Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Frank als Schriftführerin in der Strafsache gegen ***** H***** wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB, AZ 34 Hv 95/19x des Landesgerichts Leoben, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss der Präsidentin des Landesgerichts Leoben vom 3. März 2021, AZ 9 Ns 7/21w (ON 66 der Hv-Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
[1] Mit Strafantrag vom 26. Juni 2019 legte die Staatsanwaltschaft ***** H***** ein als Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB beurteiltes Verhalten zur Last (ON 14 der Hv-Akten).
[2] Mit Beschluss vom 9. Oktober 2019, GZ 34 Hv 95/19x-22, wies der damit befasste Einzelrichter des Landesgerichts Leoben den Strafantrag nach § 485 Abs 1 Z 3 (iVm § 212 Z 1) StPO zurück und stellte das Strafverfahren ein.
[3] Einer dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 23a) gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 20. Februar 2020, AZ 1 Bs 148/19b, Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf (ON 33).
[4] Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2021 beantragte der Angeklagte, „den Richter“ „wegen Ausgeschlossenheit abzuberufen“, weil dieser – soweit hier relevant – bereits durch die oben erwähnte Beschlussfassung in derselben Sache tätig geworden sei (ON 65a).
[5] Dieser Ablehnungsantrag wurde mit Beschluss der Präsidentin des Landesgerichts Leoben vom 3. März 2021, AZ 9 Ns 7/21w (ON 66), „abgewiesen“. Begründend führte sie – soweit hier von Bedeutung – aus, der Umstand, dass ein Richter den Strafantrag zurückgewiesen und das Verfahren eingestellt habe und dieser Beschluss vom Rechtsmittelgericht aufgehoben worden sei, wäre nicht geeignet, die Ausgeschlossenheit des betreffenden Richters vom (weiteren) Hauptverfahren zu begründen.
[6] Eine dagegen erhobene Beschwerde des Angeklagten wies das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 31. März 2021, AZ 10 Bs 89/21w (ON 79), als unzulässig (§ 45 Abs 3 StPO) zurück.
[7] Mit (in Rechtskraft erwachsenem) Urteil des(selben) Einzelrichters des Landesgerichts Leoben, der den erwähnten Beschluss nach § 485 Abs 1 Z 3 StPO gefasst hatte, vom 27. April 2021 (ON 91) wurde ***** H***** vom Anklagevorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
[8] Durch den erwähnten Beschluss der Präsidentin des Landesgerichts Leoben erachtet die Generalprokuratur aus folgenden Erwägungen § 43 Abs 2 StPO als verletzt:
Vorauszuschicken ist, dass die Wahrnehmung von Ausschließungs- (§ 43 StPO) oder Befangenheitsgründen (§ 47 StPO) regelmäßig eine Kompetenzverschiebung bewirkt. Damit stehen sie in einem Spannungsverhältnis zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) und zum – dieses Recht ausgestaltenden – Prinzip der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs 3 B-VG). Es bedarf daher der (schon durch deren Ausnahmecharakter gebotenen) strikten Auslegung dieser Normen, um die – neben der Unabsetzbarkeit und der Unversetzbarkeit (Art 88 Abs 2 B-VG) – wesentlichsten Säulen der richterlichen Unabhängigkeit (Art 87 Abs 1 B-VG) nicht auszuhöhlen (vgl Lässig, WK-StPO Vorbemerkungen zu §§ 43–47 Rz 3).
Die Bestimmungen über die Ausschließung stellen auf äußere Umstände ab, die geeignet sind, Zweifel an der Objektivität des Betroffenen zu wecken. Determiniert werden jene äußeren Umstände zum einen durch ausdrückliche Aufzählung (§ 43 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 2 bis 4 StPO; ergänzt durch § 334 Abs 3 StPO und § 491 Abs 8 StPO zu § 43 Abs 2 StPO und durch § 489 Abs 3 zu § 43 Abs 3 StPO), zum anderen mittels Generalklausel (§ 43 Abs 1 Z 3 StPO). Daraus erhellt, dass der Gesetzgeber jene Ausgeschlossenheit, die aus einer bestimmen Stellung im Verfahren folgt, abschließend regeln wollte. Dies hindert aber nicht deren Analogiefähigkeit bei Vorliegen einer planwidrigen Lücke. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine solche Lücke vorliegt, ist aber angesichts des eingangs dargestellten Spannungsverhältnisses ein äußerst strenger Maßstab anzulegen (vgl Lässig aaO Rz 5; 12 Ns 39/15d; aA Swiderski, ÖJZ 2019, 16, der eine Analogiefähigkeit aufgrund der Generalklausel, die schon das Vorliegen einer Lücke per se hindere, für ausgeschlossen hält).
Gemäß § 43 Abs 2 StPO ist ein Richter im Hauptverfahren ausgeschlossen, wenn er im Ermittlungsverfahren im einzelnen genannte Tätigkeiten (bei denen eine intensive Auseinandersetzung mit der Verdachtslage erforderlich war; vgl EBRV 113 BlgNR 24. GP 37) – darunter auch die Entscheidung über einen Antrag auf Einstellung gemäß § 108 Abs 1 StPO – ausgeführt hat oder wenn er an einem Urteil mitgewirkt hat, das infolge eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs aufgehoben wurde.
Weil dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, Erkenntnisrichtern eine Kompetenz zu übertragen, deren Wahrnehmung die Ausgeschlossenheit von der Mitwirkung der Entscheidung in der Hauptverhandlung zur Folge hat, führt prozessordnungskonformes Handeln des Richters des Hauptverfahrens (darunter auch die im Einzelfall gebotene Fassung von Beschlüssen) grundsätzlich nicht zu einer Ausschließung analog § 43 Abs 2 StPO (vgl RIS-Justiz RS0097362; Lässig, WK-StPO § 43 Rz 21).
Die Ausschließung infolge Vorbefassung im Erkenntnisverfahren knüpft das Gesetz vielmehr an die Mitwirkung an einem Urteil, das infolge eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs aufgehoben wurde; dem liegt die Zielsetzung zugrunde, Entscheidungsträger, die in ihrer Sachbeurteilung korrigiert worden sind, von der neuen Verhandlung und Entscheidung in derselben Causa auszuschließen. Die Formulierung des § 43 Abs 2 StPO unterscheidet dabei nicht zwischen Formal- und Sachurteilen (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 26; Fabrizy/Kirchbacher § 43 Rz 12 mwN).
§ 485 Abs 1 Z 3 StPO ordnet an, dass das Gericht den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung zu prüfen und in den Fällen des § 212 Z 1, 2 und 7 StPO den Strafantrag mit Beschluss zurückzuweisen und das Verfahren einzustellen hat.
Ein solcher Beschluss hindert eine neuerliche Strafverfolgung (§§ 17, 352 StPO) und setzt sich – gleich einem Urteil (vgl § 35 Abs 1 StPO) inhaltlich entweder mit der Schuld des Angeklagten (zu § 212 Z 1 StPO iS einer [rechtlichen] Beurteilung, dass der angeklagte Lebenssachverhalt keine strafbare Handlung begründet; vgl Lendl, WK-StPO § 260 Rz 4), der Beweislage (§ 212 Z 2 StPO) oder einer mangelnden Prozessvoraussetzung (§ 212 Z 7 StPO; vgl auch Markel, WK-StPO § 1 Rz 29) auseinander.
§ 212 Z 1 StPO entspricht dabei dem Einstellungsgrund des § 108 Abs 1 Z 1 StPO. Die Frage, ob die vorgeworfene Tat (der angeklagte Lebenssachverhalt aufgrund der Aktenlage; Birklbauer, WK-StPO § 212 Rz 6) überhaupt eine gerichtlich strafbare Handlung darstellt, ist dabei nach den Kriterien des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO zu lösen (vgl auch Fabrizy/Kirchbacher StPO14 § 212 Rz 2).
Im Gegensatz zur Einlassung durch prozessleitende Verfügung in die (erst in weiterer Folge) mit Urteil zu erledigende Hauptverhandlung – die (nach ebenso zwingend vorangegangener Prüfung nach § 485 StPO) keine Ausgeschlossenheit begründet (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 126; 13 Os 146/15t; 13 Os 67/18d) – stellt eine Beschlussfassung nach § 485 Abs 1 Z 3 StPO eine für diese Instanz verfahrensbeendende Entscheidung des Einzelrichters dar, die zudem – wie im Fall der Ausgeschlossenheit bewirkenden Erlassung einer Strafverfügung (vgl § 491 Abs 8 StPO; RIS-Justiz RS0133590) ohne vorhergehende mündliche Verhandlung – urteilsgleiche Wirkung entfaltet.
Aufgrund der insofern vorliegenden Parallelität einer solchen Erledigung zu einem Urteil ist – auch mit Blick auf die expressis verbis eine Ausgeschlossenheit des „Haft- und Rechtsschutzrichters“ nach § 43 Abs 2 StPO begründende Beschlussfassung nach § 108 Abs 1 StPO – das Vorliegen einer planwidrigen Lücke indiziert und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen von einer Ausgeschlossenheit jenes Richters, der im Hauptverfahren einen Beschluss gemäß § 485 Abs 1 Z 3 StPO gefasst hat, der infolge eines Rechtsmittels aufgehoben wurde, analog § 43 Abs 2 StPO auszugehen.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[9] Zutreffend weist die Generalprokuratur darauf hin, dass der Wortlaut des § 43 Abs 2 StPO einen Richter, der einen (nachfolgend aufgehobenen) Beschluss nach § 485 Abs 1 Z 3 StPO gefasst hat, nicht aus diesem Grund vom (weiteren) Hauptverfahren ausschließt.
[10] Ebenso trifft es zu, dass die Bestimmungen der StPO über die Ausschließung und die Befangenheit – so auch § 43 Abs 2 StPO – nach herrschender Meinung analogiefähig sind (12 Os 96/10z, 12 Ns 39/15d uva; Lässig, WK-StPO Vor §§ 43–47 Rz 5; Ohrnhofer in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 12 § 43 Rz 2; Aichinger, LiK-StPO § 43 Rz 4; aA Swiderski, Zur Unparteilichkeit des Richters, ÖJZ 2019, 13 [16 ff], der die Möglichkeit planwidriger Unvollständigkeit mit Blick auf die Generalklausel des § 43 Abs 1 Z 3 StPO verneint). Bei der Frage, ob eine (zum Analogieschluss berechtigende) Gesetzeslücke besteht, ist aber im Hinblick (nicht nur auf die von der Generalprokuratur erwähnten verfassungsrechtlichen Vorgaben, sondern auch) auf den Ausnahmecharakter der Ausschließungs- und Befangenheitsnormen ein äußerst strenger Maßstab anzulegen (stRsp; statt vieler 15 Os 80/13y, 12 Ns 3/14h und 12 Ns 13/19m je im Anschluss an Lässig, WK-StPO Vor §§ 43–47 Rz 5; vgl auch Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 5.148).
[11] Hiervon ausgehend wird eine (von der Generalprokuratur ausgemachte) planwidrige Unvollständigkeit vorliegend nicht dadurch begründet, dass für vergleichbare Fälle der Mitwirkung an verfahrensbeendenden Entscheidungen Richterausgeschlossenheit ausdrücklich normiert ist.
[12] Aus § 489 Abs 3 StPO ergibt sich vielmehr Gegenteiliges: Danach sind von der Verhandlung und Entscheidung über eine Berufung auch Mitglieder des Oberlandesgerichts ausgeschlossen, die im vorangegangenen Verfahren an der Entscheidung über eine Beschwerde gegen die vom Landesgericht als Einzelrichter beschlossene Zurückweisung oder Einstellung (§ 485 StPO) beteiligt waren.
[13] Diese Bestimmung wurde – ebenso wie § 485 Abs 1 Z 3 StPO – zuletzt in Anpassung an das (zugleich damit in Kraft getretene) Strafprozessreformgesetz (2004), somit auch an § 43 StPO idF BGBl I 2004/19, mit BGBl I 2007/93 geändert (ErläutRV 231 BlgNR 23. GP 24). Sie bedenkt ausdrücklich die angesprochene Konstellation unter dem Aspekt der Ausgeschlossenheit, sieht diese Rechtsfolge jedoch nur für das (auf beschriebene Weise) im Beschwerdeverfahren vorbefasste Mitglied des Oberlandesgerichts (in Bezug auf ein späteres Berufungsverfahren) vor. Die – wenngleich zur Ausgeschlossenheit als Rechtsmittelrichter in derselben Sache führende (§ 43 Abs 3 StPO) – erstinstanzliche Beschlussfassung nach § 485 Abs 1 StPO nennt das Gesetz hingegen (weiterhin) nicht als Ausschließungsgrund nach § 43 Abs 2 StPO (obwohl diese Bestimmung seither [mit BGBl I 2009/52] in anderer Hinsicht zusätzlich präzisiert wurde).
[14] Die Annahme, der Gesetzgeber habe den in Rede stehenden, nach denselben Maßstäben (wie die in § 43 Abs 2 StPO [vgl auch § 491 Abs 8 StPO] genannten Fälle) regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (vgl RIS-Justiz RS0008866 [insbesondere T9, T10, T27]), ist damit nicht gerechtfertigt.
[15] Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass er sich bewusst dagegen entschieden hat, den Richter, der einen (nachfolgend im Rechtsmittelweg aufgehobenen) Beschluss nach § 485 Abs 1 Z 3 StPO gefasst hat, schon allein aus diesem Grund vom (weiteren) Hauptverfahren auszuschließen (zutreffend in diesem Sinn Roitner, Die amtswegige Vorprüfung des Strafantrags, ÖJZ 2019, 403 [410]).
[16] Im Übrigen führt – worauf die Generalprokuratur abermals zutreffend hinweist – Vorbefasstheit durch amtswegige Vorprüfung des Strafantrags (siehe dazu 11 Ns 29/18f mwN), als eines deren möglicher Ergebnisse sich eine Beschlussfassung nach § 485 Abs 1 Z 3 StPO darstellt, auch sonst nicht (eo ipso) zur Ausgeschlossenheit (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 126).
[17] Die von der Generalprokuratur relevierte Gesetzesverletzung liegt daher nicht vor, sodass ihre zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen war.
[18] Hinzugefügt sei, dass freilich (auch) in einer solchen Konstellation – etwa, wenn sich das Gericht im (wiewohl das Verfahren einstellenden) Beschluss nach § 485 Abs 1 Z 3 StPO zur Schuldfrage in einer für den Angeklagten nachteiligen Weise festgelegt hat (vgl 17 Os 4/16s, 5/16p, 11/16w) – Ausgeschlossenheit gemäß § 43 Abs 1 Z 3 StPO bestehen kann (zutreffend in diesem Sinn Ohrnhofer in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 1² § 43 Rz 14 bei FN 46; zur Auslegung und zur Bedeutung der in Rede stehenden Generalklausel unter dem Blickwinkel des Art 6 Abs 1 MRK [dazu im gegebenen Zusammenhang Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig et al, EMRK4 Art 6 Rz 77 ff mN] siehe Lässig, WK-StPO § 43 Rz 13). Eine Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung wird aber insoweit (ohnedies) nicht behauptet.
Textnummer
E133427European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00137.21P.1215.000Im RIS seit
07.01.2022Zuletzt aktualisiert am
07.01.2022