TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/24 W220 2200186-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

24.09.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W220 2200186-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb.: XXXX , StA.: Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2021, Zl.: 1093005610/201179354, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und IV. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm §§ 56, 10 Abs. 3 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52 Abs. 3, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 iVm § 50 FPG nach Afghanistan unzulässig ist.

III. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte V. und VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 17.05.2021 den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG 2005.

Mit oben zitiertem Bescheid vom 20.07.2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Mit Beschluss vom 07.09.2021, GZ.: W220 2200186-2/2Z, erkannte das Bundesverwaltungsgericht der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu, da bei einer Grobprüfung nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers eine reale Gefahr der Verletzung von Bestimmungen der EMRK bedeuten würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 30.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 29.05.2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 und erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung samt Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan; die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.08.2020, ZI.: W121 2200186-1/27E, ordnungsgemäß zugestellt am 21.08.2020, als unbegründet abgewiesen. In den Entscheidungsgründen führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass dem über sechsjährige Schulbildung sowie Berufserfahrung als Hilfsarbeiter verfügenden und aus der Provinz Kabul stammenden, jedoch ab dem Alter von sieben Jahren im Iran aufgewachsenen Beschwerdeführer in Afghanistan keine individuelle Verfolgung drohe und eine Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif, wo die Sicherheitslage stabil sei, möglich und zumutbar sei. Die Behandlung der beim Beschwerdeführer bestehenden Depression sei in Afghanistan grundsätzlich möglich; es sei auch davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sich aufgrund seiner langjährigen Schulbildung und Arbeitserfahrung in Anbetracht der Arbeitsmarktsituation in der Stadt Mazar-e Sharif eine Lebensgrundlage erwirtschaften können würde und ihm ein Zugang zur medizinischen Versorgung betreffend sein psychisches Leiden ermöglicht sei.

Mit Verfahrensanordnung vom 16.12.2019 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet wegen eingebrachter Anklage durch die Staatsanwaltschaft aufgrund einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden könne, gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 verloren habe.

Am 23.11.2020 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005, welchen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 07.12.2020 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückwies; die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 12.03.2021, W220 2238531-1/6E, als unbegründet ab.

Am 17.05.2021 stellte der Beschwerdeführer gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG 2005.

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Tadschiken sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig. Er führt die im Kopf dieser Entscheidung genannten Personalien; seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist in Kabul, in Afghanistan geboren, zog jedoch im Alter von sieben Jahren in den Iran und lebte dort im afghanischen Familienverband bis zu seiner Reise nach Österreich. Im Iran besuchte der Beschwerdeführer etwa sieben Jahre die Schule und arbeitete anschließend rund zwei Jahre als Elektriker und Hilfsarbeiter. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte. Er beherrscht die Sprache Dari.

Der Beschwerdeführer lebt mit Unterbrechungen seit seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Oktober 2015 in Österreich. Von Anfang Dezember 2018 bis Ende Mai 2019 hielt sich der Beschwerdeführer rund sechs Monate in Deutschland auf, von wo er im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Österreich rücküberstellt wurde. In Österreich leben der Vater des Beschwerdeführers, dem der Status des Asylberechtigten zukommt, sowie ein Bruder des Beschwerdeführers, der über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt; weiters verfügt der Beschwerdeführer in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines Freundeskreises. Das Bestehen besonderes enger Bindungen, eines Abhängigkeitsverhältnisses oder einer Haushaltsgemeinschaft ist jeweils nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich Deutschkurse und bestand zuletzt am 13.10.2017 die Prüfung ÖSD Zertifikat A2; er spricht gut Deutsch. Er war ehrenamtlich bei einem Sozialmarkt tätig. Von 16.10.2017 bis 04.12.2017 absolvierte der Beschwerdeführer ein Praktikum in einem Kfz-Betrieb, in dem er in weiterer Folge von 13.03.2018 bis 30.11.2018 als Karosseriebautechniker-Lehrling tätig war, wobei jedoch das Lehrverhältnis vorzeitig aufgelöst wurde. Der Beschwerdeführer verfügt über einen Arbeitsvorvertrag vom 08.04.2021 sowie eine schriftliche Bestätigung vom 12.07.2021, wonach er bei Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung eine Vollzeitbeschäftigung als Hilfsarbeiter im Karosseriebau bei einem monatlichen Bruttolohn von 1.728,27 Euro im genannten Kfz-Betrieb erhalten würde. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung; er ist im Rahmen der Grundversorgung krankenversichert und untergebracht. Der Beschwerdeführer hat keinen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft nachgewiesen. Eine Patenschaftserklärung wurde für den Beschwerdeführer nicht abgegeben.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Depression und Schulterproblemen, bezüglich derer er bereits einmal operiert wurde, und ist im Dezember 2021 eine weitere Operation geplant.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich zweimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt:

1.       Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 06.03.2020, XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall und Abs. 4 Z 1 SMG (Datum der letzten Tat: 30.09.2019) zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

2.       Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 31.08.2020, XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall und Abs. 2a SMG (Datum der letzten Tat: 13.01.2020) verurteilt; eine Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB wurde unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 06.03.2020, XXXX , nicht verhängt.

Der Beschwerdeführer befand sich von 30.06.2020 bis 30.09.2020 in einer Justizanstalt in Strafhaft.

1.3. Zur Lage in Afghanistan und einer Rückkehr des Beschwerdeführers dorthin:

Dem Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dort aktuell herrschenden allgemeinen schlechten, instabilen Sicherheits- und Menschenrechtslage und der damit einhergehenden willkürlichen Gewalt iZm der Machtübernahme durch die Taliban mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Auszug aus der aktuellsten Kurzinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2021 zu aktuellen Entwicklungen und Informationen in Afghanistan:

„Aktuelle Lage

Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (bbc.com o.D.a).

Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (orf.at o.D.a).

Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (bbc.com o.D.b).

Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (orf.at o.D.c).

Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (bbc.com o.D.d).

Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (zdf.de 18.8.2021).

Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SR-Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (VN 18.8.2021).

Exkurs:

Die Anführer der Taliban

Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen TalibanFührer auch nach außen auf.

Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des Scharia-Gerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird.

Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die TalibanEinsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht.

Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban-Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an.

Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (orf.at o.D.b; vgl. bbc.com o.D.c).

Stärke der Taliban-Kampftruppen

Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (orf.at o.D.b).“

Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.08.2021 zur aktuellen Lage in Afghanistan:

„Der afghanische Präsident Ashraf Ghani ist angesichts des Vormarsches der Taliban auf Kabul außer Landes geflohen. Laut al-Jazeera soll das Ziel Taschkent in Usbekistan sein. Inzwischen haben die Taliban die Kontrolle über den Präsidentenpalast in Kabul übernommen. Suhail Schahin, ein Unterhändler der Taliban bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, versicherte den Menschen in Kabul eine friedliche Machtübernahme und keine Racheakte an irgendjemanden zu begehen (tagesschau.de 15.8.2021).

Am 15.08.21 haben die Taliban mit der größtenteils friedlichen Einnahme Kabuls und der Besetzung der Regierungsgebäude und aller Checkpoints in der Stadt den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Man wünsche sich friedliche Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft. Die erste Nacht unter der Herrschaft der Taliban im Land sei ruhig verlaufen. Chaotische Szenen hätten sich nur am Flughafen in Kabul abgespielt, von welchem sowohl diplomatisches Personal verschiedener westlicher Länder evakuiert wurde als auch viele Afghanen versuchten, außer Landes zu gelangen. Den Taliban war es zuvor gelungen, innerhalb kürzester Zeit fast alle Provinzen sowie alle strategisch wichtigen Provinzhauptstädte wie z.B. Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Kunduz einzunehmen. In einigen der Städte seien Gefängnisse gestürmt und Insassen befreit worden (BAMF 16.8.2021; vgl. bbc.com o.D., orf.at 16.8.2021).

Die Taliban zeigten sich am Sonntag gegenüber dem Ausland unerwartet diplomatisch. „Der Krieg im Land ist vorbei“, sagte Taliban-Sprecher Mohammed Naim am Sonntagabend dem Sender al-Jazeera. Bald werde klar sein, wie das Land künftig regiert werde. Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit würden respektiert, wenn sie der Scharia entsprächen. Man werde sich nicht in Dinge anderer einmischen und Einmischung in eigene Angelegenheiten nicht zulassen (orf.at 16.8.2021a).

Schätzungen zufolge wurden seit Anfang 2021 über 550.000 Afghanen durch den Konflikt innerhalb des Landes vertrieben, darunter 126.000 neue Binnenvertriebene zwischen dem 7. Juli 2021 und dem 9. August 2021. Es gibt zwar noch keine genauen Zahlen über die Zahl der Afghanen, die aufgrund der Feindseligkeiten und Menschenrechtsverletzungen aus dem Land geflohen sind, es deuten aber Quellen darauf hin, dass Zehntausende von Afghanen in den letzten Wochen internationale Grenzen überquert haben (UNHCR 8.2021).

Der Iran richtete angesichts des Eroberungszugs der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Pufferzonen für Geflüchtete aus dem Krisenstaat ein. Die drei Pufferzonen an den Grenzübergängen im Nord- sowie Südosten des Landes sollen afghanischen Geflüchteten vorerst Schutz und Sicherheit bieten. Indes schloss Pakistan am Sonntag einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans am Sonntag, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen. Tausende Menschen säßen auf beiden Seiten der Grenze fest (orf.at 16.8.2021b).

Mittlerweile baut die Türkei an der Grenze zum Iran weiter an einer Mauer. Damit will die Türkei die erwartete Ankunft von afghanischen Flüchtlingen verhindern (Die Presse 17.8.2021).

Medienberichten zufolge haben die Taliban in Afghanistan Checkpoints im Land errichtet und sie kontrollieren auch die internationalen Grenzübergänge (bisherige Ausnahme: Flughafen Kabul). Seit Besetzung der strategischen Stadt Jalalabad durch die Taliban, wurde eine Fluchtbewegung in den Osten (Richtung Pakistan) deutlich erschwert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen aus dem westlichen Teil des Landes oder aus Kabul nach Pakistan gelangen ist gegenwärtig eher gering einzuschätzen. Es ist naheliegender, dass Fluchtrouten ins Ausland über den Iran verlaufen. Es ist jedoch auch denkbar, dass die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung Afghanistans (statt einer Route über den schiitisch dominierten Iran) stattdessen die nördliche, alternative Route über Tadschikistan oder auch Turkmenistan wählt. Bereits vor zwei Monaten kam es laut EU-Kollegen zu einem Anstieg von Ankünften afghanischer Staatsbürger in die Türkei. Insofern ist davon auszugehen, dass eine erste Migrationsbewegung bereits stattgefunden hat. Pakistan gibt laut Medienberichten an, dass der Grenzzaun an der afghanisch-pakistanischen Grenze halte (laut offiziellen Angaben sind etwa 90 Prozent fertiggestellt) (VB 17.8.2021).

Laut Treffen mit Frontex, kann zur Türkei derzeit noch keine Veränderung der Migrationsströme festgestellt werden. Es finden täglich nach Schätzungen ca. max. 500 Personen ihren Weg (geschleust) vom Iran in die Türkei. Dies ist aber keine außergewöhnlich hohe Zahl, sondern eher der Durchschnitt. Der Ausbau der Sicherung der Grenze zum Iran mit Mauer und Türmen schreitet immer weiter voran, und nach einstimmiger Meinung von Mig VB und anderen Experten kann die Türkei mit ihrem Militär (Hauptverantwortlich für die Grenzsicherung) und Organisationen (Jandarma, DCMM) jederzeit, je nach Bedarf die illegale Einreise von Flüchtlingen aus dem Iran kontrollieren. Die Türkei ist jedoch - was Afghanistan angeht - mit sehr hohem Interesse engagiert. Auch die Türkei möchte keine neunen massiven Flüchtlingsströme über den Iran in die Türkei (VB 17.8.2021a).

IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen. Die Aussetzung der freiwilligen Rückkehr erfolgt bis auf Widerruf (IOM 16.8.2021).

Während die radikalislamischen Taliban ihren Feldzug durch Afghanistan vorantreiben, gehören Frauen und Mädchen zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Schon in der letzten Regierungszeit der Taliban (1996–2001) herrschten in Afghanistan extreme patriarchale Strukturen, Misshandlungen, Zwangsverheiratungen sowie strukturelle Gewalt und Hinrichtungen von Frauen. Die Angst vor einer Wiederkehr dieser Gräueltaten ist groß. Eifrig sorgten Kaufleute in Afghanistans Hauptstadt Kabul seit dem Wochenende bereits dafür, Plakate, die unverschleierte Frauen zeigten, aus ihren Schaufenstern zu entfernen oder zu übermalen – ein Sinnbild des Gehorsams und der Furcht vor dem Terror der Taliban (orf.at 17.8.2021).“

Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2021 zur Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan:

„Sicherheitslage und Gebietskontrolle

In Afghanistan ist die Zahl der konfliktbedingten Todesopfer derzeit so hoch wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNHCR, mit durchschnittlich 500-600 Sicherheitsvorfällen pro Woche. Berichten zufolge liegt die Gebietskontrolle der Regierung auf dem niedrigsten Stand seit 2001 (UNHCR 20.7.2021).

[…]

Nach Angaben des Long War Journals (LWJ) kontrollieren die Taliban 223 der 407 Distrikte Afghanistan. Die Regierungstruppen kämpfen aktuell (Ende Juli / Anfang August 2021) gegen Angriffe der Taliban auf größere Städte, darunter Herat, Lashkar Gah und Kandahar, dessen Flughafen von den Taliban bombardiert wurde . Seit 1.8.2021 gibt es keine Flüge mehr zu und von dem Flughafen (AJ 1.8.2021). Von den 17 Distrikten Herats sind nur Guzara und die Stadt Herat unter Kontrolle der Regierung. Die übrigen Bezirke werden von den Taliban gehalten, die versuchen, in das Zentrum der Stadt vorzudringen (TN 31.7.2021; vgl. ANI 2.8.2021). Die afghanische Regierung entsendet mehr Truppen nach Herat, da die Kämpfe mit den Taliban zunehmen (ANI 2.8.2021; vgl. AJ 1.8.2021).

Zivile Opfer und Fluchtbewegungen

Zwischen 1.1.2021 und 30.6.2021 dokumentierte UNAMA 5.183 zivile Opfer und fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen (IEDs) durch regierungsfeindliche Kräfte. Zwischen Mai und Juni 2021 gab es nach Angaben von UNAMA fast soviele zivile Opfer wie in den vier Monate davor (UNAMA 26.7.2021).

Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) halten die Taliban hunderte Einwohner der Provinz Kandarhar fest, denen sie vorwerfen mit der Regierung in Verbindung zu stehen. Berichten zufolge haben die Taliban einige Gefangene getötet, darunter Angehörige von Beamten der Provinzregierung sowie Mitglieder der Polizei und der Armee (HRW 23.7.2021).

UNOCHA zufolge wurden zwischen 1.1.2021 und 18.7.2021 294.703 Menschen in Afghanistan durch den Konflikt vertrieben (UNOCHA 22.7.2021).

Noch kann keine Massenflucht afghanischer Staatsbürger in den Iran festgestellt werden, jedoch hat die Zahl der Neuankömmlinge zugenommen. Der Notstandsplan wurde bislang noch nicht aktiviert. Sollte er aktiviert werden, rechnet die iranische Regierung mit einem Zustrom vom 500.000 Menschen innerhalb von sechs Monaten, wobei davon ausgegangen wird, dass ihr Aufenthalt nur vorübergehend sein wird. UNHCR rechnet mit 150.000 Menschen innerhalb von drei Monaten (UNHCR 20.7.2021).

Weitere Entwicklungen

Die Taliban haben im Juli 2021 erklärt, dass sie der afghanischen Regierung im August ihren Friedensplan vorlegen wollen und dass die Friedensgespräche beschleunigt werden sollen (UNHCR 20.7.2021).

Die afghanische Regierung hat am 25.7.2021 eine einmonatige Ausgangssperre über fast das gesamte Land verhängt, um ein Eindringen der Taliban in die Städte zu verhindern. Ausnahmen sind die Provinzen Kabul, Panjshir und Nangarhar. Die Ausgangssperre verbietet alle Bewegungen zwischen 22:00 und 04:00 (BBC 25.7.2021; vgl. TG 24.7.2021).

In den von den Taliban eroberten Gebieten im Norden dürften Frauen laut Meldung vom 14.7.2021 nur vollverschleiert und mit männlicher Begleitung auf die Straße gehen (BAMF 20.7.2021; vgl. VOA 9.7.2021).

Aufgrund von COVID-19 waren alle Schulen und Universitäten bis zum 23.7.2021 geschlossen (BAMF 19.7.2021; AAN 25.7.2021). Nach Angaben der für das Gesundheits- und Bildungswesen zuständigen Beamten soll die Wiedereröffnung in den Provinzen schrittweise erfolgen, je nach Ausbreitung von COVID-19 (AAN 25.7.2021).

Mit 2.8.2021 werden die Flughäfen von Kabul und Mazar-e Sharif weiterhin national und international angeflogen. Der Flughafen von Herat ist national erreichbar (F 24 2.8.2021).“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen hinsichtlich des Verfahrensganges:

Die Feststellungen zu den Verfahren des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes bezüglich des Verfahrens über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz (insbesondere das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.08.2020, ZI.: W121 2200186-1/27E), den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 und den gegenständlichen Antrag.

2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers:

Die bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten und in der Beschwerde nicht bestrittenen Feststellungen zu den Personalien, der Volksgruppenzugehörigkeit und dem Religionsbekenntnis des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in seinen bisherigen Verfahren (AS 1; vgl. die Seiten 4 und 57 des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.08.2020, ZI.: W121 2200186-1/27E). Die Identität des Beschwerdeführers konnte – mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente – nicht abschließend geklärt werden.

Die Feststellungen zu den Geburts- und Aufenthaltsorten des Beschwerdeführers, seiner Schulbildung und Berufserfahrung, seinen Sprachkenntnissen und den fehlenden sozialen oder familiären Anknüpfungspunkten in Afghanistan ergeben sich aus den plausiblen und gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers in seinen bisherigen Verfahren (AS 13 und 15; vgl. die Seiten 4f und 57 des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.08.2020, ZI.: W121 2200186-1/27E). Diese Feststellungen wurden im Wesentlichen schon vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid getroffen und in der Beschwerde nicht bestritten.

Die Feststellungen zur Einreise des Beschwerdeführers in das österreichische Bundesgebiet und seinen Lebensumständen, Aktivitäten, Sprachkenntnissen und familiären, sozialen und beruflichen Anknüpfungspunkten in Österreich resultieren aus den Angaben des Beschwerdeführers in der auf Deutsch durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 15.07.2021 (AS 11 bis 21) in Verbindung mit den vorgelegten Integrationsunterlagen (AS 27ff und 53ff) und Einsichtnahmen in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und das Grundversorgungsinformationssystem. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland ergibt sich aus den eigenen expliziten Angaben des Beschwerdeführers (AS 15) in Verbindung mit der am 14.05.2019 diesbezüglich erstellten Eintragung in das Grundversorgungsinformationssystem und einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister. Vom festgestellten Sachverhalt ging im Wesentlichen bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid aus; ein darüberhinausgehendes oder entgegenstehendes Vorbringen wurde in der Beschwerde nicht erstattet. Der mangelnde Nachweis eines Rechtsanspruchs auf eine ortsübliche Unterkunft sowie die Nichtvorlage einer Patenschaftserklärung ergeben sich aus dem Akteninhalt und den ausdrücklichen Angaben des Beschwerdeführers dazu (AS 13); in der Beschwerde wurden diesbezüglich keine gegenteiligen Ausführungen getätigt.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben in seinen bisherigen Verfahren (AS 19; vgl. die Seiten 5f und 57f des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.08.2020, ZI.: W121 2200186-1/27E) in Verbindung mit den vorgelegten medizinischen Unterlagen (AS 77ff). Diese Feststellungen liegen dem angefochtenen Bescheid zugrunde und wurden in der Beschwerde nicht bestritten.

Die Feststellungen zu den Verurteilungen des Beschwerdeführers und seiner Anhaltung in Strafhaft beruhen auf Einsichtnahmen in das Strafregister, das Zentrale Melderegister und das Grundversorgungsinformationssystem.

2.3. Zu den Feststellungen hinsichtlich der aktuellen Lage in Afghanistan und einer Rückkehr des Beschwerdeführers dorthin:

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten, instabilen Sicherheits- und Menschenrechtslage und der damit einhergehenden willkürlichen Gewalt iZm der Machtübernahme durch die Taliban mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, folgt aus den oben unter II.1.3. festgestellten, notorischen Ereignissen insbesondere seit August 2021. Vor diesem Hintergrund – insbesondere der festgestellten Machtübernahme durch die Taliban und der derzeit aufgrund des Umbruchs nicht beurteilbaren Sicherheits- und Versorgungslage – würde eine Rückkehr für den Beschwerdeführer zum aktuellen Zeitpunkt eine reale Gefahr bzw. ernsthafte Bedrohung seines Leben oder seiner Unversehrtheit bedeuten, dies auch im Hinblick auf die derzeit noch unvorhersehbaren weiteren Entwicklungen und den notorischen Erfahrungen der Ausgestaltung von Ordnung unter den Taliban in den Jahren 1996 bis 2001 in Afghanistan. Weiters ist darauf hinzuweisen, dass UNHCR in der „UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan“ aus August 2021 dazu auffordert, aufgrund der volatilen Situation in Afghanistan, die noch für einige Zeit unsicher bleiben kann, sowie der sich abzeichnenden humanitären Notlage zwangsweise Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen in Afghanistan auszusetzen, bis sich die Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtslage in Afghanistan signifikant verbessert hätten. Den Richtlinien des UNHCR ist besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung“) (vgl. etwa VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114, Rn. 9, mwN). Die Verpflichtung zur Beachtung der sowohl vom UNHCR als auch von der EASO herausgegebenen Richtlinien ergibt sich aus dem einschlägigen Unionsrecht (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, Rn. 21ff). Gemäß Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) sind zwecks angemessener Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen, wie etwa EASO und UNHCR sowie einschlägigen internationalen Menschrechtsorganisationen einzuholen, die Aufschluss über die allgemeine Lage insbesondere in den Herkunftsstaaten der Antragsteller geben (VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0457).

Die wiedergegebenen, notorischen Feststellungen zur aktuellen Lage in Afghanistan beruhen auf den jüngsten Kurzinformationen der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur Entwicklung der Situation in Afghanistan, die auf Berichten verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen beruhen, welche in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist zulässig und rechtzeitig.

3.2. Zu A) I. Abweisung der Beschwerde gegen die gegen die Spruchpunkte I., II. und IV. des angefochtenen Bescheides:

3.2.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen):

3.2.1.1. Der mit „Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ betitelte § 56 AsylG 2005 lautet:

„§ 56. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, auch wenn er sich in einem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vor dem Bundesamt befindet, eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige jedenfalls

1. zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist,

2. davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, seines festgestellten durchgängigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig gewesen ist und

3. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird.

(2) Liegen nur die Voraussetzungen des Abs. 1 Z 1 und 2 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

(3) Die Behörde hat den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 kann auch durch Vorlage einer einzigen Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 26) erbracht werden. Treten mehrere Personen als Verpflichtete in einer Erklärung auf, dann haftet jeder von ihnen für den vollen Haftungsbetrag zur ungeteilten Hand.“

Der mit „Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen“ betitelte § 60 AsylG 2005 lautet:

„§ 60. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht, oder

2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht.

(2) Aufenthaltstitel gemäß § 56 dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,

2. der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,

3. der Aufenthalt des Drittstaatsangehörige zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 5 NAG) führen könnte, und

4. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

(3) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen widerstreitet dem öffentlichen Interesse, wenn

1. dieser ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dieser durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt oder

2. im Falle der §§ 56 und 57 dessen Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.“

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Gesetzeszweck des § 56 AsylG 2005 die Bereinigung von besonders berücksichtigungswürdigen „Altfällen“ unter isolierter Bewertung allein des faktischen – notwendigerweise mindestens zur Hälfte rechtmäßigen – Aufenthaltes sowie des Grades der in Österreich erlangten Integration. Den betroffenen Drittstaatsangehörigen soll in diesen Fällen die Möglichkeit zur Legalisierung ihres Aufenthalts durch Erteilung eines Aufenthaltstitels gegeben werden, wobei hiervon jene Konstellationen erfasst sein sollen, in denen die Schwelle des Art. 8 EMRK, sodass gemäß § 55 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, noch nicht erreicht wird (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0308, mwN).

3.2.1.2. Der Beschwerdeführer hält sich seit Oktober 2015 und somit seit über fünf Jahren im Bundesgebiet auf und war sein Aufenthalt von der Einbringung seines Antrags auf internationalen Schutz am 30.10.2015 bis zum Verlust des ihm während des Verfahrens über diesen Antrag auf internationalen Schutz zukommenden Aufenthaltsrechtes gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 am 16.11.2019, sohin mehr als drei Jahre, rechtmäßig. Der Beschwerdeführer ist allerdings nicht seit fünf Jahren durchgängig in Österreich aufhältig, da sich der Beschwerdeführer von Anfang Dezember 2018 bis Ende Mai 2019 rund sechs Monate in Deutschland aufhielt, von wo er im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Österreich rücküberstellt wurde. Bereits mangels Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung des § 56 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 kommt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen daher nicht in Betracht.

Der Beschwerdeführer bezieht außerdem Leistungen aus der Grundversorgung, im Rahmen derer er auch untergebracht und sozialversichert ist. Einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird, hat der Beschwerdeführer nicht nachgewiesen; auch eine Patenschaftserklärung wurde für den Beschwerdeführer nicht abgegeben. Ein gesicherter Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft liegt daher nicht vor (vgl. zum Nachweis eines Rechtsanspruches auf Unterkunft VwGH 05.02.2021, Ra 2020/21/0392).

Auch mangels Vorliegens der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 60 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 kommt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005, wie vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zutreffend dargelegt, nicht in Betracht; eine Prüfung der weiteren Erteilungsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 AsylG 2005 kann daher unterbleiben.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete zudem auch zutreffend, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich die öffentliche Sicherheit gefährdet (siehe dazu unten zum Einreiseverbot), weshalb überdies das Erteilungshindernis des § 60 Abs. 3 Z 2 AsylG 2005 vorliegt.

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen teilt das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, wonach die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen nicht erfüllt sind.

Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.

3.2.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Erlassung einer Rückkehrentscheidung):

3.2.2.1. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ist, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 abgewiesen wird, diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

Gemäß § 52 Abs. 3 FPG hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 abgewiesen wird.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. auch VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben ist nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt, sondern erfasst auch faktische Familienbindungen, bei welchen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Auch eine aufrechte Lebensgemeinschaft fällt unter das von Art. 8 EMRK geschützte Familienleben (VwGH 09.09.2013, 2013/22/0220 mit Hinweis auf E vom 19.03.2013, 2012/21/0178, E vom 30.08.2011, 2009/21/0197, und E vom 21.04.2011, 2011/01/0131). Vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Artikel 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern beispielsweise auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Artikel 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 25.04.2018, Ra 2018/18/0187; vgl. auch VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwN). Es kann jedoch auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen „kann“ und somit schon allein aufgrund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. etwa VwGH 28.01.2016, Ra 2015/21/0191, mwN).

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216, mwH).

3.2.2.2. Im vorliegenden Fall fällt die gemäß Art 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zu Lasten des Beschwerdeführers aus:

Zum Familienleben des Beschwerdeführers ist zunächst auszuführen, dass in Österreich der Vater und der Bruder des Beschwerdeführers leben, wobei dem Vater des Beschwerdeführers der Status des Asylberechtigten zukommt, während der Bruder des Beschwerdeführers über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt. Die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen fällt aber mangels Bestehens eines Abhängigkeitsverhältnisses, einer Wohngemeinschaft oder sonstiger, besonders intensiver Bindungen nicht in das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben (ist jedoch im Rahmen des Privatlebens des Beschwerdeführers zu berücksichtigen). Sonstige familiäre Anknüpfungspunkte hat der Beschwerdeführer in Österreich nicht; ein durch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung bedingter Eingriff in das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben des Beschwerdeführers ist daher zu verneinen.

Zum Privatleben des Beschwerdeführers ist weiters festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer seit Stellung seines Antrages auf internationalen Schutz im Oktober 2015 überwiegend in Österreich aufhält, wenngleich mit einer sechsmonatigen Unterbrechung von Anfang Dezember 2018 bis Ende Mai 2019. Es ist daher aus dem Grund der Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich vom Bestehen eines von Art. 8 erfassten Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich auszugehen.

Zu Gunsten des Beschwerdeführers ist zu berücksichtigen, dass er während seines Aufenthaltes in Österreich zumindest teilweise Integrationsbemühungen gezeigt hat, indem er sich einen Freundeskreis geschaffen, Deutschkurse besucht und zuletzt am 13.10.2017 die Prüfung ÖSD Zertifikat A2 bestanden hat und gut Deutsch spricht. Er war weiters ehrenamtlich bei einem Sozialmarkt tätig und absolvierte von 16.10.2017 bis 04.12.2017 ein Praktikum in einem Kfz-Betrieb, in dem er in weiterer Folge von 13.03.2018 bis 30.11.2018 als Karosseriebautechniker-Lehrling tätig war, wobei jedoch das Lehrverhältnis vorzeitig aufgelöst wurde. Der Beschwerdeführer verfügt über einen Arbeitsvorvertrag vom 08.04.2021 sowie eine schriftliche Bestätigung vom 12.07.2021, wonach er bei Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung eine Vollzeitbeschäftigung als Hilfsarbeiter im Karosseriebau bei einem monatlichen Bruttolohn von 1.728,27 Euro im genannten Kfz-Betrieb erhalten würde.

Demgegenüber ist der Beschwerdeführer jedoch unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und hat dadurch gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Er ist derzeit nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seiner privaten Interessen ist zudem insbesondere maßgeblich dadurch gemindert, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste: Der Beschwerdeführer durfte sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (vgl. zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013). Der Beschwerdeführer kam überdies nach Abschluss des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und verlieb beharrlich unrechtmäßig in Österreich.

Den Interessen des Beschwerdeführers an einer Aufrechterhaltung seines Privatlebens in Österreich steht weiters das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Straftaten gegenüber. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich zweimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt, nämlich mit Urteil eines Landesgerichtes vom 06.03.2020 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall und Abs. 4 Z 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, und mit Urteil eines Landesgerichtes vom 31.08.2020 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall und Abs. 2a SMG, wobei eine Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil vom 06.03.2020 nicht verhängt wurde. Der Beschwerdeführer befand sich von 30.06.2020 bis 30.09.2020 in Strafhaft.

Nicht übersehen wird, dass der Vater des Beschwerdeführers in Österreich lebt und ihm der Status des Asylberechtigten zukommt. Unter Berücksichtigung der insgesamt aufgezeigten Umstände erweist sich der Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers dennoch als zulässig und erforderlich. Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, den Kontakt zu seinem Vater und seinen Freunden in Österreich mittels elektronischer Kommunikationsmittel und Besuchen in Drittstaaten aufrechtzuerhalten, zumal das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses, einer Haushaltsgemeinschaft oder sonst besonderes enger Bindungen nicht hervorgekommen ist. Dem Beschwerdeführer ist es überdies möglich, unter Einhaltung der niederlassungs- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in das österreichische Bundesgebiet zurückzukehren; bis dahin ist dem Beschwerdeführer die Aufrechterhaltung seiner Beziehungen in Österreich, wie oben beschrieben, mittels elektronischer Kommunikationsmittel und Besuchen in Drittstaaten möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer verfügt nach wie vor über Bindungen zum Herkunftsstaat: Er ist in Afghanistan geboren, dort zumindest die ersten sieben Jahre seines Lebens aufgewachsen, lebte auch im Iran im afghanischen Familienverband und beherrscht die Sprache Dari. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sich wieder in die afghanische Gesellschaft eingliedern können wird.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich steht somit das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens sowie das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Kriminalität gegenüber; diesen gewichtigen öffentlichen Interessen kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH vom 12.03.2002, Zl. 98/18/0260, VwGH vom 18.01.2005, Zl. 2004/18/0365, VwGH vom 03.05.2005, Zl. 2005/18/0076 und VwGH vom 09.09.2014, Zl. 2013/22/0246).

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde daher zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und demnach durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist daher im vorliegenden Fall geboten und verhältnismäßig und stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist somit als unbegründet abzuweisen.

3.2.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides (Erlassung eines Einreiseverbotes):

3.2.3.1. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. Gemäß § 53 Abs. 4 FPG beginnt die Frist des Einreiseverbotes mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

Das Einreiseverbot knüpft gemäß § 53 Abs. 1 erster Satz FPG an das Bestehen einer Rückkehrentscheidung an. Es kann daher unbesehen der Frage erlassen werden, ob die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dass mit

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten