TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/23 L508 2246184-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.11.2021
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Entscheidungsdatum

23.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L508 2246184-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr.in HERZOG als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Pakistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein Staatsangehöriger aus Pakistan und der Volksgruppe der Rajputen sowie der islamischen Religionsgemeinschaft zugehörig, wurde am 23.07.2021 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet auf frischer Tat bei einer Verwaltungsübertretung gemäß § 120 FPG angetroffen und in weiterer Folge gemäß den Bestimmungen des § 40 BFA-VG festgenommen. Der BF stellte im Zuge der Amthandlung einen mündlichen Antrag auf internationalen Schutz (Aktenseite des Verwaltungsverfahrensakts [im Folgenden: AS] 3 ff).

2. Im Rahmen der anschließenden Erstbefragung nach dem AsylG durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts am Tag der Antragstellung (AS 21 - 33), gab der BF - zu seinen Fluchtgründen befragt - zu Protokoll, in Pakistan gebe es keine Arbeit, weshalb er hier in Europa arbeiten und seine Familie unterstützen wolle.

3. In der Folge wurde ein Konsultationsverfahren mit Griechenland gemäß der Dublin III-Verordnung geführt, welches keine Zuständigkeit Griechenlands ergab (AS 39 ff).

4. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz „BFA“) am 06.08.2021 (AS 63 - 75) führte der BF sodann - zu seinen Ausreisegründen befragt - aus, er habe einen kranken Vater und wolle hier arbeiten, um seine Eltern „glücklich zu machen“. Zwar habe er versucht in Pakistan zu arbeiten, jedoch habe er keine Arbeit gefunden. Früher habe er als Dachdecker gearbeitet und ein monatliches Einkommen von etwa 6.000 Rupien erwirtschaftete. Für die Ausreise habe er sich 500.000 Rupien ausgeborgt. Er befürchte, dass er das ausgeborgte Geld nicht zurückzahlen kann und im Fall der Rückkehr „Probleme“ mit seinem Freund bekomme.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 11.08.2021 (AS 85 - 144) wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend hielt die belangte Behörde zusammenfassend fest, die vom BF vorgebrachten Ausreisegründe seien im rein privaten Bereich - nämlich der Verbesserung der Lebenssitutaion – gelegen.

In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der vom BF vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Ferner wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

6. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 11.08.2021 (AS 145ff; 153ff) wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und dieser ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

7. Gegen den oa. Bescheid des BFA erhob der BF fristgerecht mit Schriftsatz vom 03.09.2021 (AS 175 - 189) zur Gänze wegen Feststellungsmängeln, Verfahrensfehlern und falscher rechtlicher Beurteilung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Hinsichtlich des genauen Inhalts der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

7.1. Beantragt wurde, das Bundesverwaltungsgericht möge

* eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen;

* falls nicht alle zu Lasten des BF gehenden Rechtwidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht wurden, diese amtswegig aufzugreifen bzw. allenfalls dem BF einen Verbesserungsauftrag erteilen;

* in der Sache selbst zu entscheiden und dem Antrag des BF auf internationalen Schutz Folge zu geben und ihm den Status des Asylberechtigten gem § 3 AsylG zuzuerkennen;

in eventu

* dem BF gem § 8 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan zuzuerkennen;

* den angefochtenen Bescheid bezüglich der Spruchpunkte III. bis VII. beheben bzw. dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidung aufgehoben und für die Dauer unzulässig erklärt und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK erteilt wird;

in eventu

* den angefochtenen Bescheid gem § 28 Abs 3 VwGVG zur Gänze mit Beschluss zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

7.2. In der Folge wurde - nach kurzer Wiedergabe des Sachverhaltes und des bisherigen Verfahrensganges - moniert, die belangte Behörde sei nicht auf das individuelle Vorbringen des BF – nämlich die große Armut, die Kranknheit des Vaters, keine Beschäftigungsmöglichkeit und schließlich die drohende Feindschaft mit seinem Gläubiger. Hinsichtlich des Letzteren hätte die Behörde weitere Ermittlungen durchführen müssen, insbesondere zu Gefängnisstrafen, sowie zur Situation von Strafgefangenen in Pakistan, das grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Bestrafung von Personen zulasse, die nicht nur krimineller, sondern auch ziviler Vergehen beschludigt werden. Hätte die belangte Behörde ordentliche Ermittlungsschritte gesetzt, wäre sie zu dem Schluss gekommen, dass dem BF aufgrund seiner Schulden bei einem einflussreichen Gläubiger asylrelevante Verfolgung in Form von unmenschlichen Haftstrafen oder Folter droht. Zur Untermauerung des Vorbringens des BF wurde auszugsweise die vom BFA herangezogenen Länderberichte zitiert.

7.3. Auch habe die belangte Behörde Rechtswidrigkeit aufgrund mangelhaften Beweiswürdigung zu vertreten, zumal diese „höchst widersprüchlich“sei. So habe das BFA das Vorbringen des BF – nämlich, dass der BF mehr als das 83-fache seines Monatslohnes ausgegeben habe, um seine Flucht zu finanzieren, um einen Antrag auf internationalen Schutz mit wirtschaftlicher bzw. finanzieller Begründung zu stellen - als “nicht nachvollziehbar” bezeichnet, und im darauffolgenden Absatz ausgeführt, die Gründe für die Ausreise lägen in der Verbesserung der Lebenssitutaion des BF und damit die „nicht nachvollziehbaren“ Gründe offenbar doch als wahr unterstellt.

7.4. Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit wird ausgeführt, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Pakistan jedenfalls einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Schuldner ausgesetzt wäre. Der pakistanische Staat sei – ausweislich der zitierten Länderberichte - nicht willens bzw. in der Lage, den BF vor Verfolgung zu schützen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde aufgrund er angespannten Sicherheitslage und andererseits mangels unterstützungsfähigen Bezugspersonen und fehlenden Erwerbsmöglichkeiten und nicht zuletzt der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie nicht zur Verfügung. In eventu sei dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, zumal aufgrund der allgemeinen gefährlichen Sicherheitlage, sowie der fehlendnen Unterstützungsmöglichkeiten in Pakistan eine Verletzung der Art 2 und 3 EMRK drohe.

8. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des BFA, unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des Bescheidinhalts, sowie des Inhalts der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

1.3. Prüfungsumfang

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1.         der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2.         die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2. Zur Entscheidungsbegründung:

Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes.

2.1. Auf der Grundlage dieses Beweisverfahrens gelangt das BVwG nach Maßgabe unten dargelegter Erwägungen zu folgenden entscheidungsrelevanten Feststellungen:

2.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und dessen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Rajputen an und ist islamischen Glaubens.

Die Identität des Antragstellers konnte mangels Vorlage von geeigneten Dokumenten nicht festgestellt werden.

Der von ihm vorgebrachte Fluchtgrund (Verlassen des Heimatlandes aufgrund wirtschaftlicher respektive finanzieller Probleme, sowie dem Wunsch nach Arbeit in Europa) wird grundsätzlich für glaubhaft erachtet. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus Gründen der GFK asylrelevant verfolgt bzw. dessen Leben bedroht wurde beziehungsweise dies im Falle einer Rückkehr nach Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintreffen könnte.

Es konnten im konkreten Fall auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, in Pakistan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Pakistan in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde.

Im Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Der Beschwerdeführer ist arbeitwillig und befindet sich in einem arbeitsfähigen Zustand und Alter.

Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer lebte vor seiner Ausreise in einem kleinen Dorf neben XXXX , Distrikt Punjab. Er besuchte in seinem Herkunftsstaat sieben Jahre die Grundschule und arbeitete als Dachdecker mit einem monatlichen Einkommen von etwa 6.000 Rupien. Zuletzt war er beschäftigungslos. Seine Eltern und sieben Geschwister leben nach wie vor im Heimatdistrikt des BF. Der Vater des Beschwerdeführers verfügt über ein eigenes Haus. Zu seinen Brüdern pflegt der Beschewerdeführer regelmäßigen telefonischen Kontakt. Der Beschwerdeführer verließ vor etwa vier Jahren seinen Heimatdistrikt in Pakistan und reiste er in der Folge nach einem achtmonatigen Aufenthalt in der Türkei, zweijährigen Aufenthalt in Griechenland und nach etwa einem sechsmonatigen Aufenthalt in Serbien spätestens am 23.07.2021 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo der Beschwerdeführer am 23.07.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der private Lebensmittelpunkt des BF befindet sich in Pakistan. Der Beschwerdeführer verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine relevanten Bindungen zu Österreich. In Österreich halten sich keine Verwandten des BF auf. Auch unterhält er in Österreich keine Beziehung.

Der Beschwerdeführer besucht(e) in Österreich weder einen Deutschkurs, noch hat er eine Deutschprüfung erfolgreich absolviert. Er verfügt über keine nennenswerten Deutschkenntnisse.

Er knüpfte normale soziale Kontakte. Unterstützungserklärungen brachte er nicht in Vorlage.

Der Beschwerdeführer bezieht seit seiner Antragstellung im Juli 2021 laufend Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und lebt von staatlicher Unterstützung. Der Beschwerdeführer war bzw. ist gegenwärtig nicht legal erwerbstätig. Er ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine Einstellungszusage noch über einen gültigen arbeitsrechtlichen Vorvertrag.

Er leistet keine offizielle ehrenamtliche Tätigkeit und ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation in Österreich.

Er ist als gesund anzusehen.

Er ist strafgerichtlich unbescholten.

Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer umfassenden und fortgeschrittenen Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden, welche die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden.

Der Beschwerdeführer hat - mit Ausnahme seines anlässlich der Flucht in Summe etwa vierjährigen Auslandsaufenthaltes – sein Leben zum überwiegenden Teil in Pakistan verbracht, wo er auch sozialisiert wurde und wo sich seine nächsten Verwandten aufhalten.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr vorübergehend bei seinen Familienangehörigen wohnen wird können. Davon abgesehen ist der BF als arbeitsfähig und -willig anzusehen. Der Beschwerdeführer spricht die Sprache Urdu.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Zulässigkeit der Abschiebung des BF nach Pakistan festzustellen ist.

2.1.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan war insbesondere unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer - seitens der belangten Behörde im Zuge der Einvernahme am 06.08.2021 (AS 63 ff) - offengelegten Quellen festzustellen:

Covid-19

Letzte Änderung: 16.06.2021

In Pakistan wurden bisher mehr als 882.900 Infektionen mit dem Virus Covid-19 sowie mehr als 19.700 Todesfälle bestätigt (Stand 18.5.2021). Laut lokalen Medienberichten mit Verweis auf das Gesundheitsministerium, wurden bisher etwa 3,9 Millionen Menschen landesweit geimpft (Einwohner gesamt: 220 Millionen). Hauptsächlich wurden Personen, die im Gesundheitsbereich tätig sind und Personen über 50 Jahre geimpft. Am 17. Mai 2021 hat man mit der Impfregistrierung für die Altersgruppe der 30 bis 49-Jährigen begonnen. Am gleichen Tag hat Pakistan die Covid Maßnahmen nach der landesweiten Sperre vom 8. bis 16. Mai gelockert und Geschäften, Märkten und Büros unter Einhaltung der Hygiene- undAbstandsregeln die Öffnung erlaubt. Märkte und Geschäfte dürfen nun wieder bis 20 Uhr öffnen. Das pakistanische National Command and Operation Center hat zudem festgehalten, dass touristische Aktivitäten im Land weiterhin untersagt seien. Öffentliche städtische und interprovinzielle Verkehrsmittel haben ihren Betrieb wieder aufgenommen, dürfen jedoch nur mit einer maximal 50 prozentigen Belegung operieren. Auch wenn sich die Covid-19-Situation aktuell etwas entspannt, warnen die Behörden, dass das Gesundheitssystem noch immer unter Druck stehe und Krankenhäuser stark belegt seien (ÖB 18.5.2021).

Pakistan hat am2.2.2021 mit seinem nationalen Impfprogramm gegen das Coronavirus begonnen. In dem südasiatischen Land mit mehr als 220 Millionen Einwohnern werden zunächst Beschäftigte des Gesundheitswesens geimpft, gefolgt von älteren Menschen. Dazu waren etwa eine halbe Million Impfdosen des chinesischen Unternehmens Sinopharm mit einem Militärflugzeug aus Peking nach Pakistan gebracht worden. Das Land hat zudem 17 Millionen Impfdosen des Herstellers Astra Zeneca bestellt, die im Lauf des Monats Februar 2021 geliefert werden sollen. Nach einer einer Ende Januar 2021 veröffentlichten Umfrage des Instituts Gallup, will sich fast die Hälfte aller Pakistaner nicht impfen lassen (ÄfW 2.2.2021). Hinsichtlich anstehender Impfungen hat die Regierung bei der COVAX-Organisation der UN um Unterstützung angesucht. Diese wird die Impfung von vorrangig zu impfenden Gruppen - etwa 20% der Bevölkerung - abdecken. Die Regierung führt außerdem Gespräche mit mehreren Impfstoffherstellern und mit Gebern (Weltbank und Asiatische Entwicklungsbank) über die Beschaffung zusätzlicher Impfstoffe, die mit einem Budget von 250 Millionen US-Dollar finanziert werden sollen. Der Start der Impfkampagne wird für das zweite Quartal des Jahres 2021 erwartet (IMF 8.1.2021).Am 24. März 2020 wurde von der Bundesregierung ein Hilfspaket im Wert von 1,2 Billionen PKR (ca. 6,2 Milliarden Euro) angekündigt, das inzwischen fast vollständig umgesetzt wurde. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören u.a. die Abschaffung der Importzölle auf medizinische Notfallausrüstung (kürzlich bis Dezember 2020 verlängert); Bargeldtransfers an 6,2 Millionen Tagelöhner (75 Mrd. PKR); Bargeldtransfers an mehr als 12 Millionen einkommensschwache Familien (150 Mrd. PKR); Unterstützung für KMUs und den Agrarsektor (100 Mrd. PKR) in Form eines Aufschubs der Stromrechnung, Bankkrediten sowie Subventionen und Steueranreizen. Das Konjunkturpaket sah außerdem Mittel für eine beschleunigte Beschaffung von Weizen (280 Mrd. PKR), finanzielle Unterstützung für Versorgungsunternehmen (50 Mrd. PKR), eine Senkung der regulierten Kraftstoffpreise (mit einem geschätzten Nutzen für die Endverbraucher in Höhe von 70 Mrd. PKR), Unterstützung für die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung (15 Mrd. PKR), Erleichterungen bei der Bezahlung von Stromrechnungen (110 Mrd. PKR), einen Notfallfonds (100 Mrd. PKR) und eine Überweisung an die National Disaster Management Authority (NDMA) für den Kauf von COVID-19-bezogener Ausrüstung (25 Mrd. PKR) vor. Der nicht ausgeführte Teil des Hilfspakets wird auf das Jahr 2021 übertragen. Darüber hinaus enthält das Budget für das Jahr 2021 weitere Erhöhungen der Gesundheits- und Sozialausgaben, Zollsenkungen auf Lebensmittel, eine Zuweisung für das „COVID-19 Responsive and Other Natural Calamities Control Program“ (70 Mrd. PKR), ein Wohnungsbaupaket zur Subventionierung von Hypotheken (30 Mrd. PKR) sowie die Bereitstellung von Steueranreizen für den Bausektor (Einzelhandels- und Zementunternehmen), die im Rahmen der zweiten Welle bis Ende Dezember 2021 verlängert wurden (IMF 8.1.2021; vgl. WKO 18.2.2021).

Quellen:

•        ÄfW - Ärztekammer für Wien (2.2.2021): Pakistan startet mit Coronaimpfung, https://www.medinl ive.at/gesundheitspolitik/pakistan-startet-mit-corona-impfungen , Zugriff 26.2.2021

•        IMF - International Monetary Fund (8.1.2021): Policy Responses to COVID-19, Pakistan, https: //www.imf.org/en/Topics/imf-and-covid19/Policy-Responses-to-COVID-19#P , Zugriff 28.1.2021

•        ÖB - Österreichische Botschaft Bangkok [Österreich] (18.5.2021): Kurzbericht zur Entwicklung der Covid-19-Situation in Pakistan, per E-Mail, Zugriff 11.6.2021

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (18.2.2021): Coronavirus: Situation in Pakistan, https://ww w.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-pakistan.html , Zugriff 26.2.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 16.06.2021

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 26.3.2021). Die vormaligen FATA (FederallyAdministered TribalAreas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite des Kaschmir (AA 26.3.2021). Pakistan ist eine föderale parlamentarische Republik. Bei den Parlamentswahlen 2018 gewann die Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf die meisten Sitze in der Nationalversammlung, und der Parteivorsitzende, Imran Khan, wurde Premierminister. Während unabhängige Beobachter technische Verbesserungen bei der Verwaltung des Wahlprozesses durch die pakistanische Wahlkommission feststellten, äußerten Beobachter, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien Bedenken hinsichtlich der Einmischung von Militär und Geheimdiensten im Vorfeld der Wahlen, die zu ungleichen Wahlbedingungen führten. Einige politische Parteien behaupteten auch erhebliche Unregelmäßigkeiten am Wahltag (USDOS 30.3.2021; vgl. HRW 28.7.2018). Zudem wurde die Wahl überschattet von einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle in verschiedenen Provinzen; von Strafverfahren, die gegen Mitglieder der Regierungspartei eingeleitet worden waren; und vom Vorwurf des Premierministers, das Militär habe sich eingemischt (EASO 10.2019).

Neben den geopolitischen und geostrategischen Faktoren ist das Ungleichgewicht der Regierungsinstitutionen innerhalb des pakistanischen Staates Ursache für die kontinuierliche Regierungskrise und die strukturelle Gewalt im Land. Das pakistanische Militär spielt eine überaus wichtige und dominante Rolle in der Nuklearmacht Pakistan. Es ist disproportional groß (es vereinnahmt ein Viertel des gesamten Haushalts) und deshalb übermächtig, während die zivilen Institutionen, wie z.B. die Bürokratie, die Justiz, die Polizei und die politischen Parteien, permanent unterfinanziert sind. Die Interventionen des Militärs in Politik und Wirtschaft hat diese Organisation im Laufe der Geschichte immer stärker gemacht (GIZ 9.2020).

Seit 12. April 2021 brachen nach Verhaftung des Anführers der fundamentalistischen Partei Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP), mehrtägige und landesweite Proteste aus. Tausende Unterstützer der für die Förderung der Blasphemiegesetzgebung im Land bekannten TLP demonstrierten in den größeren Städten gegen die Position des französischen Präsidenten Macron in Reaktion auf die Enthauptung eines Lehrers in der Nähe von Paris im November 2020. Vielerorts kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Am 16. April 2021 sperrte die pakistanische Internetregulierungsbehörde (Pakistan Telecommunication Authority, PTA) den Zugriff auf sämtliche soziale Netzwerke für mehrere Stunden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, um über das Internet verbreitete neuerliche Aufrufe und Propaganda der TLP zu unterbinden. Am 18. April kam es zu weiteren Ausschreitungen in Lahore (Punjab), wo TLP-Anhänger auch ein Polizeirevier stürmten und ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte als Geiseln nahmen (BAMF 19.4.2021). Schließlich hat die Regierung die TLP, die als eine sunnitische politisch-religiöse Hardliner-Gruppe gilt und für ihre gewalttätige Unterstützung der drakonischen Blasphemiegesetze des Landes bekannt ist, verboten. Das Verbot kam drei Tage nachdem TLP-Anhänger aufgrund der Verhaftung von Anführer Saad Hussain Rizvi in ganz Pakistan auf die Straße gegangen waren (UCA News 16.4.2021; vgl. DW 15.4.2021).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.3.2021): Pakistan: Politisches Porträt, https://www.ausw aertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/politisches-portraet/205010 , Zugriff 14.4.2021

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (Stand: 14.4.2021) Pakistan: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/pakistansicherheit/2049 74#content_0 , Zugriff 14.4.2021

•        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (19.4.2021). Briefing Notes, https: //www.ecoi.net/en/document-search/?country%5B%5D=pak&countryOperator=should&srcId%5 B%5D=11010&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order =desc&content=briefing%20notes , Zugriff 22.4.2021

•        DW - Deutsche Welle (15.4.2021): Pakistan protests: Why the Islamist TLP party is now a major political force, https://www.dw.com/en/pakistan-protests-why-the-islamist-tlp-party-is-now-a-majorpoliticalforce/a-57214719 , Zugriff 17.5.2021

•        EASO - European Asylum Support Office (10.2019): Pakistan Security Situation, https://www.ec oi.net/en/file/local/2019113/2019_EASO_Pakistan_Security_Situation_Report.pdf , Zugriff 22.4.2021

•        ET - The Express Tribune (25.5.2018): Senate passes FATA-KP merger bill with 71-5 vote, https://tribune.com.pk/story/1718734/1-ppp-pti-set-throw-weight-behind-k-p-fata-merger-bill-senate/ , Zugriff 14.4.2021

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Das Länderinformationsportal - Pakistan - Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/pakistan/geschichte-staat/ , Zugriff 9.3.2021

•        HRW - Human Rights Watch (28.7.2018): Controversial Election in Pakistan, https://www.hrw.org/ news/2018/07/28/controversial-election-pakistan , Zugriff 14.4.2021

•        UCA News (16.4.2021): Pakistan bans TLP for engaging in terrorism, https://www.ucanews.com/ news/pakistan-bans-tlp-for-engaging-in-terrorism/92133# , Zugriff 17.5.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 14.4.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 23.06.2021

Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020). Die Anzahl terroristischer Anschläge mit Todesopfern in Pakistan ist seit 2009 deutlich rückläufig (AA 14.5.2021; vgl. USDOS 24.6.2020). Kontinuierliche Einsatzund Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte gegen militante Gruppen und polizeiliche Antiterrorabteilungen sowie einige Antiextremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans, haben dazu beigetragen (USDOS 24.6.2020). Trotzdem bleibt die Zahl terroristischer Anschläge auch weiterhin auf einem erhöhten Niveau. Schwerpunkte sind die Provinzen Khyber Pakhtunkhwa (KP) und Belutschistan (inkl. Quetta). Es besteht weiterhin landesweit – auch in den Großstädten Islamabad, Lahore, Karachi, Multan und Rawalpindi – eine Gefahr für terroristische Anschläge seitens der Pakistanischen Taliban sowie religiös motivierter oder separatistischer Gruppen - insbesondere durch Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate. Die Anschläge richten sich vor allem gegen Streitkräfte, Sicherheitsdienste, Polizei, Märkte, Einrichtungen der Infrastruktur, gegen religiöse Stätten (Moscheen, Schreine, Kirchen) sowie gegen ethnische Minderheiten (AA 14.5.2021).

Der Nationale Aktionsplan (NAP) wurde fast unmittelbar nach dem Anschlag auf die Army Public School (APS) im Dezember 2014 mit der Absicht eingeführt, einen sinnvollen Konsens zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zu erreichen. Die 20 Aktionspunkte des NAP haben seither unterschiedliche Erfolge erzielt. Taktische Operationen in ganz Pakistan haben zu einem verbesserten allgemeinen Sicherheitsumfeld beigetragen, was sich in einem allmählichen Rückgang der Zahl gewalttätiger Vorfälle im ganzen Land seit dem Start des NAP zeigt. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass der NAP bei der Bekämpfung des gewalttätigen und gewaltfreien Extremismus im Land nur geringe Erfolge erzielt hat. Extremistische Literatur ist online und offline in Hülle und Fülle vorhanden und die Verherrlichung von Terroristen und ihren Taten geht weiter. Auch zur Unterstützung des politischen Versöhnungsprozesses in Belutschistan wurde bisher nichts Wesentliches unternommen (FES 12.2020; vgl. GIZ 9.2020).

Im Jahr 2020 verübten verschiedene militante, nationalistische/aufständische und gewalttätige sektiererische Gruppen in ganz Pakistan insgesamt 146 Terroranschläge. 220 Menschen kamen bei diesen Anschlägen ums Leben - ein Rückgang von 38% im Vergleich zu 2019. Eine Verteilung dieser Terroranschläge nach ihren Urhebern legt nahe, dass sogenannte religiös inspirierte militante Gruppen wie die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP), ihre Splittergruppen Hizbul Ahrar und Jamaat-ul Ahrar, sowie andere militante Gruppen mit ähnlichen Zielen wie lokale Taliban-Gruppen, Lashkar-eIslam und ISIS-nahe Gruppen die meisten Terroranschläge verübten. Anschläge nationalistisch aufständischer Gruppen der Belutschen und Sindhi verübten weitere Anschläge. In KP wurden dabei die meisten Terroranschläge in Pakistan verübt, mehrheitlich im Stammesgebiet Nord-Waziristan. Während die Mehrheit dieser Anschläge auf Sicherheitskräfte abzielte, waren auch Zivilisten, Stammesälteste, politische Führer/Mitarbeiter und Schiiten Ziele der Anschläge. Nach KP war die Provinz Belutschistan im Jahr 2020 am stärksten von Terrorismus durch verschiedene aufständische Gruppen der Belutschen wie die Baloch Liberation Army (BLA), die Balochistan Liberation Front (BLF), Lashkar-e-Balochistan, die Baloch Republican Army (BRA) und die United Baloch Army (UBA) usw. betroffen (PIPS 2021; vgl. USDOS 30.3.2021, AA 29.9.2020).

Pakistan dient weiterhin als sicherer Hafen für bestimmte regional ausgerichtete terroristische Gruppen. Es erlaubt Gruppen, die gegen Afghanistan gerichtet sind, einschließlich der afghanischen Taliban und des mit ihnen verbundenen Haqqani-Netzwerks, sowie Gruppen, die gegen Indien gerichtet sind, einschließlich LeT (Lashkar-e Taiba) und der mit ihr verbundenen Frontorganisationen und JeM (Jaish-e Mohammad), von seinem Territorium aus zu operieren

(USDOS 24.6.2020; vgl. CEP o.D.).

Das Militär und paramilitärische Organisationen führten mehrere Operationen zur Aufstandsbekämpfung und Terrorismusbekämpfung durch, um sichere Zufluchtsorte von Militanten zu beseitigen. Die 2017 begonnene Operation Radd-ul-Fasaad des Militärs wurde das ganze Jahr 2020 über fortgesetzt. Radd-ul-Fasaad ist eine landesweite Anti-Terror-Kampagne, die darauf abzielt, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb (2014-17) zu konsolidieren, welche gegen aus- und inländische Terroristen in den ehemaligen FATA vorging. Die Polizei dehnte ihre Präsenz in ehemals unregierte Gebiete aus, insbesondere in Belutschistan, wo Militäroperationen zur Normalität geworden waren (USDOS 30.3.2021).

Der im März 2017 begonnene Bau eines befestigten Zaunes entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze sei nach pakistanischen Regierungsangaben fast fertiggestellt und soll planmäßig im April 2021 abgeschlossen sein (BAMF 1.3.2021).

Quelle: ACLED o.D.; UCDP Candidate o.D.; UCDP GED o.D. Farbig hervorgehoben: Hauptstadtregion. UCDP weist sicherheitsrelevante Vorfälle in den ehem. FATA eigens aus, hier wurden sie zur besseren Vergleichbarkeit der Provinz Khyber Pakhtunkhwa hinzugezählt.

Anmerkung: ACLED und UCDP erfassen sicherheitsrelevante Vorfälle unter Verwendung festgelegter Kriterien und Methodologien mittels Medienbeobachtung, wobei sich die festgelegten Kriterien der beiden Organisationen voneinander unterscheiden. Dies trägt zur unterschiedlichen Höhe bei den dargestellten Fallzahlen bei (ACLED 2020; UCDP 2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.5.2021): Pakistan: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aus senpolitik/laender/pakistan-node/pakistansicherheit/204974#content_0 , Zugriff 14.5.2021

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020. pdf , Zugriff 14.4.2021

•        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2020): ACLED Codebook, https://acledd ata.com/acleddatanew/wp-content/uploads/dlm_uploads/2019/01/ACLED_Codebook_2019FINAL .docx.pdf , Zugriff 10.3.2021

•        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (o.D.): ACLED Data, http://www.acleddata. com/data/ , Zugriff 26.2.2021

•        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes, https: //www.ecoi.net/en/document-search/?country%5B%5D=pak&countryOperator=should&srcId%5 B%5D=11010&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order =desc&content=briefing%20notes&page=2 , Zugriff 14.5.2021

•        CEP - Counter Extremism Project (o.D.): Pakistan: Extremism and Terrorism, https://www.counte rextremism.com/countries/pakistan , Zugriff 28.4.2021

•        EASO - European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf , Zugriff 14.4.2021

•        FES - Friedrich-Ebert-Stiftung (12.2020): Strengthening Governance in Pakistan Assessing the National Action Plan to counter Terrorism and Extremism, https://www.pakpips.com/web/wp-conte nt/uploads/2021/01/NAP-Final-from-Hamayun.pdf , Zugriff 9.3.2021

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Das Länderinformationsportal - Pakistan - Gesellschaft, https://www.liportal.de/pakistan/gesellschaft/ , Zugriff 9.3.2021

•        PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (2021): Pakistan Security Report 2020, https://www.pa kpips.com/web/wp-content/uploads/2021/01/Conflict-and-Peace-Studies.pdf , Zugriff 2.3.2021

•        UCDP Candidate - Uppsala Conflict Data Program (o.D.): UCDP Candidate Events Dataset Version 20.01.20.12 (global), https://ucdp.uu.se/downloads/ , Zugriff 2.3.2021

•        UCDP GED - Uppsala Conflict Data Program (o.D.): UCDP Georeferenced Event Dataset (GED) Global version 20.1, https://ucdp.uu.se/downloads/ , Zugriff 4.3.2021

•        UCDP - Uppsala Conflict Data Program (2020): UCDP Candidate Events Dataset CodebookVersion 1.1, https://ucdp.uu.se/downloads/candidateged/ucdp-candidate-codebook%201.1.pdf , Zugriff 10.3.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032437.html , Zugriff 14.4.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 15.4.2021

NATO-Abzug Afghanistan - Mögliche Auswirkungen auf Pakistan

Letzte Änderung: 24.06.2021

Pakistan und Afghanistan teilen sich eine 2.640 Kilometer lange Landgrenze. Die mit dem NATOTruppenabzug einhergehende Instabilität in Afghanistan könnte vor allem auf die pakistanischen Stammesgebiete deutliche Auswirkungen haben. Auch in der Vergangenheit war dieses Gebiet wiederholt Schauplatz von Kämpfen zwischen Extremisten und Sicherheitskräften, wobei es zur Vertreibung der lokalen Bevölkerung kam (z.B. Militäroperation im Swat-Tal 2009, Kämpfe in Nordwaziristan). Die Vertriebenen suchten vielfach Zuflucht in angrenzenden Gebieten, indem sie z.B. in Lagern oder bei Verwandten lebten. 2015 wurden von den Vereinten Nationen mehr als 1,2 Millionen Binnenvertriebene wegen Kämpfen in den Stammesgebieten registriert. Nach dem NATOTruppenabzug könnten extremistische Gruppen, wie etwa die afghanischen Taliban, das Vakuum nutzen und die pakistanischen Stammesgebiete verstärkt als Rückzugsort nutzen und hierbei die lokale Bevölkerung vertreiben. Zudem ist es wahrscheinlich, dass afghanische Flüchtlinge in Pakistan nach dem NATO-Truppenabzug keine schnelle Heimkehr in Erwägung ziehen. In Pakistan leben bereits jetzt rund 2,8 Millionen dokumentierte und nicht dokumentierte afghanische Flüchtlinge. Nur etwa die Hälfte der Flüchtlinge sind registriert, der Rest lebt ohne Dokumente, hauptsächlich in den nordöstlichen Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Südwest-Belutschistan, die an Afghanistan grenzen. In der südlichen Provinz Sindh, deren Hauptstadt Karatschi ist, leben circa 500.000 afghanische Flüchtlinge. Laut dem UNHCR wurden seit 2002 mehr als 3,8 Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgeführt, aber viele kehrten aufgrund anhaltender Gewalt, Arbeitslosigkeit, mangelnder Bildung und medizinischer Einrichtungen nach Pakistan zurück. Nach dem Abzug der NATO-Truppen wird erwartet, dass nur ein kleiner Teil der afghanischen Flüchtlinge in Pakistan in ihr Land zurückkehren wird. Insofern wird Pakistan auch in Zukunft eine anhaltend hohe Anzahl von afghanischen Flüchtlingen im Land beherbergen bzw. ist allenfalls mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Auch wenn Pakistan sich bei den AfghanistanFriedensverhandlungen für einen zeitlichen Plan für die Rückkehr und Wiedereingliederung afghanischer Flüchtlinge in ihre Heimat einsetzt, ist die Umsetzung dieses Ziels wenig greifbar (VB 10.5.2021).

Quellen:

• VB - VB des BMI in Islamabad/Bangkok [Österreich] (10.5.2021): Bericht: NATO-Truppenabzug aus

Afghanistan und mögliche Auswirkungen auf Pakistan, Auskunft per Email

Rechtsschutz, Justizwesen

Letzte Änderung: 24.06.2021

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber laut NGOs und Rechtsexperten unterliegt die Justiz oft externen Einflüssen, wie z.B. der Angst vor Repressalien durch extremistische Elemente in Terrorismus- oder Blasphemie-Fällen und der öffentlichen Politisierung von hochkarätigen Fällen. Zivilgesellschaftliche Organisationen berichteten, dass Richter zögern, der Blasphemie beschuldigte Personen zu entlasten, weil sie Selbstjustiz befürchten (USDOS 30.3.2021). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 12.2020).

Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court (FSC), das zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es derzeit noch eigene Justizsysteme (ÖB 12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Einzelpersonen können gegen Entscheidungen der FSC Berufung bei der Shariat Appellate Bench des Obersten Gerichtshofs einlegen, wobei noch eine weitere Berufung durch den Obersten Gerichtshof zugelassen werden kann. Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts (USDOS 30.3.2021).

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020).

De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Berichte über Korruption im Justizsystem hielten sich hartnäckig, einschließlich Berichten, dass Gerichtsmitarbeiter Zahlungen verlangten, um Verwaltungsverfahren zu erleichtern. Untere Gerichte blieben Berichten zufolge korrupt, ineffizient und unterlagen dem Druck von höherrangigen Richtern sowie prominenten, wohlhabenden, religiösen und politischen Persönlichkeiten (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung stellte staatlich finanzierten Rechtsbeistand für Gefangene zur Verfügung, die wegen Verbrechen angeklagt werden, für die eine Verurteilung die Todesstrafe beinhaltet. Für andere Fälle wird keine regelmäßige rechtliche Vertretung zur Verfügung gestellt. Die Verfassung erkennt das Recht auf Habeas Corpus an und erlaubt es den hohen Gerichten, die Anwesenheit einer Person, die eines Verbrechens beschuldigt wird, vor Gericht zu verlangen. Das Gesetz erlaubt es Bürgern, Habeas-Corpus-Petitionen bei den Gerichten einzureichen. In vielen Fällen, in denen es um das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen ging, versäumten es die Behörden, die Inhaftierten gemäß den Anordnungen der Richter vorzuführen (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf,Zugriff 15.4.2021

•        ÖB - Österreichische Botschaft Islamabad [Österreich] (12.2020): Asylländerbericht Pakistan, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2050270/PAKI_%C3%96B-Bericht_2020_12.pdf , Zugriff 4.5.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 15.4.2021

Informelle Rechtsprechungssysteme

Letzte Änderung: 24.06.2021

In ländlichen Gebieten Pakistans bestehen auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. So spielt in von Paschtunen bewohnten Teilen des Landes, vor allem in den ehemals semi-autonomen Federally Administered Tribal Areas (FATA), der für diese Volksgruppe maßgebliche Rechts- und Ehrenkodex Paschtunwali eine bedeutende Rolle. Dieser wird bei Unrechtsfällen vom Vergeltungsgedanken sowie vom zentralen Wert der Ehre bestimmt. Streitigkeiten werden dort auf Basis des Paschtunwali von Stammesräten bzw. -gerichten (Jirgas) entschieden. Diese neben dem formellen Rechtssystem bestehenden ad hoc-Gerichte führen unter anderem zu einem Rechtspluralismus, der Opfer von Verfolgung, insbesondere Frauen, stark benachteiligt (ÖB 12.2020; vgl. AA29.9.2020, USDOS 30.3.2021).

Informelle Konfliktlösungsmechanismen umfassen die traditionellen, tribal und patriarchalisch geprägten „Panchayat“ (mehrheitlich in Punjab und Sindh vorzufinden) und „Jirga“ (mehrheitlich in Sindh, Khyber Pakhtunkhwa und Balochistan vorzufinden). Diese informellen Mechanismen üben in vielen Fällen eine komplementäre Rolle zum formalen Rechtssystem aus. Andererseits stehen sie manchmal im Widerspruch zum formalen pakistanischen Gesetz, was durchaus auch zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen führen kann (GIZ 9.2020).

Besonders in Punjab und Khyber Pakhtunkhwa ist es trotz gesetzlichen Verbots verbreitet, zur Beendigung von Blutfehden eine junge Frau (oft Mädchen unter 18 Jahren) als Blutzoll an eine verfeindete Familie zu übergeben. Jirgas sind in Pakistan generell auch außerhalb paschtunischer Gebiete nach wie vor weit verbreitet (neben den ehem. FATA auch in Belutschistan, im inneren Sindh, in ländlichen Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa sowie im südlichen Punjab). Diese wenden neben Stammes- auch Schariarecht an. Ähnliche Systeme existieren auch unter Hindus (Panchayat); daneben üben in Sindh und Punjab vereinzelt Grundbesitzer zum Teil richterliche Funktionen aus. Als weitere sind die Praktiken Diyat (Blutgeld) und Qisas (Vergeltung) zu nennen, die sich beide als Strafen für Delikte gegen die körperliche Integrität im Pakistan Penal Code (Act XLV of 1860) finden (ÖB 12.2020).

Sektion 302 des pakistanischen Strafgesetzbuchs (Pakistan Penal Code, PPC) sieht zwar hohe Haftstrafen für Verbrechen vor, die im Zusammenhang mit einer wahrgenommenen Verletzung der Familienehre begangen wurden. Allerdings enthält das Strafgesetz auch Erleichterungen. So können Erben/Nachkommen der Getöteten dem Täter verzeihen (Qisas, geregelt in Sektion 309 PPC) und/oder ein Blutgeld als Entschädigung akzeptieren (Diyat, geregelt in Sektion 310 PPC). Diese Rechtsprinzipien des islamischen Rechts ermöglichen es Nachkommen eines Verstorbenen, den Täter der Strafverfolgung zu entziehen. Da dieser in der Regel aus dem familiären Umfeld stammt, kann in der Mehrzahl der Fälle davon ausgegangen werden, dass der staatliche Strafanspruch nicht durchgesetzt wird (BAMF 5.2020).

Mit dem erklärten Ziel der Reduzierung von sog. Ehrenmorden verabschiedete das pakistanische Parlament am 6.10.2016 ein Änderungsgesetz zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozessordnung. Damit alleine ist jedoch keine grundlegende Verbesserung der Situation aufgrund des 2004 verabschiedeten Honour Killing Act eingetreten (AA 29.9.2020). Traditionelle Gesetze zur Entschädigung für körperlichen Schmerz oder Sachbeschädigung (Qisas und Diyat) erlauben weiterhin Vereinbarungen zwischen den beiden Parteien, die auf Vergebung, Entschädigung oder anderen Formen der Beilegung beruhen, die oft gegen die Interessen der Frauen wirken (DAFT 20.2.2019).

Der Supreme Court sprach sich bisher mehrmals gegen von Jirgas verhängte Strafen wie die Hergabe von Töchtern als Kompensation für begangenes Unrecht sowie gegen andere verfassungswidrige Praktiken der Stammesräte aus, was deren Fortbestand allerdings bisher nicht verhindern konnte (ÖB 12.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelev ante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020. pdf , Zugriff 10.3.2021

•        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2020): Länderreport 24 Pakistan Lage der Ahmadis und Schiiten sowie Ehrverbrechen im Kontext der islamisch geprägten Strafgesetzgebung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031016/laenderreport-24-pakistan.pdf , Zugriff 10.3.2021

•        DAFT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (20.2.2019): Country Information Report Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokumentensuche/?asalt=8b1bb51cc9&country%5B% 5D=pak&countryOperator=should&srcId%5B%5D=12005&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order=desc , Zugriff 10.3.2021

•        GIZ- Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020): Das Länderinformationsportal - Pakistan - Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/pakistan/geschichte-staat/ , Zugriff 10.3.2021

•        ÖB - Österreichische Botschaft Islamabad [Österreich] (12.2020): Asylländerbericht Pakistan, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2050270/PAKI_%C3%96B-Bericht_2020_12.pdf , Zugriff 4.5.2021

•        USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048102.html , Zugriff 19.4.2021

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 24.06.2021

Die Sicherheitsbehörden Pakistans bestehen aus der Polizei, die dem Innenministerium untersteht, Geheimdiensten (AA 29.9.2020), dem Heer sowie militärischen und paramilitärischen Hilfstruppen wie dem Frontier Corps (FC) und den Rangers, die dem Innenministerium unterstehen. FC sind in Khyber Pakhtunkwa und Belutschistan und die Rangers in Punjab und Sindh stationiert. Sie unterstützen die örtlichen Strafverfolgungsbehörden u.a. bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie bei der Grenzsicherung (EASO 10.2020). Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte v.a. in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa regelmäßig menschenrechtsrelevante Verletzungen. Ein

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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