Entscheidungsdatum
06.12.2021Norm
AVG §45 Abs2Spruch
W274 2243175-1/3E
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Lughofer als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. KommR Pollirer und Dr. Gogola als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , vertreten durch Mag. Philipp MILLER, Heinrichsgasse 4, 1010 Wien, gegen den Bescheid der Datenschutzbehörde, Barichgasse 40-42, 1030 Wien, vom 28.04.2021, GZ: D124.2423, Mitbeteiligte XXXX , in nichtöffentlicher Sitzung den
BESCHLUSS:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Datenschutzbehörde zurückverwiesen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
XXXX (im Folgenden: Mitbeteiligte, MB) wandte sich unter Verwendung eines Formulars der Datenschutzbehörde (im Folgenden: belangte Behörde) per E-Mail am 22.04.2020 an diese und erhob eine Beschwerde gegen XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgericht, BF). Sie führte sinngemäß aus, die BF sei selbstständig und betreibe in Facebook diverse Gruppen. Die MB sei selbst auch in einer dieser Gruppen, wo es darum gehe, mit Stress richtig umzugehen. Die MB habe sich mit der BF unterhalten und letztere habe den kompletten Chatverlauf dem Ex-Freund der MB weitergeschickt, der ihr dann Stress gemacht habe. Die BF betreue die Gruppe als Unternehmerin.
Angeschlossen ist laut den Angaben in der Beschwerde ein „Chatverlauf“ mit der BF sowie mit ihrem Ex-Freund XXXX .
Tatsächlich sind offenbar Screenshots des Mobiltelefons mit einem Nachrichtenverlauf zwischen der MB einerseits und der BF andererseits angeschlossen und am letzten Blatt eine Nachricht mit einem Versender „ XXXX “.
Nach Urgenz äußerte sich die BF anwaltlich vertreten am 27.10.2020 dahingehend, sie habe niemandem einen Chatverlauf weitergeleitet. In der Beschwerde werde der Begriff „Gruppe“ verwendet, vorgelegt werde aber ein privater Chatverlauf. Dieses Vorbringen sei nicht nachvollziehbar. Die MB verletze selbst die Vertraulichkeit der vorgelegten Kommunikation, indem sie seitenlange private Chatverläufe der belangten Behörde übermittle, aus dem nichts für die Behörde Relevantes ersichtlich sei. Die BF sei nicht selbstständig mit Facebook tätig. Ihre Internetaktivitäten seien privat und fielen aufgrund der mangelnden Öffentlichkeitswirksamkeit nicht unter die DSGVO.
Nach Übersendung dieser Äußerung zum Parteiengehör an die MB führte diese am 07.12.2020 per E-Mail aus, „natürlich habe die BF eine Gruppe“.
Sie legte dazu ein „Screnn von der Gruppe“ vor.
Die belangte Behörde vernahm am 18.02.2021 XXXX als Zeugen.
Zu diesem Protokoll äußerte sich die MB per E-Mail am 17.03.2021 dahingehend, dass der Zeuge XXXX nicht die Wahrheit sage. Die Wahrheit werde hier mit Absicht verdreht.
Mit dem bekämpften Bescheid gab die belangte Behörde der Beschwerde statt und stellte fest, die BF habe die MB dadurch im Recht auf Geheimhaltung verletzt, indem sie deren Daten an einen Dritten unrechtmäßig offengelegt habe.
Die belangte Behörde traf folgende Sachverhaltsfeststellungen (die Parteienbezeichnungen wurden angepasst):
„Die BF hat auf Facebook die Gruppe „ XXXX “ gegründet. Die MB ist zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt Mitglied dieser Gruppe geworden und hat mit der BF einen Chat begonnen. Die BF hat zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt einen zwischen ihr und der MB stattgefundenen Chatverlauf an XXXX übermittelt.“
Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dem Vorbringen der BF, dass ihre Internetaktivitäten aufgrund der mangelnden Öffentlichkeitswirksamkeit nicht unter die DSGVO fielen, komme keine Berechtigung zu, schließlich gewähre § 1 Abs. 1 DSG einen umfassenden Geheimhaltungsanspruch personenbezogener Daten, unabhängig von den technisch-organisatorischen Bedingungen ihrer Verarbeitung. Wie festgestellt, habe die BF einen zwischen ihr und der MB stattgefundenen Chatverlauf an XXXX übermittelt. Da die verfahrensgegenständliche Verarbeitung ohne das Vorliegen eines tragenden Eingriffstatbestands im Sinne des § 1 Abs. 2 DSG erfolgt sei, sei der Beschwerde stattzugeben und die Verletzung des Geheimhaltungsrechts der MB auszusprechen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der BF wegen „Unzuständigkeit der belangten Behörde, Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, inhaltlicher Rechtswidrigkeit, Rechtswidrigkeit aufgrund der Verletzung von Verfahrensvorschriften, Feststellungsmängeln, unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger Tatsachenfeststellung“ mit dem primären Antrag, den Bescheid aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass ausgesprochen werde, dass die BF die Rechte der MB nicht verletzt habe. Beantragt wird weiters die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem elektronischen Akt dem BVwG einlangend am 8.6.2021 unter Verweis auf den Bescheid mit dem Antrag vor, die Beschwerde abzuweisen.
Der Beschwerde kommt im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages Berechtigung zu:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde durch Erkenntnis zu erledigen, sofern sie nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß Abs. 2 hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Das Verwaltungsgericht hat gemäß Abs. 3 in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Nach der Rechtsprechung kann von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden, beispielsweise wenn die belangte Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat bzw. wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das VwG vorgenommen werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren² (2018), § 28 VwGVG Anmerkung 13 mwN).
Gemäß § 39 Abs. 2 AVG hat die Behörde, soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten, von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der in diesem Teil enthaltenen Vorschriften den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen. Sie kann insbesondere von Amts wegen oder auf Antrag eine mündliche Verhandlung durchführen. Die Behörde hat sich bei all diesen Verfahrensanordnungen von Rücksichten auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen.
Die Behörde hat gemäß dem Grundsatz der arbiträren Ordnung zu bestimmen, welche Tatsachen zu beweisen sind (Beweisthema), sie hat die aufzunehmenden Beweise und deren Reihenfolge festzulegen und dabei alle ihr sich bietenden Erkenntnisquellen sorgfältig auszuschöpfen und alle Umstände zu erheben, die sich nach der Sachlage anbieten oder sachdienlich erweisen könnten. Sie ist aber nicht verpflichtet, von Amts wegen Ermittlungen anzustellen, die aller Voraussicht nach überflüssig sind (Hengstschläger/Leeb, AVG § 39, Rz 20, (Stand 01.07.2005, rdb.at).
Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.
Gemäß Abs. 3 ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.
Gemäß § 46 kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Fragestellung des maßgebenden Sachverhalts geeignet und nach Lage des einzelnen Falls zweckdienlich ist.
Gemäß § 48 und 51 AVG können sowohl Zeugen als auch Beteiligte vernommen werden, wobei die §§ 48 und 49 auch auf die Vernehmung von Beteiligten zum Zweck der Beweisführung anzuwenden sind.
Die Behörde ist verpflichtet, von Amts wegen ein Beweisverfahren gemäß §§ 45ff AVG durchzuführen, um den vollständigen, rechtlich relevanten (maßgeblichen) und wahren Sachverhalt festzustellen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45, Rz. 1 mwN). Dies ist der Ausfluss der Offizialmaxime sowie des Grundsatzes der materiellen Wahrheit.
Die BF führt in ihrer Beschwerde zusammengefasst aus, der Zeuge sei zunächst nicht mit der von der Behörde offenbar angenommenen Unglaubwürdigkeit seiner Aussage konfrontiert worden, wonach er sich „verschrieben“ gehabt hätte. Im Übrigen sei die Beweiswürdigung diesbezüglich unschlüssig, weil jegliche Begründung fehle, weshalb der Zeuge „wenig glaubwürdig“ gewesen sei. Der Zeuge sei auch nicht gefragt worden, was der vorgehaltene Satz im Kontext überhaupt bedeuten könne. Es fehle jegliche Ausführung dazu, wie und warum die „vorgelegte Nachricht“ des Zeugen in Beziehung zu einem Chatverlauf stehen solle.
Das Vorbringen der BF, dass diese niemandem einen Chatverlauf weitergeleitet und die MB hierfür auch keinen Beleg vorgelegt habe, sei von der belangten Behörde stillschweigend übergangen worden. Zu Unrecht sei die MB nicht zeugenschaftlich befragt worden. Die belangte Behörde habe sich auch nicht mit dem Vorbringen befasst, dass in der Beschwerde der Begriff „Gruppe“ verwendet werde, aber ein privater Chatverlauf vorgelegt werde. Übrigens sei gar nicht festgestellt worden, ob überhaupt eine Weitergabe personenbezogener Daten erfolgt sei. In diesem Zusammenhang hätte sich die belangte Behörde auch mit der Frage beschäftigen müssen, ob es sich nicht um ohnehin schon bekannte Daten handle, da anscheinend der Zeuge der Ex-Freund der MB und im vorgelegten „Verlauf“ nur die Rede von Alltäglichem sei. Dislozierte Feststellungen der belangten Behörde deuteten darauf hin, dass ein zwischen der BF und der MB stattgefundener Chatverlauf an XXXX übermittelt worden sei, nicht aber, welche Daten dieser beinhaltet habe und ob § 1 DSG auf diese Daten anwendbar sei.
Im Übrigen könne die angebliche Rechtsverletzung auch vor dem Zeitpunkt der Errichtung der belangten Behörde liegen, sodass die Zuständigkeit der damaligen Datenschutzkommission bestehe und die belangte Behörde unzuständig sei. Ein Verfahrensfehler liege auch darin, dass die BF nicht einvernommen worden sei. Die belangte Behörde habe auch nicht festgestellt, wie die angebliche Weiterleitung geschehen sein soll. Weiters halte der Bescheid in der Wiedergabe des Vorbringens fest, dass „WhatsApp-Nachrichten“ vorgelegt worden seien, an anderer Stelle sei von „Facebook“ die Rede, dann wieder von „Gruppen“. Die Beziehung und Bedeutung von „WhatsApp“, „Facebook“ und „Gruppen“ sowie „Chat“ sei völlig offen. Die MB habe mit ihrem E-Mail vom 22.04.2020 Screenshots übermittelt, die chronologisch sein sollten. Seite 11 und Seite 12 sei eine Chronologie, aber nicht nachvollziehbar, der Verlauf ergäbe somit keinen Sinn. So stehe auf Seite 12: „Danke, dass du es XXXX weitergeschickt hast“. Warum man dieser Stelle, dieser Mitteilung folge, sei nicht nachvollziehbar. Nach Seite 15 der von der MB vorgelegten Unterlagen folge ein Screenshot mit dem Titel „ XXXX “. Aus diesem könne nicht abgeleitet werden, wer mit wem eine Unterhaltung geführt hätte, geschweige denn wann.
Aus Anlaß der Beschwerde ist zunächst auszuführen:
Die belangte Behörde stellte den oben wiedergegebenen sehr kurzen Sachverhalt fest. Im Wesentlichen geht sie dabei davon aus, die MB sei Mitglied einer „Facebook Gruppe“ geworden. Weiters habe sie einen „Chat“ mit der BF geführt, wobei diese den „Chatverlauf“ an einen namentlich genannten Dritten übermittelt habe.
Rechtlich verneinte die belangte Behörde das Vorliegen eines Erlaubnistatbestandes, insbesondere auch, ohne sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine „Haushaltsausnahme“ iSd Art 2 Abs 2 lit c DSGVO vorliegen könnte. In diesem Zusammenhang bleibt auch offen, ob die von der Behörde angenommene Mitgliedschaft in einer „Gruppe“ im Zusammenhang mit dem Chat bzw dessen Weiterleitung steht.
In diesem Zusammenhang bekämpft die BF ua die Feststellung, der Chatverlauf sei an diesen Dritten weitergeleitet worden und moniert diesbezüglich die Unterlassung der Befragung der BF und der MB.
Die Beweiswürdigung, die der Feststellung, dass „ein Chatverlauf“ übermittelt worden sein soll, zugrunde liegt, genügt den sich aus § 45 Abs 2 AVG ergebenden Kriterien nicht annähernd:
Die belangte Behörde bezieht sich dabei auf einen Teil eines von der MB vorgelegten Screenshots, ausgegangen von „ XXXX “, der im Original lautet: „Und ned dich schreibt wen an sondern Du! XXXX hats mir weitergeschickt!!“ Die belangte Behörde befragte XXXX hiezu zwar als Zeugen, begnügte sich zur entscheidenden Frage (Seite 3 des Protokolls) allerdings mit einer offenbar unverbesserten, kaum aussagereichen Protokollierung:
„Ich habe mich verschrieben, ich habe nicht weitergeschrieben gemeint, sondern weitergesagt. Frau „ XXXX “ hat bei mir nachgefragt, ob es sich bei dieser XXXX um meine Ex-Freundin handelt (Frau XXXX und XXXX sind offenbar die gleiche Person, nämlich die MB XXXX , Anmerkung des Gerichts). Ich weiß nicht mehr ob es sich um ein Telefonat oder um eine Chatnachricht gehandelt hat.“
Die belangte Behörde ließ die widersprüchlichen Aussagen, der Zeuge habe sich einerseits verschrieben, er habe etwas nicht „weitergeschrieben“, sondern „weitergesagt“, andererseits wisse er nicht mehr, ob es sich um ein Telefonat oder um eine Chat-Nachricht gehandelt habe, unhinterfragt. Sie unterließ auch jegliche Befragung im Bezug darauf, wann dem Zeugen etwas weitergeleitet worden sein soll. Ganz generell und insbesondere im Hinblick auf die Unklarheit der Aussagen des Zeugen ergibt sich auch das Erfordernis einer diesbezüglichen Konfrontation der BF mit der Aussage des Zeugen „ XXXX hats mir weitergeschickt“.
Da unstrittig zwischen der BF und der MB ein Chatverlauf stattfand, könnte nur dessen „Weiterleitung“ allenfalls von datenschutzrechtlicher Relevanz sein.
Im Falle der Feststellung einer solchen Weiterleitung wäre aber jedenfalls auch die Feststellung, welchen Inhalt der dem Zeugen übermittelte Chatverlauf gehabt haben soll, erforderlich. Da eine Beschwerde wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung gegenständlich ist, ist jedenfalls wesentlich, welche Inhalte allenfalls unrechtmäßig einem Dritten übermittelt worden sein sollen. Im Spruch ist gar nur von „Daten der Beschwerdeführerin“, die einem Dritten unrechtmäßig offengelegt worden seien sollen, die Rede. Aus der Beweiswürdigung ergibt sich zwar, dass die belangte Behörde offenbar unterstellt, die vorgelegten Nachrichten entsprächen jenem Chatverlauf, der an XXXX übermittelt wurde. Tatsächlich bedarf es diesbezüglich aber ausdrücklicher Feststellungen auf Basis einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung.
Im Falle begründeter Feststellung der Weiterleitung des Chatverlaufes bzw allfälliger Teile hievon, sollte man diesem den Charakter der Verarbeitung personenbezognener Daten der MB zumessen, wäre schließlich zu prüfen, ob Art 2 Abs 2 lit c DSGVO, die Haushaltsausnahme, zur Anwendung gelangt:
Gemäß dieser Bestimmung findet die DSGVO keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten, sogenannte household exemption bzw. Haushaltsausnahme.
Umfasst werden davon lediglich Tätigkeiten, die ausschließlich zum Privat- oder Familienleben von Einzelpersonen gehören (Bergauer in Jahnel, Kommentar zur Datenschutzgrundverordnung Art. 2 Rz. 21).
Solche Tätigkeiten liegen dann vor, wenn sie ohne Bezug zu einer beruflichen oder wirtschaftlichen Tätigkeit vorgenommen werden, selbst wenn sie Daten anderer Personen betreffen oder betreffen können. Zum Beispiel werden unter anderem die Nutzung sozialer Netze und Onlinetätigkeiten im Rahmen solcher Tätigkeiten genannt (wie oben, Rz 22).
Dass generell die private Nutzung sozialer Netze vom Anwendungsbereich ausgenommen seien soll, überzeugt nicht und ist überschießend. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die household exemption dann nicht zur Anwendung gelangt, wenn personenbezogene Daten im Internet veröffentlicht werden, sodass diese Daten einer unbegrenzten Zahl von Personen zugänglich gemacht werden. Wie bereits vom OGH festgestellt, ist die Ausnahmenorm des Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO grundsätzlich restriktiv auszulegen. Eine persönliche oder familiäre Tätigkeit ist öffentlichkeitsfeindlich, weshalb etwa das online stellen von eigentlich privaten Familienstammbäumen oder von personenbezogenen Informationen über andere Personen, seien sie verwandt oder befreundet, von der Ausnahme nicht erfasst ist (wie oben, Rz 26).
Die ausschließlich private Nutzung von Messengerdiensten wie WhatsApp oder Skype wird daher vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommen sein, sofern damit keine Veröffentlichung von personenbezogenen Daten betroffener Personen verbunden ist. Ein privates Posting auf der Facebook Pinnwand oder über Twitter, das uneingeschränkt im Internet abrufbar ist und personenbezogene Daten Dritter enthält, unterliegt der DSGVO (wie oben, RZ 27).
Eine Verarbeitung personenbezogener Daten fällt nach dem EuGH nur dann unter die Ausnahme, wenn sie in der ausschließlich persönlichen oder familiären Sphäre desjenigen vorgenommen wird, der die Daten verarbeitet. Der Informationsaustausch innerhalb einer Organisation (Verein, Gemeinde, Interessengruppe) ist nicht rein persönlich. Wenn die Privatsphäre verlassen wird, ob zu einer kommerziellen oder nichtkommerziellen Tätigkeit, gilt das Gesetz (OGH 20.12.20018 6 Ob 131/18k).
Beispiele für den privaten Bereich sind Freizeit, Urlaub, privater Konsum, Sport oder Unterhaltung. Schlüsselkriterium ist die Zurechenbarkeit zum privaten Bereich. Die Nutzung sozialer Netze und Online-Tätigkeit fällt nur darunter, wenn diese auf einen bestimmten Benutzerkreis eingeschränkt wird. Werden auf einer privaten Facebook-Seite einer überschaubaren Anzahl von Freunden Fotos und Videos zugänglich gemacht, greift das Haushaltsprivileg (Heißl in Knyrim, DatKomm Art 2 DSGVO Rz 63, 67, 68, 70, 71 - Stand 1.12.2018 - rdb.at).
Umstritten ist die Anwendbarkeit der Haushaltsausnahme im Bereich des DSG:
Nach Thiele/Wagner erkläre § 4 Abs. 1 DSG neben dem DSG auch die DSGVO in Bausch und Bogen für anwendbar, ohne auf die Ausnahmetatbestände in Art. 2 Abs. 2, 3 und 4 DSGVO Bezug zu nehmen. Grundsätzlich gelte somit die DSGVO in der österreichischen Rechtsordnung für jene in Art. 2 Abs. 2, 3 und 4 genannten Anwendungsbereiche nicht. Aus Ermangelung eines entsprechenden Ausnahmekatalogs für das DSG sei dieses gemäß § 4 für diese Bereiche jedoch sehr wohl anwendbar. Nach einem Teil der Lehre sei die Haushaltsausnahme nicht auf das DSG übertragbar, weshalb dieses weiterhin anwendbar bleibt (Thiele/Wagner, Praxiskommentar zum Datenschutzgesetz § 4 Rz 63 und 64).
Demgegenüber gehen ein anderer Teil der Lehre, die Gesetzesmaterialien und die belangte Behörde, soweit ersichtlich, in ständiger Rechtsprechung von einer grundsätzlichen Anwendbarkeit der Haushaltsausnahme auch im Anwendungsbereich des DSG aus:
In den Gesetzesmaterialien zu § 4 Abs. 1 DSG ist festgehalten, dass Verarbeitungen, die aufgrund von Art. 2 Abs. 2 lit. c vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgenommen sind, auch vom DSG nicht erfasst sein sollten (vergleiche AB 1761 BlgNr XXV, GP 4 und 8, Rz 29).
Zu GZ 2021-0.285.169 vom 3.5.2021 kommt die belangte Behörde zB zum Ergebnis, soweit ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich von Art 8 EU-GRC falle, hätten allfällige verfassungsgesetzliche Bestimmungen, die dieselbe Garantie böten, „ruhend in Kraft“ zu bleiben und die Beurteilung richte sich ausschließlich nach der unionsrechtlichen Bestimmung. Bei dem dort zu beurteilenden Sachverhalt der Weitergabe sensibler Gesundheitsdaten mittels WhatsApp an eine dritte Person könne nicht gesagt werden, dass der Schutzbereich von § 1 DSG über jenen von Art 8 EU-GRC hinausgehe, sodass § 1 DSG gar nicht zur Anwendung gelange. Selbst wenn man einen Anwendungsbereich des § 1 DSG erblicken würde, käme der (dortigen) Beschwerde kein Erfolg zu. Aus den (dort weiter aufgezeigten) Umständen lasse sich schließen, dass der österreichische Gesetzgeber den Schutzumfang des DSG nicht auf Sachverhalte ausdehnen wollte, die den ausschließlich persönlichen oder familiären Bereich betreffen.
Eine ähnliche rechtliche Beurteilung geht aus dem Bescheid GZ 2020-0.204.246 vom 10.8.2020 hervor, wo die Haushaltsausnahme als unanwendbar erachtet wurde, weil Tonbandaufnahmen ausschließlich für die potentielle Verwendung im Scheidungsverfahren angefertigt wurden, sodass keine ausschließliche Zurechenbarkeit zum privaten Bereich vorliege. Die DSB stützte zwar die Geheimhaltungsverletzung auf § 1 DSG, setzte sich aber in der weiteren Begründung lediglich mit der DSGVO und der Unanwendbarkeit der Haushaltsausnahme auseinander.
Im weiteren Verfahren bzw einem neuerlich zu erlassenden Bescheid wird sich die belangte Behörde aufgrund der zu ergänzenden Sachverhaltsfeststellungen (siehe dazu oben) mit diesen rechtlichen Umständen zu befassen haben und den Aspekt des persönlichen bzw privaten Bereichs (soweit die zu ergänzenden Feststellungen darauf hindeuten) in ihre rechtlichen Überlegungen miteinzubeziehen haben, zumal offenbar allenfalls Daten lediglich einer dritten Person zugänglich gemacht wurden. Inwiefern der Umstand, dass die BF allenfalls „Facebook Gruppen“ betreibt bzw „als Unternehmerin“ betreibt, Bedeutung für die hier zu lösende Frage nach der datenschutzrechtlichen Relevanz einer Weiterleitung eines Chatverlaufes an eine dritte Person, die nach den bisherigen Feststellungen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit einer Facebook Gruppe der BF bzw allfälliger unternehmerischer Tätigkeit der BF steht, haben sollte, erschließt sich nach dem zu Grunde liegenden Bescheid nicht und wird auf Sachverhaltsebene rechtlich zu klären sein.
Die BF zeigt im Ergebnis jedenfalls auf, dass die belangte Behörde wesentliche Ermittlungsschritte unterlassen hat und nur sehr unzureichende Feststellungen im Hinblick auf die vorzunehmende rechtliche Beurteilung getroffen hat:
Selbst im Falle einer Verneinung der Anwendbarkeit des Haushaltsprivileges bedürfte es zur Feststellung einer Verletzung des Rechts auf Geheimhaltung unter Zugrundelegung des § 1 Abs. 1 DSG, wonach ein Anspruch auf Geheimhaltung personenbezogener Daten nur besteht, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht, jedenfalls der Feststellung, welche konkreten Daten offengelegt wurden, fallbezogen, welcher Inhalt einer allfälligen Kommunikation via Internet-Dienst offengelegt wurde.
Überdies bedarf es gegebenenfalls Feststellungen dazu, wann der Chatverlauf und die Übermittlung von dessen Inhalten stattgefunden hat.
Zwar setzte die belangte Behörde mit der Vernehmung des Zeugen XXXX einen Ermittlungsschritt. Aufgrund der – wie oben dargestellt - unvollständigen Befragung sowie der unterlassenen Befragung der BF erweist sich dieser aber als unzureichend bzw. untauglich.
Überdies sind, wie oben dargelegt, die Feststellungen derartig unzureichend, darüber hinaus der Spruch im wesentlichen Punkt der Datenoffenlegung völlig unbestimmt, sodass eine Zurückverweisung zur Ergänzung der Ermittlungen und neuerlichen Entscheidung unter Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts selbst im Hinblick auf Verfahrensökonomie und Kostenersparnis zweckmäßig ist.
Ausgehend von einem zu ergänzenden Ermittlungsverfahren wird die belangte Behörde den sodann zu erlassenden Bescheid auf eine tragfähige Beweiswürdigung unter Einbeziehung der gewonnenen Beweisergebnisse zu stützen haben.
Die Unterlassung dieser zumindest erforderlichen Ermittlungsschritte begründet krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung zu § 28 Abs 3 VwGVG.
Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision beruht auf dem Umstand, dass ausgehend von § 28 VwGVG Einzelfallfragen des erforderlichen Ausmaßes der Ermittlungsschritte sowie der getroffenen Feststellungen keine Revisibilität begründen.
Schlagworte
Ausnahmebestimmung Beweiswürdigung Datenschutz Datenweitergabe Ermittlungspflicht Facebook Geheimhaltung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung personenbezogene Daten PrivatlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W274.2243175.1.00Im RIS seit
07.01.2022Zuletzt aktualisiert am
07.01.2022