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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ABGB §1332Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tscheließnig, über 1. den Antrag des S S in W, vertreten durch die Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Parkring 2, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Februar 2020, Zl. W224 2224465-1/4E, betreffend Studienbeihilfe, sowie 2. die außerordentliche Revision gegen das genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Februar 2020 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Senat der Studienbeihilfenbehörde an der Stipendienstelle Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Februar 2020 wurde die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den in einer Angelegenheit nach dem Studienförderungsgesetz 1992 ergangenen Bescheid des Senats der Studienbeihilfenbehörde an der Stipendienstelle Wien vom 13. August 2019 als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2 Dieses Erkenntnis wurde dem Revisionswerbers am 24. Februar 2020 zugestellt.
3 Mit am 19. Mai 2020 beim Bundesverwaltungsgericht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingelangtem Schriftsatz erhob der Revisionswerber dagegen eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
4 In der Revision wird zu deren Rechtzeitigkeit Folgendes ausgeführt:
„Nach § 1 Abs 1 COVID-19-VwBG werden in anhängigen behördlichen Verfahren der Verwaltungsbehörden, auf die die Verwaltungsverfahrensgesetze (AVG, VStG, VVG) anzuwenden sind, alle Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten des COVID-19-VwBG fällt, sowie Fristen, die bis zum Inkrafttreten des COVID-19-VwBG noch nicht abgelaufen sind, bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen. Sie beginnen neu zu laufen. Bei der Berechnung einer Frist nach § 32 Abs. 1 AVG gilt der 1. Mai 2020 als Tag, in den der Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, wonach sich der Anfang der Frist richten soll. Hinsichtlich § 32 Abs 2 AVG gilt der 1. Mai 2020 als Tag, an dem die Frist begonnen hat.
(...) Nach § 6 Abs 2 COVID-19-VwBG sind auf das Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes (...) die §§ 1 bis 3 und 5 COVID-19-VwBG sinngemäß anzuwenden.
(...) Das COVID-19-VwBG wurde am 21.03.2020 kundgemacht und trat am 22.03.2020 in Kraft. Das angefochtene Erkenntnis wurde am 24.02.2020 zugestellt, die sechswöchige Revisionsfrist war somit bis zum Inkrafttreten des COVID-19-VwBG noch nicht abgelaufen. Die Revisionsfrist war daher gemäß § 6 Abs 2 iVm § 1 Abs 1 COVID-19-VwBG bis 30.04.2020 unterbrochen und begann am 01.05.2020 neu zu laufen. Die vorliegende, am 19.05.2020 eingebrachte Revision ist daher rechtzeitig.“
5 Unter Hinweis darauf, dass die Revision nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.3.2021, Ra 2020/11/0098) verspätet erscheine, wurde dem Revisionswerber die Möglichkeit eingeräumt, dazu Stellung zu nehmen.
6 Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2021 nahm der Revisionswerber zum Verspätungsvorhalt Stellung und stellte gleichzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Revision.
7 In der Stellungnahme wird geltend gemacht, der Verwaltungsgerichtshof habe die Rechtsansicht des Revisionswerbers bereits in zwei Entscheidungen „ausdrücklich bestätigt“ (Verweis auf VwGH 16.7.2020, Ra 2020/18/0212; 26.11.2020, Ra 2020/18/0099). Es liege somit eine offenkundige und präjudizielle Judikaturdivergenz iSd § 13 Abs. 1 Z 2 VwGG vor, sodass die Anregung ergehe, der Verwaltungsgerichtshof möge in einem nach § 13 Abs. 1 VwGG gebildeten Senat entscheiden.
8 Der Wiedereinsetzungsantrag wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Antragsteller bzw. seinem Rechtsvertreter während der Erstellung der Revision nicht erkennbar gewesen sei, dass die Revisionsfrist zu den „bestimmten Fristen“ gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 COVID-19-VwBG zähle. Der Rechtsvertreter und der beigezogene Rechtsanwaltsanwärter seien damals nach Auseinandersetzung mit dem COVID-19-VwBG und den bezughabenden Gesetzesmaterialien unabhängig voneinander zum Schluss gekommen, dass auf Revisionen § 1 (iVm § 6) COVID-19-VwBG zur Anwendung gelange, weil in § 1 leg. cit. von fristauslösendem Ereignis und nicht abgelaufenen Fristen die Rede gewesen sei. Aufgrund des Klammerverweises auf § 13 Abs. 8 AVG sei nicht erkennbar gewesen, dass es sich bei Revisionen um verfahrenseinleitende Anträge iSd § 2 Abs. 1 Z 1 COVID-19-VwBG handle, wobei sich auch aus den Materialien nichts Gegenteiliges ergeben habe. Literatur oder Judikatur habe es damals zu dieser Rechtsfrage nicht gegeben. Der Antragsteller bzw. sein Rechtsvertreter seien einem Rechtsirrtum unterlegen, da sie von einer Anwendbarkeit von § 6 Abs. 2 iVm § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG ausgegangen seien.
9 Es liege nur ein minderer Grad des Versehens vor: Der Rechtsvertreter und der beigezogene Rechtsanwaltsanwärter hätten zunächst unabhängig voneinander den Fristenlauf geprüft und seien übereinstimmend zum Ergebnis gelangt, dass die Revisionsfrist im vorliegenden Fall nach Ablauf des 30. April 2020 neu zu laufen begonnen habe. Aufgrund des Klammerverweises auf § 13 Abs. 8 AVG sei nicht erkennbar gewesen, dass es sich bei Revisionen um verfahrenseinleitende Anträge iSd § 2 Abs. 1 Z 1 COVID-19-VwBG handle, wobei sich auch aus den Materialien nichts Gegenteiliges ergeben habe. Auch die dezidiert andere Formulierung in § 2 COVID-19-Justiz-Begleitgesetz habe nahegelegt, dass der Gesetzgeber, wenn er bloße Fristhemmungen normieren wolle, dies anders zum Ausdruck bringe. Entsprechend dieser umfassenden Prüfung der Rechtslage sei die Frist auch im zentralen Fristenbuch der Kanzlei erfasst worden. Dieses Ergebnis sei dem Vertreter damals zutreffend erschienen. Im Zeitpunkt der Einbringung der Revision sei naturgemäß noch keine Rechtsprechung oder Literatur zur während der Revisionsfrist erst in Kraft getretenen neuen Rechtslage vorgelegen. Eine solche Rechtsprechung sei erst rund ein Jahr später mit dem Beschluss vom 17. März 2021, Ra 2020/11/0098, vorgelegen. Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits ausgesprochen, dass hinsichtlich der Vertretbarkeit der der Verfahrenshandlung zu Grunde gelegten Rechtsauffassung das Vorliegen einer gefestigten Rechtsprechung für die Einzelfallbeurteilung von Bedeutung sei (Verweis auf VwGH 21.9.2000, 2000/20/0167). Es liege aufgrund der Jahrhundertpandemie ein Ausnahmefall und keine gefestigte Rechtsprechung vor. Die vom Rechtsvertreter vertretene Auffassung sei auch von vielen Verwaltungsgerichten geteilt und von namhaften Kollegen vertreten worden. Auch die Einleitung des Vorverfahrens deute darauf hin, dass es beim Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken hinsichtlich der Rechtzeitigkeit gegeben habe. Auch die belangte Behörde habe diese in ihrer Revisionsbeantwortung nicht releviert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diesen Antrag sowie über die Rechtzeitigkeit der vorliegenden außerordentlichen Revision erwogen:
10 Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:
11 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zu Wiedereinsetzungsanträgen, die auf einen Rechtsirrtum des beruflichen Parteienvertreters hinsichtlich der Frage gestützt wurden, ob die Frist zur Einbringung einer Revision im Sinn des § 1 Abs. 1 COVID-19-VwBG „unterbrochen“ oder im Sinn des § 2 Abs. 1 leg. cit. „gehemmt“ wurde, bereits wiederholt ausgesprochen, dass der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Revisionserhebung noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vorgelegen sei, für sich noch nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens schließen lasse. Vielmehr hätte der Parteienvertreter, der sich in den für die Antragsteller verfassten Schriftsätzen zur Frage der Rechtzeitigkeit ohne nähere Begründung lediglich auf § 1 COVID-19-VwBG gestützt habe, § 2 Abs. 1 leg. cit. nicht außer Acht lassen dürfen (VwGH 1.6.2021, Ra 2020/05/0149 bis 0150; 14.6.2021, Ra 2020/07/0062; 25.8.2021, Ro 2020/05/0024, 0025). Der Revisionsfall gleicht nun im Hinblick auf das im Wiedereinsetzungsantrag erstattete - auch weitere - Vorbringen in den entscheidungswesentlichen Punkten diesen hg. Beschlüssen vom 1. Juni 2021, 14. Juni 2021 und 25. August 2021. Es wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz und Abs. 9 VwGG auf deren Begründungen verwiesen.
13 Da aus den dort dargestellten Gründen daher das dem Antragsteller zuzurechnende Verschulden seines Rechtsvertreters den minderen Grad des Versehens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
14 Zur Rechtzeitigkeit der Revision:
15 Nach der mit dem Beschluss vom 17. März 2021, Ra 2020/11/0098, beginnenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes ist die Revisionsfrist als Frist für einen verfahrenseinleitenden Antrag im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG anzusehen und nach dieser Bestimmung daher für die dort genannte Dauer nur gehemmt worden (vgl. aus der nachfolgenden Rechtsprechung VwGH 20.4.2021, Ra 2020/07/0062; 1.6.2021, Ra 2020/05/0149 bis 0150; 10.6.2021, Ra 2020/06/0135; 17.6.2021, Ra 2020/06/0137 bis 0138: 29.6.2021, Ra 2020/10/0084; 16.8.2021, Ra 2020/06/0133; 15.9.2021, Ra 2020/11/0084; 28.9.2021, Ra 2020/05/0132; 14.10.2021, Ra 2019/19/0548).
16 Entgegen der Ansicht des Revisionswebers bedarf es im Revisionsfall schon deshalb keines Vorgehens nach § 13 Abs. 1 VwGG, weil jener Senat, auf dessen Beschlüsse sich der Revisionswerber insofern beruft (VwGH 16.7.2020, Ra 2020/18/0212; 26.11.2020, Ra 2020/18/0099), sich mittlerweile im Beschluss vom 21. Juli 2021, Ra 2020/18/0227, ausdrücklich der oben genannten Rechtsprechung angeschlossen hat (vgl. zu einem derartigen Vorgehen VwGH 24.11.2010, 2009/08/0039, VwSlg. 17.993 A).
17 Im gegenständlichen Fall hat daher die Revisionsfrist am 24. Februar 2020 zu laufen begonnen und war für die Zeit vom 22. März 2020 bis 30. April 2020 gehemmt (vgl. § 2 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 2 COVID-19-VwBG).
18 Ausgehend vom Beginn der Revisionsfrist am Montag, dem 24. Februar 2020, hätte die sechswöchige Frist des § 26 Abs. 1 VwGG mit Ablauf des Montags, des 6. April 2020, geendet (§ 32 Abs. 2 AVG). Unter Hinzurechnung der 40-tägigen Fristhemmung vom 22. März 2020 bis 30. April 2020 hat die Revisionsfrist im vorliegenden Fall erst mit Ablauf des 18. Mai 2020 (unter Berücksichtigung der Ablaufshemmung nach § 33 Abs. 2 AVG aufgrund des vorangehenden Wochenendes) geendet.
19 Die am 19. Mai 2020 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachte Revision erweist sich daher als verspätet und war somit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
20 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 15. Dezember 2021
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020100063.L00Im RIS seit
07.01.2022Zuletzt aktualisiert am
10.01.2022