TE Bvwg Beschluss 2021/5/6 L502 2241609-1

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Veröffentlicht am 06.05.2021
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Entscheidungsdatum

06.05.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


L502 2241609-1/3E

L502 2241608-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Türkei und vertreten durch die RAe XXXX und XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2021, FZ. XXXX und XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde werden die angefochtenen Bescheide aufgehoben und wird die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Im Gefolge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle des Erstbeschwerdeführers (BF1) und dessen Ehegattin, der Zweitbeschwerdeführerin (BF2), durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11.02.2021 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom vermeintlich unrechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich in Kenntnis gesetzt.

2. Infolge dessen wurden die Beschwerdeführer mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 11.02.2021 durch das BFA von der beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot in Kenntnis gesetzt. Unter einem wurde ihnen eine 14-tägige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme hierzu eingeräumt.

3. Am 02.03.2021 nahm eine von den Beschwerdeführern bevollmächtigte Vertretung Einsicht in die Verfahrensakten des BFA. Eine Stellungnahme wurde seitens der Beschwerdeführer jedoch nicht erstattet.

4. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des BFA vom 16.03.2021 wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihnen eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV).

5. Mit Information des BFA vom 16.03.2021 wurde ihnen von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

6. Gegen die ihrer rechtsfreundlichen Vertretung am 16.03.2021 zugestellten Bescheide wurde mit Schriftsatz dieser Vertretung vom 13.04.2021 binnen offener Frist Beschwerde in vollem Umfang erhoben.

7. Mit 19.04.2021 langten die Beschwerdevorlagen des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurden die gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.

8. Das BVwG erstellte Auszüge aus dem Informationsverbundsystem zentrales Fremdenregister, dem Melde- sowie dem Strafregister.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Verfahrensgang steht fest.

1.2. Die Beschwerdeführer, deren Identität jeweils feststeht, sind türkische Staatsangehörige und Ehegatten.

Der BF1 verfügte von 28.04.1997 bis 04.10.2012, von 16.01.2013 bis 15.03.2013 und seit 30.09.2020 bis dato über einen gemeldeten Hauptwohnsitz in Österreich. Die BF2 verfügte von 28.04.1997 bis 15.03.2013 sowie seit 30.09.2020 bis dato über einen aufrecht gemeldeten Hauptwohnsitz in Österreich. Der BF1 verfügte zwischen 12.12.2016 und 23.04.2019 und die BF2 zwischen 12.12.2016 und 18.01.2019 mehrmals über einen gemeldeten Nebenwohnsitz in Österreich.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Beide Beschwerdeführer verfügen jeweils über einen türkischen Reisepass, welcher dem BF1 am 12.06.2012 und der BF2 am 31.05.2012 von der türkischen Vertretungsbehörde in XXXX ausgestellt wurde. Sie verfügen beide über einen unbefristeten Sichtvermerk vom 29.08.1989 der Bezirkshauptmannschaft XXXX . Dass diese Vermerke zwischenzeitlich erloschen sind, konnte nicht festgestellt werden.

Der BF1 bezieht seit 01.06.2007 bis dato Pensionszahlungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit von der Pensionsversicherungsanstalt und ist seit 01.10.2020 bis dato als Pensionist bei der Österreichischen Gesundheitskasse krankenversichert. Aufgrund welcher früheren Erwerbstätigkeit er seinen Pensionsanspruch erworben hat, konnte nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in die gegenständlichen Verfahrensakten unter zentraler Berücksichtigung der bekämpften Bescheide und des Beschwerdeschriftsatzes sowie durch die Einholung von Auszügen des Zentralen Melderegisters, des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister, der Grundversorgungsdatenbank und des Strafregisters.

2.2. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang steht im Lichte der vorliegenden Akteninhalte als unstrittig fest.

2.3. Identität und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer stehen aufgrund der vorliegenden Reisepässe fest. Die Feststellungen zu den hiesigen Meldeadressen beruhen auf den vom BVwG eingeholten Auszügen aus dem ZMR. Ebendiesen Auszügen war auch zu entnehmen, dass sie miteinander verheiratet sind. Die Feststellung der strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführer in Österreich beruht auf den vom BVwG eingeholten Strafregisterauszügen.

2.3. Ausgehend von einer entsprechenden Mitteilung der Landespolizeidirektion Vorarlberg vom 11.02.2021 (AS 17 im Verfahrensakt des BF1) gelangte die belangte Behörde zur Feststellung, dass die Beschwerdeführer im Besitz eines unbefristeten Sichtvermerks vom 29.08.1989 gewesen seien, welcher am 11.02.2021 mit dem Vermerk „ungültig“ versehen worden sei, worauf wiederum die Feststellung fußte, dass die beiden Beschwerdeführer sich illegal in Österreich aufhalten würden. Als türkische Staatsangehörige ohne Visum und Aufenthaltstitel seien sie lediglich für 90 Tage in 180 Tagen aufenthaltsberechtigt, sie würden sich jedoch schon seit 30.09.2020 durchgehend in Österreich aufhalten.

2.4. Dieser Feststellung des BFA konnte sich das BVwG aufgrund folgender Erwägungen jedoch nicht anschließen:

Dass beide seit 1989 über unbefristete Sichtvermerke verfügen, ergab sich aus dem unstrittigen Akteninhalt. Wenngleich selbigem zu entnehmen war, dass beide mittels eines Stempels für ungültig erklärt wurden, fanden sich in keinem der beiden Verfahrensakte ausreichende Anhaltspunkte, aufgrund welcher Umstände diese Eintragung erfolgte bzw. insbesondere ob diese tatsächlich ex lege erloschen sind. Zwar liegt das BFA mit der dem Akteninhalt zu entnehmenden Rechtsauffassung, wonach derartige Daueraufenthaltstitel gemäß § 20 Abs. 4 NAG ex lege erlöschen, wenn sich ein Fremder länger als zwölf aufeinanderfolgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält (vgl. VwGH 11.05.2020, Ra 2020/22/0062), grundsätzlich richtig, allerdings fanden sich in den angefochtenen Bescheiden keine Ermittlungsergebnisse und Feststellungen dazu, wann die Beschwerdeführer für einen entsprechend langen Zeitraum durchgängig außerhalb des EWR-Gebietes aufhältig gewesen sind, und wurde dies auch nicht aus den Verfahrensakten ersichtlich. Lediglich im Verfahrensakt der BF2 fanden sich in der im Akt einliegenden Kopie ihres Reisepasses zwei Vermerke über die Ausreise aus der Türkei, in Ermangelung entsprechender Einreisevermerke im Akt, blieb jedoch offen wie lange sie bei diesen Reisen außerhalb des EWR-Gebietes aufhältig war (AS 19 im Verfahrensakt der BF2). Folglich konnte nicht festgestellt werden, dass die unbefristeten Sichtvermerke tatsächlich ex lege erloschen sind.

Die Beurteilung des Umstandes, ob diese unbefristeten Sichtvermerke nunmehr bereits erloschen sind, setzt folglich eine ausführlichere Auseinandersetzung des BFA mit allfälligen Auslandsaufenthalten der Beschwerdeführer voraus. Hierzu könnte das BFA die vorliegenden Reisepässe zur Gänze in den Verfahrensakt aufnehmen bzw. könnten die Beschwredeführer hierzu im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme befragt werden.

Die Feststellungen der aufrechten Krankenversicherung und des Bezugs von Pensionszahlungen des BF1 basieren auf dem vom BFA selbst eingeholten AJ-Web Auszug vom 12.02.2021 (AS 19 im Verfahrensakt des BF1). Ausgehend davon entbehrte die diesbezügliche Feststellung des BFA im Bescheid des BF1, dass er keiner legalen Beschäftigung nachgehen würde (Seite 4 im Bescheid des BF1), einer Nachvollziehbarkeit. Gänzlich offen blieb aufgrund der insoweit unzureichenden Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde auch, aufgrund welcher vergangenen Erwerbstätigkeit der BF1 einen entsprechenden Anspruch auf diese Pensionsleistungen erwerben konnte. Dass er zuvor einer Erwerbstätigkeit in Österreich nachgegangen sein muss, erschloss sich hingegen schon aus dem Umstand, dass er die entsprechenden Pensionsleistungen aufgrund seiner geminderten Arbeitsfähigkeit bezieht (AS 19 im Verfahrensakt des BF1).

Vor dem rechtlichen Hintergrund, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG voraussetzt, dass sich die Beschwerdeführer nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, hätte die belangte Behörde jedenfalls entsprechende Ermittlungen zu Dauer und Ausmaß der früheren Erwerbstätigkeit des BF1 anzustellen gehabt. Dies deshalb, weil der BF1 durch seine frühere Erwerbstätigkeit möglicherweise Rechte aus Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) erworben haben könnte, was gleichermaßen auch auf die BF2 zutreffen könnte, die ebenjene Rechtsstellung aus Art 7 ARB 1/80 abgeleitet haben könnte. Sollten die nachzuholenden behördlichen Erhebungen ergeben, dass die Beschwerdeführer tatsächlich Rechte aus dem ARB 1/80 erworben haben, so käme § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG nicht mehr als Entscheidungsgrundlage in Betracht, sondern wäre die Rückkehrentscheidung allenfalls auf § 52 Abs. 5 FPG zu stützen.

Aus Sicht des erkennenden Gerichts setzt die Beurteilung des (un)rechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführer in Österreich sohin jedenfalls voraus, dass das BFA weitere Ermittlungen zur früheren Berufstätigkeit des BF1 in Österreich anstellt. Ebendies unterließ die belangte Behörde jedoch gänzlich. Neben einer jedenfalls möglichen Einvernahme des BF1 und der BF2 könnte es hierzu insbesondere einen umfassenderen Auszug aus dem AJ-Web einholen oder sich mittels eines entsprechenden Auskunftsbegehrens an die Pensionsversicherungsanstalt wenden.

Angesichts der bisher mangelnden Auseinandersetzung der belangten Behörde mit den Auslandsaufenthalten der Beschwerdeführer und der Erwerbstätigkeit des BF1 stellt sich die Schlussfolgerung des BFA, dass sie sich illegal in Österreich aufhalten würden, als bloße Mutmaßung dar.

Wie die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden zwar zutreffend ausführte, setzt die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführer zudem eine umfassende Auseinandersetzung mit ihrem hiesigen Privat- und Familienleben sowie eine Abwägung dieser Interessen mit den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung voraus. Jedoch blieb für das erkennende Gericht unklar, auf Grundlage welcher konkreten Ermittlungen bzw. Feststellungen der belangten Behörde eine solche in den gg. Verfahren erfolgte.

Wenngleich das BVwG nicht verkannt hat, dass die Beschwerdeführer die Abgabe einer Stellungnahme im Verfahren, trotz eingeräumter Möglichkeit hierzu, schuldig geblieben sind, so hätte sich das BFA dennoch von Amts wegen näher mit ihrem hiesigen Aufenthalt befassen müssen und sie insbesondere zu einer entsprechenden Einvernahme laden müssen. Dies wird im fortgesetzten Verfahren umso mehr von Bedeutung sein, als in der Beschwerde auf besonders umfassende familiäre Anknüpfungspunkte der Beschwerdeführer in Österreich – in concreto deren hier aufgewachsenen und aufhältigen gemeinsamen Kinder – verwiesen wurde. Dass die Beschwerdeführer in Österreich tatsächlich über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte verfügen, hätte die belangte Behörde auch schon angesichts der aktenkundigen Nebenwohnsitzmeldeadressen beider Beschwerdeführer erahnen können, zumal der Unterkunftsgeber dieser Wohnsitze denselben Familiennamen wie die Beschwerdeführer teilt. Ausgehend vom derzeitigen Ermittlungs- und Kenntnisstand der belangten Behörde ist eine dem Gesetz entsprechende Interessenabwägung iSd § 9 Abs. 1 BFA-VG schlicht nicht möglich.

2.5. In einer Zusammenschau der aufgezeigten Versäumnisse der belangten Behörde traten insgesamt derart gravierende Ermittlungsmängel zu Tage, dass substantiierte Feststellungen zur (Un)rechtmäßigkeit des hiesigen Aufenthalts der Beschwerdeführer unmöglich waren. Ebenso wenig konnte aufgrund der bisher aktenkundigen Ermittlungsergebnisse festgestellt werden, dass kein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich bestehen würde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Zu A)

1. Die Aufhebung eines Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG folgt konzeptionell dem § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur - soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft - anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme auf die genannten Einschränkungen die im Erkenntnis des VwGH vom 16.12.2009, Zl. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten, wonach die Behörde an die Beurteilung im Behebungsbescheid gebunden ist. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH, 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Es liegen die Voraussetzungen von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst dann vor, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht, insbesonders weil

1. die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

2. die Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat

3. konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer "Delegierung" dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden oder

4. ähnlich schwerwiegende Ermittlungsmängel zu erkennen sind und

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht - hier: das Bundesverwaltungsgericht - selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht über den Inhalt der vor der Verwaltungsbehörde behandelten Rechtsache abspricht, wobei sie entweder die Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid abweist oder dieser durch seine Entscheidung Rechnung trägt. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war.

Geht das Verwaltungsgericht - in Verkennung der Rechtslage - aber von einer Ergänzungsbedürftigkeit des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes aus, die bei einer zutreffenden Beurteilung der Rechtslage nicht gegeben ist, und hebt dieses Gericht daher den Bescheid der Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG infolge Verkennung der Rechtslage auf, verstößt das Verwaltungsgericht gegen seine in § 28 Abs. 2 VwGVG normierte Pflicht, "in der Sache selbst" zu entscheiden.

2.1. Wie oben ausgeführt wurde, hat die belangte Behörde mangels hinreichender Ermittlungen keine tragfähigen Feststellungen zur Frage des Aufenthaltsstatus sowie zum hiesigen Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer getroffen.

2.2. Angesichts dessen, dass das BFA den maßgeblichen Sachverhalt in Bezug auf den hiesigen Aufenthaltsstatus bloß ansatzweise und jenen zum hiesigen Privat- und Familienleben überhaupt nicht ermittelte, lag in der Folge eine so gravierende Ermittlungslücke hinsichtlich der Subsumtion unter die richtige Rechtsgrundlage vor (vgl. VwGH vom 30.09.2014, Ro 2014/22/0021), dass sich das erkennende Gericht zur Behebung der bekämpften Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides veranlasst sah.

Eine Verlagerung des im Hinblick auf die erwähnten rechtlichen Konsequenzen erforderlichen Ermittlungsverfahrens vor das BVwG war nicht als im Sinne des Gesetzgebers gelegen zu erachten. Im Übrigen würde eine erstmalige Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes und Beurteilung der Rechtsfrage durch das BVwG eine (bewusste) Verkürzung des Instanzenzuges bedeuten (vgl. dazu VwGH v. 18.12.2014, Ra 2014/07/0002; VwGH v. 10.10.2012, Zl. 2012/18/0104). Dass eine unmittelbare Durchführung dieses Ermittlungsverfahrens durch das BVwG "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, war nicht ersichtlich.

3. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

4. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben waren.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Erwerbstätigkeit Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L502.2241609.1.00

Im RIS seit

03.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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