TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/23 L512 2245919-1

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Veröffentlicht am 23.11.2021
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Entscheidungsdatum

23.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L512 2245919-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. der islamischen Republik Pakistan, vertreten durch BBU, Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein Staatsangehöriger der islamischen Republik Pakistan, (in weiterer Folge „Pakistan“ genannt) stellte am 06.07.2021 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF am 08.07.2021 zusammengefasst vor, er gehöre der Religionsgemeinschaft des Islams und der Volksgruppe der Rajput an. Er habe 12 Jahre die Grundschule in Pakistan besucht.

Zum Fluchtgrund befragt, erklärte der BF, er habe Pakistan wegen der Armut verlassen. Bei einer Rückkehr befürchte der BF nichts [Aktenseite (AS) 19 ff.].

I.3. Vor einem Organwalter der belangten Behörde brachte der BF am 26.07.2021 zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen Folgendes vor:

Der BF habe Pakistan verlassen, weil sein Bruder sehr krank gewesen sei und kein Geld für die Behandlung gehabt habe. Er sei vor den Augen des BF gestorben und habe der BF dann beschlossen zu flüchten. Seither habe er von Pakistan nichts mehr gehört. Sein Vater sei auch sehr krank und könne nicht für alles aufkommen. Mehr als 500 Rupien bekomme man nicht und selbst wenn man sie bekomme, würde XXXX das Geld bekommen. Die Polizei unternehme nichts gegen diese XXXX . Sie würden alles selbst entscheiden und seien so einflussreich wie ein Bürgermeister in Pakistan.

Es sei schwierig gewesen, den Tag zu überstehen mit nur zweimal essen. Die wirtschaftliche Lage sei schwierig gewesen. Außerdem habe es viele Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten gegeben. Mit 500 Rupien (zwei, drei Euro am Tag) könne man nicht viel Brot kaufen. Mehr sei in Pakistan nicht möglich, weshalb er beschlossen habe, in ein anderes Land zu gehen. Zudem habe die Lashkar-e-Taiba einen Freund des BF bedroht, der ebenfalls Schiite sei. Die Lashkar-e-Taiba sei sehr gefährlich und weil der BF auch Schiite sei, habe er Angst. Sie seien gefährlich, würden einen erschießen und man bekomme nicht einmal die Leiche. Für den Fall der Rückkehr nach Pakistan fürchte er, von der Lashkar-e-Taiba umgebracht zu werden. Als Vorsitzender der schiitischen Studenten-Federation sei er von Lashkar-e-Taiba zwei- dreimal bedroht und aufgefordert worden, seine Tätigkeiten zu unterlassen. Seine Familie habe ihm geraten, ins Ausland zu gehen. Außerdem würde man Schiiten nicht als gut ansehen und seien vor kurzem zehn Personen getötet worden. Der Hazari-Stamm habe Schiiten getötet. Im Dorf sei ein Junge mitgenommen worden. Das sei schon drei Jahre her und die Familienangehörigen würden nicht wissen, ob er noch am Leben sei.

I.4. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan nicht zugesprochen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

I.4.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen aufgrund näher dargestellter Ungereimtheiten und Widersprüche als unglaubwürdig.

I.4.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.4.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben. Zudem sei die Abschiebung zulässig, da kein Sachverhalt im Sinne des § 50 Abs 1, 2 und 3 FPG vorliege. Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe in Höhe von 14 Tagen, da keine Gründe im Sinne des § 55 Abs 1a FPG vorliegen würden.

I.5. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

I.6. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer

Die Identität des BF steht fest. Der BF ist pakistanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Rajputen sowie der moslemisch/schiitischen Glaubensrichtung. Er stammt aus dem Distrikt XXXX in der Provinz Punjab, spricht die Sprache Punjabi und Urdu, hat in Pakistan die Grundschule besucht, ein angefangenes Studium nicht abgeschlossen und nebenbei Gelegenheitsarbeiten verrichtet (AS 67, 55, 59).

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF ist Drittstaatsangehöriger, leidet an keiner lebensbedrohenden Erkrankung und ist arbeitsfähig.

Der BF verfügt über bestehende familiäre Anknüpfungspunkte (Eltern, vier Brüder und eine Schwester) im Herkunftsstaat und einer – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

In Österreich halten sich keine Verwandten des BF auf.

Der BF verließ Pakistan 2018 und reiste über den Iran und die Türkei nach Griechenland, wo er sich ca. zwei Jahr lang aufgehalten hat. Im Juli 2021 reiste der BF illegal in Österreich ein. Seither ist der BF ununterbrochen im Bundesgebiet aufhältig.

Der BF ist in Österreich nicht legal erwerbstätig und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber.

Der BF verfügt über keine nennenswerten Deutschkenntnisse, ist kein Mitglied in einem Verein und hat in Österreich keine Ausbildung absolviert.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Pakistan

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan werden folgende Feststellungen getroffen:

1.       Covid-19

Letzte Änderung: 16.06.2021

In Pakistan wurden bisher mehr als 882.900 Infektionen mit dem Virus Covid-19 sowie mehr als 19.700 Todesfälle bestätigt (Stand 18.5.2021). Laut lokalen Medienberichten mit Verweis auf das Gesundheitsministerium, wurden bisher etwa 3,9 Millionen Menschen landesweit geimpft (Einwohner gesamt: 220 Millionen). Hauptsächlich wurden Personen, die im Gesundheitsbereich tätig sind und Personen über 50 Jahre geimpft. Am 17. Mai 2021 hat man mit der Impfregistrierung für die Altersgruppe der 30 bis 49-Jährigen begonnen. Am gleichen Tag hat Pakistan die Covid-Maßnahmen nach der landesweiten Sperre vom 8. bis 16. Mai gelockert und Geschäften, Märkten und Büros unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln die Öffnung erlaubt. Märkte und Geschäfte dürfen nun wieder bis 20 Uhr öffnen. Das pakistanische National Command and Operation Center hat zudem festgehalten, dass touristische Aktivitäten im Land weiterhin untersagt seien. Öffentliche städtische und interprovinzielle Verkehrsmittel haben ihren Betrieb wieder aufgenommen, dürfen jedoch nur mit einer maximal 50 prozentigen Belegung operieren. Auch wenn sich die Covid-19-Situation aktuell etwas entspannt, warnen die Behörden, dass das Gesundheitssystem noch immer unter Druck stehe und Krankenhäuser stark belegt seien (ÖB 18.5.2021).

Pakistan hat am2.2.2021 mit seinem nationalen Impfprogramm gegen das Coronavirus begonnen. In dem südasiatischen Land mit mehr als 220 Millionen Einwohnern werden zunächst Beschäftigte des Gesundheitswesens geimpft, gefolgt von älteren Menschen. Dazu waren etwa eine halbe Million Impfdosen des chinesischen Unternehmens Sinopharm mit einem Militärflugzeug aus Peking nach Pakistan gebracht worden. Das Land hat zudem 17 Millionen Impfdosen des Herstellers Astra Zeneca bestellt, die im Lauf des Monats Februar 2021 geliefert werden sollen. Nach einer einer Ende Januar 2021 veröffentlichten Umfrage des Instituts Gallup, will sich fast die Hälfte aller Pakistaner nicht impfen lassen (ÄfW 2.2.2021). Hinsichtlich anstehender Impfungen hat die Regierung bei der COVAX-Organisation der UN um Unterstützung angesucht. Diese wird die Impfung von vorrangig zu impfenden Gruppen - etwa 20% der Bevölkerung - abdecken. Die Regierung führt außerdem Gespräche mit mehreren Impfstoffherstellern und mit Gebern (Weltbank und Asiatische Entwicklungsbank) über die Beschaffung zusätzlicher Impfstoffe, die mit einem Budget von 250 Millionen US-Dollar finanziert werden sollen. Der Start der Impfkampagne wird für das zweite Quartal des Jahres 2021 erwartet(IMF 8.1.2021).

Am 24. März 2020 wurde von der Bundesregierung ein Hilfspaket im Wert von 1,2 Billionen PKR (ca. 6,2 Milliarden Euro) angekündigt, das inzwischen fast vollständig umgesetzt wurde.

Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören u.a. die Abschaffung der Importzölle auf medizinische Notfallausrüstung (kürzlich bis Dezember 2020 verlängert); Bargeldtransfers an 6,2 Millionen Tagelöhner (75 Mrd. PKR); Bargeldtransfers an mehr als 12 Millionen einkommensschwache Familien (150 Mrd. PKR); Unterstützung für KMUs und den Agrarsektor (100 Mrd. PKR) in Form eines Aufschubs der Stromrechnung, Bankkrediten sowie Subventionen und Steueranreizen. Das Konjunkturpaket sah außerdem Mittel für eine beschleunigte Beschaffung von Weizen (280 Mrd. PKR), finanzielle Unterstützung für Versorgungsunternehmen (50 Mrd. PKR), eine Senkung der regulierten Kraftstoffpreise (mit einem geschätzten Nutzen für die Endverbraucher in Höhe von 70 Mrd. PKR), Unterstützung für die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung (15 Mrd. PKR), Erleichterungen bei der Bezahlung von Stromrechnungen (110 Mrd. PKR), einen Notfallfonds (100 Mrd. PKR) und eine Überweisung an die National Disaster Management Authority (NDMA) für den Kauf von COVID-19-bezogener Ausrüstung (25 Mrd. PKR) vor. Der nicht ausgeführte Teil des Hilfspakets wird auf das Jahr 2021 übertragen. Darüber hinaus enthält das Budget für das Jahr 2021 weitere Erhöhungen der Gesundheits- und Sozialausgaben, Zollsenkungen auf Lebensmittel, eine Zuweisung für das „COVID-19 Responsive and Other Natural Calamities Control Program“ (70 Mrd. PKR), ein Wohnungsbaupaket zur Subventionierung von Hypotheken (30 Mrd. PKR) sowie die Bereitstellung von Steueranreizen für den Bausektor (Einzelhandels- und Zementunternehmen), die im Rahmen der zweiten Welle bis Ende Dezember 2021 verlängert wurden (IMF 8.1.2021; vgl. WKO 18.2.2021).

Quellen:

•        ÄfW - Ärztekammer für Wien (2.2.2021): Pakistan startet mit Coronaimpfung, https://www.medinl ive.at/gesundheitspolitik/pakistan-startet-mit-corona-impfungen , Zugriff 26.2.2021

•        IMF - International Monetary Fund (8.1.2021): Policy Responses to COVID-19, Pakistan, https: //www.imf.org/en/Topics/imf-and-covid19/Policy-Responses-to-COVID-19#P , Zugriff 28.1.2021

•        ÖB - Österreichische Botschaft Bangkok [Österreich] (18.5.2021): Kurzbericht zur Entwicklung der Covid-19-Situation in Pakistan, per E-Mail, Zugriff 11.6.2021

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (18.2.2021): Coronavirus: Situation in Pakistan, https://ww

w.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-pakistan.html , Zugriff 26.2.2021

2.       Politische Lage

Letzte Änderung: 16.06.2021

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 26.3.2021). Die vormaligen FATA (FederallyAdministered TribalAreas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite des Kaschmir (AA 26.3.2021).

Pakistan ist eine föderale parlamentarische Republik. Bei den Parlamentswahlen 2018 gewann die Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf die meisten Sitze in der Nationalversammlung, und der Parteivorsitzende, Imran Khan, wurde Premierminister. Während unabhängige Beobachter technische Verbesserungen bei der Verwaltung des Wahlprozesses durch die pakistanische Wahlkommission feststellten, äußerten Beobachter, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien Bedenken hinsichtlich der Einmischung von Militär und Geheimdiensten im Vorfeld der Wahlen, die zu ungleichen Wahlbedingungen führten. Einige politische Parteien behaupteten auch erhebliche Unregelmäßigkeiten am Wahltag (USDOS 30.3.2021; vgl. HRW 28.7.2018). Zudem wurde die Wahl überschattet von einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle in verschiedenen Provinzen; von Strafverfahren, die gegen Mitglieder der Regierungspartei eingeleitet worden waren; und vom Vorwurf des Premierministers, das Militär habe sich eingemischt (EASO 10.2019).

Neben den geopolitischen und geostrategischen Faktoren ist das Ungleichgewicht der Regierungsinstitutionen innerhalb des pakistanischen Staates Ursache für die kontinuierliche Regierungskrise und die strukturelle Gewalt im Land. Das pakistanische Militär spielt eine überaus wichtige und dominante Rolle in der Nuklearmacht Pakistan. Es ist disproportional groß (es vereinnahmt ein Viertel des gesamten Haushalts) und deshalb übermächtig, während die zivilen Institutionen, wie z.B. die Bürokratie, die Justiz, die Polizei und die politischen Parteien, permanent unterfinanziert sind. Die Interventionen des Militärs in Politik und Wirtschaft hat diese Organisation im Laufe der Geschichte immer stärker gemacht (GIZ 9.2020).

Seit 12. April 2021 brachen nach Verhaftung des Anführers der fundamentalistischen Partei Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP), mehrtägige und landesweite Proteste aus. Tausende Unterstützer der für die Förderung der Blasphemiegesetzgebung im Land bekannten TLP demonstrierten in den größeren Städten gegen die Position des französischen Präsidenten Macron in Reaktion auf die Enthauptung eines Lehrers in der Nähe von Paris im November 2020. Vielerorts kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Am 16. April 2021 sperrte die pakistanische Internetregulierungsbehörde (Pakistan Telecommunication Authority, PTA) den Zugriff auf sämtliche soziale Netzwerke für mehrere Stunden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, um über das Internet verbreitete neuerliche Aufrufe und Propaganda der TLP zu unterbinden. Am 18. April kam es zu weiteren Ausschreitungen in Lahore (Punjab), wo TLP-Anhänger auch ein Polizeirevier stürmten und ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte als Geiseln nahmen (BAMF 19.4.2021).

Schließlich hat die Regierung die TLP, die als eine sunnitische politisch-religiöse Hardliner-Gruppe gilt und für ihre gewalttätige Unterstützung der drakonischen Blasphemiegesetze des Landes bekannt ist, verboten. Das Verbot kam drei Tage nachdem TLP-Anhänger aufgrund der Verhaftung von Anführer Saad Hussain Rizvi in ganz Pakistan auf die Straße gegangen waren (UCA News 16.4.2021; vgl. DW 15.4.2021).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.3.2021): Pakistan: Politisches Porträt, https://www.ausw aertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/politisches-portraet/205010 , Zugriff

14.4.2021

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (Stand: 14.4.2021) Pakistan: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/pakistansicherheit/2049 74#content_0 , Zugriff 14.4.2021

•        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (19.4.2021). Briefing Notes, https: //www.ecoi.net/en/document-search/?country%5B%5D=pak&countryOperator=should&srcId%5 B%5D=11010&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order =desc&content=briefing%20notes , Zugriff 22.4.2021

•        DW - Deutsche Welle (15.4.2021): Pakistan protests: Why the Islamist TLP party is now a major political force, https://www.dw.com/en/pakistan-protests-why-the-islamist-tlp-party-is-now-a-majorpolitical-force/a-57214719 , Zugriff 17.5.2021

•        EASO - European Asylum Support Office (10.2019): Pakistan Security Situation, https://www.ec oi.net/en/file/local/2019113/2019_EASO_Pakistan_Security_Situation_Report.pdf , Zugriff

22.4.2021

•        ET - The Express Tribune (25.5.2018): Senate passes FATA-KP merger bill with 71-5 vote, https:

//tribune.com.pk/story/1718734/1-ppp-pti-set-throw-weight-behind-k-p-fata-merger-bill-senate/ , Zugriff 14.4.2021

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Das Länderinformationsportal - Pakistan - Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/pakistan/geschichte-staat/ , Zugriff

9.3.2021

•        HRW - Human Rights Watch (28.7.2018): Controversial Election in Pakistan, https://www.hrw.org/ news/2018/07/28/controversial-election-pakistan , Zugriff 14.4.2021

•        UCA News (16.4.2021): Pakistan bans TLP for engaging in terrorism, https://www.ucanews.com/ news/pakistan-bans-tlp-for-engaging-in-terrorism/92133# , Zugriff 17.5.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 14.4.2021

3.       Sicherheitslage

Letzte Änderung: 23.06.2021

Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020). Die Anzahl terroristischer Anschläge mit Todesopfern in Pakistan ist seit 2009 deutlich rückläufig (AA 14.5.2021; vgl. USDOS 24.6.2020). Kontinuierliche Einsatz und Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte gegen militante Gruppen und polizeiliche Antiterrorabteilungen sowie einige Antiextremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans, haben dazu beigetragen (USDOS 24.6.2020). Trotzdem bleibt die Zahl terroristischer Anschläge auch weiterhin auf einem erhöhten Niveau. Schwerpunkte sind die Provinzen Khyber Pakhtunkhwa (KP) und Belutschistan (inkl. Quetta). Es besteht weiterhin landesweit – auch in den Großstädten Islamabad, Lahore, Karachi, Multan und Rawalpindi – eine Gefahr für terroristische Anschläge seitens der Pakistanischen Taliban sowie religiös motivierter oder separatistischer Gruppen - insbesondere durch Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate. Die Anschläge richten sich vor allem gegen Streitkräfte, Sicherheitsdienste, Polizei, Märkte, Einrichtungen der Infrastruktur, gegen religiöse Stätten (Moscheen, Schreine, Kirchen) sowie gegen ethnische Minderheiten (AA 14.5.2021).

Der Nationale Aktionsplan (NAP) wurde fast unmittelbar nach dem Anschlag auf die Army Public School (APS) im Dezember 2014 mit der Absicht eingeführt, einen sinnvollen Konsens zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zu erreichen. Die 20 Aktionspunkte des NAP haben seither unterschiedliche Erfolge erzielt. Taktische Operationen in ganz Pakistan haben zu einem verbesserten allgemeinen Sicherheitsumfeld beigetragen, was sich in einem allmählichen Rückgang der Zahl gewalttätiger Vorfälle im ganzen Land seit dem Start des NAP zeigt. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass der NAP bei der Bekämpfung des gewalttätigen und gewaltfreien Extremismus im Land nur geringe Erfolge erzielt hat. Extremistische Literatur ist online und offline in Hülle und Fülle vorhanden und die Verherrlichung von Terroristen und ihren Taten geht weiter. Auch zur Unterstützung des politischen Versöhnungsprozesses in Belutschistan wurde bisher nichts Wesentliches unternommen (FES 12.2020; vgl. GIZ 9.2020).

Im Jahr 2020 verübten verschiedene militante, nationalistische/aufständische und gewalttätige sektiererische Gruppen in ganz Pakistan insgesamt 146 Terroranschläge. 220 Menschen kamen bei diesen Anschlägen ums Leben - ein Rückgang von 38% im Vergleich zu 2019. Eine Verteilung dieser Terroranschläge nach ihren Urhebern legt nahe, dass sogenannte religiös inspirierte militante Gruppen wie die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP), ihre Splittergruppen Hizbul Ahrar und Jamaat-ul Ahrar, sowie andere militante Gruppen mit ähnlichen Zielen wie lokale Taliban-Gruppen, Lashkar-e-Islam und ISIS-nahe Gruppen die meisten Terroranschläge verübten. Anschläge nationalistisch aufständischer Gruppen der Belutschen und Sindhi verübten weitere Anschläge. In KP wurden dabei die meisten Terroranschläge in Pakistan verübt, mehrheitlich im Stammesgebiet Nord-Waziristan. Während die Mehrheit dieser Anschläge auf Sicherheitskräfte abzielte, waren auch Zivilisten, Stammesälteste, politische Führer/Mitarbeiter und Schiiten Ziele der Anschläge. Nach KP war die Provinz Belutschistan im Jahr 2020 am stärksten von Terrorismus durch verschiedene aufständische Gruppen der Belutschen wie die Baloch Liberation Army (BLA), die Balochistan Liberation Front (BLF), Lashkar-e-Balochistan, die Baloch Republican Army (BRA) und die United Baloch Army (UBA) usw. betroffen (PIPS 2021; vgl. USDOS 30.3.2021, AA 29.9.2020).

Pakistan dient weiterhin als sicherer Hafen für bestimmte regional ausgerichtete terroristische Gruppen. Es erlaubt Gruppen, die gegen Afghanistan gerichtet sind, einschließlich der afghanischen Taliban und des mit ihnen verbundenen Haqqani-Netzwerks, sowie Gruppen, die gegen Indien gerichtet sind, einschließlich LeT (Lashkar-e Taiba) und der mit ihr verbundenen Frontorganisationen und JeM (Jaish-e Mohammad), von seinem Territorium aus zu operieren (USDOS 24.6.2020; vgl. CEP o.D.).

Das Militär und paramilitärische Organisationen führten mehrere Operationen zur Aufstandsbekämpfung und Terrorismusbekämpfung durch, um sichere Zufluchtsorte von Militanten zu beseitigen. Die 2017 begonnene Operation Radd-ul-Fasaad des Militärs wurde das ganze Jahr 2020 über fortgesetzt. Radd-ul-Fasaad ist eine landesweite Anti-Terror-Kampagne, die darauf abzielt, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb (2014-17) zu konsolidieren, welche gegen aus- und inländische Terroristen in den ehemaligen FATA vorging. Die Polizei dehnte ihre Präsenz in ehemals unregierte Gebiete aus, insbesondere in Belutschistan, wo Militäroperationen zur Normalität geworden waren (USDOS 30.3.2021).

Der im März 2017 begonnene Bau eines befestigten Zaunes entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze sei nach pakistanischen Regierungsangaben fast fertiggestellt und soll planmäßig im April 2021 abgeschlossen sein (BAMF 1.3.2021).

Quelle: ACLED o.D.; UCDP Candidate o.D.; UCDP GED o.D. Farbig hervorgehoben: Hauptstadtregion. UCDP weist sicherheitsrelevante Vorfälle in den ehem. FATA eigens aus, hier wurden sie zur besseren Vergleichbarkeit der Provinz Khyber Pakhtunkhwa hinzugezählt.

Anmerkung: ACLED und UCDP erfassen sicherheitsrelevante Vorfälle unter Verwendung festgelegter Kriterien und Methodologien mittels Medienbeobachtung, wobei sich die festgelegten Kriterien der beiden Organisationen voneinander unterscheiden. Dies trägt zur unterschiedlichen Höhe bei den dargestellten Fallzahlen bei (ACLED 2020; UCDP 2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.5.2021): Pakistan: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aus senpolitik/laender/pakistan-node/pakistansicherheit/204974#content_0 , Zugriff 14.5.2021

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020. pdf , Zugriff 14.4.2021

•        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2020): ACLED Codebook, https://acledd ata.com/acleddatanew/wp-content/uploads/dlm_uploads/2019/01/ACLED_Codebook_2019FINAL .docx.pdf , Zugriff 10.3.2021

•        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (o.D.): ACLED Data, http://www.acleddata. com/data/ , Zugriff 26.2.2021

•        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes, https: //www.ecoi.net/en/document-search/?country%5B%5D=pak&countryOperator=should&srcId%5 B%5D=11010&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order =desc&content=briefing%20notes&page=2 , Zugriff 14.5.2021

•        CEP - Counter Extremism Project (o.D.): Pakistan: Extremism and Terrorism, https://www.counte rextremism.com/countries/pakistan , Zugriff 28.4.2021

•        EASO - European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi .net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf , Zugriff 14.4.2021

•        FES - Friedrich-Ebert-Stiftung (12.2020): Strengthening Governance in Pakistan Assessing the National Action Plan to counter Terrorism and Extremism, https://www.pakpips.com/web/wp-conte nt/uploads/2021/01/NAP-Final-from-Hamayun.pdf , Zugriff 9.3.2021

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Das Länderinformationsportal - Pakistan - Gesellschaft, https://www.liportal.de/pakistan/gesellschaft/ , Zugriff 9.3.2021

•        PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (2021): Pakistan Security Report 2020, https://www.pa kpips.com/web/wp-content/uploads/2021/01/Conflict-and-Peace-Studies.pdf , Zugriff 2.3.2021

•        UCDP Candidate - Uppsala Conflict Data Program (o.D.): UCDP Candidate Events Dataset Version

20.01.20.12 (global), https://ucdp.uu.se/downloads/ , Zugriff 2.3.2021

•        UCDP GED - Uppsala Conflict Data Program (o.D.): UCDP Georeferenced Event Dataset (GED) Global version 20.1, https://ucdp.uu.se/downloads/ , Zugriff 4.3.2021

•        UCDP - Uppsala Conflict Data Program (2020): UCDP Candidate Events Dataset CodebookVersion

1.1, https://ucdp.uu.se/downloads/candidateged/ucdp-candidate-codebook%201.1.pdf , Zugriff 10.3.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032437.html , Zugriff 14.4.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 15.4.2021

3.1.    Relevante Terrorgruppen

Letzte Änderung: 23.06.2021

Der pakistanische Staat hat den islamischen Extremismus als strategisches Instrument zur Förderung seiner Interessen in der Region immer wieder eingesetzt. Insbesondere hat er Aktivitäten militanter extremistischer Gruppen, die sich gegen indische Interessen richten, geduldet und manchmal auch unterstützt bzw. auch Gruppen unterstützt, die in Afghanistan operieren, um den indischen Einfluss dort zu unterbinden. Zu den extremistischen Gruppen, die Pakistan in der Vergangenheit toleriert oder unterstützt hat, gehören Lashkar-e-Taiba (LeT), Harakat-ul-Mujahideen (HuM), Hizb-ul-Mujahideen (HM), die Mullah-Nazir-Gruppe, Jaish-e-Mohammed (JeM) sowie die afghanischen Taliban und das mit ihnen verbundene Haqqani-Netzwerk. Den Großteil seiner Antiterroroperationen hat Pakistan auf Gruppen konzentriert, die den pakistanischen Staat herausfordern und stürzen wollen. Zu diesen Gruppen, die eine direktere Bedrohung für den Staat darstellen, gehören die Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP), eine Untergruppe der pakistanischen Taliban und die tödlichste der einheimischen pakistanischen Extremistengruppen; al-Qaida auf dem indischen Subkontinent (AQIS); Jamaat-ul Ahrar (JuA); und Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) (CEP o.D.).

Die pakistanische Regierung setzt die Umsetzung des Antiterrorism Act von 1997, des National Counterterterrorism Authority (NACTA) Act, des Investigation for Fair Trial Act von 2014 und der Änderungen des Antiterrorism Act (ATA) von 2014 fort, die allen Strafverfolgungsbehörden, Staatsanwälten und Gerichten erweiterte Befugnisse in Terrorismusfällen einräumen. Militärische, paramilitärische und zivile Sicherheitskräfte führten in ganz Pakistan CT-Operationen gegen staatsfeindliche Kämpfer durch. Das pakistanische Recht erlaubt präventive Inhaftierung, lässt die Todesstrafe für terroristische Straftaten zu und ermächtigt spezielle Anti-TerrorismusGerichte, über Terrorismusfälle zu verhandeln (USDOS 24.6.2020).

Folgend ein Auszug relevanter extremistischer Gruppen:

Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP): Die TTP (auch pakistanische Taliban genannt) wurde 2007 von Baitullah Mehsud gegründet, der 2009 durch einen US-Drohnenangriff getötet wurde. Die ursprünglichen Ziele der Organisation waren die Umsetzung der Scharia und die Vertreibung der Koalitionstruppen aus Afghanistan. Die TTP ist eine Dachorganisation, die aus 13 verschiedenen pakistanischen Taliban-Fraktionen gebildet wird - ungefähr die Hälfte aller pakistanischen Taliban-Fraktionen. Die TTP besteht aus ca. 3.000 bis 5.000 aktiven Kämpfern in Afghanistan.

Während die TTP auf der anderen Seite der Grenze im Osten Afghanistans Zufluchtsorte unterhält, hat sie Schläferzellen und Sympathisanten in Pakistan zurückgelassen. Afghanistan ist die Operationsbasis, aber die Gruppe führt im Allgemeinen keine Angriffe in Afghanistan durch. Die TTP konzentriert sich auf den Kampf gegen die pakistanische Regierung (EASO 10.2020; vgl. CEO o.D., PIPS 2021).

Jamaat-ul Ahrar (JuA): Jamaat-ul Ahrar (JuA) ist eine Fraktion der TTP, operiert aber mit einer gewissen Eigenständigkeit aus der Provinz Nangarhar in Afghanistan heraus. Angriffsziele der Gruppe sind Mitglieder der Sicherheitskräfte, Regierungsgebäude, Politiker, Minderheiten und

Rechtsanwälte. Im August 2020 schloss sich JuA wieder der TTP an. Das Pakistan Institute for Peace Studies dokumentierte, dass die JuA im Jahr 2019 an einem Terroranschlag beteiligt war, verglichen mit 15 im Jahr 2018 (EASO 10.2020; vgl. PIPS 2021, CEP o.D.).

Islamic State Khorasan Province (ISKP): Die ersten Berichte über den ISKP (auch ISIS, ISIL,

IS oder Daesh genannt) in Pakistan gehen auf Anfang 2015 zurück. Der ISKP sah eine weltweite Expansion des Kalifats vor und bezeichnete die Region Afghanistan, Pakistan, Iran und die zentralasiatischen Republiken als Wilayat Khorasan (ISKP - Islamischer Staat Provinz Khorasan). Im Mai 2019 kündigte der islamische Staat die Gründung des „Wilayat Pakistan“ (Islamischer Staat - Provinz Pakistan, ISPP) an, nachdem er mehrere Angriffe in der Provinz Belutschistan für sich beansprucht hatte. Der ISKP hatte es geschafft, seinen Einfluss zu vergrößern, indem er taktische Bündnisse mit ähnlichen lokalen militanten Gruppen eingegangen war. Einem Bericht vom Januar 2020 zufolge ist der ISKP hauptsächlich in der Provinz Belutschistan präsent. Laut dem jährlichen Sicherheitslagebericht von PIPS 2019 haben die Sicherheitsbehörden mehrere Operationen in Belutschistan gegen den ISKP durchgeführt. Der ISKP ist für einige der tödlichsten Anschläge in Pakistan in den vergangenen zwei Jahren verantwortlich, darunter ein Anschlag auf eine Wahlkundgebung in Mastung, bei dem im Juli 2018 mehr als 130 Menschen getötet und 300 verletzt wurden (EASO 10.2020; vgl. CEP o.D., PIPS 2021).

Lashkar-e Jhangvi (LeJ): Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) ist eine Deobandi-Terroristengruppe. Die Gewalt von LeJ richtet sich größtenteils gegen Schiiten; die Organisation vertritt auch radikale Standpunkte gegenüber Christen, Ahmadis und sufistischen Muslimen. Laut PIPS war LeJ im Jahr 2019 für acht terroristische Angriffe in Pakistan verantwortlich, verglichen mit sieben solcher Angriffe im Jahr 2018. Fünf dieser Angriffe fanden in Karachi und drei in Belutschistan statt. In seinem jährlichen Sicherheitsbericht für 2019 erwähnte PIPS, dass mehrere Berichte darauf hindeuten, dass sich LeJ wieder auf Karachi konzentriert (EASO 10.2020; vgl. CEP o.D., PIPS 2021).

Nationale Bewegungen in Beluchistan: Der PIPS-Jahresbericht 2019 zur Sicherheitslage gab an, dass etwa sieben belutschische nationalistische Bewegungen in Belutschistan aktiv sind. Die operativen Fähigkeiten dieser Gruppen unterscheiden sich. Die Balochistan Liberation Army (BLA) ist eine bewaffnete nationalistische Bewegung der Belutschen. Ihr Ziel ist ein unabhängiges Belutschistan, frei von pakistanischer und iranischer Herrschaft. Wegen ihrer gewalttätigen Methoden, wie z.B. Bombenanschläge, wurde sie im April 2006 in Pakistan verboten. PIPS gab an, dass die BLA im Jahr 2019 27 terroristische Angriffe in Belutschistan durchführte, was eine leichte Steigerung im Vergleich zu 2018 darstellt, als sie 25 Angriffe durchführte. Im Juli 2019 wurde die Gruppe vom US-Außenministerium als terroristische Vereinigung eingestuft. Die Baloch Liberation Front (BLF) ist vor allem im so genannten Makran-Gürtel (Küstenregion von Beluchistan, Anm.) aktiv. Im Jahr 2010 wurde die Gruppe verboten. Laut PIPS hat sich die Führung der BLF in die Nachbarländer verlagert, was sich negativ auf ihre operativen Fähigkeiten auswirkt. Im Jahr 2019 übernahm die BLF die Verantwortung für 11 Terroranschläge im Vergleich zu 22 im Jahr 2018. Weitere belutschische Gruppen sind die Baloch Republican Army (BRA), die United Baloch Army (UBA) und die Baloch Raji Ajoi Sangar (BRAS) (EASO 10.2020; vgl. CEP o.D., PIPS 2021).

Quellen:

•        CEP - Counter Extremism Project (o.D.): Pakistan: Extremism and Terrorism, https://www.counte rextremism.com/countries/pakistan , Zugriff 28.4.2021

•        EASO - European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi .net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf , Zugriff 28.4.2021

•        PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (2021): Pakistan Security Report 2020, https://www.pa kpips.com/web/wp-content/uploads/2021/01/Conflict-and-Peace-Studies.pdf , Zugriff 28.4.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter

1 – Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032437.html , Zugriff 28.4.2021

3.2.    Punjab und Islamabad

Letzte Änderung: 23.06.2021

Insgesamt fanden im Jahr 2020 in Punjab sieben (7) Terroranschläge statt, die fünf Todesopfer und 59 Verletzte forderten. Mit Ausnahme eines Anschlags, der von der aufständischen Gruppe der Belutschen (BLA) in Tehsil Sadiqabad im Bezirk Rahim Yar Khan im Süden des Punjab verübt wurde, konzentrierten sich alle anderen Anschläge auf Rawalpindi und wurden von den pakistanischen Taliban, einschließlich der TTP und ihrer Abspaltungen Jamaat-ul Ahrar und Hizbul Ahrar, die sich im August 2020 wieder der TTP anschlossen, verübt. Während fünf dieser Anschläge im Punjab offenbar Zivilisten zum Ziel hatten, richtete sich ein Anschlag gegen die Polizei und ein weiterer gegen eine Gaspipeline (PIPS 2021).

Quellen:

• PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (2021): Pakistan Security Report 2020, https://www.pa kpips.com/web/wp-content/uploads/2021/01/Conflict-and-Peace-Studies.pdf , Zugriff 29.4.2021

3.3.    NATO-Abzug Afghanistan - Mögliche Auswirkungen auf Pakistan

Letzte Änderung: 24.06.2021

Pakistan und Afghanistan teilen sich eine 2.640 Kilometer lange Landgrenze. Die mit dem NATO-Truppenabzug einhergehende Instabilität in Afghanistan könnte vor allem auf die pakistanischen Stammesgebiete deutliche Auswirkungen haben. Auch in der Vergangenheit war dieses Gebiet wiederholt Schauplatz von Kämpfen zwischen Extremisten und Sicherheitskräften, wobei es zur Vertreibung der lokalen Bevölkerung kam (z.B. Militäroperation im Swat-Tal 2009, Kämpfe in Nordwaziristan). Die Vertriebenen suchten vielfach Zuflucht in angrenzenden Gebieten, indem sie z.B. in Lagern oder bei Verwandten lebten. 2015 wurden von den Vereinten Nationen mehr als 1,2 Millionen Binnenvertriebene wegen Kämpfen in den Stammesgebieten registriert. Nach dem NATO-Truppenabzug könnten extremistische Gruppen, wie etwa die afghanischen Taliban, das Vakuum nutzen und die pakistanischen Stammesgebiete verstärkt als Rückzugsort nutzen und hierbei die lokale Bevölkerung vertreiben. Zudem ist es wahrscheinlich, dass afghanische Flüchtlinge in Pakistan nach dem NATO-Truppenabzug keine schnelle Heimkehr in Erwägung ziehen. In Pakistan leben bereits jetzt rund 2,8 Millionen dokumentierte und nicht dokumentierte afghanische Flüchtlinge. Nur etwa die Hälfte der Flüchtlinge sind registriert, der Rest lebt ohne Dokumente, hauptsächlich in den nordöstlichen Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Südwest-Belutschistan, die an Afghanistan grenzen. In der südlichen Provinz Sindh, deren Hauptstadt Karatschi ist, leben circa 500.000 afghanische Flüchtlinge. Laut dem UNHCR wurden seit 2002 mehr als 3,8 Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgeführt, aber viele kehrten aufgrund anhaltender Gewalt, Arbeitslosigkeit, mangelnder Bildung und medizinischer Einrichtungen nach Pakistan zurück. Nach dem Abzug der NATO-Truppen wird erwartet, dass nur ein kleiner Teil der afghanischen Flüchtlinge in Pakistan in ihr Land zurückkehren wird. Insofern wird Pakistan auch in Zukunft eine anhaltend hohe Anzahl von afghanischen Flüchtlingen im Land beherbergen bzw. ist allenfalls mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Auch wenn Pakistan sich bei den Afghanistan-Friedensverhandlungen für einen zeitlichen Plan für die Rückkehr und Wiedereingliederung afghanischer Flüchtlinge in ihre Heimat einsetzt, ist die Umsetzung dieses Ziels wenig greifbar (VB 10.5.2021).

Quellen:

• VB - VB des BMI in Islamabad/Bangkok [Österreich] (10.5.2021): Bericht: NATO-Truppenabzug aus Afghanistan und mögliche Auswirkungen auf Pakistan, Auskunft per Email

4.       Rechtsschutz, Justizwesen

Letzte Änderung: 24.06.2021

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber laut NGOs und Rechtsexperten unterliegt die Justiz oft externen Einflüssen, wie z.B. der Angst vor Repressalien durch extremistische Elemente in Terrorismus- oder Blasphemie-Fällen und der öffentlichen Politisierung von hochkarätigen Fällen. Zivilgesellschaftliche Organisationen berichteten, dass Richter zögern, der Blasphemie beschuldigte Personen zu entlasten, weil sie Selbstjustiz befürchten (USDOS 30.3.2021). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 12.2020).

Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court (FSC), das zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es derzeit noch eigene Justizsysteme (ÖB 12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Einzelpersonen können gegen Entscheidungen der FSC Berufung bei der Shariat Appellate Bench des Obersten Gerichtshofs einlegen, wobei noch eine weitere Berufung durch den Obersten Gerichtshof zugelassen werden kann. Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts (USDOS 30.3.2021).

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020).

De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Berichte über Korruption im Justizsystem hielten sich hartnäckig, einschließlich Berichten, dass Gerichtsmitarbeiter Zahlungen verlangten, um Verwaltungsverfahren zu erleichtern. Untere Gerichte blieben Berichten zufolge korrupt, ineffizient und unterlagen dem Druck von höherrangigen Richtern sowie prominenten, wohlhabenden, religiösen und politischen Persönlichkeiten (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung stellte staatlich finanzierten Rechtsbeistand für Gefangene zur Verfügung, die wegen Verbrechen angeklagt werden, für die eine Verurteilung die Todesstrafe beinhaltet. Für andere Fälle wird keine regelmäßige rechtliche Vertretung zur Verfügung gestellt. Die Verfassung erkennt das Recht auf Habeas Corpus an und erlaubt es den hohen Gerichten, die Anwesenheit einer Person, die eines Verbrechens beschuldigt wird, vor Gericht zu verlangen. Das Gesetz erlaubt es Bürgern, Habeas-Corpus-Petitionen bei den Gerichten einzureichen. In vielen Fällen, in denen es um das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen ging, versäumten es die Behörden, die Inhaftierten gemäß den Anordnungen der Richter vorzuführen (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.

pdf , Zugriff 15.4.2021

•        ÖB - Österreichische Botschaft Islamabad [Österreich] (12.2020): Asylländerbericht Pakistan, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2050270/PAKI_%C3%96B-Bericht_2020_12.pdf , Zugriff 4.5.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 15.4.2021

4.1.    Militärgerichte

Letzte Änderung: 24.06.2021

Die Regierung erließ im Jänner 2015 als Reaktion auf einen Terrorangriff auf die Militärschule in Peschawar eine Verfassungsänderung, welche es Militärgerichten erlaubt, gegen unter Terrorverdacht stehende Zivilisten zu prozessieren. Nach einer Verlängerung des Mandats dieser Gerichte im Jahr 2017 endeten deren Tätigkeiten endgültig mit Ende März 2019 (ICJ 1.4.2019).

Ende März 2019 lief das Mandat der Militärgerichtshöfe für Terrorismusverfahren gegen Zivilisten aus, es existieren jedoch weiterhin sog. Anti Terrorism Courts (ATC) zur Verurteilung Terrorismusverdächtiger, die Angeklagten nur unzureichende Rechte einräumen (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Weiters werden dieATCs für die gerichtliche Verhandlung hochkarätiger Fälle benutzt, auch dann, wenn diese keine Verbindung zum Terrorismus hatten. Menschenrechtsaktivisten kritisieren dieses parallele System und behaupten, es sei anfälliger für politische Manipulation (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020. pdf , Zugriff 29.4.2021

•        ICJ - International Commission of Jurists (1.4.2019): Pakistan: as military courts lapse, Government must prioritize reform of the criminal justice system, https://www.icj.org/pakistan-as-military-courtslapse-government-must-prioritize-reform-of-the-criminal-justice-system/#:~:text=Military%20cour ts%20were%20first%20empowered,a%20period%20of%20two%20years , Zugriff 30.4.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 29.4.2021

4.2.    Informelle Rechtsprechungssysteme

Letzte Änderung: 24.06.2021

In ländlichen Gebieten Pakistans bestehen auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. So spielt in von Paschtunen bewohnten Teilen des Landes, vor allem in den ehemals semi-autonomen Federally Administered Tribal Areas (FATA), der für diese Volksgruppe maßgebliche Rechts- und Ehrenkodex Paschtunwali eine bedeutende Rolle. Dieser wird bei Unrechtsfällen vom Vergeltungsgedanken sowie vom zentralen Wert der Ehre bestimmt. Streitigkeiten werden dort auf Basis des Paschtunwali von Stammesräten bzw. -gerichten (Jirgas) entschieden. Diese neben dem formellen Rechtssystem bestehenden ad hoc-Gerichte führen unter anderem zu einem Rechtspluralismus, der Opfer von Verfolgung, insbesondere Frauen, stark benachteiligt (ÖB 12.2020; vgl. AA 29.9.2020, USDOS 30.3.2021).

Informelle Konfliktlösungsmechanismen umfassen die traditionellen, tribal und patriarchalisch geprägten „Panchayat“ (mehrheitlich in Punjab und Sindh vorzufinden) und „Jirga“ (mehrheitlich in Sindh, Khyber Pakhtunkhwa und Balochistan vorzufinden). Diese informellen Mechanismen üben in vielen Fällen eine komplementäre Rolle zum formalen Rechtssystem aus. Andererseits stehen sie manchmal im Widerspruch zum formalen pakistanischen Gesetz, was durchaus auch zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen führen kann (GIZ 9.2020).

Besonders in Punjab und Khyber Pakhtunkhwa ist es trotz gesetzlichen Verbots verbreitet, zur Beendigung von Blutfehden eine junge Frau (oft Mädchen unter 18 Jahren) als Blutzoll an eine verfeindete Familie zu übergeben. Jirgas sind in Pakistan generell auch außerhalb paschtunischer Gebiete nach wie vor weit verbreitet (neben den ehem. FATA auch in Belutschistan, im inneren Sindh, in ländlichen Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa sowie im südlichen Punjab). Diese wenden neben Stammes- auch Schariarecht an. Ähnliche Systeme existieren auch unter Hindus (Panchayat); daneben üben in Sindh und Punjab vereinzelt Grundbesitzer zum Teil richterliche Funktionen aus. Als weitere sind die Praktiken Diyat (Blutgeld) und Qisas (Vergeltung) zu nennen, die sich beide als Strafen für Delikte gegen die körperliche Integrität im Pakistan Penal Code (Act XLV of 1860) finden (ÖB 12.2020).

Sektion 302 des pakistanischen Strafgesetzbuchs (Pakistan Penal Code, PPC) sieht zwar hohe Haftstrafen für Verbrechen vor, die im Zusammenhang mit einer wahrgenommenen Verletzung der Familienehre begangen wurden. Allerdings enthält das Strafgesetz auch Erleichterungen. So können Erben/Nachkommen der Getöteten dem Täter verzeihen (Qisas, geregelt in Sektion 309 PPC) und/oder ein Blutgeld als Entschädigung akzeptieren (Diyat, geregelt in Sektion 310 PPC). Diese Rechtsprinzipien des islamischen Rechts ermöglichen es Nachkommen eines Verstorbenen, den Täter der Strafverfolgung zu entziehen. Da dieser in der Regel aus dem familiären Umfeld stammt, kann in der Mehrzahl der Fälle davon ausgegangen werden, dass der staatliche Strafanspruch nicht durchgesetzt wird (BAMF 5.2020).

Mit dem erklärten Ziel der Reduzierung von sog. Ehrenmorden verabschiedete das pakistanische Parlament am 6.10.2016 ein Änderungsgesetz zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozessordnung. Damit alleine ist jedoch keine grundlegende Verbesserung der Situation aufgrund des 2004 verabschiedeten Honour Killing Act eingetreten (AA 29.9.2020). Traditionelle Gesetze zur Entschädigung für körperlichen Schmerz oder Sachbeschädigung (Qisas und Diyat) erlauben weiterhin Vereinbarungen zwischen den beiden Parteien, die auf Vergebung, Entschädigung oder anderen Formen der Beilegung beruhen, die oft gegen die Interessen der Frauen wirken (DAFT 20.2.2019).

Der Supreme Court sprach sich bisher mehrmals gegen von Jirgas verhängte Strafen wie die Hergabe von Töchtern als Kompensation für begangenes Unrecht sowie gegen andere verfassungswidrige Praktiken der Stammesräte aus, was deren Fortbestand allerdings bisher nicht verhindern konnte (ÖB 12.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020. pdf , Zugriff 10.3.2021

•        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2020): Länderreport 24 Pakistan Lage der Ahmadis und Schiiten sowie Ehrverbrechen im Kontext der islamisch geprägten

Strafgesetzgebung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031016/laenderreport-24-pakistan.pdf , Zugriff 10.3.2021

•        DAFT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (20.2.2019): Country Information Report Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokumentensuche/?asalt=8b1bb51cc9&country%5B%

5D=pak&countryOperator=should&srcId%5B%5D=12005&srcIdOperator=should&useSynonyms

=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order=desc , Zugriff 10.3.2021

•        GIZ- Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Das Länderinformationsportal - Pakistan - Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/pakistan/geschichte-staat/ , Zugriff

10.3.2021

•        ÖB - Österreichische Botschaft Islamabad [Österreich] (12.2020): Asylländerbericht Pakistan, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2050270/PAKI_%C3%96B-Bericht_2020_12.pdf , Zugriff 4.5.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 19.4.2021

5.       Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 24.06.2021

Die Sicherheitsbehörden Pakistans bestehen aus der Polizei, die dem Innenministerium untersteht, Geheimdiensten (AA 29.9.2020), dem Heer sowie militärischen und paramilitärischen Hilfstruppen wie dem Frontier Corps (FC) und den Rangers, die dem Innenministerium unterstehen. FC sind in Khyber Pakhtunkwa und Belutschistan und die Rangers in Punjab und Sindh stationiert. Sie unterstützen die örtlichen Strafverfolgungsbehörden u.a. bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie bei der Grenzsicherung (EASO 10.2020).

Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte v.a. in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa regelmäßig menschenrechtsrelevante Verletzungen. Ein nach wie vor ungelöstes, tabuisiertes Problem sind in diesem Zusammenhang die sog. enforced disappearances, das „Verschwindenlassen“ von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen (AA 29.9.2020).

In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 29.9.2020). Zum geringen Ansehen der Polizei tragen Korruptionsanfälligkeit, unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen ebenso bei (AA 29.9.2020; vgl. HRCP 4.2020).

Straflosigkeit ist bei den Sicherheitskräften ein erhebliches Problem. Die Regierung bietet nur begrenzt Schulungen an, um die Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu erhöhen (USDOS 30.3.2021).

Insgesamt sind die Polizeikapazitäten in Pakistan begrenzt, was auf fehlende Ressourcen, schlechte Ausbildung, unzureichende und veraltete Ausrüstung und konkurrierenden Druck von Vorgesetzten, politischen Akteuren, Sicherheitskräften und der Justiz zurückzuführen ist. In der öffentlichen Wahrnehmung ist ein hohes Maß an Korruption bei der Polizei weit verbreitet [siehe Kapitel Korruption], insgesamt ist das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit gering. Inländische und internationale Beobachter sehen das Militär als eine der fähigsten Organisationen in Pakistan. Es verfügt über erhebliche Macht und dominiert die Außen- und Sicherheitspolitik. Militärangehörige werden gut bezahlt, und eine Karriere beim Militär ist hoch angesehen, nicht nur wegen der Vorteile, sondern auch wegen des hohen gesellschaftlichen Ansehens und der Verbindungen, die Militärangehörige genießen (DFAT 20.2.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020. pdf , Zugriff 30.4.2021

•        DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (20.2.2019): Country Information Report Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokumentensuche/?asalt=8b1bb51cc9&country%5B%

5D=pak&countryOperator=should&srcId%5B%5D=12005&srcIdOperator=should&useSynonyms =Y&sort_by=origPubl

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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