TE OGH 2021/12/1 15Os83/21a

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Veröffentlicht am 01.12.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Dezember 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Mag. Frisch als Schriftführerin in der Strafsache gegen ***** F***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 20. Jänner 2021, GZ 15 Hv 16/20d-21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde, teils aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu II./, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs der Konfiskation und einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie im Einziehungserkenntnis aufgehoben und es wird in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Krems an der Donau verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie den Strafausspruch betrifft, und seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe und die Einziehung wird der Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Über die Berufung gegen den Zuspruch an die Privatbeteiligte hat das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurde A***** F***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./), mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach „§ 207a Abs 3 erster und zweiter Fall StGB“ (II./; [iVm US 13 f] ersichtlich gemeint: nach § 207a Abs 3 erster Satz [zweiter Fall] StGB und nach § 207a Abs 3 zweiter Satz [zweiter Fall] StGB [zur Deliktsstruktur instruktiv 11 Os 60/19m]) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III./) schuldig erkannt.

[2]       Danach hat er in S***** und an anderen Orten

I./ von zumindest Herbst 2016 bis 4. Jänner 2018 mit der am ***** 2004 geborenen V***** W*****, sohin einer unmündigen Person, in zahlreichen Angriffen, nämlich im Schnitt drei Mal pro Woche, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er seinen Finger in ihre Vagina einführte sowie ab 2017 bis zum 4. Jänner 2018 auch wiederholt den Beischlaf unternommen;

II./ pornographische Darstellungen mündiger und unmündiger minderjähriger Personen sich verschafft und besessen, und zwar von einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt bis zum Mai 2020 in mehreren Angriffen, indem er sich diese Abbildungen aus dem Internet herunterlud und auf seinem Stand-PC Dell abspeicherte sowie von Februar bis Mai 2020 ein Bild der Vagina der am ***** 2004 geborenen V***** W***** auf seinem Mobiltelefon besessen;

III./ von zumindest Herbst 2016 bis April 2020 mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, nämlich der am ***** 2004 geborenen V***** W*****, unter Ausnützung seiner Stellung als „faktischer Onkel, nämlich als Lebensgefährte der Schwester der Mutter der V***** W*****“ (US 11, 13: als Aufsichtsperson), gegenüber dieser Person in mehrfachen Angriffen, nämlich im Schnitt etwa drei Mal wöchentlich, eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, nämlich durch die zu I./ beschriebenen Handlungen des Einführens der Finger in die Vagina und „ab 2017“ auch durch Vollzug des Beischlafs.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der teilweise Berechtigung zukommt.

[4]            Entgegen dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) wurden die unterschiedlichen Angaben des Angeklagten und des Tatopfers zum Zeitpunkt des Beginns der (schweren) sexuellen Übergriffe (I./; US 1, 3 – „zumindest ab Herbst 2016“) in der Beweiswürdigung ebenso berücksichtigt wie der Umstand, dass V***** W***** den Tatzeitraum und die Intensität der Übergriffe vor der Polizei etwas anders dargestellt hatte als in der Hauptverhandlung (US 8 f). Dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) Rechnung tragend war das Erstgericht dabei nicht verhalten, diese Aussagen in allen Details zu erörtern (RIS-Justiz RS0098377RS0098642).

[5]       Der Behauptung offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider begegnet die Ableitung der entscheidenden Tatsachen zu I./ aus den von den Tatrichtern als glaubwürdig eingestuften Depositionen der V***** W***** in der Hauptverhandlung (US 8 f) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken. Durch die isolierte Hervorhebung bloß einzelner Passagen aus Angaben der genannten Zeugin (siehe aber ON 20 S 42 ff, 51 f, 54 f) und die Einforderung von für den Angeklagten günstigeren Schlüssen kritisiert die Beschwerde bloß – in dieser Weise unzulässig – die Beweiswürdigung des Schöffengerichts.

[6]       Die Feststellungen, wonach die minderjährige V***** W***** zu den Tatzeiten zu III./ unter der Aufsicht des Angeklagten (auch in sittlicher Hinsicht) stand und er mit entsprechendem Vorsatz handelte (US 3, 5, 11), wurden auf die Angaben der vernommenen Zeuginnen zu den familiären Verhältnissen und den Aufenthalten des Mädchens auf dem Bauernhof des Angeklagten, auf das äußere Tatgeschehen sowie das Wissen des Genannten um das Alter des Mädchens und seine „faktische Verbindung“ zu demselben gestützt (US 8, 10 f). Eine offenbar unzureichende Begründung von für den Schuldspruch oder die Subsumtion zu III./ entscheidenden Tatsachen (dazu noch näher im Rahmen der Rechtsrüge) ist darin entgegen der Beschwerdebehauptung (Z 5 vierter Fall) nicht zu erblicken.

[7]       Mit dem Hinweis auf die (von den Tatrichtern insoweit als unglaubwürdig verworfene) Verantwortung des Angeklagten (dazu US 8), auf (erneut) isoliert hervorgehobene Angaben des Opfers vor der Polizei und in der Hauptverhandlung (dazu US 8 f), auf ein Lichtbild eines der Tatorte und auf Depositionen der Zeugin J***** W***** gelang es der Tatsachenrüge (Z 5a) nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu I./ zu erwecken.

[8]       Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung zur Voraussetzung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist (RIS-Justiz RS0099810).

[9]       Diesen Kriterien wird die zu III./ erstattete Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht gerecht, indem sie sich (bloß) auf Urteilspassagen stützt, welche auf die Stellung des Angeklagten als „faktischer Onkel“ Bezug nehmen, dabei aber die Gesamtheit der Entscheidungsgründe ausblendet, wonach der Genannte zu den Tatzeitpunkten (auch) seine Stellung als Aufsichtsperson (vorsätzlich) ausnützte, um die inkriminierten geschlechtlichen Handlungen zu begehen (US 10 f, 13).

[10]           Soweit das Rechtsmittel mit Blick auf die Feststellung, dass „ca ab dem vollendeten 15. Lebensjahr der V***** W*****“ die „Treffen“ mit dem Angeklagten (bei welchen es zu gleichartigen Sexualkontakten kam) „teilweise auch“ von dem Mädchen ausgingen (US 4 f), zu III./ einen Freispruch von nach dem ***** 2019 begangenen Taten fordert, spricht es angesichts der pauschalen Individualisierung einer unbestimmten Menge gleichartiger Taten (gleichartige Verbrechensmenge) im Urteil keine den Schuldspruch zu III./ oder die Subsumtion tangierenden Umstand an (RIS-Justiz RS0117436).

[11]     In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher sogleich bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[12]           Zu Recht wendet die Beschwerde allerdings ein, dass im Zusammenhang mit den Feststellungen zu II./, wonach der Angeklagte insgesamt zumindest zwölf (im Urteil beschriebene) pornographische Abbildungen von mündigen und unmündigen Minderjährigen (vorsätzlich) herunterlud und auf seinem Stand-PC speicherte (US 6 f), eine (hinreichende) Auseinandersetzung mit Ergebnissen des polizeilichen Untersuchungsberichts (ON 11) unterblieb (Z 5 zweiter Fall). Die Verantwortung des Angeklagten, er habe die auf seinem Stand-PC vorgefundenen zwölf Bilder kinder- und jugendpornographischen Inhalts zwar im Internet angeklickt und angesehen, aber nicht aktiv und bewusst abgespeichert, wurde nämlich als unglaubwürdig und „widerlegt“ eingestuft (US 10 f), ohne dass die Natur und Funktion der erwähnten „eigenen“ Ordner (US 10), in welchen die inkriminierten Dateien aufgefunden worden waren, Berücksichtigung fand (vgl dazu auch ON 14 S 4 f – einerseits „Cache“-Ordner und andererseits Systemordner „System Volume Information“; insbesondere zu Cache-Ordnern und temporären Dateien siehe Reindl-Krauskopf/Salimi/Stricker, IT-Strafrecht Rz 2.774; Schwaighofer in Birklbauer StGB Praxiskommentar § 207a Rz 12; Hinterhofer in SbgK StGB § 207a Rz 61).

[13]           Bleibt dazu anzumerken, dass ein wissentlicher Zugriff auf eine pornographische Darstellung Minderjähriger Strafbarkeit (immerhin) nach § 207a Abs 3a StGB begründen kann. Dieser Tatbestand trat allerdings erst mit 1. Juni 2009 in Kraft (BGBl I 2009/40). Aussagen dazu, ob ein solcher (allenfalls wissentlicher) Zugriff vor oder nach diesem Datum erfolgte, sind dem Urteil aber gleichfalls nicht zu entnehmen. Für einen insoweit (allenfalls) anzustellenden Günstigkeitsvergleich (§§ 1, 61 StGB) und die Beurteilung allfälliger Verjährung wäre eine nähere Eingrenzung der Tatzeit somit von entscheidender Bedeutung.

[14]           Hinsichtlich des zu II./ (weiters) angelasteten Besitzes eines Bildes der Vagina von V***** W***** wiederum haftet dem Urteil ein vom Angeklagten nicht geltend gemachter Feststellungsmangel (RIS-Justiz RS0118580) an, der (nicht zuletzt im Hinblick auf den oben aufgezeigten Urteilsmangel betreffend den übrigen Teil dieses Schuldspruchs) eine amtswegige Aufhebung des darauf bezogenen (sonst verbleibenden) Schuldspruchs zu II./ unumgänglich machte (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[15]           Nach dem Urteilssachverhalt übersandte die im Februar 2020 bereits 16-jährige V***** W***** das von ihr über Aufforderung des Angeklagten selbst angefertigte Bild (wiederholt) auf vom Genannten benützte Mobiltelefone, woraufhin Letzterer die Bilder mehrmals zum Zweck seiner sexuellen Erregung und Befriedigung betrachtete (US 6). Nach § 207a Abs 5 Z 1 StGB ist ua nicht zu bestrafen, wer eine pornographische Darstellung mündiger Minderjähriger mit deren (wirksamer; vgl Hinterhofer in SbgK StGB § 207a Rz 77; Schwaighofer in Birklbauer StGB Praxiskommentar § 207a Rz 17) Einwilligung zu seinem eigenen Gebrauch besitzt (vgl Reindl-Krauskopf/Salimi/Stricker, IT-Strafrecht Rz 2.781 f). Vor diesem rechtlichen Hintergrund wäre in der vorliegenden Fallkonstellation somit durch deutliche und bestimmte Feststellungen zu klären gewesen, ob sich der Vorsatz des Angeklagten (während des gesamten Tatzeitraums) auf einen Besitz (ausschließlich) zu seinem eigenen Gebrauch beschränkte und ob eine (nach dem Urteilssachverhalt indizierte) Zustimmung der mündigen Minderjährigen V***** W***** zu einem solchen Besitz (ausschließlich zum Eigengebrauch des Angeklagten) allenfalls durch Missbrauch einer Autoritätsstellung des Angeklagten gegenüber der Minderjährigen erlangt wurde.

[16]           Eine Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung unumgänglich (§ 285e StPO). Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen zu II./ sowie auf jenes zur Sanktionsrüge (Z 11) erübrigte sich daher.

[17]           Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie den Strafausspruch betrifft, und seiner gegen die Aussprüche über die Strafe und die Einziehung gerichteten Berufung war der Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.

[18]           Über die Berufung gegen den Zuspruch an die Privatbeteiligte hat das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden (§ 285i StPO).

[19]     Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E133425

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00083.21A.1201.000

Im RIS seit

07.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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