TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/13 L510 2181377-2

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Veröffentlicht am 13.08.2021
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Entscheidungsdatum

13.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L510 2181377-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Irak, vertreten durch RA Mag. Paul HECHENBERGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2021, Zl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die beschwerdeführende Partei (bP) stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 31.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom 30.11.2017, Zl. XXXX , wies das beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs 1 Ziffer 1 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebungen gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig seien (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Dagegen erhob die bP Beschwerde an das BVwG.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.04.2019, GZ: G306 2181377-1/15E, wurde ihre Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017 als unbegründet abgewiesen.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 08.08.2019 wurde der außerordentlichen Revision der bP gegen das Erkenntnis des BVwG vom 25.04.2019 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 24.03.2020, Ra 2019/01/0296, wurde die Revision zurückgewiesen. Mit 02.05.2019 erwuchs die Entscheidung des BVwG vom 25.04.2019 in Rechtskraft (OZ 15, G306 2181377-1).

In weiterer Folge reiste die bP bis dato trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung nicht aus und hält sich bis dato unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

2. Am 13.07.2020 stellte die bP persönlich beim BFA den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 AsylG.

Mit Schriftsatz vom 07.04.2021 wurde der bP mittels Verbesserungsauftrag sowie Gewährung des Parteiengehörs die Gelegenheit gegeben, die Mängel des Antrags zu beheben sowie integrationsbegründende Unterlagen vorzulegen.

Mit Schreiben vom 21.04.2021 gab RA Mag. Paul HECHENBERGER die rechtsfreundliche Vertretung der bP bekannt und ersuchte gleichzeitig um Fristerstreckung bis zum 07.05.2021 für die Abgabe einer Stellungnahme. Seitens des BFA wurde diesem Ersuchen zugestimmt.

Mit Schriftsatz vom 06.05.2021 brachte die bP eine Stellungnahme und den aufgetragenen Verbesserungsauftrag beim BFA ein.

3. Mit Bescheid vom 17.06.2021, Zl: XXXX , wies das BFA den Antrag der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 14.04.2021 gemäß § 58 Abs 10 AsylG zurück (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Es wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der bP

Die beschwerdeführende Partei ist Staatsangehöriger des Irak, bekennt sich zum sunnitisch muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Araber an. Ihre Identität steht fest. Sie ist ledig und hat keine Kinder.

Die bP wurde in Bagdad geboren und lebte bis zu ihrer Ausreise dort. Im Dezember 2015 verließ die bP den Irak gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Geschwistern. Nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet stellte sie gemeinsam mit diesen am 31.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde im Rechtsmittelweg vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 25.04.2019, GZ: G306 2181377-1/15E, als unbegründet abgewiesen. Eine dagegen erhobene Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 24.03.2020, Ra 2019/01/0296, zurückgewiesen. Das Erkenntnis des BVwG wurde mit 02.05.2019 rechtskräftig. Die bP kam ihrer daraus erwachsenen Ausreiseverpflichtung nicht nach.

In Österreich leben die Eltern, zwei Brüder und eine Schwester der bP. Gegen die Eltern und die beiden Brüder der bP besteht eine rechtskräftige Ausreiseverpflichtung. Die Schwester der bP, XXXX , geb. XXXX , ist verheiratet. Ihr wurde gemäß § 55 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung plus aus Gründen des Art 8 EMRK erteilt. Es konnte weder ein gemeinsamer Haushalt, noch ein Abhängigkeitsverhältnis oder ein besonderes Naheverhältnis in Bezug auf die zuvor genannten Personen festgestellt werden. Darüber hinaus verfügt die bP über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Seit November 2020 führt die bP eine Beziehung in Österreich, sie lebt mit ihrer Freundin jedoch nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Ein Abhängigkeitsverhältnis oder eine besonders enge Beziehung zu der Freundin wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Die bP verfügt in Österreich auch über einen Freunde- und Bekanntenkreis und brachte diesbezüglich auch mehrere Unterstützungsschreiben in Vorlage. Besondere Kontakte bzw. Freundschaften zu anderen in Österreich lebenden Personen ergeben sich daraus nicht.

Die bP hat von ihrer Einreise ins Bundesgebiet bis zum 28.06.2020 Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber bezogen und war nicht selbsterhaltungsfähig. Die bP ging erstmals im Jahr 2020 einer Erwerbstätigkeit als Friseur bei der Firma XXXX nach. Sie erhält monatlich eine Privatentnahme in Höhe von 1.250,- Euro bei der Firma XXXX und finanziert dadurch ihren Lebensunterhalt in Österreich. Seit XXXX 2020 ist sie als persönlich haftender Gesellschafter im Firmenbuch des LG XXXX , FN XXXX , bei der Firma XXXX eingetragen, welche in XXXX situiert ist. Seit 03.02.2020 ist sie bei der SVS versichert. Bis zum 28.06.2020 lebte die bP in einer Asylunterkunft gemeinsam mit ihrer Familie. Seither lebt sie alleine in einer eigenen Wohnung.

Es wurde seitens des BFA nicht abschließend geklärt, ob die bP tatsächlich berechtigt ist in Österreich auf selbständiger Basis tätig zu sein, obwohl ihr Aufenthalt in Österreich nicht rechtmäßig ist (AV vom 25.05.2021, AS 232).

Die bP hat Deutschsprachkurse auf dem Niveau A1 und A2 besucht. Einen sonstigen Nachweis über den Erwerb von Deutschkenntnissen hat die bP bisher nicht erbracht. Im Zuge einer Identitätsfeststellung am 20.10.2020 durch Polizeibeamte der PI XXXX Fremdenpolizei war eine Verständigung mit der bP in der deutschen Sprache nahezu nicht möglich, weshalb ein Arbeitskollege das Gespräch zwischen der bP und den Beamten übersetzen musste. Die bP besuchte die Übergangsschultstufe und hat im Rahmen der Pflichtschulabschluss-Prüfung Teilprüfungen aus den Fächern Englisch und Mathematik positiv, Deutsch jedoch negativ abgelegt. Die bP nahm am 02.10.2018 am Kurs „Organisatorischer Brandschtuz“ der XXXX teil und besuchte einen Lehrlingsintensivkurs im Zeitraum 07.06.2017 bis 15.09.2017, welchen sie ohne Prüfung in Deutsch, Englisch und Mathematik abschloss. Weiters hat sie am 19.12.2016 einen Werte- und Orientierungskurs in Österreich besucht und nahm am 06.04.2016 bei der Besichtigung des Landesmuseums XXXX teil. Die bP ist kein Mitglied in einem Verein, ging jedoch gemeinnützigen Tätigkeiten (Schulreinigung und Forstarbeiten) im Bundesgebiet nach. Die bP ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und weist im Bundesgebiet durchgehend Wohnsitzmeldungen auf. Die bP ist gesund und arbeitsfähig. Die bP wurde wegen einer Übertretung nach dem Tiroler Grundversorgungsgesetz rechtskräftig zu einer Geldstrafe von Euro 100,-- bestraft (AS 227).

Die bP wurde im Irak sozialisiert, hat die ersten 16 Jahre ihres Lebens dort verbracht und ihre Muttersprache ist die dortige Landessprache. Die bP besuchte in ihrem Herkunftsstaat mehrere Jahre die Schule, war jedoch nicht erwerbstätig. Auch familiäre Anknüpfungspunkte sind im Irak, konkret in Bagdad, nach wie vor vorhanden. Darüber hinaus besteht gegen die Eltern und die beiden Brüder der bP eine rechtskräftige Ausreiseverpflichtung.

2. Beweiswürdigung

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der von ihr vorgelegten Beweismittel, des bereits geführten Asylverfahrens, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes und der Einsichtnahme in die vom BFA beigeschafften länderkundlichen aktuelle Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der bP.

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zur Person der bP:

Die personenbezogenen Daten sowie die Feststellungen zu den Lebensumständen im Irak ergeben sich unbestrittener Weise aus den diesbezüglich vorgelegten Bescheinigungsmitteln, den Ausführungen in der Beschwerde, den vorgelegten Beweismitteln und dem bereits abgeschlossenen Asylverfahren. Die feststehende Identität der bP ergibt sich aus der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellung, welcher in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Die Feststellungen zu ihrer Ausreise aus dem Irak, zur Einreise in Österreich, dem Antrag auf internationalen Schutz und dem Verfahrensausgang ergeben sich aus den unzweifelhaften diesbezüglichen Akten des BFA und des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.3 Zur Integration der bP:

Die Feststellungen zum Privatleben in Österreich und den integrativen Schritten ergeben sich aus dem Antrags- und Beschwerdevorbringen, den vorgelegten Urkunden, dem Bescheid der belangten Behörde und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.04.2019, GZ: G306 2181377-1/15E.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung der Entscheidung

3.1. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Gemäß § 55 Abs 2 AsylG ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

Gemäß § 58 Abs 10 AsylG sind Anträge gemäß § 55 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Die Zurückweisung nach § 58 Abs 10 AsylG 2005 ist jener wegen entschiedener Sache nachgebildet, sodass die diesbezüglichen (zu § 68 Abs 1 AVG entwickelten) Grundsätze herangezogen werden können. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann bzw. eine andere Entscheidung zumindest möglich ist. Die Behörde hat daher eine Prognose anzustellen, in deren Rahmen die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach jener Wertung zu beurteilen ist, die das geänderte Sachverhaltselement seinerzeit erfahren hat. Dabei sind die nach Art 8 MRK relevanten Umstände einzubeziehen, indem zu beurteilen ist, ob es als ausgeschlossen gelten kann, dass im Hinblick auf früher maßgebliche Erwägungen nun eine andere Beurteilung geboten sein könnte (vgl. VwGH 26.06.2020, Ra 2017/22/0183, mit Hinweis auf die E vom 03.10.2013 ZI. 2012/22/0068).

Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt ist schon dann gegeben, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art 8 MRK ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0444, mit Hinweis auf die E vom 23.01.2020, Ra 2019/21/0356).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom BFA unter dem Gesichtspunkt "entschiedene Sache" vorgenommenen Antragszurückweisung nach § 58 Abs 10 AsylG 2005 ist jener der Erlassung des behördlichen Bescheides. Es ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 58 Abs 10 AsylG 2005, dass für das BFA maßgebliche Beurteilungsgrundlage nur das "Antragsvorbringen" ist und dass das VwG bloß die Richtigkeit der vom BFA - auf dieser Basis - ausgesprochenen Zurückweisung zu prüfen hat (vgl. VwGH 22.01.2021, Ra 2020/21/0520, mwN).

Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 58 Abs 10 AsylG 2005 hat eine Interessenabwägung iSd Art 8 MRK zu unterbleiben; das VwG hat bloß die Richtigkeit der in erster Instanz ausgesprochenen Zurückweisung zu prüfen (vgl. VwGH 26.06.2020, Ra 2017/22/0183).

Bereits in einer Änderung des Sachverhaltes, die einer Neubewertung nach Art 8 EMRK zu unterziehen ist (und nicht erst darin, dass der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste), ist eine maßgebliche Änderung zu sehen. Ein maßgeblicher geänderter Sachverhalt liegt dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufweisen, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art 8 EMRK gebietet (VwGH 22.07.2011, 2011/22/0127)

Der Verwaltungsgerichtshof hat angesprochen, dass weder ein Zeitablauf von ca. 2 Jahren zwischen der rechtskräftigen Ausweisung und dem Zurückweisungsbeschluss der Behörde noch verbesserte Deutschkenntnisse und Arbeitsplatzzusagen eine maßgebliche Sachverhaltsänderung darstellen (VwGH 26.06.2020, Ra 2017/22/0183).

3.2. Im rechtskräftigen Erkenntnis des BVwG im ersten Verfahrensgang wurde im Wesentlichen festgestellt, dass Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige besondere Integration der bP nicht erkennbar ist. Wenn auch für die bP deren Bemühungen hinsichtlich des Erlernens der Deutschen Sprache und Integration in Österreich, sowie der Versuch einen Pflichtschulabschluss zu erlangen in Anschlag zu bringen sind, so ist der an sich erst kurze – unsichere einzig auf einen unbegründeten Asylantrag gestützte – Aufenthalt im Bundesgebiet, die Erwerbslosigkeit sowie der überwiegende Bezug von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung demgegenüber zu stellen. Zudem verfügt die bP nach wie vor über Anknüpfungspunkte zum Irak. Vor dem Hintergrund, dass die bP sich der Unsicherheit ihres einzig durch einen – unbegründeten – Asylantrag vorübergehend legitimierten Aufenthaltes, und der damit einhergehenden Möglichkeit im Bundesgebiet allfällig bestehenden sozialen Beziehungen nicht vor Ort weiterführen zu können, bewusst gewesen ist, hat dieses eine Relativierung hinzunehmen.

Sofern in der gegenständlichen Beschwerde ausgeführt wird, die bP habe seit März 2020 Deutsch gelernt bzw. sprachliche Fortschritte erzielt, so ist dem entgegenzuhalten, dass die bP weder während ihres Asylverfahrens, noch während des gegenständlichen Verfahrens einen Nachweis über den Erwerb von Deutschkenntnissen erbracht hat. So brachte sie in ihrem Asylverfahren lediglich Nachweise über besuchte Deutschsprachkurse auf dem Niveau A1 und A2 sowie einen Nachweis über den Besuch der Übergangsschultstufe vor. Im Rahmen der Pflichtschulabschluss-Prüfung hat sie Teilprüfungen aus den Fächern Englisch und Mathematik positiv absolviert, Deutsch jedoch negativ. Dass sich die – sehr geringen – Deutschkenntnisse der bP seither verbessert haben, konnte nicht festgestellt werden, zumal die bP keinerlei Dokumente in Vorlage brachte, welche den Besuch von Deutschkursen oder das Ablegen von Sprachprüfungen belegen würde. Vielmehr ergibt sich aus dem im Akt befindlichen Aktenvermerk der PI XXXX Fremdenpolizei, dass im Zuge einer Identitätsfeststellung am 20.10.2020 durch Polizeibeamte, eine Verständigung mit der bP in der deutschen Sprache nahezu nicht möglich war, weshalb ein Arbeitskollege das Gespräch zwischen der bP und den Beamten übersetzen musste. Eine beachtliche Verbesserung der Deutschkenntnisse der bP konnte daher nicht festgestellt werden, weswegen diese keine wesentliche Sachverhaltsänderung seit der letzten Rückkehrentscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes darstellen.

Auch die bloße Verlängerung ihres Aufenthaltes in Österreich seit der rechtskräftigen Entscheidung vom 02.05.2019 stellt ebenfalls keine derartige Sachverhaltsänderung dar um von einer berücksichtigungswürdigen Integration auszugehen, zumal die bP verpflichtet gewesen wäre, Österreich zu verlassen.

Im aktuellen Verfahren brachte die bP jedoch einen Nachweis über eine Erwerbstätigkeit als Friseur bei der Firma XXXX sowie eine Eintragung im Firmenbuch des LG XXXX , FN XXXX , als persönlich haftender Gesellschafter bei der Firma XXXX , in Vorlage. Darüber hinaus ist sie seit 28.06.2020 nicht mehr auf Leistungen aus der Grundversorgung angewiesen und lebt alleine in einer eigenen Wohnung. Weiters brachte die bP im Zuge der Beschwerde vor, in Österreich seit November 2020 eine Beziehung zu führen und gemeinsam mit ihrer Freundin eine Zukunft in Österreich zu planen.

Wenngleich die von der bP gesetzten Integrationsschritte allesamt in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sie eine Verpflichtung zur Ausreise traf, so geht das Bundesverwaltungsgericht dennoch davon aus, dass hier abgesehen von nicht belegten Deutschkenntnissen und einem Zeitablauf von ca. 2 Jahren, im aktuellen Verfahren eine Änderung des Sachverhaltes vorliegt, die einer Neubewertung nach Art 8 EMRK zu unterziehen ist. Dies insbesondere vor dem Hintergrund dessen, dass lt. Aktenvermerk des BFA vom 25.05.2021 (AS 232) erst polizeilich abgeklärt werden müsse, ob die bP im konkreten Fall tatsächlich legal in Österreich als Selbständiger tätig ist, was einen wesentlichen Einfluss auf den neu zu beurteilenden Sachverhalt haben wird. Diesbezüglich erfolgten jedoch keine abschließenden Verfahrensschritte, was jedoch unerlässlich sein wird. Unabhängig vom Ergebnis dieses Ermittlungsverfahrens liegt jedoch jedenfalls eine Sachverhaltsänderung vor.

In Anbetracht dessen hat das BFA den Antrag der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK zu Unrecht gemäß § 58 Abs 10 AsylG zurückgewiesen.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung ersatzlose Behebung Rückkehrentscheidung behoben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L510.2181377.2.00

Im RIS seit

03.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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