Entscheidungsdatum
16.09.2021Norm
AsylG 2005 §55Spruch
W226 2234029-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.07.2020, Zl.: 732020803-180985460 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
I.1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und des muslimischen Glaubens, reiste am 05.07.2003 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am Grenzüberwachungsposten (GÜP) XXXX aufgegriffen wurde und am 05.07.2003 einen Asylantrag stellte.
In der niederschriftlichen Einvernahme am GÜP XXXX am selben Tag, gab der BF an, in Russland von den Leuten des FSB verfolgt zu werden. Er sei vor etwa einer Woche aus Inguschetien ausgereist.
I.1.2. Am 07.07.2003 wurde der BF vom Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen, im Zuge dessen er angab, seine Eltern, seine Ehefrau und zwei seiner Kinder würden noch im Herkunftsstaat leben. Auf die Frage, ob seitens seines Herkunftsstaates gegen ihn offizielle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie ein Steckbrief, Haftbefehl oder eine Strafanzeige bestehe, antwortete der BF, er sei von der russischen Regierung, von der Spezialeinheit FSB verfolgt worden. Gleichzeitig werde er von tschetschenischen Spezialeinheiten, die mit den russischen zusammenarbeiten würden, gesucht. Es gebe eine Föderalfahndung auf seinen Namen. Er hätte eine Kämpfervereinigung und die Spezialeinheit habe das erfahren. Durch Übermittler sei ihm mitgeteilt worden, dass er gesucht werde. Er habe 1995-1996 und 1999-2003 für das tschetschenische Volk gekämpft.
I.1.3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.07.2003 wurde der Asylantrag des BF wegen bestehenden Schutzes in der Slowakei ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz 1997 als unzulässig zurückgewiesen. Dagegen erhob der BF fristgerecht Berufung.
I.1.4. Mit Aktenvermerk vom 05.08.2003 wurde das Berufungsverfahren des BF gemäß § 30 Abs. 1 AsylG 1997 eingestellt, da eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wegen Abwesenheit des BF nicht möglich sei. Der BF habe es unterlassen, entsprechend der Bestimmung des § 8 Abs. 1 ZustellG der Behörde unverzüglich die Änderung seiner bisherigen Abgabestellte mitzuteilen, obwohl er von dem ihn betreffenden Asylverfahren Kenntnis gehabt habe. Laut ZMR-Auskunft vom 04.08.2003 sei der BF an seiner bisherigen Adresse seit dem 28.07.2003 nicht mehr gemeldet. Ein neuer Aufenthaltsort sei nicht bekannt.
Am 14.08.2003 stellte der BF einen Antrag auf Fortsetzung des Asylverfahrens gemäß § 30 Abs. 2 AsylG 1997 und gab seine neue Adresse bekannt.
Mit Aktenvermerkt vom 13.08.2003 wurde das Verfahren gemäß § 30 Abs. 2 AsylG, da der BF somit wieder zur Beweisaufnahme zur Verfügung steht, fortgesetzt.
I.1.5. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 03.05.2004 wurde die Berufung des BF gemäß § 44 Abs. 5 AsylG 1997 als unzulässig zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde der BF darauf hingewiesen, dass das Verfahren vom Bundesasylamt weitergeführt werde.
I.1.6. Im Zuge einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme des BF vor dem Bundesasylamt gab der BF an in den Jahren 2001, 2002 und 2003 in Dagestan und Inguschetien gelebt zu haben. Auf die Frage, ob der BF in seinem Heimatland von den Behörden gesucht werde, antworte der BF mit „ich weiß es nicht“. Er sei geflohen, weil er Angst habe, in Tschetschenien zu leben. Er habe Angst vor dem Krieg, die Russen würden alle Tschetschenen verfolgen. Auf die Frage, ob er von den Russen verfolgt worden sei, antwortete der BF, er könne nicht konkret sagen, von den Russen verfolgt zu werden. Er habe bei einer tschetschenischen Spezialeinheit von 1997-1999 gearbeitet und dort Züge begleitet. Er wisse nicht, ob er wegen seiner Arbeit von den Russen verfolgt werde. Bei einer Rückkehr würde er beim nächsten Posten verhaftet, weil für Russen alle Tschetschenen Terroristen seien. Er habe Angst um seine Familie, diese seien im Flüchtlingslager in Inguschetien und er möchte seine Kinder nach Österreich holen.
Am 06.08.2004 reichte der BF beim Bundesasylamt eine Stellungnahme ein, in welcher er nochmals ausführte und klarstellte, von 1997 bis 1999 bei einer tschetschenischen Spezialeinheit tätig gewesen zu sein. Ca im Jahr 2000 seien immer wieder ehemalige Kollegen des BF vom „Verschwindenlassen“ betroffen gewesen und er habe befürchtet, dass ihm das gleiche Schicksal ereile und sei deshalb nach Inguschetien geflüchtet, wo es aber für ihn unsicher gewesen sei. Wie unsicher es in Inguschetien tatsächlich sei, würden auch die aktuellen Ereignisse zeigen und sei es nach den Anschlägen des letzten Monats auch verstärkt zu großangelegten Säuberungsaktionen, auch in den Flüchtlingslagern in Inguschetien gekommen. Davon seien auch sein Bruder und Vater betroffen gewesen, die vor ca drei Wochen festgenommen worden seien.
I.1.7. Mit – gemäß § 58 Abs. 2 AVG, BGBl 1991/151 nicht näher begründeten - Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.10.2004 wurde dem Asylantrag des BF gemäß § 7 Asylgesetz 1997 stattgegeben und ihm Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes zukommt.
I.1.8. Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX (Rechtskraft: XXXX ) wurde der BF wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung gemäß § 107b Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
I.1.9. Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX (Rechtskraft: XXXX ) wurde der BF wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 1. Fall StGB sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Monaten verurteilt.
I.1.10. Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX (Rechtskraft: XXXX ) wurde der BF wegen des Vergehens des (versuchten) Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 1. Fall StGB sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Monaten, davon 10 Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
I.2.1. Am 20.07.2020 wurde der BF bezüglich der Aberkennung seines Asylstatus vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen, wobei der BF angab, seit Jänner 2020 arbeitslos zu sein, in XXXX geboren worden zu sein, in Tschetschenien die Matura gemacht zu haben und anschließend ein Universitätsstudium begonnen zu haben, welches er aber aufgrund des Kriegsausbruches abgebrochen habe. Er habe im ersten Krieg auf Seiten der Separatisten gekämpft, dann habe er bei der Polizei gearbeitet von 1997-1999 und 1999 schließlich auch am zweiten Tschetschenienkrieg teilgenommen. Sein älterer Bruder sei im ersten Tschetschenienkrieg gestorben und nach dem zweiten Krieg hätten bloß er und ein Freund überlebt, alle anderen Kollegen seien gestorben. Er sei verheiratet gewesen, sei aber wieder geschieden und habe fünf Kinder von zwei Frauen. 2008 habe er seine zwei Kinder aus Tschetschenien nach Österreich geholt, drei Kinder seien in Österreich geboren. Eine Tochter lebe alleine, er lebe mit seinem älteren Sohn im gemeinsamen Haushalt. Die anderen Kinder im Alter von 10, 12 und 13 Jahren würden mit ihrer Mutter im Haushalt leben, denen er finanziell helfe. In seinem Herkunftsstaat habe er noch seine Eltern, ansonsten keine Verwandten mehr. Er habe noch Cousins in Österreich. Die Geschwister des BF würden in Kasachstan und der Türkei leben. Sein Vater sei an Krebs erkrankt, er habe noch Kontakt mit ihnen. Befragt nach seinen Rückkehrbefürchtungen, brachte der BF vor, dass er dann einvernommen werde und zugeben müsse, im Unrecht zu sein. Vielleicht würden sie ihn dann am Leben lassen, er würde aber so oder so getötet werden. Auf die Frage, warum er getötet werden würde, antwortete der BF, dass er nicht gesagt habe, sie würden ihn töten, aber er habe seine Prinzipien und sei nicht bereit, sich der Behörde zu stellen. Alle Menschen, die mit ihm gekämpft hätten, seien alle ermordet worden, das sei 2003 oder 2004 gewesen. Auf den Vorhalt, dass 2006 alle Widerstandskämpfer amnestiert worden seien, antwortete der BF, dass dies nicht stimme, er habe alle Anführer persönlich gekannt und diese seien gefangen genommen worden im Jahre 2003 oder 2004. Er habe das von seinen Verwandten erfahren. Eine Amnestierung habe es nicht gegeben. Auf die Frage, ob er in einen anderen Teil seines Landes zurückkehren könne, antwortete der BF, dass der russische Staat wisse, wer er sei. Der FSB wisse alles. Anschließend wurde der BF noch zu integrativen Aspekten befragt, wobei der BF ua angab, derzeit keine Wohnung zu haben und bei seinem Cousin zu wohnen. 2011 sei er wegen seiner Frau verurteilt worden, da sie angegeben habe, dass der BF sie schlage. Der BF hielt anschließend noch fest, dass er dreimal verurteilt worden sei und eigentlich nichts gemacht habe.
I.2.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.07.2021 wurde dem BF der ihm mit Bescheid vom 06.10.2004 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 2 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG), aberkannt. Gemäß § 7 Absatz 4 AsylG wurde festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wurde dem BF nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Unter Spruchpunkt VII. wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 3 Ziffer 1 FPG ein befristetes Einreiseverbot auf die Dauer von sechs Jahren erlassen.
Begründend führte das BFA zur Aberkennung des Asylstatus aus, dass § 7 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG die zwingende Aberkennung des Status des Asylberechtigten vorsehe, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist. Ein Endigungsgrund liege (unter anderem) vor, wenn die Umstände, auf Grund deren der Fremde als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und dieser es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Gemäß Abs. 3 sei jedoch eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG grundsätzlich nur innerhalb von fünf Jahren ab Zuerkennung möglich; bei mehr als fünf Jahren nur unter bestimmten Bedingungen (unter anderem, wenn der Fremde straffällig geworden ist). Da der BF am XXXX in Österreich durch ein Landesgericht rechtskräftig verurteilt worden sei, sei er straffällig geworden und sei somit die Frist von fünf Jahren nicht zu berücksichtigen. Der BF habe im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 20.07.2020 in Bezug auf sein Heimatland keine aktuellen bzw. individuellen Fluchtgründe glaubhaft machen können, zumal er in diesem Zusammenhang nur angeführt habe, dort getötet zu werden, aber diesen Umstand nicht näher erklärt habe. Er habe angegeben, dass alle Leute, die mit ihm gekämpft hätten, 2003 oder 2004 ermordet worden seien. Da jedoch im Jahr 2006 die ehemaligen Widerstandskämpfer oder Sympathisanten dieser amnestiert worden seien, drohe dem BF somit in der Heimat keine Gefahr mehr. Da die Gründe der Asylgewährung nicht mehr aktuell seien, gebe es für den BF keine Gefährdungslage in seinem Heimatland. Des Weiteren stehe ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
Bezüglich der Nicht-Gewährung von subsidiärem Schutz, hielt das BFA fest, dass seitens der Behörde keine derart exzeptionellen Umstände im Hinblick auf die Russische Föderation festgestellt werden konnten, die einer in Art. 2 und/oder Art. 3 EMRK genannten Gefährdung gleichzuhalten wären. Es könne nicht angenommen werden, dass der BF im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Es würden keine Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeiner Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) vorliegen. Aufgrund der vorliegenden Informationen sei davon auszugehen, dass die Grundversorgung in der Russischen Föderation ebenso gewährleistet ist, wie eine Grundversorgung in medizinischer Hinsicht. Es hätten sich schließlich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der BF bei seiner Rückkehr in die Russische Föderation seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten und in eine existentielle Notlage geraten könnte.
Hinsichtlich der Gewährung eines Aufenthaltstitels, kam die Behörde im Rahmen einer Interessenabwägung zu dem Schluss, dass bei einer Abwägung der privaten Interessen des BF mit jenen der Öffentlichkeit nichts zu erkennen bleibe, das in seinem Sinne zu bewerten wäre und gegen eine Rückkehrentscheidung sprechen würde. Auch seine familiären sowie privaten Bindungen würden nichts zu ändern vermögen, da er schon mehrfach verurteilt worden sei. Seine mehrmaligen Verurteilungen würden die kriminelle Energie des BF zum Ausdruck bringen. Er gefährde mit seinem Verhalten die Mitbürger des österreichischen Staates, somit würden die öffentlichen Interessen überwiegen.
Das Einreiseverbot begründete das BFA damit, dass aufgrund dessen, dass der BF zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten bedingt, einer 14-monatigen Freiheitsstrafe und einer weiteren Freiheitsstrafe von 14 Monaten, davon 10 bedingt, rechtskräftig verurteilt worden sei, die Ziffer 1 des § 53 Abs. 3 FPG anzuwenden sei, umso mehr die Dauer seiner Inhaftierung über die drei Monate unbedingter und/oder sechs Monate bedingter Haft hinausgehen würden. Aufgrund der Schwere seines Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des BF, d.h. im Hinblick darauf, wie dieser sein Leben in Österreich insgesamt gestaltet, davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, gerechtfertigt sei. Bei der Bemessung des Einreiseverbotes könne sich die Behörde nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen zurückziehen, sondern sei insbesondere auch die Intensität der privaten und familiären Bindungen zu Österreich einzubeziehen (VwgH 7.11.2012, 2012/18/0057). Die familiären und privaten Anknüpfungspunkte des BF in Österreich seien aber nicht dergestalt, dass sie einen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden. Die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verletze im Falle des BF Art. 8 EMRK nicht. Aufgrund dessen, dass der BF wegen gefährlicher Drohung, Körperverletzung, schwererer Körperverletzung und versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt rechtskräftig verurteilt worden sei, sei die Erlassung des Einreiseverbots von sechs Jahren gerechtfertigt, umso mehr nichts für den BF sprechen würde, um die Zeit zu verkürzen, vor allem da der BF schon mehrfach rückfällig geworden sei, er sich somit nicht an die Gesetze der österreichischen Regierung habe halten wollen, was somit zeige, dass der BF eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit Österreichs darstelle. Zudem zeige er mit den gesetzten Straftaten klar und deutlich, dass er eine massive Gefährdung für die öffentliche Sicherheit darstelle. Da er nun mehrere Strafen bekommen habe, sei keine Besserung des BF feststellbar und sei der BF offenbar nicht gewillt, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten, ansonsten er sich gebessert hätte.
I.2.3. Die vom BF gegen diese Entscheidung vollumfänglich erhobene Beschwerde monierte insbesondere Verfahrensmängel sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung.
Hinsichtlich der Aberkennung des Asylstatus des BF, habe die belangte Behörde es unterlassen, auf das individuelle Vorbringen des BF einzugehen und die Gesamtbeurteilung anhand der verfügbaren Herkunftsstaat-spezifischen Informationen verabsäumt. Aus den Länderinformationen gehe nämlich hervor, dass eine Befragung von Opfern durch NGOs nicht ausreichend gegeben sei und Regimeopfer, als welches sich auch der BF sehe, aus Tschetschenien herausgebracht werden müssten. Außerdem ergebe sich daraus, dass Kritiker sich häufig auch außerhalb Tschetscheniens in russischen Großstädten nicht sicher fühlen würden. Daher gebe es entgegen der Meinung der belangten Behörde für den BF keine IFA. Anschließend wurden Berichte der dänischen Einwanderungsbehörde (DIS) sowie von Accord aus dem Jahr 2015 zitiert, wonach ua zusammengefasst ehemalige Unterstützer der Rebellen nach wie vor konstruierten Anklagen bzw Festnahmen durch die Polizei unterliegen würden, 30 Fälle ohne Dunkelziffer habe es im Jahre 2013 gegeben.
Bezüglich der erlassenen Rückkehrentscheidung wurde darauf hingewiesen, dass der BF zwar nicht mit seinen minderjährigen Kindern, aber mit seinem 22 Jahre alten Sohn in einem Haushalt lebe und mit seiner erwachsenen Tochter, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, einen regen Kontakt habe. Das persönliche Interesse überwiege daher und sei eine Rückkehrentscheidung dauerhaft unzulässig.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt erwogen:
1. Feststellungen:
II.1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Er spricht Tschetschenisch, Russisch, Englisch und Deutsch.
Der BF stellte als fast 27-jähriger am 05.07.2003 einen Asylantrag und ist als anerkannter Flüchtling seit 06.10.2004 im Bundesgebiet aufhältig, somit seit fast 17 Jahren. Vor seiner Ausreise im Jahr 2003 lebte der BF in XXXX , Inguschetien, davor in XXXX , Tschetschenien.
II.1.2. Der BF lebte in Österreich an verschiedenen Adressen und war mehrmals auch als obdachlos gemeldet. Der BF war zuletzt obdachlos gemeldet und gab den Verein XXXX als Kontaktstelle an. Laut Meldeauskunft des Zentralen Melderegisters (ZMR) ist der BF am 07.07.2021 von seiner letzten bekannten Adresse abgemeldet worden und liegt keine aktuelle Meldung vor. Der BF gab dem erkennenden Gericht seinen aktuellen Aufenthaltsort weder bekannt noch ist dieser durch das Bundesverwaltungsgericht leicht feststellbar. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
II.1.3. Der BF war zweimal verheiratet, wobei seiner ersten Ehe zwei mittlerweile erwachsene Kinder und seiner zweiten Ehe drei, noch minderjährige Kinder entstammen. Seine erste Frau ist in der Russischen Föderation verblieben, während er seine zwei dieser Ehe entstammenden Kinder 2008 nach Österreich holte. Seiner zweiten Frau wurde am 13.10.2009 Asyl durch Erstreckung gewährt aufgrund des Asylstatus ihres ältesten Sohnes, welcher wiederum Asyl von seinem Vater abgeleitet hat. Der BF lebt in keiner Beziehung mehr mit seinen Ex-Ehefrauen. Die minderjährigen Kinder des BF sind ca 14, 13 und 11 Jahre alt. Sie wohnen mit ihrer Mutter in XXXX . Der BF wurde von dieser 2011 wegen fortgesetzter Gewaltausübung und 2020 wegen gefährlicher Drohung angezeigt. 2011 wurde er tatsächlich verurteilt wegen fortgesetzter Gewaltausübung, während die Ex-Ehefrau 2020 nicht als Zeuge aussagen wollte, weshalb der BF mangels Schuldbeweis vom Vorwurf der gefährlichen Drohung freigesprochen wurde. Die erwachsene Tochter lebt alleine.
Der BF zahlt derzeit keinen Unterhalt, ein Pflegschaftsverfahren betreffend die minderjährigen Kinder war 2020 am Bezirksgericht XXXX wegen Unterhaltsvorschüssen anhängig. Der BF hat keinen regelmäßigen Kontakt zu seinen minderjährigen Kindern.
II.1.4. Aufgrund von strafrechtlichen Verurteilungen verbrachte der BF achtzehn Monate, dh 1,5 Jahre seines Aufenthaltes, im Gefängnis. Der BF wurde in Österreich dreimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt und zwar:
1.) am XXXX vom LG für Strafsachen XXXX (Rechtskraft: XXXX ), wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung gemäß § 107b Abs. 1 StGB, gegenüber seiner Ex-Ehefrau und Mutter seiner minderjährigen Kinder, zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren;
2.) am XXXX vom LG für Strafsachen XXXX , XXXX (Rechtskraft: XXXX ), wegen des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 1. Fall StGB, weil der BF versuchte, Beamte, die im Begriff standen, eine andere Person wegen der beharrlichen Weigerung, sich im Zuge einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle einem Alkoholtest zu unterziehen, festzunehmen, dadurch, dass er Schläge und Fußtritte gegen deren Körper setzte, und sich sodann aus den gegen ihn gesetzten Armwinkelsperren losriss, sohin mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Festnahme einer anderen Person, zu hindern, sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB, da der BF durch die oben genannte Tat Beamte vorsätzlich am Körper verletzte, wobei er die Tat an einem Beamten wegen der Vollziehung seiner Aufgaben beging, zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Monaten. Bei den Strafbemessungsgründe wertete das Gericht, das formale Geständnis als mildernd und die einschlägige Vorstrafe sowie den raschen Rückfall als erschwerend. Er wurde weiters schuldig gesprochen, den zwei Privatbeteiligten jeweils EUR 1.500,- zu zahlen. Der Antrag der StA XXXX auf Widerruf der bedingten Nachsicht der Vorverurteilung wurde abgewiesen, aber die Probezeit auf 5 Jahre verlängert, da damit das Auslangen gefunden werden könne, zumal der BF sich in Strafhaft befinde und die bloße Androhung nach Entlassung geeignet sei, den BF von der Begehung einer neuerlichen Straftat abzuhalten; und
3.) am XXXX vom LG für Strafsachen XXXX , XXXX (Rechtskraft: XXXX ), wegen des Vergehens des (versuchten) Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 1. Fall StGB, weil der BF Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Sachverhaltsklärung und seiner Fixierung zu hindern versucht, indem er Richtung der Beamten mit einer Faust ausschlug und wiederholt mit seinen Beinen trat, sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB, da der BF einen Beamten während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper verletzt, wobei dieser eine Prellung des linken Handgelenks und eine Prellung an beiden Unterschenkeln erlitt, zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Monaten, davon 10 Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren. Bei den Strafbemessungsgründe wertete das Gericht, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist als mildernd und die zwei einschlägigen Vorstrafen sowie das Zusammentreffen von zwei Vergehen als erschwerend. Vom Vorwurf der gefährlichen Drohung wurde der BF mangels Schuldbeweis aufgrund des Nicht-Erscheinens seiner Ex-Ehefrau als Zeugin freigesprochen. Er wurde weiters schuldig gesprochen, der Privatbeteiligten EUR 550,- zu zahlen.
Der BF ist nicht einsichtig und streitet die den Verurteilungen zugrundeliegenden Taten ab.
II.1.5. Der BF besuchte die Schule in XXXX , Tschetschenien, machte dort die Matura und begann ein Universitätsstudium, welches er aufgrund des ersten Tschetschenienkrieges allerdings nach kurzer Zeit abbrach. In Österreich ging der BF seit 2006 bei verschiedenen Arbeitgebern jeweils für eine Dauer von bis zu 5 Monaten insgesamt einer Erwerbstätigkeit von etwa drei Jahren nach und bezog zwischenzeitlich immer wieder staatliche Unterstützungsleistungen. Seit Jänner 2020 ist der BF arbeitslos. Er ist nicht Mitglied in einem Verein und hat auch sonst keine weiteren integrativen Leistungen vorzuweisen.
II.1.6. In Tschetschenien leben noch die Eltern des BF, welche in Pension sind und zu denen der BF regelmäßig Kontakt hat. In Österreich leben seine Kinder und Cousins des BF. Geschwister des BF leben in Kasachstan bzw der Türkei.
II.1.7. Der BF ist gesund und leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten.
II.1.8. Der BF arbeitete in den Jahren 1997-1999 für eine tschetschenische „Spezialeinheit“ (Zugbegleitung). Nicht festgestellt werden kann, dass der BF in Tschetschenien bzw der Russischen Föderation zum Entscheidungszeitpunkt weiterhin aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Die objektive Lage im Herkunftsstaat hat sich seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten maßgeblich verbessert.
II.1.9. Es ist dem BF jedenfalls möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation, entweder in Tschetschenien selbst oder auch in anderen Landesteilen niederzulassen und anzumelden sowie durch eigene Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele russische Städte verfügen über eine große tschetschenische Diaspora und bieten die stärkeren Metropolen und Regionen Russlands bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch Chancen für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der BF hat Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Es ist dem BF auch möglich, seinen Unterhaltspflichten gegenüber seinen Kindern in Form von Alimentezahlungen vom Ausland aus nachzukommen.
Ihm droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Verfolgung, Folter oder unmenschliche Behandlung wegen der Asylantragstellung oder wegen des langjährigen Aufenthaltes außerhalb der Russischen Föderation. Auch betreffend das 6. und 13. ZPEMRK ist bereits aus dem Grund keine Verletzung des BF in Rechten zu erwarten, dass den Länderberichten zufolge die Todesstrafe in der Russischen Föderation auf Grund des Moratoriums des Verfassungsgerichts de facto abgeschafft ist.
Die aktuell vorherrschende COVID-19 Pandemie bildet kein Rückkehrhindernis. Der BF ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr in die Russische Föderation eine COVID-19 Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.
II.1.10. Zur Lage in der Russischen Föderation/Tschetschenien:
Länderspezifische Anmerkungen
Letzte Änderung: 18.05.2021
Hinweis:
Die Länderinformationen gehen nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese ein - wie etwa Einstellungen des Reiseverkehrs in oder aus einem Land oder Bewegungseinschränkungen im Land. Dies betrifft insbesondere auch Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten zur Selbst-Quarantäne, die Versorgungslage, wirtschaftliche, politische und andere Folgen, die derzeit immer noch schwer einschätzbar sind. Diesbezüglich darf jedoch auf das COVID-Kapitel der Staatendokumentation zur aktuellen COVID-19-Lage hingewiesen werden.
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports
oder der Johns-Hopkins-Universität:
https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6
mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Da es sich bei den Nordkaukasus-Republiken (z.B. Tschetschenien, Dagestan) um Subjekte der Russischen Föderation handelt, werden diese nicht mehr in eigenständigen Länderinformationen abgehandelt, sondern in diese Länderinformation zur Russischen Föderation (RUSS COI-CMS) integriert. Wo es Unterschiede gibt, wurden Unterkapitel zu den einzelnen Subjekten bzw. in zusammenfassender Form zum Nordkaukasus geschaffen.
Zu Inguschetien werden – auch nach Absprache mit dem BVwG – keine Informationen mehr ins RUSS COI-CMS übernommen, da die Anzahl an Asylwerbern zu gering ist. Sollten Sie Informationen zu Inguschetien benötigen, ist eine konkrete Anfrage an die Staatendokumentation zu stellen.
In Bezug auf das Kaukasus-Emirat ist zu sagen, dass es momentan nicht ganz klar ist, ob es in der Praxis überhaupt noch existiert und falls ja, ob es einen neuen Anführer hat oder nicht. Dies scheint aber auch nicht das Wichtigste zu sein, da Kadyrows Kräfte und die russischen Sicherheitsbehörden jegliche dschihadistische Anhänger ins Visier nehmen und sie keinen Unterschied machen, unter welcher Flagge ein Islamist kämpft.
Covid-19-Situation
Letzte Änderung: 18.05.2021
Russland ist von Covid-19 landesweit stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind Moskau und St. Petersburg (AA 15.2.2021). Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation WHO (https://covid19.who.int/region/euro/country/ru). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 zuständig, beispielsweise betreffend Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CHRR 12.3.2021). Die Maßnahmen der Regionen sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region und ändern sich laufend (WKO 9.3.2021; vgl. AA 15.2.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 9.3.2021).
Die regierungseigene Covid-19-Homepage gibt Auskunft über die vom russischen Gesundheitsministerium empfohlenen Covid-19-Medikamente, nämlich Favipiravir, Hydroxychloroquin, Mefloquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir, rekombinantes Interferon-beta-1b und Interferon-alpha, Umifenovir, Tocilizumab, Sarilumab, Olokizumab, Canakinumab, Baricitinib und Tofacitinib. Der in Moskau entwickelte Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard umfasst folgende vier Komponenten: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Auf Anordnung des Arztes wird Patienten ein Pulsoxymeter ausgehändigt (Gerät zur Messung des Blutsauerstoffsättigungsgrades). Die medizinische Covid-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CHRR o.D.a).
Folgende Impfstoffe wurden in der Russischen Föderation entwickelt: Gam-COVID-Vac ('Sputnik V'), EpiVacCorona, CoviVac und Ad5-nCoV (CHRR o.D.b). Mittlerweile sind in der Russischen Föderation drei heimische Impfstoffe zugelassen (Sputnik V, EpiVacCorona und CoviVac). Groß angelegte klinische Studien gibt es bisher nicht (DS 20.2.2021; vgl. RFE/RL 21.2.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.). In Moskau wurden bisher mehr als 700.000 Personen geimpft (Mos.ru 8.3.2021). Obwohl Russland als weltweit erstes Land seinen Covid-Impfstoff Sputnik V registrierte, haben die Impfungen effizient gerade erst begonnen (DS 12.2.2021). Bisher wurden in der Russischen Föderation in etwa 2,2 Millionen Personen (ca. 1,5% der Bevölkerung) geimpft bzw. erhielten zumindest eine der zwei Teilimpfungen (RFE/RL 21.2.2021).
Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei der Grenzkontrolle keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, die nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Die Ausreise aus Russland ist bis auf unbestimmte Zeit eingeschränkt und nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Die internationalen Flugverbindungen wurden teilweise wieder aufgenommen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden derzeit ein- bis zweimal wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Pandemiezeit aufrecht erhalten (WKO 9.3.2021). Der internationale Zugverkehr – mit Ausnahme der Strecke zwischen Russland und Belarus - und der Fährverkehr sind eingestellt (AA 15.2.2021).
Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Sozialabgabenreduktion sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse dazu. Viele der Maßnahmen sind nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und haben einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 9.3.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen usw. (CHRR o.D.c). Jänner bis Oktober 2020 ist die Industrieproduktion pandemiebedingt um 3,1% zurückgegangen. Besonders die Rohstoffproduktion ist um 6,6% gefallen, während die verarbeitende Industrie mit 0,3% praktisch stagnierte. Die im Jahr 2020 sehr stark fallenden Ölpreise waren unter anderem eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie und mit einem globalen Nachfragerückgang verbunden und führten zu einer Rubelabwertung von 25%. Nach leichter Erholung verlor der Rubel unter anderem wegen der anhaltenden geringen Rohstoffnachfrage Mitte 2020 erneut an Wert und lag Anfang Dezember bei ca. 90 Rubel je Euro (WKO 12.2020). Das Realwachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im Jahr 2020 -3,1%. Im Vergleich dazu betrug der entsprechende Wert im Jahr 2019 2%. Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2020 17,8% des Bruttoinlandsprodukts (2019: 12,4%) (WIIW o.D.).
Moskau:
In Moskau herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Das Tragen von Masken auf Straßen wird empfohlen. Kultur- und Bildungsveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 50% der Zuschauerplätze belegt sind. Bürgern über 65 Jahren und chronisch Kranken wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021; vgl. WKO 9.3.2021, AA 15.2.2021). Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Am Arbeitsplatz sind vorgeschriebene Hygienevorschriften (unter anderem Temperaturmessungen, Mund- und Handschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 9.3.2021). Gemäß dem Moskauer Bürgermeister verbessert sich die Pandemielage in Moskau. Ein Großteil der Einschränkungen wurde aufgehoben. Gastronomiebetriebe sind wieder geöffnet. Für Schüler höherer Klassen und Studierende findet nun wieder Präsenzunterricht statt (Mos.ru 7.3.2021; vgl. Mos.ru 8.3.2021, LM 8.2.2021, Russland Analysen 19.2.2021). In der Oblast [Gebiet] Moskau wurde die Mehrzahl der wegen Covid geltenden Einschränkungen zurückgenommen. Einzig Massenveranstaltungen bleiben fast ausnahmslos verboten (Russland Analysen 19.2.2021).
St. Petersburg:
Auch in St. Petersburg herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Die für gastronomische Betriebe geltenden Beschränkungen der Öffnungszeiten wurden aufgehoben. Kulturveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Zuschauerplätze belegt sind. Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke sind Selbstisolierung und Fernarbeit verpflichtend (CHRR 12.3.2021; vgl. Gov.spb 5.3.2021, WKO 9.3.2021, Russland Analysen 8.2.2021).
Tschetschenien:
An öffentlichen Orten wird das Tragen von Masken empfohlen. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke ist Selbstisolierung vorgesehen (CHRR 12.3.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, Ria.ru 10.2.2021, KMS 10.2.2021). Bisher wurden mehr als 19.000 Personen geimpft (Chechnya.gov 26.2.2021). Mitarbeitern staatlich finanzierter Organisationen in Tschetschenien wurde mit Entlassung gedroht, sollten sie die Covid-Impfung verweigern. Bewohner in Tschetschenien berichten, ihnen seien Sanktionen angedroht worden, sollten sie sich nicht impfen lassen (CK 23.1.2021). Reisebeschränkungen wurden aufgehoben (Ria.ru 10.2.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, KMS 10.2.2021).
Dagestan:
An öffentlichen Orten herrscht Maskenpflicht. Einstweilen dürfen keine Massenveranstaltungen stattfinden. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021). Es finden Massenimpfungen statt, und verwendet wird der Impfstoff Sputnik V (E-dag.ru 23.2.2021). Bisher wurden mehr als 18.000 Personen (2,4%) geimpft (E-dag.ru 12.3.2021).
Quellen:
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Politische Lage
Letzte Änderung: 26.05.2021
Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).
Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).
Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).
Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).
Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).
Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).
Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürgersollten Jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).
Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).
Quellen:
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? MDR - Mitteldeutscher Rundfunk (16.7.2020): Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-bei-protest-100.html, Zugriff 21.7.2020
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? Standard.at (1.1.2021): Was 2021 außenpolitisch auf uns zukommt, https://www.derstandard.at/story/2000122723655/was-2021-aussenpolitisch-auf-uns-zukommt, Zugriff 5.3.2021
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Tschetschenien
Letzte Änderung: 26.05.2021
Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – die Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil von ihnenTschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise du