngeren Tochter zu finanzieren. Welche Konsequenzen die Frau – eine solche „Privatentnahme“ des Mannes viele Jahre nach dem „Aufteilungsstichtag“ zur Finanzierung des Studiums der gemeinsamen Tochter unterstellt – daraus für eine allfällige Ausgleichszahlung „nach Billigkeit“ ziehen möchte, führt sie nicht aus.

[4]       Der Revisionsrekursgrund der Aktenwidrigkeit kann nicht als Ersatz für eine im Revisionsrekursverfahren generell unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (vgl RS0117019).

[5]       2.1. Ist ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt, so hat dieser einen Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlässt und vorkehrt, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliert. Dies gilt nicht, wenn das Handeln oder Unterlassen des verfügungsberechtigten Ehegatten durch die Umstände erzwungen wird (§ 97 ABGB). Da nach dem Wortlaut des § 97 ABGB nur ein Ehegatte den dort umschriebenen Anspruch hat, endet dieser grundsätzlich mit Rechtskraft der Ehescheidung. Über diesen Wortlaut hinaus hat jedoch die Rechtsprechung den nach § 97 ABGB gewährten Anspruch einem geschiedenen Ehegatten auch im Fall rechtzeitiger Antragstellung nach den §§ 81 ff EheG bis zum rechtskräftigen Abschluss des Aufteilungsverfahrens zuerkannt (RS0009537; RS0009566; vgl RS0113119).

[6]       Der Mann war Geschäftsführer und Mitgesellschafter einer GmbH, die Komplementärin einer KG ist. Diese KG war Eigentümerin einer (während der aufrechten ehelichen Lebensgemeinschaft gekauften und) sonst betrieblich genutzten Liegenschaft. Im ersten Stock des auf der Liegenschaft errichteten Gebäudes befindet sich die etwa 200 m2 große ehemalige Ehewohnung, die jetzt von der Frau alleine bewohnt wird. Unternehmensgegenstand der GmbH war allein die Geschäftsführung der KG. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG wurde der Betrieb (Herstellung von Papierwaren und Buchbinderei) vom Masseverwalter geschlossen und einvernehmlich das Bestandverhältnis mit der GmbH, die dem Mann die Ehewohnung zur Verfügung gestellt hatte, aufgelöst. Später verkaufte die KG die Liegenschaft an die mitbeteiligten Parteien, war doch anders die Bedienung des darauf hypothekarisch sichergestellten Bankkredits, für den der Mann persönlich haftete, nicht möglich; es gab keine andere Möglichkeit, den Erhalt der Gesellschaften zu sichern und den Sanierungsplan der KG zu erfüllen. Die GmbH bildete die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Mannes.

[7]       An einer Wohnung, an der der ehemals verfügungsberechtigte Ehepartner seine Rechte bereits verloren hat, kann ein Weiterwirken eines Rechtsverhältnisses im Aufteilungsverfahren mangels Zugehörigkeit zur Verteilungsmasse nicht in Betracht kommen. Die „Zuweisung“ einer Ehewohnung nach § 87 Abs 2 EheG wirkt ex nunc; Rechtsverhältnisse können nicht rückwirkend gestaltet werden (Gitschthaler, Aufteilungsrecht2 [2017] Rz 114 mit Judikaturnachweisen).

[8]       2.2. Der einem Ehegatten nach Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe zustehende „Aufteilungsanspruch“ genießt den gleichen (beschränkten) Schutz gegen Beeinträchtigung durch Dritte wie jedes andere obligatorische Recht. Die Verletzung eines solchen Rechts gewährt dem Betroffenen dann einen – grundsätzlich auf Naturalrestitution gerichteten – Schadenersatzanspruch, wenn der Dritte den Schuldner zur Rechtsverletzung verleitet, arglistig mit dem Schuldner zum Nachteil des Gläubigers zusammengewirkt oder ein durch den Besitz typischerweise erkennbares Recht verletzt hat (vgl auch RS0009553). Liegt eine solche Verletzung des „Aufteilungsanspruchs“ vor, so soll der Außerstreitrichter (im Aufteilungsverfahren), unbeschadet des formellen Eigentums des Dritten, Rechte und Pflichten begründen können (so 7 Ob 691/85 = RS0025891; 1 Ob 221/99b; Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 86 EheG Rz 5 mwN).

[9]       Das Rekursgericht verneinte ohne Fehlbeurteilung, dass nur ein arglistiges Zusammenwirken der beiden Käufer mit der die Liegenschaft verkaufenden KG zum Verlust des Wohnungsbenützungsrechts des Mannes geführt hätte. Im Unterschied zum Räumungsprozess, den die Käufer gegen die Frau geführt und verloren hatten, weil sie nicht vorgebracht hatten und damit nicht beweisen konnten, dass die Veräußerung des Objekts auch aufgrund der prekären Vermögensverhältnisse des Mannes zwingend notwendig war (8 Ob 44/19g = iFamZ 2020/175, 320 [Deixler-Hübner]), sei dem Mann im Aufteilungsverfahren dieser Nachweis gelungen. Er sei im Räumungsprozess nicht verfahrensbeteiligt gewesen, sodass diese Entscheidung ihm gegenüber auch keine Bindungswirkung entfalten könne. Im Zeitpunkt der Aufgabe der Verfügungsberechtigung über die frühere Ehewohnung habe aufgrund der beengten finanziellen Situation sowohl des Mannes als auch der KG sowie deren Komplementärin (GmbH) keine andere Wahl bestanden, als die Liegenschaft an die mitbeteiligten Parteien zu veräußern. Der Verkauf sei durch die anhaltende wirtschaftliche Notlage des Mannes und auch der beiden Gesellschaften erforderlich gewesen, ohne dass sein Verhalten darauf abgezielt hätte, den Wohnungserhaltungsanspruch der Frau zu verletzen. Bei der Interessensabwägung stellte das Rekursgericht der wirtschaftlichen Zwangslage des Mannes und der Gesellschaften das Interesse der Frau gegenüber, weiterhin – unentgeltlich – in der Ehewohnung zu bleiben. Die Frau habe die ihr vom Mann angebotene Ersatzwohnung, die von der GmbH befristet zur Verfügung gestellt worden wäre, abgelehnt; anstatt an der wirtschaftlichen Besserung der Situation der KG mitzuwirken, von deren positivem Wirtschaftsergebnis sie über Jahre hindurch auch profitiert habe, habe sie sich darauf versteift, die Ehewohnung weiter zu nutzen. Mangels aufrechten Wohnungserhaltungsanspruchs im Sinn des § 97 ABGB hätten die Käufer kein Forderungsrecht der Frau beeinträchtigt. Dass das Rekursgericht bei Abwägung der wechselseitigen Interessen die Veräußerung zum Erhalt der KG, die letztlich die wirtschaftliche Existenzgrundlage des verfügungsberechtigten Ehegatten bildete, als erforderlich ansah, ist nicht korrekturbedürftig.

[10]     2.3. Die Frau vermag im Revisionsrekurs nicht aufzuzeigen, auf welcher Rechtsgrundlage ihr die Nutzung der Wohnung auf der nunmehr im Eigentum der Mitbeteiligten stehenden Betriebsliegenschaft „zugewiesen“ werden könnte. [11]          Wenn sie damit argumentiert, die frühere Mieterin der Ehewohnung – die GmbH – sei nicht insolvent gewesen, übergeht sie die Feststellung, dass deren alleiniger Zweck die Geschäftsführung als Komplementärin war und die GmbH (an der der Mann nur mit 10 % beteiligt war) nach der Insolvenz der KG keine finanziellen Mittel mehr hatte. Die GmbH übernahm erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens und Erfüllung des Sanierungsplans der KG – lange nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft – die früher von der KG ausgeübten Geschäftstätigkeiten der Papierwarenherstellung und Buchbinderei und führt diese nunmehr an einem anderen Standort.

[12]     Der Mann haftete persönlich für den von der KG für den Erwerb der Liegenschaft aufgenommenen Kredit. Nach dessen Rückzahlung an die Bank aus dem Veräußerungserlös der Liegenschaft besteht diese Haftung nicht mehr. Er hätte den Kredit mangels Einkommens nicht bedienen können; auch seine finanzielle Notlage konnte erst durch die Veräußerung der Betriebsliegenschaft samt Ehewohnung beendet werden. Abgesehen von ihrem Interesse, die Wohnung weiterhin unentgeltlich nutzen zu können, vermag die Frau nicht darzulegen, welche Umstände in den Jahren 2016/2017, als die finanzielle Notlage der Gesellschaften und des Mannes bestanden hatte, dazu führen hätten können, dass die Ehegatten dennoch – obwohl nur Schulden vorhanden waren – in der Lage gewesen wären, die Wohnungsbenützung zu erhalten. Das von ihr erwirkte und in Rechtskraft erwachsene Urteil des Erstgerichts, mit dem dem Mann (persönlich) die „Veräußerung“ der Liegenschaft untersagt wurde, erging vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG und bedeutet nicht, dass eine – hier festgestellte – nachfolgend eingetretene massive Verschlechterung der finanziellen Situation nicht zur Beendigung des Wohnungserhaltungsanspruchs führen konnte.

[13]     Überhaupt scheint die Revisionsrekurswerberin einem Fehlverständnis des Wohnungserhaltungsanspruchs nach § 97 ABGB und seiner Bedeutung für das Aufteilungsverfahren zu unterliegen. Einerseits soll die Weitergewährung dieses Anspruchs bis zur Beendigung des Verfahrens nur jenen Ehegatten schützen, dem nach aufteilungsrechlichen Grundsätzen künftig ein Recht zur Benützung der Wohnung in einer der vom Gesetz vorgesehenen Varianten zukommen soll. Andererseits begründet der Anspruch nach § 97 ABGB auch bei aufrechter Ehe – unabhängig von Unterhaltsansprüchen – keineswegs generell das Recht auf eine in jeder Hinsicht kostenfreie Wohnmöglichkeit (vgl nur 3 Ob 231/04y mwN), die die Frau aber erkennbar – und auch für die Zukunft – anstrebt.

[14]     Aufzuteilen sind jene Sachen und Rechte der Ehegatten, die sie bei Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft – hier im Sommer 2013 – hatten (vgl RS0057331; RS0057486 [T1, T6]), wobei im Regelfall jedem ein gleichwertiger Anteil zukommen soll (vgl RS0057501 [T3]; RS075969). Nach den Feststellungen zahlte der Mann zu dieser Zeit der GmbH, die die Wohnung von der KG gemietet hatte, einen monatlichen (Unter-)Mietzins (inkl Betriebskosten) von annähernd 1.600 EUR. Selbst wenn es dem Mann – entgegen der unbedenklichen Beurteilung der Vorinstanzen – möglich gewesen wäre, diese Situation aufrecht zu erhalten, ist nicht ersichtlich, dass der Frau im Rahmen der Aufteilung das von ihr angestrebte dauerhafte und unentgeltliche Wohnrecht zukommen hätte können. Mangels sonstiger behaupteter oder festgestellter der Aufteilung unterliegender Werte wäre nur zu entscheiden gewesen, ob die Rechte und Pflichten aus dem Untermietverhältnis beim Mann verblieben oder ob die Frau gemäß § 87 Abs 2 EheG in dieses Rechtsverhältnis eintritt. Die zweitgenannte Variante wäre aber schon deshalb ausgeschieden, weil feststeht – und von der Revisionsrekurswerberin wiederholt betont wird –, dass sie nicht einmal eine Miete von 600 EUR monatlich aufbringen kann. Auch unter diesem Aspekt kann die Abweisung ihres Begehrens daher nicht verfehlt sein.

[15]     3. Warum der Mann der Frau entsprechend ihrem Eventualantrag eine Ausgleichszahlung von „zumindest 200.000 EUR“ zahlen sollte, legt sie nicht dar. Sie behauptet nicht einmal, dass zum für die Ermittlung der Aufteilungsmasse maßgeblichen Zeitpunkt der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft (im Sommer 2013) eheliches Gebrauchsvermögen und/oder eheliche Ersparnisse in einem ins Gewicht fallenden Umfang vorhanden gewesen und beim Mann verblieben wären. Die Liegenschaft, auf der sich die frühere Ehewohnung befindet, stand im Eigentum der (unternehmerisch tätigen) KG. Da es sich bei der Liegenschaft weder um eheliches Gebrauchsvermögen noch um eheliche Ersparnisse handelte, konnte schon deshalb deren Veräußerung lange nach dem Aufteilungsstichtag, durch die ganz überwiegend fällige Verbindlichkeiten getilgt wurden, – entgegen der Ansicht der Frau – keinesfalls die Rechtsfolgen des § 91 Abs 1 EheG auslösen, selbst wenn dem Mann durch eine „Privatentnahme“ – auf die bereits unter Punkt 1. eingegangen wurde – ein gewisser Geldbetrag zugekommen sein sollte.

[16]     4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E133456

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00202.21V.1116.000

Im RIS seit

12.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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