Entscheidungsdatum
30.11.2021Norm
KFG 1967 §6Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch den Einzelrichter Hofrat Dr. Schwarzmann über die Beschwerde von A, ***, CZ-***, TSCHECHISCHE REPUBLIK, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vom 29.9.2020, ***, betreffend Bestrafung nach dem Kraftfahrgesetz 1967 (KFG 1967), zu Recht erkannt:
1. Der Beschwerde wird stattgegeben und das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben. Das Verwaltungsstrafverfahren wird eingestellt.
2. Gegen diese Entscheidung ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 38, § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG
§ 44a Z. 1, § 45 Abs. 1 Z. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG
§ 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg (im folgenden: „belangte Behörde“) wurde über den Beschwerdeführer wegen folgender Verwaltungsübertretung gemäß § 6 Abs. 1, § 102 Abs. 1, § 134 Abs. 1 KFG 1967 eine Geldstrafe von 200 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 40 Stunden) verhängt:
„Zeit: 04.08.2019, 11:00 Uhr
Ort: Gemeindegebiet ***, ***, *** Richtung/Kreuzung: Richtung ***
Fahrzeug: ***; ***, Anhänger, Personenkraftwagen
Tatbeschreibung:
Sie haben als Fahrzeuglenker folgende Verwaltungsübertretung begangen:
Dem § 6 Abs.1 KFG wurde nicht entsprochen, obwohl Bremsanlagen so beschaffen und eingebaut sein müssen, dass mit ihnen bei betriebsüblicher Beanspruchung und ordnungsgemäßer Wartung trotz Erschütterung, Alterung, Abnützung und Korrosion die vorgeschriebene Wirksamkeit erreicht wird. Es wurde festgestellt, dass die Auflaufbremse folgenden Mangel aufwies: keine Wirkung.“
In seiner rechtzeitig dagegen erhobenen Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, dass eine ordnungsgemäße Fahrbremsprobe (im Vorwärtsfahren) nicht durchgeführt worden und die Strafe unverhältnismäßig hoch sei.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat über die Beschwerde wie folgt erwogen:
Gemäß § 6 Abs. 1 KFG 1967 müssen Kraftfahrzeuge mindestens zwei Bremsanlagen aufweisen, von denen jede aus einer Betätigungseinrichtung, einer Übertragungseinrichtung und den auf Räder wirkenden Bremsen besteht. Jede Bremsanlage muss vom Lenkerplatz aus betätigt werden können. Die Bremsanlagen müssen so beschaffen und eingebaut sein, dass mit ihnen bei betriebsüblicher Beanspruchung und ordnungsgemäßer Wartung trotz Erschütterung, Alterung, Abnützung und Korrosion die vorgeschriebene Wirksamkeit erreicht wird.
Gemäß § 6 Abs. 10 KFG 1967 müssen Anhänger, sofern im Abs. 11 nichts anderes bestimmt ist, mindestens eine Bremsanlage haben, die wirkt, wenn die Betriebsbremsanlage des Zugfahrzeuges betätigt wird. Die Wirksamkeit dieser Bremsanlage muss dem Gesamtgewicht des Anhängers entsprechend geregelt werden können; (…).
Gemäß § 6 Abs. 10a KFG 1967 muss bei Anhängern, mit denen eine Geschwindigkeit von 25 km/h überschritten werden darf, ausgenommen die im Abs. 10 lit. a angeführten, sowie bei Anhängern, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht 5.000 kg übersteigt, die im Abs. 10 erster Satz angeführte Bremsanlage auf alle Räder wirken können.
Gemäß § 6 Abs. 11 KFG 1967 dürfen Anhänger mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von nicht mehr als 3500 kg, außer Sattelanhängern, Anhängern von Gelenkkraftfahrzeugen und Omnibusanhängern, auch als einzige Bremsanlage eine Auflaufbremsanlage haben. Die Auflaufbremsanlage ist eine Bremsanlage, die nur wirkt, wenn sich der Anhänger dem Zugfahrzeug nähert. Auflaufbremsanlagen müssen eine für die Bremsvorrichtungen geeignete Übertragungseinrichtung haben, durch die die vorgeschriebene Bremswirkung ohne das Einwirken von gefährlichen Deichselkräften auf das Zugfahrzeug erreicht werden kann.
Gemäß § 102 Abs. 1 KFG 1967 darf der Kraftfahrzeuglenker ein Kraftfahrzeug erst in Betrieb nehmen, wenn er sich, soweit dies zumutbar ist, davon überzeugt hat, dass das von ihm zu lenkende Kraftfahrzeug und ein mit diesem zu ziehender Anhänger sowie deren Beladung den hiefür in Betracht kommenden Vorschriften entsprechen.
Gemäß § 134 Abs. 1 KFG 1967 begeht, wer u.a. diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheiden oder sonstigen Anordnungen zuwiderhandelt, eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 5.000 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.
Gemäß § 44a Z. 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Sie bildet den den Deliktstatbestand erfüllenden Sachverhalt. Das bedeutet, dass es im Bescheidspruch aller wesentlichen Tatbestandsmerkmale bedarf, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens und damit für die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die dadurch verletzte Verwaltungsvorschrift erforderlich sind; der Umfang der notwendigen Konkretisierung hängt dabei vom jeweiligen Tatbild ab. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausspricht, sind gemäß § 44a VStG, um die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale zu ermöglichen, entsprechende, in Beziehung zum vorgeworfenen Straftatbestand stehende, wörtliche Anführungen erforderlich, die nicht etwa durch die bloße paragrafenmäßige Zitierung von Gebots- und Verbotsnormen ersetzt werden können (siehe z.B. VwGH 15.9.2003, 2000/10/0061). Die Tat muss so eindeutig umschrieben sein, dass kein Zweifel besteht, wofür der Täter zur Verantwortung gezogen wird. Es reicht nicht aus, die verba legalia zu wiederholen, ohne konkret anzugeben, durch welches Handeln des bzw. der Beschuldigten es zur Verletzung der herangezogenen Strafbestimmung gekommen ist (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2019/17/0073, VwGH 24.7.2019, Ra 2018/02/0163).
Im Erkenntnis vom 12.12.1986, 86/18/0176, hat der Verwaltungsgerichtshof zu einer Bestrafung nach § 4 Abs. 2 KFG 1967 u.a. ausgesprochen, dass Formulierungen des Spruches wie „die Reifen wiesen nicht mehr die erforderliche Mindestprofiltiefe auf“ bzw. „die rechte Schlussleuchte und der linke Rückstrahler des Anhängers waren nicht in Ordnung" nicht dem Konkretisierungsgebot des § 44a VStG entsprechen, weil damit nicht zum Ausdruck kommt, inwiefern nicht den einschlägigen Bestimmungen entsprochen wurde bzw. welche vorgeschriebenen Mindestanforderungen in Betracht kommen. – Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6.5.2020, Ra 2019/02/0213, unter Bezugnahme auf das zitierte Erkenntnis vom 12.12.1986, u.a. wiederum darauf hingewiesen, dass die Umschreibung der Tat bereits im Spruch - und nicht erst in der Begründung - so präzise zu sein hat, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und er nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt ist, und dass sie keinen Zweifel daran bestehen lassen darf, wofür der Täter bestraft worden ist; das Höchstgericht hat folglich bei einer Bestrafung nach § 4 Abs. 2 KFG 1967 Tatbeschreibungen dahingehend, dass „die Fahrzeugkarosserie und der Unterboden mehrfach durchgerostet“ oder dass „die Außenspiegel links und rechts mangelhaft befestigt“ gewesen seien, als nicht den Anforderungen an das Konkretisierungsgebot des § 44a Z. 1 VStG entsprechend qualifiziert.
Im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses werden die verba legalia des dritten Satzes des § 6 Abs. 1 KFG 1967 wörtlich zitiert und dem Beschwerdeführer „als Fahrzeuglenker“ angelastet, dass „die Auflaufbremse folgenden Mangel aufwies: keine Wirkung“; in der Rubrik „Fahrzeug“ sind sowohl ein Anhänger als auch ein Personenkraftwagen mit den jeweiligen tschechischen Kennzeichen angeführt.
Aus dem Vorhalt „als Fahrzeuglenker“ und der Zitierung des § 6 Abs. 1 KFG 1967, der eindeutig die Anforderungen für Bremsanlagen (nur) in Kraftfahrzeugen normiert, lässt sich ableiten, dass der Beschwerdeführer für einen Mangel am von ihm gelenkten Kfz bestraft werden soll. Die Bestimmungen für Bremsanlagen in Anhängern finden sich nämlich nicht in Absatz 1, sondern in den Absätzen 10 ff. des § 6 KFG 1967. Ein Mangel am Pkw wurde aber gegenständlich nicht festgestellt. Sollte, wie aus der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses hervorgeht, ein Mangel am Anhänger geahndet werden, wäre – wenn schon (wie hier) nicht angelastet wurde, dass sich der Beschwerdeführer nicht vor Fahrtantritt überzeugt hat, dass das zu lenkende Kraftfahrzeug und der mit diesem zu ziehende Anhänger den in Betracht kommenden Vorschriften entsprechen – erstens nicht bloß das Lenken eines Kraftfahrzeuges, sondern konkret das Ziehen eines Anhängers (vgl. zu dieser differenzierenden Terminologie § 102 Abs. 1 erster Satz und § 104 KFG 1967 sowie VwGH 15.9.2009, 2009/11/0087, wonach mit der Wendung „Fahrzeug gelenkt“ nicht auch der gezogene Anhänger verstanden werden kann, weil die gesetzliche Differenzierung zwischen dem „Lenken eines Kraftfahrzeuges“ einerseits und dem „Ziehen eines Anhängers“ andererseits ansonsten entbehrlich wäre) anzulasten und zweitens zu präzisieren gewesen, durch welchen konkreten Sachverhalt gegen § 6 KFG 1967 verstoßen wurde, z.B. weil der Anhänger keine Bremsanlage hatte, die wirkt, wenn die Betriebsbremsanlage des Zugfahrzeuges betätigt wird (vgl. § 6 Abs. 10 erster Satz KFG 1967), oder weil die Bremsanlage nicht auf alle Räder wirken konnte (vgl. § 6 Abs. 10a KFG 1967) oder weil die Auflaufbremsanlage nicht eine für die Bremsvorrichtungen geeignete Übertragungseinrichtung hatte, durch die die vorgeschriebene Bremswirkung ohne das Einwirken von gefährlichen Deichselkräften auf das Zugfahrzeug erreicht werden konnte (vgl. § 6 Abs. 11 dritter Satz KFG 1967), damit zu erkennen ist, welcher der zahlreichen Tatbestände des § 6 KFG 1967 verwirklicht worden sein soll.
Die gegenständliche Anlastung im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses, dass durch den „Fahrzeuglenker“ dem § 6 Abs. 1 KFG 1967 nicht entsprochen wurde und die Auflaufbremse den Mangel „keine Wirkung“ aufwies, entspricht demnach nicht dem Konkretisierungsgebot, denn dadurch wird die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, nicht in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht.
Eine Spruchkorrektur ist dem Verwaltungsgericht – unabhängig von der Frage, ob es sich damit vom Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, nämlich der Verwaltungsstrafsache im Umfang des vom bekämpften Straferkenntnis erfassten und erledigten Sachverhalts, entfernen würde (vgl. VwGH 11.10.2019, Ra 2017/11/0080) – nach mittlerweile eingetretener Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 VStG verwehrt. Demzufolge ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG vorgenommen worden ist; eine solche Verfolgungshandlung muss sich auf alle einer späteren Bestrafung zu Grunde liegenden Sachverhaltselemente beziehen (vgl. VwGH 27.4.2012, 2008/17/0175).
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG sind Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht aufzuerlegen, da der Beschwerde Folge gegeben worden ist.
Gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfiel eine öffentliche mündliche Verhandlung, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist.
Die Revision ist unzulässig, da sie nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, und die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Zudem stellen die – hier im Einzelfall beurteilten – Fragen keine „Rechtsfragen von grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung“ (vgl. VwGH 23.9.2014, Ro 2014/01/0033) dar.
Schlagworte
Verkehrsrecht; Kraftfahrrecht; Verwaltungsstrafe; Anhänger; Mangel; Tatumschreibung; Konkretisierungsgebot;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.S.2216.001.2020Zuletzt aktualisiert am
03.01.2022