TE Lvwg Erkenntnis 2021/11/18 VGW-001/069/11164/2021

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Veröffentlicht am 18.11.2021
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Entscheidungsdatum

18.11.2021

Index

10/11 Vereinsrecht Versammlungsrecht
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VersammlungsG 1953 §11
VersammlungsG 1953 §19
7. ZPEMRK Art. 4
VStG §22 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Hillisch über die Beschwerde der Frau A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 23.6.2021, Zl. VStV/…/2020, zu Recht:

I. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt 1. des angefochtenen Straferkenntnisses insoweit Folge gegeben, als die verhängte Geldstrafe von € 70,– auf € 60,– und die für den Fall der Uneinbringlichkeit festgesetzte Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen 1 Stunde auf 3 Tage 11 Stunden herabgesetzt wird; im Übrigen wird die Beschwerde, soweit sie sich gegen Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses richtet, abgewiesen.

II. Spruchpunkt 2. des angefochtenen Straferkenntnisses wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren insoweit gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt.

III. Dem entsprechend wird der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens gemäß § 64 VStG von € 20,– auf € 10,– herabgesetzt.

IV. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Angefochtener Bescheid, Beschwerde und Verfahrensgang

1.       Das angefochtene Straferkenntnis hat folgenden Spruch:

„1. Datum/Zeit: 26.10.2020, 13:40 Uhr – 26.10.202, 13:45 Uhr

Ort: Wien, C.-straße D.-Platz

Sie haben als Leiterin der Versammlung zum Thema „E.“ es unterlassen, für die Wahrung des Gesetzes und die für die Aufrechterhaltung der Ordnung Sorge zu tragen, da 70 Teilnehmer Ihrer Versammlung die angezeigte Versammlungsroute verlassen haben, um Aktivisten im Bereich F.-Platz zu attackieren. Es folgten lautstrake Beschimpfungen. Nur durch Aufziehen einer Sperrkette konnte das Aufeinandertreffen der beiden Lager verhindert werden.

2.   Datum/Zeit: 26.10.2020, 13:40 Uhr – 26.10.2020, 13:45 Uhr

Ort: Wien, C.-straße D.-Platz

Sie haben als Leiterin der Versammlung zum Thema „E.“ es unterlassen, für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung Sorge zu tragen und haben es auch unterlassen, diesen gesetzeswidrigen Handlungen sofort entgegenzutreten.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

1. § 11 abs. 1 und 2l Versammlungsgesetz 1953

2. § 11 Abs. 1 und Abs. 2l Versammlungsgesetz 1953

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:

1. Geldstrafe von EUR 70,00, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tage(n) 1 Stunde(n) 0 Minute(n), gemäß § 19 Versammlungsgesetz 1953 idF BGBl. I Nr. 161/2013

2. Geldstrafe von EUR 70,00, falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tage(n) 1 Stunde(n) 0 Minute (n), gemäß § 19 Versammlungsgesetz 1953 idF BGBl. I Nr. 161/2013

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG zu zahlen:

€ 20,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens EUR 10,00 für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

                                             € 160,00“

3.       In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde bringt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, sie habe den Demonstrationszug verlassen müssen, da sich der Lautsprecherwagen vom Demonstrationszug zuvor habe trennen müssen und sie zeigen habe müssen, wo gefahren werden müsse. Als sie nach einer Minute wieder zurückgekommen sei, wäre der Demonstrationszug nicht mehr da gewesen. Darüber hinaus wäre es – auch wenn sie in dieser Minute anwesend gewesen wäre – nicht in ihrer Macht gestanden, 50 Personen am Gehen von ihrer Demonstration zu hindern.

4.       Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien unter Anschluss des verwaltungsbehördlichen Akts vor.

5.       Am 14. Oktober 2021 fand am Verwaltungsgericht Wien eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, im Zuge derer die Beschwerdeführerin sowie der Meldungsleger einvernommen wurden. Darüber hinaus legte die Beschwerdeführerin eine „Beschwerdeergänzung“ vor, in der sie vorbringt, die Bestrafung verstoße gegen das Doppelbestrafungsverbot nach Artikel 4 7. ZPMRK.

II. Feststellungen

1.       Die Beschwerdeführerin zeigte mit Schreiben vom 22. Oktober 2020 eine Demonstration zum Zweck „E.“ am 26.10.2020, 12:30 – 18:00 Uhr, mit der Route „…“ und einer erwarteten Teilnehmeranzahl von ca. 200 Teilnehmern an. Im Zuge einer Besprechung am 23.10.2020 bei der LPD Wien wurde insbesondere die geplante Route insofern geändert, als sie nunmehr „… – C.-straße – D.- Platz – …“ lautete. Grund für die Änderung der Route war, wie der Beschwerdeführerin bekannt war, die weiteren zeitgleich durchgeführten Versammlungen (…).

2.       Am 26.10.2020 um 13:27 Uhr erfolgte der Abmarsch der Versammlungsteilnehmer vom Sammelort entlang der geplanten Route Richtung D.-Platz, wobei der Lautsprecherwagen an der Spitze des Demonstrationszuges fuhr. Gegen 13:40 Uhr erreichte der Demonstrationszug mit der Beschwerdeführerin als Versammlungsleiterin den D.-Platz. Da der Lautsprecherwagen sich aufgrund von Polleranlagen vom übrigen Demonstrationszug getrennt hatte und auch eine Zufahrt vom … nicht möglich war, trennte sich die Beschwerdeführerin vom Demonstrationszug, um zum Lautsprecherwagen zu gehen und der Person im Lautsprecherwagen zu zeigen, wohin gefahren werden müsse. Als die Beschwerdeführerin wieder zum D.-Platz zurückkam, hatten sich der Demonstrationszug sowie die Polizeibeamten entfernt.

3.       Die Beschwerdeführerin setzte im Vorfeld oder auch während der Versammlung keine Ordner zur Unterstützung ein und traf auch sonst keine Vorkehrungen, um ein Abweichen der Versammlungsteilnehmer von der Route und ein Zusammentreffen mit den zeitgleich stattfindenden Versammlungen zu verhindern.

4.       Die Beschwerdeführerin war zum Tatzeitpunkt verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Sie hat keine Sorgepflichten, kein Vermögen und ein monatliches Einkommen von etwa € 1.100,–.

III. Beweiswürdigung

1.       Der festgestellte Sachverhalt ist im Wesentlichen unstrittig und ergibt sich aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt und den glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin in der Beschwerde sowie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

2.       Auch die Feststellungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin.

3.       Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin zum Tatzeitpunkt verwaltungsstrafrechtlich unbescholten war, ergibt sich zum einen aus der von der belangten Behörde übermittelten Liste der verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen; aus dem Umstand, dass bei den aufgelisteten Delikten kein Beginn der Tilgungsfrist angegeben ist, ergibt sich, dass die Bestrafungen zum Zeitpunkt der Erstellung des Auszugs (14.7.2021) noch nicht rechtskräftig waren. Zum anderen führte das Verwaltungsgericht weitere Abfragen beim Magistrat der Stadt Wien sowie der Bezirkshauptmannschaft … durch, die negativ verliefen.

IV. Rechtsgrundlagen

Die maßgeblichen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes lauten:

„§ 11. (1) Für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung haben zunächst deren Leiter und Ordner Sorge zu tragen.

(2) Sie haben gesetzwidrigen Äußerungen oder Handlungen sofort entgegenzutreten. Wenn ihren Anordnungen keine Folge geleistet wird, ist die Versammlung durch deren Leiter aufzulösen.

[…]

§ 19. Übertretungen dieses Gesetzes sind, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, aber von der Landespolizeidirektion, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 720 Euro zu ahnden.“

V. Rechtliche Beurteilung

1.       Der Beschwerdeführerin wird mit näherer Tatumschreibung vorgeworfen, sie habe es unterlassen, für die Wahrung des Gesetzes und die für die Aufrechterhaltung der Ordnung Sorge zu tragen (Spruchpunkt 1.); weiters wird ihr vorgeworfen, sie habe es unterlassen, für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung Sorge zu tragen und habe es auch unterlassen, diesen gesetzeswidrigen Handlungen sofort entgegenzutreten (Spruchpunkt 2.).

1.1.    Die Beschwerdeführerin bringt in diesem Zusammenhang vor, die Bestrafung verstoße gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art. 4 des 7. ZPEMRK.

Gemäß Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPEMRK (in seiner deutschen Übersetzung) darf "[n]iemand […] wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden."

Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPEMRK verbietet die Wiederholung eines Strafverfahrens, welches mit einer endgültigen Entscheidung beendet worden ist. Eine Entscheidung – Freispruch oder Verurteilung – ist dann als endgültig ("final") anzusehen, wenn sie die Wirkung einer res iudicata erlangt hat. Das ist der Fall, wenn sie unwiderruflich ist, dh wenn keine ordentlichen Rechtsmittel mehr vorhanden sind, alle Rechtsmittel ergriffen wurden oder Rechtsmittelfristen ergebnislos verstrichen sind (VfGH 23.2.2021, E 2917/2020, unter Verweis auf VwGH 26.9.2018, Ra 2017/17/0474). Da hinsichtlich beider Spruchpunkte das Verfahren bislang noch nicht rechtskräftig beendet war, liegt ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art. 4 des 7. ZPEMRK nicht vor.

1.2.    Es ist jedoch zu prüfen, ob ein Fall der Scheinkonkurrenz vorliegt:

Nach dem in § 22 Abs. 2 VStG verankerten Kumulationsprinzip sind mehrere Strafen nebeneinander zu verhängen, wenn eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt. Im Fall der Scheinkonkurrenz, also wenn der gesamte Unrechtsgehalt eines Delikts von jenem eines anderen, ebenfalls verwirklichten in jeder Beziehung mitumfasst ist, ist es unzulässig, dem Täter ein und denselben Unwert mehrmals zuzurechnen, sie führt zu einem Zurücktreten eines Tatbestandes hinter einen anderen, wenn sich aus konkreten Umständen des Tatgeschehens dessen Vorrang ergibt. Der Begriff „Scheinkonkurrenz“ bringt zum Ausdruck, dass in Wahrheit keine Konkurrenz von Strafbestimmungen vorliegt, sondern eben nur eine Bestimmung, nach der bestraft werden kann. Zu den Fällen der Scheinkonkurrenz zählen die Subsidiarität, die Spezialität und die Konsumtion. Konsumtion liegt dabei vor, wenn die wertabwägende Auslegung der formal (durch eine Handlung oder durch mehrere Handlungen) erfüllten zwei Tatbestände zeigt, dass durch die Unterstellung der Tat(en) unter den einen der deliktische Gesamtunwert des zu beurteilenden Sachverhalts bereits für sich allein abgegolten ist. Voraussetzung ist, dass durch die Bestrafung wegen des einen Delikts tatsächlich der gesamte Unrechtsgehalt des Täterverhaltens erfasst wird. Gegen das Vorliegen einer Konsumtion (und somit gegen ein Miterfassen des Unwerts eines Delikts von der Strafdrohung gegen ein anderes Delikt) spricht es, wenn die Delikte in keinem typischen Zusammenhang stehen bzw. das eine Delikt nicht notwendig oder doch nicht in der Regel mit dem anderen Delikt verbunden ist. Spezialität ist dann gegeben, wenn mehrere Deliktstypen, die auf die Handlung des Täters zutreffen, zueinander im Verhältnis von Gattung und Art stehen, d.h. der eine Deliktstyp bereits sämtliche Merkmale des anderen enthält und noch ein oder mehrere Merkmale dazu (vgl. zu all dem VwGH 29.3.2021, Ra 2020/02/0298, mwN).

1.3.    Im vorliegenden Fall wird der Beschwerdeführerin in beiden Spruchpunkten die Verletzung derselben Rechtsvorschriften, nämlich „§ 11 Abs. 1 und Abs. 2l Versammlungsgesetz 1953“ vorgeworfen. Soweit der Beschwerdeführerin im zweiten Spruchpunkt vorgeworfen wird, sie habe es auch unterlassen, „diesen gesetzeswidrigen Handlungen sofort entgegenzutreten“, wird dies nicht näher konkretisiert und ist davon auszugehen, dass der Bestrafung derselbe Sachverhalt zugrunde gelegt wird, wie er der Bestrafung im ersten Spruchpunkt zugrunde liegt.

1.4.    Soweit § 11 Abs. 2 Versammlungsgesetz normiert, die Versammlungsleiter (bzw. Ordner) haben gesetzwidrigen Äußerungen oder Handlungen sofort entgegenzutreten, wird damit festgelegt, auf welche Art und Weise die Versammlungsleiter und Ordner entsprechend § 11 Abs. 1 Versammlungsgesetz für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung Sorge zu tragen haben. Die in Abs. 1 und Abs. 2 leg.cit. festgelegten Verpflichtungen sind typischerweise miteinander verbunden.

Dabei ist es nach den Umständen des Einzelfalls allenfalls geboten, für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung auf andere Weise als durch sofortiges Entgegentreten Sorge zu tragen.

Kann dem Versammlungsleiter jedoch vorgeworfen werden, er habe nicht (ausreichend) für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung Sorge getragen, ist damit der gesamte Unrechtsgehalt des Tatvorwurfs, er sei den gesetzwidrigen Äußerungen oder Handlungen nicht sofort entgegengetreten, erfasst.

Für das ihr vorgeworfene Verhalten ist über die Beschwerdeführerin – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – daher nur eine Strafe zu verhängen. Spruchpunkt 2. ist daher zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren insoweit einzustellen.

Vor diesem Hintergrund kann es dahingestellt bleiben, ob der Tatvorwurf in Spruchpunkt 2. im vorliegenden Fall überhaupt ausreichend konkretisierbar wäre.

2.       Zur Verpflichtung gemäß § 11 Versammlungsgesetz, für den gesetzmäßigen Ablauf der Versammlung zu sorgen, gehört nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 18721/2009) insbesondere die Verpflichtung dafür zu sorgen, dass die Versammlung in der angezeigten Form abgehalten wird und von den angezeigten Modalitäten nicht derart abgewichen wird, dass eine Versammlung stattfindet, die der Behörde - in dieser Form - nie angezeigt wurde.

Durch das Verlassen der vorab festgelegten Route und das Zusammentreffen mit den Teilnehmern der anderen Versammlung, welches durch die festgelegte Route gerade vermieden werden hätte sollen, wurde gesetzwidrig von den angezeigten Modalitäten der Versammlung abgewichen und zudem der geordnete Ablauf der anderen Versammlung gestört.

3.       Dies ist der Beschwerdeführerin auch vorzuwerfen. Insofern bringt die Beschwerdeführerin zusammengefasst vor, es sei ihr nicht möglich gewesen, für die Einhaltung der angezeigten Route zu sorgen, weil sie zum Tatzeitpunkt zum Lautsprecherwagen gehen habe müssen, um dem Fahrer zu zeigen, wohin gefahren werden müsse. Darüber hinaus hätte sie die Personen ohnedies nicht am Gehen hindern können.

Gemäß § 5 Abs. 1 VStG genügt, wenn eine verwaltungsstrafrechtliche Vorschrift über das Verschulden nichts anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Da der Beschwerdeführerin als Versammlungsleiterin verpflichtet war, für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen, hätte sie, soweit sie nicht selbst die nötige Überwachung der Versammlung durchführen konnte, zusätzliche Ordner zur Überwachung einsetzen müssen (vgl. VfSlg. 14869/1997). Angesichts der bereits vorab bekannten Nähe der angezeigten Route zur anderen (inhaltlich konträren) Versammlung am F.-Platz war es für die Beschwerdeführerin auch absehbar, dass Maßnahmen nötig sein würden, um (durch genaue Einhaltung der Route) ein Zusammentreffen der Teilnehmer der beiden Versammlungen zu verhindern. Indem sie keinerlei Vorkehrungen traf, insbesondere keine Ordner zu ihrer Unterstützung einsetze, handelte die Beschwerdeführerin als Versammlungsleiterin fahrlässig.

4.       Gemäß § 19 Abs. 1 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Gemäß § 19 Abs. 2 VStG sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechts sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

4.1.    Die der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Tat schädigte das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Die Intensität der Beeinträchtigung dieses nicht unbedeutenden Interesses durch die Tat war schon im Hinblick auf die damit in Zusammenhang stehende Beeinträchtigung der Interessen anderer Personen keinesfalls als gering zu werten.

4.2.    Im gegenständlichen Fall waren daher die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Absehen von der Fortführung des Strafverfahrens und eine Einstellung gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG sowie eine Ermahnung gemäß § 45 Abs. 1 zweiter Satz VStG bzw. ein Vorgehen nach § 33a VStG nicht gegeben, da – wie bereits ausgeführt – einerseits die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und andererseits das Verschulden der Beschwerdeführerin nicht als gering angesehen werden konnten.

4.3.    Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde, die „drei verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen zum Tatzeitpunkt“ als erschwerend wertete, war die Beschwerdeführerin zum Tatzeitpunkt verwaltungsstrafrechtlich unbescholten, was als Milderungsgrund zu berücksichtigen ist. Erschwerungsgründe sind nicht ersichtlich. Es ist weiters von vergleichsweise ungünstigen Einkommens- und Vermögensverhältnissen auszugehen. Sorgepflichten liegen nicht vor.

4.4.    Wie bereits ausgeführt, liegt nur eine Verwaltungsübertretung vor und ist daher nur eine Strafe zu verhängen. Unter Bedachtnahme auf die dargestellten Strafzumessungsgründe und unter Berücksichtigung des bis zu € 720,– reichenden gesetzlichen Strafrahmens ist die in Spruchpunkt 1. verhängte Strafe spruchgemäß herabzusetzen. Eine weitere Herabsetzung kommt nicht in Betracht, da die Strafe in diesem Ausmaß als erforderlich anzusehen ist, um die Beschwerdeführerin in Hinkunft von weiteren Übertretungen derselben Natur wirksam abzuhalten.

5.       Die ordentliche Revision ist insoweit zulässig, als im Hinblick auf das (Scheinkonkurrenz-)Verhältnis des § 11 Abs. 1 Versammlungsgesetz zu § 11 Abs. 2 Versammlungsgesetz eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt und zu der bislang keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt.

Schlagworte

Versammlungsleiter; Ordner; Wahrung des Gesetzes und Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung; Sofortiges Entgegentreten bei gesetzwidrigen Äußerungen und Handlungen; Doppelbestrafungsverbot; Scheinkonkurrenz; Kumulationsprinzip; Unrechtsgehalt;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.001.069.11164.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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