Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. O*****, vertreten durch Dr. Ragossnig & Partner Rechtsanwalts GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juli 2021, GZ 12 Ra 55/21a-24, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1 Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden. Ob eine Klage schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, kann daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO sein (RIS-Justiz RS0037780).
[2] 1.2 Die Vorinstanzen kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass sich das Sachbegehren des Klägers, und zwar die Rechtsunwirksamerklärung der Kündigung vom 21. 9. 2020, aus den vorgetragenen Tatsachen nicht rechtlich ableiten lässt (vgl RS0037516), weil er kein verpöntes Kündigungsmotiv im Sinn des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG zur Darstellung bringt. An dieser Beurteilung weckt der Kläger mit seiner außerordentlichen Revision keine Bedenken:
[3] Beim Kündigungsanfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geht es darum, dass der Arbeitgeber nach Meinung des Arbeitnehmers bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der Arbeitnehmer diese nicht erfüllten Ansprüche dem Arbeitgeber gegenüber geltend macht und dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen dieser Geltendmachung kündigt (RS0051666 [T4]). Von der Geltendmachung eines Anspruchs kann nur dann die Rede sein, wenn sich der Arbeitnehmer erkennbar auf eine Rechtsposition beruft (RS0051666 [T11]).
[4] Der Anfechtungsklage lag (vorerst nur) die Behauptung zugrunde, die Beklagte verfolge mit der Kündigung allein den Zweck, dem Kläger die Forschungsergebnisse zu entreißen, um sie selbst verwerten zu können.
[5] Der Ansicht der Vorinstanzen, diese Behauptung sei nicht schlüssig, weil der Kläger selbst unter einem vorgebracht hat, aus Angst vor Arbeitsplatzverlust diesbezüglich keine Ansprüche geltend gemacht zu haben, entgegnet der Revisionswerber unter Hinweis auf vorgelegte Urkunden bloß, dass „diese Feststellung nicht der Richtigkeit“ entspreche. Dabei verkennt er allerdings, dass ein Unschlüssigkeitsurteil nur die Schlüssigkeit der Klagsbehauptungen verneint und somit keiner Feststellungen bedarf (RS0037755 [T3]). Fehlendes Vorbringen kann nicht durch den Verweis auf Urkunden ersetzt werden (RS0037780 [T19]).
[6] Der Kläger hat zwar über Unschlüssigkeitseinwand der Beklagten erklärt, sich nicht auf § 879 ABGB, sondern „eindeutig“ auf § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG zu stützen. Er hat in erster Instanz aber nie vorgebracht, gegenüber der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung Ansprüche wegen seiner Forschungsarbeit geltend gemacht zu haben, obgleich ihn das Erstgericht ausdrücklich aufgefordert hat, bekanntzugeben, welcher Anspruch von der Beklagten konkret abgelehnt worden sei. Vielmehr hat er – außerhalb der Anfechtungsfrist – nur neues Vorbringen zu anderen Themen erstattet, auf die er in der Revision mit Ausnahme der Einstellung der Nierenbiopsiediagnostik durch die Beklagte inhaltlich aber nicht mehr zurückkommt (vgl RS0043338). Dass, wann und in welcher Form er gegenüber der Beklagten einen (vertraglichen) Anspruch auf Durchführung von Nierenbiopsien geltend gemacht habe und in Reaktion darauf gekündigt worden sei, hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren jedoch auch nie dargetan, was ihm bereits das Berufungsgericht entgegengehalten hat.
[7] Der Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass ein dem Arbeitgeber nicht bekannter Anspruch nicht Anlass für eine Kündigung wegen einer nicht offenbar unberechtigten Anspruchsgeltendmachung im Sinn des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG sein kann, vermag der Kläger daher nichts Stichhältiges entgegenzusetzen.
[8] 2. Der Kläger wendet sich zudem gegen die – im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung stehende – Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das Nachschieben von Anfechtungsgründen nach Ablauf der Anfechtungsfrist unzulässig und eine Klagsänderung durch Geltendmachung eines neuen Anfechtungsgrundes ausgeschlossen ist (RS0106300). Soweit es davon ausgeht, dass ein quantitatives Nachschießen bei qualitativ bereits geltend gemachten Kündigungsanfechtungsgründen möglich sein müsse, ist hier aber schon wegen Unschlüssigkeit der Klagsbehauptungen nicht weiter darauf einzugehen.
[9] 3. Wird die Klage aufgrund des Tatsachenvorbringens des Klägers in erster Instanz ohne Rechtsirrtum abgewiesen, kommt – wie das Berufungsgericht richtig bemerkt hat – das Vorliegen eines Stoffsammlungsmangels nicht in Betracht.
[10] 4. Da irrelevant ist, ob der Kläger ein so oder so gegen das Neuerungsverbot verstoßendes Vorbringen in der Berufungsschrift erstattet oder – wie die zweite Instanz meint – nicht erstattet hat, kommt der in dieser Einschätzung vermeintlich liegenden Aktenwidrigkeit jedenfalls keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu (vgl RS0043265).
Textnummer
E133418European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00064.21A.1022.000Im RIS seit
07.01.2022Zuletzt aktualisiert am
07.01.2022