Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 25.967,97 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2021, GZ 7 Ra 31/21m-52, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin war bei der Beklagten seit 1. 1. 1996 als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Vertragsbedienstetenverhältnis mit Schreiben vom 17. 8. 2016 zum 31. 1. 2017 unter Hinweis auf § 42 Abs 2 Z 6 Wr VBO 1995.
[2] Die Vorinstanzen wiesen das auf Zahlung der Abfertigung nach der Wr VBO 1995 gerichtete Klagebegehren im zweiten Rechtsgang übereinstimmend ab.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
[4] 1.1 Die Klägerin meint zwar, dass entgegen der Beurteilung der Vorinstanzen der Kündigungsgrund des § 42 Abs 2 Z 6 Wr VBO 1995 nicht erfüllt sei, bleibt aber eine Begründung hierfür schuldig (vgl RIS-Justiz RS0043605).
[5] Nach den Feststellungen wurde ihre Minderleistung in zahlreichen Dienstbeurteilungen seit dem Jahr 2014 regelmäßig, zuletzt am 20. 5. 2016 mit dem Gesamtleistungskalkül „minder entsprechend“, dokumentiert. Demnach kam es aufgrund ihrer schlechten Deutschkenntnisse und mangelnder Kommunikation immer wieder, insbesondere unter Zeitdruck und in stressigen Situationen, zu Missverständnissen, die häufig zu Beschwerden von Patienten und Heimbewohnern bzw deren Angehörigen sowie Konflikten im Team führten. Vor allem beklagten sich Mitarbeiter und Patienten über einen befehlenden und reschen Ton der Klägerin. Die Klägerin setzte sich wiederholt über Vereinbarungen und ärztliche Anordnungen hinweg. So unterließ sie es etwa anweisungswidrig, einen Patienten permanent an ein Beatmungsgerät angeschlossen zu lassen. Auch ihre Pflegedokumentationen erwiesen sich als mangelhaft. Zudem musste sie regelmäßig an diverse Hygienerichtlinien und Vorschriften erinnert werden, teilte Medikamente falsch aus und wandte Therapien, Geräte und Hilfsmaterialien, zB einen Ambubeutel, mit denen sie vertraut hätte sein müssen, falsch an. Die mangelhafte Erfüllung der vorgegebenen Aufgaben hatte zur Folge, dass die Klägerin laufend Kontrolle und Aufsicht bei der Ausübung ihrer Tätigkeit brauchte und nur in einem eingeschränkten Bereich eingesetzt werden konnte. Die teilweise über ihren eigenen Wunsch erfolgten Änderungen ihrer Dienstzuteilungen führten zu keiner anhaltenden Verbesserung.
[6] 1.2 Nach § 48 Abs 2 Z 5 Wr VBO 1995 gebührt dem Vertragsbediensteten keine Abfertigung, wenn ihn ein Verschulden an der Kündigung trifft.
[7] Die Vorinstanzen bejahten angesichts der festgestellten – über das erwartbare Maß hinausgehenden – Fehler und der besonderen Verantwortung einer diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegeperson ein Verschulden der Klägerin an der Kündigung, zumal auch Kommunikationsschwierigkeiten Pflichtwidrigkeiten wie etwa das Ignorieren ärztlicher Anweisungen nicht entschuldigten.
[8] Dieser Beurteilung setzt die Revisionswerberin wiederum nichts Stichhältiges entgegen (vgl RS0043605). Der Oberste Gerichtshof hat bereits festgehalten, dass die Pflichtwidrigkeit eines Verhaltens im Allgemeinen auch das Verschulden indiziert (9 ObA 264/00i).
[9] 2.1 Die Revisionsausführungen wenden sich inhaltlich nur mehr gegen die Annahme der Vorinstanzen, dass die Kündigung der Klägerin rechtzeitig erfolgte.
[10] Richtig ist, dass die Kündigung eines Vertragsbediensteten vom Arbeitgeber unverzüglich auszusprechen ist, nachdem ihm der Kündigungsgrund bekannt geworden ist (RS0028543 [T1]). Unbegründet langes Zuwarten mit dem Ausspruch der Kündigung führt zur Verwirkung des Kündigungsrechts (8 ObA 62/13w). Verzögerungen im Ausspruch der Kündigung von Vertragsbediensteten können aber insoweit anerkannt werden, als sie in der Sachlage, also in der Natur des Dienstverhältnisses oder sonst in den besonderen Umständen des Falls sachlich begründet sind (RS0029273 [T35]). Auch ist darauf Bedacht zu nehmen, dass bei juristischen Personen und insbesondere im öffentlichen Bereich die Willensbildung aufgrund der hierarchischen Strukturen umständlicher und langwieriger ist als bei physischen Personen (RS0082158). Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf generell nicht überspannt werden (RS0029273 [T16]). Nicht aus jeder Verzögerung kann auf einen Verzicht des Arbeitgebers auf die Ausübung des Beendigungsrechts geschlossen werden. Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Arbeitnehmers, können die Annahme eines Verzichts verhindern (RS0028987).
[11] Ob eine Kündigung oder Entlassung rechtzeitig oder verspätet vorgenommen wurde, lässt sich nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls richtig beurteilen (RS0031571).
[12] 2.2 Nach den Feststellungen hatte die Klägerin um ein persönliches Gespräch gebeten, um zur Dienstbeurteilung vom 20. 5. 2016 Stellung zu nehmen. Allerdings befand sie sich ab Montag, den 23. 5. 2016, durchgehend bis Freitag, den 8. 7. 2016, im Krankenstand. Nachdem sie am 11. 7. 2016 in den Dienst zurückgekehrt war, fand das gewünschte Gespräch am 12. 7. 2016 statt. Im Anschluss daran fasste die Vorgesetzte die Entscheidung auf Einleitung des Kündigungsverfahrens, weil die Klägerin weder Einsicht noch Willen zur Verbesserung ihrer mangelhaften Leistungen zeigte, und schickte noch am selben Tag den Kündigungsvorschlag an die zuständige Personalabteilung ab.
[13] Davon ausgehend ist die Beurteilung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden, dass die – von der Klägerin monierte – Verzögerung zwischen dem 20. 5. 2016 und dem 12. 7. 2016 der Sachlage geschuldet war, nämlich dem Ersuchen der Klägerin um ein persönliches Gespräch, das infolge ihrer Erkrankung erst am 12. 7. 2016 zustande kam. Zwar lag, wie die Klägerin richtig bemerkt, für die Zeit ihres Krankenstands kein negativer Arbeitserfolg vor. Umgekehrt ergab sich daraus aber auch kein Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte auf die Geltendmachung des bereits am 20. 5. 2016 vorliegenden Kündigungsgrundes verzichtet hätte, zumal ja das von der Klägerin erbetene Gespräch noch ausstand. Wieso die Klägerin darauf hätte vertrauen dürfen, dass die erneut negative Beurteilung nicht zu einer Kündigung führen würde, zeigt sie nicht auf. Auf allfällige Hilfsbegründungen des Berufungsgerichts in diesem Zusammenhang kommt es nicht mehr an.
[14] 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es sich mit dieser überhaupt befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RS0043150). Das ist hier geschehen. Der Oberste Gerichtshof hat nicht zu überprüfen, ob eine vom Berufungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung gezogene Schlussfolgerung richtig oder fehlerhaft ist (RS0043150 [T5; T7]).
[15] 4. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen.
Textnummer
E133433European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00062.21G.1022.000Im RIS seit
07.01.2022Zuletzt aktualisiert am
07.01.2022