Entscheidungsdatum
23.09.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W142 2237224-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.11.2020, Zl. 1150043906-190922031, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass dieser zu lauten hat: „Der Ihnen mit Bescheid vom 01.02.2018, Zahl 1150043906-170500965, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt.“
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass dieser zu lauten hat: „Die mit Bescheid vom 31.12.2018, Zahl 1150043906-170500965, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wird Ihnen gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen.“
III. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Verfahren über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein männlicher Staatsangehöriger Somalias, stellte infolge illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 26.04.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde.
Dabei gab der BF hinsichtlich seiner Person an, er sei am XXXX in Baldeere geboren und seit XXXX verheiratet. Seine Muttersprache sei Somalisch, er spreche auch Englisch auf gutem Mittelmaß-Niveau. Er sei Religionsangehöriger des sunnitischen Islam und gehöre der Volksgruppe der Sheikal an. Der BF habe in Baldeere 12 Jahre lang die Grundschule besucht und habe er zuletzt als Lehrer gearbeitet. Seine Eltern und seine Ehegattin würden in Somalia leben, ein Onkel lebe in Finnland. Der BF habe zuletzt in Baldeere gelebt. Den Entschluss zur Ausreise habe er im Jänner 2016 getroffen und habe er zu diesem Zeitpunkt seinen Herkunftsstaat auch mit einem Bus nach Äthiopien verlassen. Sein Onkel habe die schlepperunterstützte Reise organisiert, diese habe 5.000 USD gekostet.
Zu seinem Fluchtgrund führte der BF aus, er sei in Somalia Privatlehrer gewesen und habe Kindern Englisch beigebracht. Da er nicht in die Moschee gegangen sei und nicht 5 Mal am Tag gebetet habe, hätten die Leute ihm nicht geglaubt, dass er Moslem sei, sondern hätten sie geglaubt er sei Christ bzw. er auch die Kinder zu Christen machen wolle. Deshalb hätten sie auch die Al Shabaab verständigt, welche ihn angerufen und ihn mit dem Umbringen bedroht hätten. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.
Als ermittelte Alias-Daten wurde am Formular der Erstbefragung die Identität XXXX , XXXX bzw. der Nachname XXXX angegeben.
1.2. Am 01.02.2018 wurde der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.
Zusammengefasst brachte der BF vor, gesund zu sein und keine Medikamente einzunehmen. Er heiße XXXX und sei am XXXX geboren. Eine andere Identität habe er nie angeführt. Zu seinem Leben in Österreich gab er an, hier niemanden zu haben. Er sei verheiratet und habe keine Kinder. Vor seiner Flucht habe er in einem Haus in Bardhere gelebt, seine Familie lebe noch dort. Seine Frau lebe - soweit er wisse - in Mogadischu, aber er habe keinen Kontakt mehr mit ihr. Er sei in Somalia als Lehrer tätig gewesen. Zuletzt habe er vor einem Jahr Kontakt zu seiner Familie gehabt. Diese würde an der Dürre und der damit verbundenen Situation und der Lebensmittelknappheit leiden.
Zu seinem Fluchtgrund gab der BF an, als Englischlehrer tätig gewesen zu sein. Dies hätten viele Leute nicht gewollt und habe er Probleme gehabt. Die Islamlehrer einer islamischen Schule hätten nicht gewollt, dass er Englisch unterrichte. Er sei beschuldigt worden, dass in seiner Schule Mädchen und Jungen zusammensitzen würden, die anderen seien neidisch gewesen. Er sei beschuldigt worden, dass er nicht nur Englisch, sondern auch die westliche Kultur lehre. Dies sei sein Problem gewesen und habe er Angst vor den Al Shabaab gehabt.
Weiters gab der BF an, er könne durch die jetzige Situation in Somalia nicht zurückkehren, es herrsche eine verheerende Dürre in ganz Somalia und damit verbunden eine Lebensmittelknappheit und ganz schlechten Lebensbedingungen. Er habe sich informiert und denke, ihm stehe wegen der absolute schlechten Lage in Somalia subsidiärer Schutz zu. Damit wäre er zufrieden, denn wirkliche Verfolgungsgründe könne er nicht geltend machen. Er wisse auch nicht, wo sich seine Frau aufhalte, vermutlich in Mogadischu. Seine Familie sei von der Dürre auch schwer betroffen, er könne keinesfalls zurückkehren. Er habe alleine flüchten müssen, die Ausreise seiner Frau habe er nicht finanzieren können. Weitere Fluchtgründe habe er nicht, aber es stehe fest, dass er wegen der schlechten Lage nicht mehr zurückkehren könne. Konkret bedroht oder verfolgt sei er nicht worden. Aber er habe Probleme gehabt, da ihm unterstellt worden sei, dass er seinen Schülern nicht nur Englisch, sondern auch die westliche Kultur beibringe. Dies sei nicht gerne gesehen in Somalia, auch nicht von der Al Shabaab. Er habe keine Probleme mit den Behörden des Heimatstaates gehabt und sei auch nicht in Haft gewesen.
Nachdem mit dem BF die Länderfeststellungen zu Situation in Somalia erörtert wurden, gab dieser an, dass in Somalia alles anders sei. Schriftlich wolle er keine Stellungnahme einbringen. Aufgrund der Dürre und den damit verbundenen sehr schlechten Lebensverhältnissen und Versorgungsproblemen sei ihm eine Rückkehr unmöglich. Befragt, wohin er gehen würde, wenn er am Flughafen in Mogadischu aussteigen müsste, gab der BF an, er würde wieder versuchen aus Mogadischu auszureisen. In Somalia würden ihn die gleichen Probleme, zusätzlich die Dürre und die sehr schlechte Versorgungslage erwarten, er könnte dort nicht mehr leben.
Zu seinem Leben in Österreich gab der BF an, er versuche sich zu integrieren und würde gerne hierbleiben. Er würde gerne wegen der Lage subsidiären Schutz erhalten und wäre sehr dankbar dafür.
1.3. Mit rechtskräftigem Bescheid des BFA vom 01.02.2018, Zl. 1150043906/170500965, wurde der vom BF am 26.04.2017 gestellte Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen und dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 unter gleichzeitiger Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung (bis 31.01.2019) der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Am Tag der Bescheiderlassung verzichtete der BF schriftlich auf die Erhebung eines Rechtsmittels gegen diesen Bescheid.
Zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes wurde im Bescheid ausgeführt, dass auf Grund der allgemeinen Lage in Somalia, dokumentiert durch die aktuellen Länderfeststellungen eine Rückkehr derzeit unzumutbar sei. In der Beweiswürdigung wurde ausgeführt, es hätten keine Fluchtgründe ermittelt werden können, der BF habe aber auf die aktuelle Lage in Somalia hingewiesen. Die Feststellungen zur Rückkehrsituation des BF würden auf den aktuellen Länderfeststellungen zu Somalia beruhen. Es sei amtsbekannt und würde sich aus den Länderfeststellungen sowie der Spruchpraxis des BVwG ergeben, dass in Somalia derzeit eine Situation bzw. eine verheerende Dürre herrsche, die eine Rückkehr derzeit unmöglich mache. Auch die Verwandten des BF würden unter der Dürresituation leiden. Es sei ihm daher subsidiärer Schutz zuzusprechen gewesen.
1.4. Am 10.12.2018 stellte der BF beim BFA einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 AsylG.
Dem Antrag wurden folgende Unterlagen beigefügt:
- ZMR-Meldebestätigung;
- Nachbehandlungsbericht eines Krankenhauses (Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie), wonach der BF am 22.07.2018 einen Freizeitunfall erlitten habe bzw. gestürzt sei und deshalb am 23.07.2018 in Behandlung bzw. am 21.09.2018 zuletzt zur Kontrolle bestellt worden sei. Es wurde die Diagnose „Fract. mall. lat. sin. Weber B, non rec. (S82.60)“ erstellt.
1.5. Mit Bescheid des BFA vom 31.12.2018 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 31.01.2021 verlängert. Als Begründung wurde ausgeführt, dass aufgrund der allgemeinen Entwicklungen zur Lage im Herkunftsland in Verbindung mit dem Vorbringen des BF bzw. seinem Antrag das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig habe erachtet werden können.
1.6. Mit gekürzter Urteilsausfertigung des Bezirksgerichtes XXXX , wurde der BF wegen dem Vergehen der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB und dem Vergehen der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 120 Tagessätzen zu je 4 €, sohin zu einer Gesamtstrafe im Ausmaß von 480 €, im Uneinbringlichkeitsfall 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 31.01.2018 in Klagenfurt eine fremde bewegliche Sache dadurch beschädigte, indem er einen Pflasterstein gegen die Eingangstüre der Asylunterkunft geworfen hat, wodurch ein Schaden in unbekannter Höhe verursacht wurde. Zudem hat der BF durch diese Handlung auch versucht eine andere Person am Körper zu verletzen.
Als mildernd wurden vom Gericht das volle und reumütige Geständnis sowie die Unbescholtenheit, als erschwerend das Zusammentreffen zweier Vergehen gewertet.
1.7. Laut Meldung der Landespolizeidirektion XXXX vom 04.09.2019 werde der BF beschuldigt, am 10.08.2019 eine andere Person auf der linken Seite des Halses mit einem unbekannten Gegenstand aus unbekannter Ursache verletzt zu haben. Laut einem Amtsvermerk der Landespolizeidirektion XXXX vom 06.09.2019, werde der BF weiters verdächtigt am 05.09.2019 einen Diebstahl (Spirituosen an einer Tankstelle) begangen zu haben.
1.8. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen § 125 StGB wurde am 25.10.2019 eingestellt.
1.9. Laut einem Abschlussbericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 01.12.2019 werde der BF verdächtigt am 19. und am 22.11.2019 Diebstähle (Spirituosen in einer Supermarkt-Filiale) begangen zu haben.
2. Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
2.1. Am 16.06.2020 wurde der BF wegen § 83 (1), 84 (5) Z 1 StGB in XXXX in Untersuchungshaft genommen und vom BFA in weiterer Folge ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten eingeleitet.
2.2. Mit gekürzter Urteilsausfertigung des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 10.07.2020, wurde der BF wegen dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 1 StGB zu einer Freiheitstrafe in der Dauer von 21 Monaten verurteilt, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 14 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 12.03.2020 in XXXX eine andere Person am Körper verletzte, indem er ihm mit einem Steakmesser, mit einer Klingenlänge von 12 cm über den Hals schnitt und ihm Stiche im Bereich des linken Ohres und am rechten Handgelenk versetzte, wodurch das Opfer oberflächliche Schnittverletzungen am Hals, eine Schnitt- und eine Stichverletzung am linken Ohr und eine klaffende Schnittverletzung am Handgelenkt erlitt, wobei der BF die Tat auf eine Weise beging, mit der Lebensgefahr verbunden ist.
Als erschwerende wertete das Gericht die einschlägige Vorstrafe, als mildernd wurde kein Umstand gewertet.
Mit 10.07.2020 wurde der BF in Strafhaft übernommen.
2.3. Anschließend holte das BFA weitere Informationen betreffend allfälliger (weiterer) gegen den BF verhängter Strafen/Verwaltungsstrafen ein, wobei insbesondere folgende Dokumente neu vorgelegt wurden:
- Strafverfügung der Landespolizeidirektion XXXX vom 02.08.2019, wonach der BF am 29.07.2019 durch lautes Geschrei, durch Beschimpfen von Passanten und das Herumliegen auf öffentlichen Parkbänken die Benutzung des Parks für andere Personen unzumutbar gemacht habe und dadurch § 81 Abs. 1 SPG verletzt habe. Gegen den BF wurde eine Geldstrafe von 150 € verhängt;
- Anzeige wegen einer Ordnungsstörung durch die Landespolizeidirektion XXXX vom 01.08.2019; wonach der BF am 29.07.2019 alkoholische Getränke verschüttet und Passanten angepöbelt habe;
- Abtretungsbericht vom 21.11.2018, wonach beim BF im Zuge einer Personenkontrolle am 18.11.2018 Suchtmittel (3,12g brutto Marihuana) gefunden worden seien sowie eine Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 03.12.2018, wonach wegen § 27 (2) SMG vorläufig von der Verfolgung des BF zurückgetreten wurde;
- Abschlussbericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 06.10.2019, wonach der BF und eine andere Person verdächtigt seien, am 21.09.2019 den Esstisch in der Asylunterkunft zerstört zu haben, wobei ein Sachschaden von 30 € entstanden sei.
2.4. Am 15.10.2020 fand vor dem BFA eine niederschriftliche Einvernahme des BF zur Prüfung einer Aberkennung seines Schutzstatus in er Sprache Somalisch statt.
Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab der BF ergänzend an, er spreche Somalisch, Englisch, Arabisch und nur ein bisschen Deutsch. Er habe einen Reisepass gehabt, diesen habe er auf dem Weg nach Europa verloren. Er könne sich wahrscheinlich Personaldokumente organisieren und einen Bekannten in Mogadischu kontaktieren. Er denke aber, dass dies schwierig sein werde, da er nicht persönlich vor Ort sei und dies eigentlich die Voraussetzung für die Dokumentenbeschaffung sei.
Der BF sei gesund, er nehme keine Medikamente ein. Er sei früher einmal wegen Tuberkulose in Behandlung gewesen und habe sich einmal den Fuß gebrochen, aber jetzt sei alles in Ordnung. Er stehe derzeit nicht in ärztlicher/medizinischer Behandlung.
Zuletzt habe er gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Frau in seinem Geburtsort Baardheere gelebt. Er habe dort sei ganzes Leben lang gewohnt. Er sei 12 Jahre lang in die Grund- und Mittelschule in Baardheere gegangen. Er habe keine Berufsausbildung genossen, sei aber 7 Jahre lang als Lehrer tätig gewesen und habe kleinen Kindern Somalisch und Englisch unterrichtet. Es sei eine kleine, private, keine anerkannte, öffentliche Schule gewesen. Er habe dabei verschieden verdient, er schätze so ca. 50 USD/Monat. Seine Ehefrau sei in Mogadischu geboren und zuletzt in Äthiopien gewesen. Er habe im Jahr 2019 im November oder Dezember telefonischen Kontakt mit ihr gehabt. Er habe 2010 nach traditionellem islamischem Ritus geheiratet. Sie lebe in Äthiopien in einem Flüchtlingslager, er schicke ihr – wenn er könne – manchmal Geld. Er wolle mit seiner Frau eine Familie gründen und sie gerne nach Österreich holen, aber er denke nicht, dass er dafür die Voraussetzungen erfülle. Kinder und Sorgepflichten habe er auch aus anderen Beziehungen nicht. Auch in Österreich führe er derzeit keine Beziehung. Er sei Einzelkind. Befragt, ob seine Eltern ein eigenes Haus in Somalia besitzen würden, gab der BF an, sie hätten zuletzt in einer Hütte auf dem Land gelebt. Die Eltern würden aktuell im Heimatort Baardheere leben. Auch ein Onkel mütterlicherseits und dessen drei oder vier Kinder würden in Somalia leben, er wisse es aber nicht ganz genau. Er stehe mit seinen Angehörigen in Somalia nicht in Kontakt, da diese kein Telefon hätten. Diese würden auch nicht wissen, wo sich der BF aktuelle aufhalte. Befragt, ob er seinen Angehörigen in Somalia finanzielle Unterstützungsleistungen schicke, gab der BF an, dass er glaublich im Jahr 2018 ein bisschen Geld an die Eltern überwiesen habe. Derzeit überweise er nichts, er habe keinen Kontakt. Es stimme aber, dass seine Eltern im Jahr 2018 Kenntnis gehabt hätten, dass sich der BF in Europa aufhalte. Auf die Frage, wovon seine Eltern in Somalia leben würden, führte der BF aus, seine Frau habe damals seine Eltern finanziell unterstützt, aber derzeit sei sie in Äthiopien. Seine Eltern seien jetzt alt, aber der Vater habe früher für eine Hilfsorganisation gearbeitet und Lebensmittel verteilt. Ein Onkel habe in Finnland Asyl, er stehe manchmal per Telefon/WhatsApp in Kontakt mit ihm. In einem finanziellen oder persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zu einer legal in Österreich/Europa aufhältigen Person stehe er nicht.
Als dem BF seine beiden strafrechtlichen Verurteilungen vorgehalten wurden und er aufgefordert wurde, sich dazu zu äußern führte der BF aus: „Was soll ich sagen, es war falsch.“ Nach Vorhalt seiner letzten Verurteilung wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung, gab der BF dazu an, dass seine Aussage vom Gericht leider nicht angehört bzw. gewürdigt worden sei, er habe kein Messer verwendet. Befragt, was er dann verwendet habe, führte der BF aus, es sei ein abgerissener bzw. abgebrochener Dosenverschluss gewesen. Das Teil sei aber natürlich scharf gewesen. Nach weiterem Vorhalt, dass dem Urteil zu entnehmen sei, dass er die Tat auf eine Weise begangen habe, mit der Lebensgefahr verbunden gewesen sei bzw. er sein Opfer am Körper verletzen habe wollen bzw. dies gewusst habe, gab der BF an: „Kann ich mir nicht vorstellen. Der Typ musste glaublich nicht einmal ins Krankenhaus.“ Befragt, ob dies heiße, dass er das Gerichtsurteil nicht nachvollziehen könne, gab der BF an, er habe eine Körperverletzung begangen, dies streite er nicht ab. Es sei auch ein Messer im Spiel gewesen, aber das habe er selbst nicht verwendet. Die Verletzungen aber habe er begangen, das stimmt. Ein Aggressions- bzw. Gewaltproblem habe er aber nicht. Nach weiterem Vorhalt, warum er dann eine einschlägige Vorstrafe wegen Körperverletzung habe, gab der BF an, er habe damals Steine geworfen und Glasscheiben getroffen, aber keine Personen. Der Security der Asylunterkunft habe dies bemerkt, sei verärgert gewesen und habe ihm eine Ohrfeige verpasst. Da sei er zornig geworden und habe einen Stein nach ihm geworfen, aber nicht getroffen.
Als dem BF vorgeworfen wurde, dass er amtsbekannt sei und mehrmals polizeilich aufgefallen sei bzw. er am 29.07.2019 eine Ordnungsstörung begangen habe und dabei Alkohol verschüttet und Passanten angepöbelt habe, gab der BF an: „An das kann ich mich nicht erinnern.“ Auf den Vorhalt, dass er am 29.07.2019 neuerlich auffällig geworden sei und wegen Störung der öffentlichen Ordnung (lautes Geschrei, Beschimpfung von Passanten, Herumliegen auf öffentlichen Parkbänken) mit einer Gelstrafe belegt worden sei, antwortete der BF: „Ich kann mich nicht erinnern. In XXXX habe ich aber schlechte Erfahrungen gemacht, ich war Alkoholiker.“ Jetzt habe er kein Alkoholproblem mehr, er trinke nicht mehr.
Nach weiterem Vorhalt, dass am 01.12.2019 eine Anzeige wegen Ladendiebstähle in einem Supermarkt erhoben worden sei, führte der BF aus, dass dies stimme, er sich daran erinnern könne, dies passiert sei und es ihm leidtue.
Als dem BF vorgehalten wurde, dass er aufgrund seiner Verurteilungen keine positive Charakterentwicklung vollzogen habe, führte der BF aus, dass er noch um eine letzte Chance bitte. Er habe früher wegen seiner Alkoholsucht Probleme gemacht. Wenn er das Alkoholproblem nicht gehabt hätte, wären all diese Dinge nicht passiert. Seit seiner Haft habe er sich gebessert und verändert. Er sei sich sicher, dass es zu keinem Vorfall mehr kommen werde. Er habe daraus gelernt und verbüße derzeit seine Haftstrafe.
Zu seiner Integration in Österreich gab der BF an, keine Familie/Verwandten in Österreich zu haben. Er habe keine Deutschprüfung abgelegt, da er alkoholsüchtig gewesen sei, arbeiten gegangen sei und dafür keine Zeit gehabt habe. Seine Deutschkenntnisse seien nicht sehr gut. Eine Einvernahme auf Deutsch ohne Dolmetscher wäre nicht möglich. Er sei kein Mitglied in einem Verein und sei arbeitsfähig. Er habe in Österreich im Jahr 2019 für ein paar Monate bei einem Paketdienst als Lagerarbeiter gearbeitet. Zuletzt, glaublich bis April 2020, habe er in einem Cafe Vollzeit als Abwäscher gearbeitet. Dann sei Corona dazwischengekommen. Zuletzt habe er etwa 1.300 € netto verdient. An beruflichen Aus- oder Weiterbildungen habe er nicht teilgenommen. Er sei auch nicht ehrenamtlich tätig gewesen. Nach der Zuerkennung von subsidiären Schutz habe er anfangs Mindestsicherung bezogen, danach immer wieder gearbeitet oder gar kein Geld bezogen. Aktuell habe er auf seinem Konto ein bisschen Geld, er wisse aber nicht wieviel. Aktuell habe er kein Einkommen, er gehe im Gefängnis keiner Beschäftigung nach. Er empfange während der Haft auch keine Besucher. Ansonsten habe er noch einen Integrationskurs beim ÖIF besucht.
Befragt, warum er damals seinen Herkunftsstaat verlassen habe und hier subsidiären Schutz erhalten habe, antwortete der BF, dass dies aus Sicherheitsgründen gewesen sei. In seinem Asylverfahren sei ihm nicht geglaubt worden. Der damalige Referent habe ihm gesagt, dass er einen Schutz erhalte, aber es sei nicht wirklich auf ihn eingegangen worden. Seine Gründe seien noch aktuell. Die Al Shabaab sei immer noch in Somalia aktiv. Er habe mit ihnen Probleme gehabt, weil er als Lehrer aktiv gewesen sei. Er sei mit dem Umbringen bedroht worden. Diese Miliz sei immer noch dort und es würde Probleme geben. Nach Vorhalt, dass im damaligen Asylverfahren keine GFK-relevanten Gründe festgestellt werden haben können und ihm damals aufgrund der allgemeinen Lage in Somalia – insbesondere wegen der damals herrschenden Dürre – der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, gab der BF an, dass die Einvernahme damals leider nicht sehr ausführlich gewesen sei, sonst könne er dazu nichts angeben. Nach Vorhalt, dass sich nach den aktuellen Länderfeststellungen die somalische Wirtschaft generell von der Dürre der Jahre 2016 und 2017 erhole, gab der BF an, dazu nichts zu sagen, die Sicherheit sei wichtiger. Es gebe in Somalia Anschläge. Nach weiterem Vorhalt, dass es zu einem Wirtschaftswachstum gekommen sei und dazu die guten Regenfäll und wachsende Remissen beigetragen hätten, gab der BF an, es würden in Somalia Menschen an Hunger sterben. Die Berichte würden nicht viel aussagen.
Die Frage ob es möglich sei, dass er in Somalia in eine andere Region zurückkehre, verneinte der BF und führte aus, dass er in Somalia niemanden habe und auf keine Unterstützung zurückgreifen könne. Nach Vorhalt, dass er erwachsen, arbeitsfähig und gesund sei bzw. in Somalia arbeiten gehen könne, gab der BF an, dass es in Somalia keine Arbeit gebe und die Arbeitsmarktsituation angespannt sei. Er habe in Mogadischu keine Zukunftsperspektive. Der BF sei auch nicht rückkehrwillig. Nach weiterem Vorhalt, dass es das Programm ERRIN zur freiwilligen Rückkehr gebe und Rückkehrer Geld bzw. Sachleistungen erhalten würden, gab der BF erneut an, dass er nicht zurückkehren wolle.
Nach Vorhalt, dass beabsichtigt sei, ihm den Schutzstatus abzuerkennen, ersuchte der BF um eine Chance in Österreich bleiben zu dürfen. Abschließend wurden dem BF die Länderberichte ausgehändigt und ihm die Möglichkeit gegeben, binnen einer Frist von 2 Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben.
2.5. In weiterer Folge wurden von der Landespolizeidirektion XXXX die betreffend den BF vorliegenden verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen (Stand 27.10.2020) übermittelt. Demnach wurde gegen den BF dreimal (zweimalig am 22.08.2019 und einmal am 03.09.2019) eine Geldstrafe wegen § 81 Abs. 1 SPG verhängt.
2.6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 02.11.2020 wurde dem BF der ihm mit Bescheid vom 01.02.2018 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom 01.02.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.) und es wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 4 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde begründend im Wesentlichen darauf verwiesen, dass der BF von einem inländischen Gericht wegen der Begehung eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei. Darüber hinaus würden die Gründe für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht mehr vorliegen, da sich – wie sich aus den Länderfeststellungen nunmehr ergebe - die Lage in Somalia verändert habe. Dem BF sei damals aufgrund der vorherrschenden Dürre der Jahre 2016 und 2017 und der damit zu erwartenden Versorgungsnotlage bei einer Rückkehr subsidiärer Schutz zuerkannt worden Wie sich aus den Länderfeststellungen ergebe, habe sich die Dürre aus den Jahren 2016 und 2017 weitgehend erholt und würden Rückkehr nicht in ihren Rechten gemäß Art. 2 und 3 EMRK verletzt werden. Der BF sei dem in der Einvernahme auch nicht substantiiert entgegengetreten, sondern habe er in der Einvernahme nur auf Anschläge verwiesen. Von der Einbringung einer Stellungnahme zu den Länderfeststellungen machte er nicht Gebrauch. Dem BF drohe bei einer Rückkehr nach Somalia keine reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung, in mehreren Landesteilen sei die Sicherheitslage ausreichend und die Versorgung mit Nahrungsmittel gewährleistet. Der BF sei gesund und sei arbeitsfähig, sodass er in Somalia zumindest durch einfache Arbeit das nötige Einkommen erzielen könne, um sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. Er habe eine Schulbildung von 12 Jahren absolviert und in Somalia bereits über mehrere Jahre eine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Er habe in Somalia Angehörige in Form seiner Eltern in Baardheere sowie einem Onkel und dessen Kinder. Da sein Heimatort Baardheere über keinen Flughafen verfüge, sei eine gefahrlose Anreise dorthin zwar nicht möglich, dem BF stehe aber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mogadischu offen, zumal in Somalia auch Reisefreiheit herrsche. Mogadischu verfüge über einen Flughafen und stehe unter der Kontrolle der Regierung. Auch wenn er in Mogadischu über kein familiäres Netz verfüge, sei dem BF eine Rückkehr nach Mogadischu möglich. Der BF sei gesund, gebildet, arbeitsfähig und –willig, verfüge über Berufspraxis und spreche neben Somalisch auch Arabisch und Englisch. Er könne am Programm ERRIN zur freiwilligen Rückkehr teilnehmen und könne finanzielle Unterstützung und Starthilfe erhalte, was die Gründung einer Existenz bzw. die Aufnahme einer entgeltlichen Arbeit wesentlich erleichtere. Zudem werde er als Clanmitglieder der Sheikal Unterstützung finden, da diese traditionell respektiert und von den Clans, bei denen sie leben, unterstützt werden würden. Es herrsche in Somalia weder landesweit eine objektiv extreme Gefahrenlage, noch für den BF eine Gefährdung aus subjektiven Gründen. Auch aufgrund des Corona-Virus sei kein Grund ersichtlich, der eine Rückkehr nach Somalia nicht möglich oder unzumutbar machen würde. Der BF werde bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat daher insgesamt nicht in eine lebensbedrohliche Situation gerate.
Der BF halte sich seit 2017 in Österreich auf, habe hier keine Verwandten und habe lediglich wenige Tage gearbeitet. Er habe keine Deutschkurse absolviert, sei der Sprache nicht mächtig, habe an keiner beruflichen Aus- oder Weiterbildung teilgenommen, sei nicht ehrenamtlich tätig gewesen und kein Mitglied in Vereinen. Seine schwachen Integrationsbemühungen würden durch die strafrechtlichen Verurteilungen und den Haftaufenthalt maßgeblich getrübt werden. Vielmehr habe der BF eine größere Bindung zu seinem Herkunftsstaat, zumal er dort geboren, aufgewachsen und seine Sozialisierung erfahren habe. Er habe dort 12 Jahre lang die Schule besucht, mehrjährig einen Beruf ausgeübt und würden sich auch seine Eltern dort befinden.
Zur Erlassung des Einreiseverbotes wurde ausgeführt, dass § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt sei, da der BF aufgrund einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlung verurteilt worden sei. Es seien beim BFA zahlreiche Polizeiberichte eingelangt, wobei der BF letztlich zweimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt worden sei. Das letzte Urteil würde das Persönlichkeitsbild des BF zeigen, zumal er die Körperverletzung auf eine Weise begangen habe, die mit Lebensgefahr verbunden gewesen sei und er seinem Opfer mit einem Steakmesser über den Hals geschnitten habe und zudem Schnitt- und Stichverletzungen am linken Ohr und eine klaffende Schnittwunde am Handgelenk zugefügt habe. In dem Urteil seien auch keine mildernden Umstände ins Treffen geführt worden. Aus dem Verhalten des BF zeige sich eine gleichgültige Einstellung gegenüber dem Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit. Der BF befinde sich derzeit in Haft, weshalb nicht vom Wegfall der Gefährlichkeit gesprochen werden könne und es dafür eines Wohlverhaltens in Freiheit bedürfe. Er habe sich weder von der Polizei, noch von Verurteilungen durch Gerichte, offenen Probezeiten oder Geldstrafen von seinem Verhalten abbringen lassen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er sein Verhalten fortsetzen werde. Auch wenn er angegeben habe, keinen Alkohol mehr zu konsumieren und ihm die begangenen Straftaten leidtun würden, würden diese Angaben nur als Schutzbehauptungen gewertet werden können, zumal er schon bei seiner ersten Verurteilung ein reumütiges Geständnis abgelegt habe, sein Verhalten jedoch nicht geändert habe. Auch im letzten Urteil sei eine Gleichgültigkeit des BF gegenüber dem Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit festgestellt worden, weshalb in Zusammenschau mit seinem Verhalten nur eine negative Zukunftsprognose getroffen werden könne und der BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Ein Einreiseverbot in der Dauer von 4 Jahren sei auch unter Berücksichtigung der familiären und privaten Anknüpfungspunkte des BF in Österreich gerechtfertigt und notwendig, um ein Umdenken in seinem Verhalten zu bewirken und die vom BF ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.
2.7. Am 10.11.2020 langte beim BFA die Meldung ein, dass ein Ermittlungsverfahren gegen den BF betreffend § 83 (1) StGB am 06.11.2020 eingestellt worden sei.
2.8. Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht eine Beschwerde im vollen Umfang ein. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF noch nie außerhalb seiner Heimatstadt Baardheere gewesen sei und sich an seiner Situation in Somalia nichts geändert habe. Es könne unter der Berücksichtigung der individuellen Situation des BF nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Umstände, welche für den BF zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt hätten, seit der Zuerkennung wesentlich und nicht nur vorübergehend geändert hätten. Eine grundlegende Änderung liege laut den getroffenen Feststellungen zur Lage in Somalia nicht vor. Das BFA weise lediglich darauf hin, dass die Dürrekatastrophe 2016/17 überstanden sei und damit der Grund für die Zuerkennung des Schutzstatus weggefallen sei. Es werde jedoch zur Gänze übersehen, dass dem BF nunmehr aufgrund anderer Umstände als der damaligen Dürre eine Verletzung von Art. 2, 3 EMRK drohe. Die Behörde habe sich nur äußerst oberflächlich mit der aktuellen COVID-Situation befasst, weshalb das Ermittlungsverfahren grob mangelhaft geführt worden sei. Der BF gehöre zu einer vulnerablen Gruppe, da er an TBC erkrankt sei. Er benötige derzeit zwar keine Behandlung, jedoch könne die Krankheit auch viele Jahre nach der Erstinfektion erneut ausbrechen (postprimäre Tuberkulose). Dies würde in etwa 80 % der Fälle die Lunge betreffen. Es werde daher auf Auszüge des ACCORD-Berichtes „Anfragebeantwortung zu Somalia: Auswirkungen der Covid-19-Pandemie: Ausgangs- und Reisebeschränkungen, Versorgungslage, medizinische Versorgung, Umgang mit Erkrankten“ von August 2020 sowie auf diverse andere Berichte zu COVID-19 von Juli 2020 und Informationen zur Ernährungssicherheit und zu aktuellen Preisen von Nahrungsmitteln von August 2020 verwiesen. Es sei keine nachhaltige, positive Veränderung im Herkunftsstaat eingetreten und bedürfe dies eines längeren Beobachtungszeitraumes. Die Sicherheitslage in Somalia bleibe schlecht, instabil und unvorhersehbar. Auch habe die Behörde übersehen, dass sich die Situation für die Zivilbevölkerung kaum geändert habe, da das Wirtschaftswachstum für die meistens Somalis zu gering sei, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern würde und gehöre Somalia weiterhin zu den ärmsten Ländern der Welt. Bei den gängigen Indikatoren zu Messung der wirtschaftlichen Entwicklung (BIP, Lebenserwartung, Mütter- und Kindersterblichkeit) liege Somalia zumeist auf den letzten Plätzen. Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen seien limitiert, eine Arbeit zu finden sei schwierig. Die humanitäre Krise in Somalia bleibe eine der komplexesten und am längsten dauernden weltweit und sei die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrise und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberen Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems mache Somalia zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Hilfe weltweit. Unter Berücksichtigung der den BF betreffenden individuellen Umständen könne daher davon ausgegangen werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Somalia einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des BF und der derzeit in Somalia vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde. Müsste der BF nach Somalia zurückkehren, würde er in eine aussichtslose Lage geraten und bestehe die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK. Da sich die Versorgungslage in Somalia, auch nicht in Mogadischu nachhaltig verbessert habe, sei die Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG nicht rechtmäßig. Weiters habe die belangte Behörde die Aberkennung auch auf § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG gestützt, weshalb im Bescheid hätte festgestellt werden müssen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Somalia unzulässig sei, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2,3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6, 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Der Bescheid sei somit auch aus diesem Grund mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet. Zum Einreiseverbot wurde ausgeführt, der BF sei zwar zweimal strafrechtlich verurteilt worden, er habe aber bereits in der Einvernahme am 15.10.2020 angegeben, die Tat aufgrund seines Alkoholproblems begangen zu haben und er nun durch die Zeit der Inhaftierung vom Alkohol abgekommen sei und fortan auch keinen mehr trinken wolle. Der BF habe sich gebessert und wolle fortan einen ordentlichen Lebenswandel führen. Es sei damit von keiner Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit mehr auszugehen und ein Einreiseverbot daher nicht dringend geboten.
2.9. Die Beschwerdevorlage des BFA sowie der bezughabende Verwaltungsakt langten am 25.11.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
2.10. Am 10.12.2020 reichte das BFA einen Abschluss-Bericht der Landespolizeidirektion Kärnten vom 28.11.2020 nach. Demnach seien der BF und andere Personen verdächtigt, am 03.06.2020 an einem Raufhandel beteiligt gewesen zu sein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF, dessen Identität nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ist volljähriger Staatsangehöriger Somalias, gehört dem Clan der Sheikal an und bekennt sich zum sunnitischen Islam.
Der BF ist nach traditionell verheiratet und hat keine Kinder.
Er spricht muttersprachlich die Sprache Somalisch. Zudem spricht er Arabisch und Englisch.
Er stammt aus Baardheere in der Region Gedo und hat dort bis zu seiner Ausreise nach Europa gelebt. Zuletzt lebte er dort mit seinen Eltern und seiner Frau in einem gemeinsamen Haushalt.
Der BF besuchte in Somalia (Baardheere) 12 Jahre lang die Grund- und Mittelschule. Er ist in Somalia laut seinen eigenen Angaben 7 Jahre lang einer entgeltlichen Tätigkeit als Lehrer nachgegangen und hat Kinder in den Sprachen Englisch und Somalisch unterrichtet.
Wegen seiner Tätigkeit als Lehrer war der BF keiner Verfolgung durch die Al Shabaab ausgesetzt.
Die Eltern des BF leben laut seiner letzter Information nach wie vor in Baardheere, seine Ehefrau war zuletzt in Äthiopien in einem Flüchtlingslager aufhältig. Weiters gab der BF an, dass vermutlich auch noch ein Onkel sowie Cousinen/Cousins in Somalia leben. Der BF hat zu diesen Angehörigen jedoch keinen Kontakt.
Der BF ist gesund. Er leidet weder an einer schwerwiegenden Krankheit, noch an sonstigen gesundheitlichen Problemen. Er ist arbeitsfähig.
Infolge illegaler Einreise suchte der BF am 26.04.2017 um internationalen Schutz in Österreich an und hält sich seit diesem Zeitpunkt durchgehend im Bundesgebiet auf.
1.2. Mit Bescheid vom 01.02.2018 wies des BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab und erkannte diesem gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Der BF verzichtete auf die Erhebung eines Rechtsmittels gegen diesen Bescheid.
Die Zuerkennung des subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich eine Rückkehr des BF nach Somalia aufgrund der aktuellen allgemeinen Lage bzw. der vorherrschenden Dürre, dokumentiert durch die Länderberichte, als unzumutbar erwiesen habe.
Die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde zuletzt mit Bescheid des BFA vom 31.12.2018 verlängert.
In Bezug auf die zum Zeitpunkt der Zuerkennung bzw. Verlängerung des subsidiären Schutzes vorgelegene allgemeine Lage bzw. die vorgelegene Dürresituation in Somalia ist mittlerweile insofern eine wesentliche Änderung eingetreten, als nicht erkannt werden kann, dass für den BF als gesunden, leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf im Falle einer Niederlassung in Mogadischu nach wie vor eine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit bestehen würde. Dieser liefe auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF leidet weder an einer schweren Krankheit, noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig.
1.3. In Österreich hat der BF keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgeblichen privaten Beziehungen.
Der seit April 2017 in Österreich aufhältige BF verfügt über keine nennenswerten Deutschkenntnisse und legte auch keine Bestätigungen betreffend die Absolvierung von Deutschkursen oder Deutschprüfungen vor. Er gab zwar an, einen Integrationskurs gemacht zu haben, brachte aber auch dazu keine Bestätigung in Vorlage.
Auch sonst hat der BF in Österreich keine Ausbildung gemacht und keine ehrenamtlichen Tätigkeiten verrichtet. Er ist in keinem Verein oder sonstigen Organisationen Mitglied.
Der BF war im Zeitraum von April 2019 bis März 2020 bei mehreren Arbeitgebern als Arbeiter bzw. geringfügig Beschäftigter gemeldet. Er war allerdings meist nur wenige Tage, teilweise sogar nur einzelne Tage lang beim gleichen Dienstgeber beschäftigt. Die längste Beschäftigung übte er von 23.12.2019-26.03.2020 aus, zuletzt (von 31.03.2020-14.06.2020) hat er Krankengeld bezogen. Eine aktuelle Beschäftigung des BF scheint im eingeholten AJ-Web-Auszug nicht auf.
Mit 16.06.2020 wurde der BF in Untersuchungshaft genommen und befand sich anschließend (bis 13.01.2021) in Strafhaft.
Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer tiefgreifenden Integration des BF in Österreich festgestellt werden.
1.4. Der BF weist die folgenden strafgerichtlichen Verurteilungen auf:
1.) BG XXXX vom 28.05.2019 (RK 01.06.2019)
§ 15 StGB § 83 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat: 31.01.2018
Geldstrafe von 120 Tags zu je 4,00 EUR (480,00 EUR) im NEF 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
Vollzugsdatum: 10.09.2020
2.) LG F.STRAFS. XXXX vom 10.07.2020 (RK 14.07.2020)
§§ 83 (1), 84 (5) Z 1 StGB
Datum der (letzten) Tat: 12.03.2020
Freiheitsstrafe 21 Monate, davon Freiheitsstrafe 14 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Nachtrag:
zu LG F.STRAFS. XXXX RK 14.07.2020
Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 13.01.2021
ausgesprochen durch:
LG F.STRAFS. XXXX vom 15.01.2021
1.5. Zur Lage in Somalia wird unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichte Folgendes festgestellt (vom erkennenden Gericht auf die entscheidungswesentlichen Teile gekürzt):
KI vom 20.11.2019: Neues Programm für freiwillige Rückkehr aus Österreich (betrifft: Abschnitte 21.3 – rückkehrspezifische Grundversorgung; 23 – Rückkehr)
In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN (European Return and Reintegration Network), an welchem Österreich bereits zu mehreren anderen Herkunftsstaaten partizipiert, wurden mit November 2019 auch die Destinationen Somalia und Somaliland aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA (International Return and Reintegration Assistance) mit Büros in Mogadischu und Hargeysa (BMI 8.11.2019).
Das Programm umfasst – neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln – pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen. Letztere umfassen (je nach Wunsch des Rückkehrers) eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung (BMI 8.11.2019).
Quellen:
- BMI (8.11.2019): ERRIN Reintegrationsprojekt Somalia und Somaliland ab 8. November 2019, per e-Mail
0. Politische Lage
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).
Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).
Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).
Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).
Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).
Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).
Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).
Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).
Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).
Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).
Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).
Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).
Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).
Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) – und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).
Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).
Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).
Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam „Madobe“ zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed „Lafta Gareen“ ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat – der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow – war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans – v.a. in Middle Shabelle – haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle „Haaf“ wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed „Haaf“ weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC 15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia – Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019
- AMISOM (5.7.2019): Somalia starts process to integrate Ahlu Sunna forces into the Somali Security Forces, URL, Zugriff 16.7.2019
- AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle: Halb