TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/5 L504 2165662-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.07.2021
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Entscheidungsdatum

05.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L504 2165662-1/35E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 57, 10 AsylG 2005, §§ 52, 46, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 14.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger des Irak mit sunnitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Araber angehört und aus dem Gouvernment Al-Anbar stammt.

In der von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung gab die bP zu ihrer Ausreisemotivation aus dem Herkunftsstaat Folgendes an (Auszug aus der Niederschrift):

„(…)

11. Warum haben Sie ihr Land verlassen (Fluchtgrund):

(Die Befragung hat sich gem. § 19 Absatz 1 AsylG 2005 nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen, ist aber durch den AW in eigenen Worten abschließend zu beantworten. In einer Darstellung von ca ½ Seite sollten die 6W (Wer, Wann, Was, Wo, Wie, Wieso) abgedeckt sein)

In meiner Heimat sind Unruhen. Die Lage ist schlimm. Ich bin Sunnite und werde von den Schiiten bedroht. Sogar meine Eltern sind in den Nordirak geflüchtet. Ich bin Lehrer und möchte aus meinem Studium etwas machen. Es gibt keine Sicherheit mehr im Irak.

[…..]

14. Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?

Ich kann dort nicht mehr Leben und habe dort keine Zukunft.

14.1. Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen? Hätten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihren Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen?

Wenn ja, welche?

keine

(…)“

In der ca. 1 Jahr danach erfolgten Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte die bP zu ihrer ausreisekausalen Problemlage im Herkunftsstaat und allfälligen Problemen, die sie im Falle der Rückkehr erwarte, im Wesentlichen Folgendes vor (Auszug aus der Niederschrift):

„(…)

LA: Bei dieser Einvernahme handelt es sich um eine Fortsetzung der bis jetzt

durchgeführten Befragungen. Es geht jetzt vorwiegend um die Darstellung Ihres

Fluchtgrundes. Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende

Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt

protokolliert?

AW: Ja, aber der Dolmetscher hat einen Fehler gemacht. Ich habe IS gesagt aber er hat

Milizen geschrieben. Der Rest wurde richtig rückübersetzt und protokolliert.

LA: Sie wurden vom Bundesamt angeschrieben dass Sie Dokumente vorlegen sollen.

Insbesondere Dokumente, die Ihre Identität bezeugen. Haben Sie solche Dokumente.

Anmerkung: der AW legt keine Dokumente vor.

[…]

LA: Hat sich seit der Erstbefragung an den Gründen Ihrer Flucht aus dem Irak etwas

geändert?

AW: Nein

[…]

LA: Wie heißen Ihre Eltern bzw. Geschwister und wo leben sie?

AW: Vater: XXXX , ca. 59J, wh. XXXX

Mutter: XXXX , ca. 54J, wh. siehe Vater

Bruder: XXXX , XXXX , wh.Bagdad

Bruder: XXXX , wh. Bagdad

Bruder: XXXX , XXXX , wh. Australien

Bruder: XXXX , XXXX , wh. Kirkuk

Bruder: XXXX , ca. 26J, wh. Nord Irak

Schwester: XXXX , XXXX , wh. Khalidia eigene Adresse

Schwester: XXXX , XXXX , wh. Khalidia eigene Adresse

Schwester: XXXX , XXXX , wh. siehe Vater

Schwester: XXXX , XXXX , wh. siehe Vater

LA: Haben Sie Kontakt zu ihrem Vater, den Geschwistern oder anderen Angehörigen

oder Freunden im Irak?

AW: Ja, alle 2 Wochen mit dem Vater über Viber.

LA: Sie gaben an, dass Sie und Ihre Familie aus dem Irak stammen. Wie lebten Sie dort?

Gibt es ein eigenes Haus, Grundstücke, eine Landwirtschaft?

AW: Ein 2 stöckiges Haus und Agrarland. Es ist unser altes Familienhaus. Als der IS

einmarschiert ist sind die Eltern an folgende Adresse gezogen: XXXX

XXXX

[…]

LA: Kommen wir jetzt zu dem Grund, aus dem sie den Irak verlassen mussten und Sie

nicht in den Irak zurück können? Bitte erzählen Sie.

AW: Beginn der freien Erzählung:

Der Hauptgrund ist der Einmarsch des IS. Das war im 6. Monat 2014. Sie haben alles

zerstört und das Morden hat begonnen. Sie haben versucht, die jungen Leute für Ihre

Seite zu gewinnen. Der IS (schwarz angezogene Leute mit langen Bärten) hat mir

gesagt, dass, wenn ich mich Ihnen anschließe, kann ich heiraten und werde alles

bekommen. Sie sammeln die jungen Leute und sagen Ihnen, dass sie die Welt von

den Ungläubigen befreien. Der IS hat weibliche Personen zu uns nach Hause

geschickt und diese haben mit meiner Mutter geredet. Sie haben gesehen, dass sich

meine Brüder und ich nicht anschließen wollen. Dann habe ich gesehen, wie sie

wieder gegangen sind. Das war im November 2014. Wir haben uns daraufhin

zurückgehalten und sind zu Hause geblieben. Der IS hat uns dann vorgeworfen, dass

wir uns wie Weiber verhalten. Ich wollte auch nicht mit Waffen umgehen, ich habe

Angst vor Waffen. Die Regierung hat dann gegen den IS EL Hashd El Shabie

eingeschalten und wollten dann, dass sich die jungen Leute dieser Miliz anschließen.

Der Ortsvorsteher XXXX hat das immer wieder gesagt. Seitdem der IS bei uns

einmarschiert ist, ist mein Leben schwierig. Ich wollte sowieso weg. Die Schiitischen

Milizen versperrten den Weg. EL Hashd El Shabie haben immer wieder die

Umgebung bombardiert. Mein Leben war in Gefahr, weil, wenn man sich dem IS nicht

anschließt ist man ein Ungläubiger und wird getötet. Wäre ich dort geblieben, wäre

ich entweder vom IS oder von dessen Gegnern getötet worden.

Ende der freien Erzählung.

LA: Ist das der einzige Grund bzw. waren das alle Ihre Gründe, dass Sie den Irak

verlassen mussten bzw. nicht in den Irak zurückkehren können?

AW: Ja, sonst keine Gründe. Das sind auch die Gründe, warum ich nicht zurückkehren

kann.

LA: Wie wurden Sie konkret vom IS bedroht?

AW: Die Drohung, dass ich für sie kämpfen muss und wenn ich das nicht tue, dass Sie

mich töten.

LA: Wie genau wurden Sie konkret bedroht?

AW: Ja, der IS selber

LA: Wo war das?

AW: Bei uns zu Hause. Sie gehen von Haus zu Haus.

LA: Haben Sie wegen der Drohungen Schutz bei den irakischen Behörden gesucht?

AW: Nein, es gibt dort keine irakischen Behörden.

LA: Wenn Sie in Ihrem Heimatort bedroht wurden, vom IS , wieso sind Sie nicht in einen

anderen Teil des Irak geflohen?

AW: Die ganze Umgebung war blockiert. Dann hat die Regierung auf Druck aus dem

Ausland den Weg für Familien freigemacht. Unsere Familie hat sich dann aufgeteilt.

Ich war mit 2 Brüdern am weg. Wir waren auf dem Weg nach Bagdad, die

verschiedenen Milizen ließen uns aber nicht nach Bagdad.

LA: Wieso sind Sie dann nicht zB. Nach Basra?

AW: Basra ist in schiitischer Hand.

LA: Sie gaben in der EB an, aus Ihrem Studium etwas machen zu wollen. Haben Sie

die Lage im Irak nicht dazu ausgenützt, um nach Europa zu kommen und sich einen

wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen?

AW: Nein, ich habe auch im Irak gut leben können.

LA: Ich bin mit den Fragen zu den Fluchtgründen soweit fertig. Wollen Sie dazu noch

etwas sagen? Haben Sie alle Ihre Gründe geltend gemacht? Hatten Sie genug Zeit

und Möglichkeit, alle Ihre Gründe geltend zu machen?

AW: Ja, ich konnte alles sagen. Ich hatte genug Zeit und Möglichkeit.

LA: Haben Sie nun alle Ihre Gründe genannt, wegen derer Sie nicht in den Irak zurück

können?

AW: Ja

[…]

LA: Wurden Sie schon einmal strafgerichtlich verfolgt bzw. verurteilt? Hatten Sie

Probleme mit Verwaltungsbehörden aufgrund schwerer Verwaltungsstraftaten?

AW: Nein

LA: Haben Sie sich jemals im oder außerhalb vom Irak politisch betätigt, gehören Sie

irgendeiner politischen Organisation oder Partei an?

AW: Nein

LA: Gab es jemals eine konkrete Verfolgung Ihrer Person alleine aufgrund Ihrer

Volksgruppenzugehörigkeit?

AW: Nein

LA: Gab es jemals eine Verfolgung Ihrer Person alleine aufgrund Ihrer

Religionszugehörigkeit?

AW: Nein

LA: Gab es jemals eine Verfolgung Ihrer Person alleine aufgrund Ihrer Nationalität?

AW: Nein

LA: Gab es jemals eine Verfolgung Ihrer Person alleine aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zu

einer bestimmten sozialen Gruppe?

AW: Nein

LA: Sie sind nach wie vor gläubiger Moslem?

AW: Nicht sehr religiös.

LA: Haben oder hatten Sie jemals irgendwelche Schwierigkeiten/Probleme mit irakischen

oder internationalen Behörden (Polizei, Gericht etc.)?

AW: Nein

LA: Haben oder hatten Sie jemals irgendwelche Probleme – außer den genannten - mit

privaten Personen, Personengruppen, Banden, kriminellen Organisationen?

AW: Nein

LA: Gibt es außer den genannten Problemen und Befürchtungen sonst noch

irgendwelche Sie betreffende Schwierigkeiten, die noch nicht zur Sprache gekommen

sind?

AW: Nein

LA: Die Verständigung mit dem Dolmetscher war immer gut?

AW: Ja

LA: Möchten Sie zu den von Ihnen im Zuge der Befragung gemachten Angaben,

insbesondere zu ihrer Person, Ihrem Reiseweg oder betreffend vorhandener

Dokumente, Fluchtgrund etwas berichtigen, ergänzen oder hinzufügen? Sie werden

nochmals darauf hingewiesen, dass Ihre Angaben die Grundlage für die

Entscheidung im Asylverfahren sind und dass hervorkommende Widersprüche,

Abweichungen von bereits getätigten Angaben oder sonstige

Tatsachenabweichungen ihre Glaubwürdigkeit maßgeblich beeinflussen.

AW: Nein, alles gesagt.

LA: Ich beende somit die Einvernahme. Wollen Sie noch ergänzende Angaben machen,

die noch nicht zur Sprache gekommen sind und ihrer Ansicht nach für das Verfahren

wesentlich sein könnten?

AW: Nein

(…)“

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (I.).

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (II.).

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (III.).

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (IV.).

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat in Verbindung mit ihrer persönlichen Situation keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Relevante Abschiebungshindernisse würden demnach nicht vorliegen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht gegeben sein und werde daher eine Rückkehrentscheidung mit der angegebenen Frist für die freiwillige Ausreise verfügt.

Gegen diesen Bescheid wurde durch die gewillkürte Vertretung VMÖ innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Die bP halte ihre Aussagen inhaltlich aufrecht und ergebe sich daraus ein Fluchtgrund.

Neu wurde dargelegt, dass der bP nach Erlassung des Bescheides am 25.05.2017 mitgeteilt worden sei, dass sie ein Problem mit den irakischen Behörde hatte. Eine Kopie eines Haftbefehles mit Datum 14.12.2016 wurde vorgelegt. Die bP habe 2013 an den Demonstrationen gegen die irakische Regierung teilgenommen. Ihr sei eine „bestimmte politische Meinung“ gegen die Regierung unterstellt worden, weshalb sie verfolgt werde. Fotos, die die bP bei einer friedlichen Kundgebung auf freiem Feld an nicht näher ersichtlichem Ort und Zeitpunkt zeigen, wurden beigelegt.

Die bP habe wahrheitsgemäß dargelegt, dass sie „vom IS und den Schiiten“ bedroht worden sei. Der IS habe die bP in Al Anbar versucht sie zu überreden sich ihnen anzuschließen. Als die Regierung dann gegen den IS die El Hashd El Shabie eingeschaltet hat, hätte sich die bP dieser Miliz anschließen sollen. Aus diesem Grund habe sie den Irak verlassen.

Mit Schriftsatz vom 02.03.2021 wurde die bP vom BVwG im Rahmen ihrer gesetzlichen Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflicht gem. § 15 AsylG, § 39 Abs 2a AVG, aufgefordert Fragen zum aktuellen Stand ihres Privat- und Familienlebens in Österreich zu beantworten und Angaben zu machen, ob sich seit Einbringung der Beschwerde in Bezug auf ihre Problemlage im Herkunftsstaat eine Änderung ergeben hat. Gleichzeitig wurde sie darin aufgefordert allfällige Behauptungen zu diesen Punkten, soweit als möglich, durch Bescheinigungsmittel nachzuweisen bzw. glaubhaft zu machen.

Die belangte Behörde wurde im gleichen Schriftsatz als Verfahrenspartei aufgefordert darzulegen inwiefern sie ihren Antrag auf Abweisung der Beschwerde, nunmehr unter Berücksichtigung der aktuellen Lage im Herkunftsstaat, zu begründen beabsichtige.

Die bP brachte eine schriftliche Stellungnahme ein. Das Bundesamt verschwieg sich.

Mit Schriftsatz vom 24.03.2021 wurden den Parteien vom BVwG im Rahmen des Parteiengehörs Berichte übermittelt, die das Verwaltungsgericht zur Beurteilung der aktuellen asyl- und abschiebungsrelevanten Lage zugrunde legt und wurde zur Stellungnahme binnen einer Frist von 2 Wochen aufgefordert.

Die bP brachte eine schriftliche Stellungnahme ein. Das Bundesamt verschwieg sich.

Am 20.04.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP sowie im Beisein ihres bevollmächtigten Vertreters eine Verhandlung durch. Das Bundesamt blieb entschuldigt fern.

Aufgefordert, in der Verhandlung alle Probleme anzugeben, die sie aus aktueller Sicht im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat noch erwartet, gab sie Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

„(…)

Erwarten Sie aktuell bei einer Rückkehr in Ihre Herkunftsregion im Herkunftsstaat noch Probleme? Wenn ja, geben Sie bitte konkret und vollständig alle Probleme an, die Sie persönlich für sich derzeit bei einer Rückkehr erwarten würden.

Damals habe ich an einer Demonstration gegen das Regime teilgenommen, gegen Korruption und ich habe auch Fotos vorgelegt. Wenn ich jetzt zurückkehren sollte, die Regierung wäre noch immer dieselbe. Ich weiß nicht was mir passieren sollte, es wäre nichts Gutes. Ich hoffe, ich habe Ihnen das richtig rübergebracht, jeder, der an so einer Demonstration teilnimmt, wird so angesehen, dass er zu den alten Regimen von Sadam Hussein gehörte. Vor drei Tage, wo die Fastenzeit begann, war in Bagdad, auf einem Markt eine Explosion, wo viele Menschen ums Leben kamen. Es wird schon langsam Normalität. Es gibt jetzt neue Milizen namens Rabaa Allah. Diese Miliz gehört zum Iran. Es war eine Demonstration, die Regierung kann sie nicht stoppen. Es gab viele Verletze und Tote.

(Ende der freien Rede)

Haben Sie damit jetzt alle Probleme genannt, die Sie persönlich aktuell im Falle einer Rückkehr in den Irak erwarten würden?

Ich habe hier mein Leben aufgebaut. Ich kann nicht mehr zurückgehen. Ich habe hier meine Familie aufgebaut.

Vorhalte / Fragen:

Warum haben Sie nicht schon früher den Irak verlassen?

Ich war zur dieser Zeit Student in der Literatur Fakultät Fach Geschichte, diese wollte ich absolvieren. Es ist nicht so leicht das eigene Land zu verlassen, aber ich musste es verlassen, als die Milizen reinmarschierten. Für mich war die Grenze als die Milizen reinkamen.

Gab es ein bestimmtes Erlebnis, weshalb Sie ausgerechnet im April 2015 den Irak verlassen?

Nein, aber die allgemeine Lage. Nirgends war es sicher. Wenn ich mich in ein anderes Bundesland begeben würde, wäre ich nicht sicher, weil mein Name ist schon wegen der Demonstrationsteilnahme registriert und ich hatte Angst, dass sie mich finden.

Wo und in welchem Jahr haben Sie an Demonstrationen teilgenommen?

Die erste Demonstration war Ende 2013 Anfang 2014 in Al Ramadi. Diese hat sieben bis acht Monate gedauert, tagtäglich haben die Menschen auf der Straße demonstriert. Sie verlangten ihre Rechte als Bürger. Nach den Demonstrationen bin ich dann wieder nach Hause zurückgekehrt. Während der Demonstrationen kamen manchmal mehrere Autos mit dem Kennzeichen Bagdad, in denen schwarzbekleidete Männer waren. Wir fragten, wer sie sind, aber es konnte uns nicht mitgeteilt werden. Nach einigen Tagen wurde im TV darüber berichtet, dass man Leichen fand, die bei der Demonstration waren.

Wie viele Demonstrationsteilnehmer gab es da ungefähr?

Ich kann das nicht genau sagen. Das hat fast acht Monate gedauert. Teilgenommen habe ich ungefähr drei Mal in der Woche, ich ging von der Früh bis zum Sonnenuntergang dorthin und ging dann nach Hause.

Ist Ihnen bei den Demonstrationen oder danach irgendetwas passiert?

Ich habe ein Schreiben schon vorgelegt, weil es ein Haftbefehl gibt. Wir sind die Gründer, mehrere Personen haben dieses Schreiben erhalten, weil wir uns gegen das Regime aufgebracht haben.

Wann haben Sie erfahren, dass es einen Haftbefehl gegen Sie gibt?

Im Jahr 2017. Viele Freunde bekamen es positiv, nur ich bekam es negativ. Ich war psychisch und auch seelisch am Ende. Ich kontaktierte meinen Vater und sagte ihm, dass ich das nicht mehr verkraften kann und zurückkehren werde und dass ich Heimweh habe. Daraufhin sagte mein Vater, dass es ein Haftbefehl gibt. Ich war schockiert, da er mir nie davon erzählt hat. Er sagte mir, dass er schon längst davon wusste, aber mich nicht damit belasten wollte. Einer, der meinen Vater kennt, hat den Haftbefehl fotografiert. Ich dachte, mein Vater hat sich geirrt und daraufhin bat ich ihn, mir den Haftbefehl sofort zu schicken.

Übersetzung des Schriftstückes von der Dolmetscherin:

Rechts oben: Republik Irak, darunter: Höchstgerichtshof, darunter: Justizgericht Al Anbar-Al Ramadi

Links oben: Fallnummer XXXX , darunter: Nummer 492, Datum XXXX , darunter: Polizeiinspektion XXXX

Mittig: Haftbefehl und Befragung

Es ist ein Rundschreiben an alle Offiziere und an alle Komandos bzw. Polizeistationen. Es ist ein Befehl, den Beschuldigten festzunehmen: 1- (dreistellige Name und Clanname): (1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX , 4. …, 5. …), darunter: 2. (Wohnort): XXXX

, darunter: 3. (Betreff, Art des Verstoßes des Gesetzes, laut §): Begründung: Ihr habt teilgenommen und eure Demonstration war gegen das Regime, gegen das irakische Regime, ihr seid marschiert im Ort Ramadi, laut Gesetzbuch § 220, irakische Strafgesetzbuch;

Zwei Zeilen drunter: sofort zu uns herbringen, es gibt eine Anzeige gegen obengenannte Personen, darunter: Gerichtsstempel vom Obersten Gerichtshof, Höchstgerichtshof XXXX ;

Auf der linken Seite: Richter, der dreistellige Name des Richters, darunter Richter des Gerichtshofes, es wurde unterschrieben, Gerichtsstempel, Datum: XXXX ;

Kennen Sie die anderen Personen, die auf dem Haftbefehl stehen persönlich?

Zwei davon kenne ich persönlich und den Rest nur mit Begrüßung, also habe keinen Kontakt zu ihnen gehabt.

Wie erklären Sie sich, dass dieser Haftbefehl erst zwei bzw. drei Jahre nach der Demonstrationsteilnahme ausgestellt wurde?

Zur dieser Zeit gab es keine Regierung, da gab es Krieg. Da war nur die Polizei unserer Stadt. Der Ort war nicht in der Macht des Landes. Als der Ort befreit wurde von den Milizen, ist die irakische Regierung einmarschiert. Wir waren auch im Fernsehen, es wurden Fotos gemacht von den Demonstrationen.

Warum haben Sie beim Bundesamt nichts von Demonstrationsteilnahmen und Problemen diesbezüglich erwähnt?

Weil mir in der Unterkunft von den anderen Flüchtlingen erzählt wurde, dass ich nichts davon erzählen sollte, dass ich auf Demonstrationen gegen das irakische Regime teilgenommen habe, damit sie nicht denken, dass ich zu einer Truppe gehöre. Sie sagten mir, erzähle gar nichts davon, erzähle nur, dass du wegen dem IS ausgereist bist. Ich habe das von mehreren gehört.

Waren Sie vor der Ausreise einer konkreten, gegen Sie gerichteten Verfolgung durch den IS oder schiitische Milizen ausgesetzt?

Das war nur am Anfang. Als der IS einmarschierte, haben sie die Jungen aufgefordert, mitzukämpfen.

Sie haben beim Bundesamt eine Bestätigung der irakischen Botschaft in Wien über die Echtheit Ihrer Dokumente vorgelegt. Waren Sie persönlich bei der Botschaft? Gab es dort ein Problem?

Ja, ich war persönlich in Wien bei der Botschaft. Nein, es gab keine Probleme. Ich habe meinen Namen angegeben, sie haben das vorbereitet und mir gegeben. Nachgefragt: Ich kann nicht sagen, ob die im Computer nachgesehen haben, ob ich tatsächlich mit dieser Identität im Irak registriert bin.

Sind Sie mit dem irakischen Personalausweis hingegangen?

Mit einer Kopie.

Wie erklären Sie sich, dass Sie der irakische Staat zu diesem Zeitpunkt als Sie bei der irakischen Botschaft in Wien waren, bereits per Haftbefehl gesucht hat und die irakische Botschaft nichts weiter unternommen hat z.B. Ersuchen über Interpol an die österreichische Polizei, …?

Dass ich nicht dort festgenommen wurde, war, weil ich das Land verlassen habe, bevor der Haftbefehl kam. Probleme gab es nicht, ich kann das mir auch nicht erklären. Hätte ich vorher davon gewusst, hätte ich sicher nicht die Botschaft mit eigenen Füßen betreten. Ich ging nicht freiwillig, sondern die Polizei von Salzburg bat mich, dass ich ehestmöglich die Richtigkeit meiner Identität von der irakischen Botschaft nachweisen soll. Der Grund dafür war, mein Name, wegen der Erstbefragung mit dem Dolmetscher.

[…]

Ich beabsichtige meine Befragung zu beenden. Wenn Sie glauben etwas Wichtiges zu Ihrem Asylverfahren vergessen zu haben, hätten Sie nun noch Gelegenheit dies noch zu sagen:

Ich weiß nicht, ob ich das erwähnen darf, weil Sie mich das nicht gefragt haben. Ich habe so viele ehrenamtliche Tätigkeiten errichtet. Die B1 Prüfung habe ich auch absolviert, aber das Ergebnis habe ich noch nicht erhalten. Ich war sehr gut. Ich bedanke mich. Ich habe mich wieder von null aufgebaut, Österreich ist für mich wie mein zweites Heimatland. Ich habe eine Familie gegründet.

(…)“

Am Ende der Verhandlung wurde das Ermittlungsverfahren durch Beschluss gem. § 39 Abs 3 AVG für geschlossen erklärt.

Mit Schreiben vom 07.05.2021 legte die bP über ihre Vertretung ein „Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau B1“ (Sprachkompetenz und Werte- und Orientierungswissen) vor. Die Prüfung wurde demnach vor der Verhandlung am 14.04.2021 absolviert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat:

Name und Geburtsdatum (wie im Einleitungssatz des Spruches angeführt) stehen nicht fest.

Die bP ist der Volksgruppe der Araber und dem sunnitischen Glauben zugehörig.

Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist der Irak.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:

Die bP ist im Gouvernment Al-Anbar geboren und absolvierte dort ihre Schulbildung einschließlich Universität.

Sie wohnte vor ihrer Ausreise seit 1989 bis zum Tag der Ausreise bei ihrer Familie im Gouvernment Al-Anbar in XXXX . Sie wohnte im Eigentumshaus der Eltern.

Die bP war im Irak zuletzt als Friseur und als Sänger bei Partys, Hochzeiten oder Geburtstagen erwerbstätig. Sie hat damit zwischen 1200 bis 1250 USD im Monat verdient. Die Hälfte des Lohnes gab sie den Eltern. Sie selbst benötigte zum Leben ca. 200 USD.

1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Der Vater wohnt nach wie vor in XXXX in seinem Haus. Dieser wird durch zwei Brüder der bP finanziell unterstützt. Wo die beiden Brüder konkret im Irak leben weiß die bP nicht, jedenfalls sind sie aber als angesehene Ärzte tätig. Die Mutter lebt aktuell in der Türkei. Eine verheiratete Schwester lebt in Bagdad, die andere verheiratete Schwester in Al Ramadi. Sie sind jeweils mit Sunniten verheiratet und leben deren Männer ebenfalls im Irak.

Die bP hat mit dem Vater seit der Ausreise regelmäßig Kontakt. Eigene Probleme berichtete er der bP nicht, lediglich über die allgemeine Lage.

Die bP gehört dem Clan der XXXX an. Dieser ist der in XXXX dominierende Clan.

1.4. Ausreisemodalitäten:

Sie reiste am 18.04.2015 über den Flughafen Erbil legal in die Türkei nach Istanbul und schlepperunterstützt weiter bis zum Zielort Österreich. Bei der Ausreisekontrolle am Flughafen Erbil hatte die bP keine Probleme. Sie reiste über Erbil aus, weil das der dem Wohnort nächste Flughafen war.

Sie durchreiste auf ihrem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. In diesen suchte sie nicht um Schutz an. Es wurde nicht dargelegt, dass ihr dort die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch möglich gewesen wäre oder, dass Flüchtlinge dort keinen Schutz erlangen könnten.

1.5. Aktueller Gesundheitszustand:

Die bP hat im Verfahren keine aktuell behandlungsbedürftige Erkrankung dargelegt. Sie gehört keiner Covid-19 Risikogruppe an.

1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich:

Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes

Die bP begab sich ohne Vorhandensein eines gültigen Einreise- bzw. Aufenthaltstitels am 14.05.2015 in das Bundesgebiet.

Mit der am gleichen Tag erfolgten Stellung des Antrages auf internationalen Schutz erlangte die bP eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG, die nach Antragsabweisung durch die Beschwerdeerhebung verlängert wurde.

Da ihr in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich die Einreise als rechtswidrig und stellt grds. gem. § 120 Abs 1 iVm Abs 7 FPG eine Verwaltungsübertretung dar.

Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich

Die bP hat in Österreich keine als Familienleben zu wertenden Umstände dargelegt.

Die bP hat in Deutschland familiäre Anknüpfungspunkte. Ende 2019 hat sie in einem sozialen Netzwerk über Internet die deutsche Staatsangehörige XXXX kennengelernt. Die Freundin lebt in XXXX /BRD und ist dort erwerbstätig. Ihre Familie stammt aus den palästinensischen Gebieten und sie spricht Arabisch. Sie besuchte ihn in weiterer Folge in Salzburg. Aus dieser Fernbeziehung entstammt ein Kind (Sohn) XXXX in XXXX geboren. Das Kind lebt bei seiner Mutter in Deutschland.

Die bP hat für Deutschland keine Aufenthaltsberechtigung beantragt, da sie es bevorzugt in Österreich zu leben. Sie möchte nicht in Deutschland leben, das sie sich regional nicht von Salzburg trennen möchte.

Grad der Integration

Die bP hat ein „Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau B1“ vorgelegt. Sie besitzt keinen Führerschein. Sie hat Hilfsarbeiten im Zusammenhang mit der Unterbringung durchgeführt. Im Juli 2019 bis April 2020 verfügte sie über eine Gewerbeberechtigung. Sie verfügt über zahlreiche private bzw. soziale Anknüpfungspunkt in Österreich. Seit Juli 2019 ist sie in einem Fußballverein tätig. Im Frühjahr 2020 hat sie sich beim Nachbarschaftshilfe-Projekt registriert. Diesbezüglich war sie ein paar Wochen bei der Diakonie tätig. Aufgrund der Pandemie hat sie ihre Gewerbeberechtigung wieder zurückgelegt.

Teilweise oder gänzliche wirtschaftliche Selbsterhaltung während des Verfahrens bzw. Teilnahme an möglicher und gesetzlich erlaubter Erwerbstätigkeit für Asylwerber (vgl. zB https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/beschaeftigung-auslaendischer-arbeitskraefte/beschaeftigung-von-asylwerberinnen-und-asylwerbern#wieknnenasylwerberinnenundasylwerberbeschftigtwerden) oder Abhängigkeit von staatlichen Leistungen

Ab Antragstellung (2015) bezog die bP – zum Teil betrügerisch - Leistungen der staatlichen Grundversorgung und war von diesen wirtschaftlich abhängig. Von 22.05.2018 bis 22.11.2018 wurde die bP mangels Hilfsbedürftigkeit aus der Grundversorgung entlassen. Seit 03.12.2018 bezog sie wieder bis aktuell die staatlichen Leistungen zur Bestreitung des Lebens in Österreich. Im Falle der Erlangung einer Aufenthalts- bzw. Arbeitsberechtigung verfügt sie über einen Dienstvertrag als Gebäudereiniger.

 

Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Familienleben; die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

Die bP hat diese Anknüpfungspunkte in Österreich während einer Zeit erlangt, in der der Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet stets prekär war. Die überwiegenden Anknüpfungspunkte wurden nach Abweisung des Antrages durch das Bundesamt erlangt.

Bindungen zum Herkunftsstaat

Die beschwerdeführende Partei ist im Herkunftsstaat geboren, absolvierte dort ihre Schulzeit, kann sich im Herkunftsstaat – im Gegensatz zu Österreich – problemlos verständigen und hat ihr überwiegendes Leben in diesem Staat verbracht. Sie wurde somit im Herkunftsstaat sozialisiert und kennt die dortigen Regeln des Zusammenlebens, einschließlich der gegebenen sozialen Unterstützungsnetzwerke. Es leben dort auch noch insbes. Familienangehörige, Verwandte und gehört sie einem Clan an, der in diesem Gouvernment dominiert.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beschwerdeführende Partei als von ihrem Herkunftsstaat entwurzelt zu betrachten wäre.

Strafrechtliche/verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen

In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheint folgende Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilung auf:

Mit Urteil des BG vom 02.10.2018 wurde die bP wegen § 126a Abs 1 StGB (1.) sowie § 146 StGB (2.) rechtskräftig verurteilt.

Ad 1) Sie hat sich am 05.08.2018 in Salzburg mit einem Ehepaar zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr in einem Hotel verabredet. Da der Geschlechtsverkehr vom Ehegatten via Handy mitgefilmt wurde hat die bP das Handy aus Angst vor Datenmissbrauch entwendet und in Folge diese Daten gelöscht. Das Handy wurde später ohne Beschädigung wieder zurückgegeben.

Ad 2) Sie hat weiters zumindest im Zeitraum von Jänner 2018 bis 02.05.2018 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, das Land Salzburg durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die Unterlassung der Meldung einem unselbständigen Erwerb nachzugehen, zur vollständigen Überweisung der Grundversorgung, mit hin zu einer Handlung verleitet, die das Land Salzburg in unbekannter Höhe am Vermögen schädigte.

Die bP wurde deshalb zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt. Die Strafe wurde unter einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

Mildernd waren das umfassende und reumütige Geständnis, die bisherige Unbescholtenheit, Entschuldigung beim Opfer.

Erschwerend war das Zusammentreffen von zwei Vergehen.

Auf Berufung und Beschwerde wurde verzichtet.

Das Vorliegen von rk. Verwaltungsstrafen wurde dem BVwG nicht mitgeteilt und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.


Sonstige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts

Da der bP weder der Status einer Asylberechtigten noch der einer subsidiär schutzberechtigten Person zukommt, stellt die rechtswidrige Einreise (bei strafmündigen Personen) gegenständlich auch grds. eine Verwaltungsübertretung dar (vgl. § 120 Abs 1 iVm Abs 7 FPG).

Die beschwerdeführende Partei verletzte – trotz diesbezüglicher Belehrung - durch die nichtwahrheitsgemäße Begründung ihres Antrages auf internationalen Schutz ihre gesetzlich auferlegte Mitwirkungs- und Verfahrensförderungsverpflichtung im Asylverfahren.

Sie versuchte dadurch die entscheidenden staatlichen Instanzen zur Erlangung von internationalen Schutz zu täuschen.


Verfahrensdauer

Gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz wurde am 14.05.2015 gestellt und erging der Bescheid vom Bundesamt am 05.07.2017. Nach eingebrachter Beschwerde erging mit heutigem Erkenntnis die Entscheidung im Beschwerdeverfahren.

1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen / nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von der bP vorgebrachten Problemen, die sie persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwartet:

a)       Betreffend ihrer persönlichen Sicherheit / Verfolgung im Herkunftsstaat:

Die bP behauptet aktuell im Falle der Rückkehr wegen der wiederholten Teilnahme an Demonstrationen im Zeitraum 2013/2014 strafrechtlich bzw. politisch verfolgt zu werden. Dies wird als nicht glaubhaft erachtet.

Hinsichtlich der beim Bundesamt anderweitig vorgetragenen Ausreisemotive erachtet sie aktuell keine Rückkehrgefährdung. (VHS S10f)

Aus der derzeitigen Lage ergibt sich im Herkunftsstaat, insbesondere in der Herkunftsregion der bP, unter umfassender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der bP als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht.

b)       Betreffend ihrer Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse im Herkunftsstaat:

Die bP hat hinsichtlich ihrer persönlichen Versorgungssituation im Falle der Rückkehr zuletzt in der Verhandlung persönlich keine konkrete Problemlage vorgebracht (VHS S 10f).

Die bP war im Hinblick auf Unterkunft und Versorgung mit Lebensmitteln auch vor der Ausreise schon in der Lage im Herkunftsstaat ihre Existenz zu sichern.

1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat

Aus nachfolgend genannten Quellen (einschließlich darin zitierter Berichte) ergeben sich folgende Feststellungen bzw. Einschätzungen/Schlussfolgerungen über die relevante Lage, wobei zur Beurteilung der aktuellen und entscheidungsrelevanten Situation jeweils den jüngsten Erkenntnisquellen besondere Bedeutung zugemessen werden und ältere im Wesentlichen der Übersicht über die Lageentwicklung dienen.

1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Quellen (einschließlich darin zitierter Berichte):

?        EASO, Irak, Zentrale sozioökonomische Indikatoren, September 2020

?        EASO, Country of Origin Information Report / Iraq: Security situation,

?        ACLED, Iraq, Second Quarter 2020

?        ACCORD-Themendossier: Schiitische Milizen, 02.10.2020

?        Musings on Iraq, Security in Iraq Nov. 2020

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak, v. 23.03.2021, Version 3

?        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Irak, Stamm/Clan Halbos v. 13.12.2019

Politik allgemein

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert. Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat, der aus 18 Provinzen besteht. Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte.

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich. So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde. Die meisten religiös-ethnischen Gruppen sind im Parlament vertreten. (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak, 17.04.2020)

Ethnisch- religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung

Der Irak hat ca. 40 Millionen Einwohner. Etwa 75–80 % der heute im Irak lebenden Bevölkerung sind Araber, 15–20 % sind Kurden und 5 % sind Turkomanen, rund 600.000 Assyrer/Aramäer, etwa 10.000 Armenier oder Angehörige anderer ethnischer Gruppen. Weiterhin sollen im Südosten 20.000 bis 50.000 Marsch-Araber leben. Von turkomanischen Quellen wird der Anteil der eigenen ethnischen Gruppe auf etwa 10 % geschätzt.

Etwa 95-98 % der Bevölkerung sind muslimisch. Über 60 % sind Schiiten und zwischen 32 und 37 % Sunniten; die große Mehrheit der muslimischen Kurden ist sunnitisch. Ca. 17-22 % sind arabische Sunniten (vorwiegend im Zentral- und Westirak), ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung sind kurdische Sunniten.

Der Irak hat eine sehr junge Bevölkerungsstruktur. 0-14 Jahre: 37.02% (M 7,349,868/F 7,041,405), 15-24 Jahre: 19.83% (M 3,918,433/F 3,788,157), 25-54 Jahre: 35.59% (M 6,919,569/F 6,914,856), 55-64 years: 4.23% (M 805,397/F 839,137), 65 Jahre und älter: 3.33% (M 576,593/F 719,240).

Ca. 70 % der Bevölkerung leben in städtischen Gebieten.

Die Arbeitslosenquote beträgt bei Personen im Alter von 15-24 Jahre ca. 25 %.

(https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html,Abfrage 21.01.2021).

Sicherheitskräfte

Die irakischen Sicherheitskräfte ISF:

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 11.3.2020).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.1.2019).

Volksmobilsierungseinheiten (PMF):

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vgl. FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vgl. Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019). Die PMF genießen auch breite Unterstützung in der irakischen Bevölkerung für ihre Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat nach dem teilweisen Zusammenbruch der irakischen Armee im Jahr 2014 (TDP 3.7.2019). Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017).

Rechtschutz

Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 2.9.2019). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.1.2019).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.1.2019; USDOS 11.3.2020). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 11.3.2020). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.1.2019). Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 4.3.2020).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.1.2019). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 4.3.2020). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.1.2019). Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 11.3.2020) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 11.3.2020). Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 11.3.2020).

Allg. Menschenrechtslage

Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.1.2019).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Rekrutierung von Kindersoldaten durch Elemente der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Shingal Protection Units (YBS) und PMF-Milizen; Menschenhandel; Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer im öffentlichen Interesse und gegen eine gerechte Entschädigung. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen, sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten, durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten (USDOS 11.3.2020).

Sicherheitslage

Zwischen 2014 und 2017 führte der Irak eine Militärkampagne gegen den Islamischen Staat Irak und Ash-Sham (ISIS) durch, um das im westlichen und nördlichen Teil des Landes verlorene Territorium zurückzuerobern. Die irakischen und alliierten Streitkräfte eroberten 2017 Mosul, die zweitgrößte Stadt des Landes, zurück und vertrieben den IS aus seinen anderen städtischen Hochburgen. Im Dezember 2017 erklärte der damalige Premierminister Haydar al-ABADI öffentlich den Sieg gegen ISIS, während er seine Operationen gegen vereinzelte Zellen der Gruppe in ländlichen Gebieten fortsetzte.

Wenngleich es zum Teil erhebliche Mängel im Sicherheits- und Rechtschutzsystem gibt, kann nicht davon gesprochen werden, dass für die Bevölkerung generell keine wirksamen Schutzmechanismen vorhanden wären oder, dass dazu kein Zugang möglich wäre. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt.

Vereinzelte, untergetauchte IS-Kämpfer sind in manchen Gebieten für Verbrechen verantwortlich, wobei sich die Straftaten im Wesentlichen gegen staatliche Akteure und deren Einrichtungen richten. Ebenso werden vereinzelt Übergriffe seitens schiitischer Milizen verzeichnet. Die allgemeine Kriminalitätsrate ist hoch.

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet grds. nicht statt. In der Autonomen Region Kurdistan sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt.

Sunniten:

Ca. 17-22 %, also ca. 6,5 bis 8,4 Millionen der Gesamtbevölkerung sind arabische Sunniten (vorwiegend im Zentral- und Westirak), ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung sind kurdische Sunniten.

So wie Schiiten sind auch arabische Sunniten in hohen politischen und öffentlichen Ämtern vertreten. Ebenso als Beschäftigte bei Polizei, Militär und Gerichten. Sunniten nehmen ebenso am sonstigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teil.

Aus der herangezogenen Berichtslage ergeben sich vereinzelte Menschenrechtsverletzungen an Sunniten, va. durch schiitische Milizen oder unbekannte Täter. Vor allem Personen die Angehörige der terroristischen Gruppierung IS sind oder im Verdacht stehen solche zu sein oder diese unterstützen, können derart gefährdet sein. Auf Grund der aktuellen Berichtslage lässt sich nicht schließen, dass dies Teil eines systematischen, quasi jeden Sunniten gleichermaßen treffenden Risikos ist. Sunniten, die in schiitisch dominierten Regionen leben, können gesellschaftliche Diskriminierung in einem moderaten Level erfahren, vor allem in den südlichen Gouvernements. Es handelt sich vorwiegend um Diskriminierung am Arbeitsmarkt bzw. um gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund von Nepotismus. Schiitische Arbeitgeber würden eher Schiiten einstellen. Generell ist die Zahl von registrierten, sicherheitsrelevanten Vorfällen jedoch seit dem Zeitpunkt als der IS als „vertrieben“ gilt, stark rückläufig.

Demonstrationen 2012-2014:

1.       Die Spannungen zwischen Sunniten und der Zentralregierung

Die Proteste von Regierungsgegnern begannen bereits 2012 in den überwiegend sunnitischen Teilen im Westen des Landes, in Anbar, Nineveh und Salahadin. (Qantara 22.04.2013) Am 23. Dezember 2012 folgten tausende Iraker im sunnitischen Norden und Westen des Landes dem Aufruf bekannter Politiker, Stammesführer und religiöser Würdenträger zu Massendemonstrationen und Streiks. Die größten Proteste ereigneten sich in der Provinz Anbar, wo die Autobahnverbindung nach Syrien und Jordanien blockiert wurde. Auch in den Provinzen Salahuddin, Niniveh, Diyala und Bagdad wurden in der Folge Kundgebungen abgehalten

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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